Tatra Sherpas: Tradition, Kondition, Meditation

Unterwegs mit den Tatra Sherpas im slowakisch-polnischen Grenzgebiet.

Tatra Sherpa mit schwerem Gepäck am Berg

Kartoffelkisten, Gasflaschen, auch mal ein 120 Kilo schweres Notstrom-Aggregat: Die »Tatra Sherpas« schleppen alles Nötige  auf Berghütten, die nur per Wander­stiefel erreichbar sind. Und sie lieben es. 

die Tatra Sherpas
Filip Zacher und ­Števo Bačkor
Trittsicher unter schwankender Last: die Tatra Sherpas
Filip Zacher und ­Števo Bačkor (auch Foto unten).
Tatra Sherpa Števo Bačkor im Wald

Sisyphos solle man sich als glücklichen Menschen vorstellen, hat Albert Camus geschrieben. Števo Bačkor, slowakischer Umweltbiologe und Bergwanderführer, sieht das ähnlich: »Beim Tragen habe ich viele Antworten auf die Fragen des Lebens gefunden. Es ist gut für Körper und Seele.«

Während Sisyphos in der griechischen Sage auf ewig einen gewaltigen Stein bergauf rollt, ist Števo ein Tatra Sherpa – so nennen sich die Träger in der Hohen Tatra mit einem Augenzwinkern selbst. 

Zu Fuß versorgen sie über 100 Hütten im slowakisch-polnischen Hochgebirge. Ihre traditionellen Selbstbau-Kraxen treiben selbst hartgesottenen Rucksack-Trekkern die Tränen in die Augen: meterhoch beladen, Schwerpunkt irgendwo über dem Kopf, von Tragesystem oder Hüftgurt keine Spur.  

Die Standardladung liegt bei 40 bis 80 kg, Števos Rekord bei 121 kg. Für eine typische Tour, etwa die knapp 1000 Höhenmeter hinauf zur Zbojnicka-Hütte, braucht er zwei bis zweieinhalb Stunden. 

»Beim Tragen habe ich viele Antworten auf die Fragen des Lebens gefunden. Es ist gut für Körper und Seele.«

»Jeder Sherpa hat seine Packtechnik, für Pausen gibt es eigene Kraxen-Absetzplätze, wo die riesigen Dinger stabil stehen«, erzählt Chris Wittig, Fotograf dieser Bildstrecke und Marketingleiter bei Hanwag. Der Schuhhersteller unterstützt die rund 150 Tatra Sherpas mit Wanderschuhen. Und, lacht Chris, »bald auch mit alten Feuerwehrschläuchen«. Daraus werden die Schulterträger der Kraxen gefertigt, laut Števo gibt es nichts Besseres. Die Schläuche sind schwer zu bekommen, aber zum Glück hat Chris als ehrenamtlicher Feuerwehrmann gute Connections. 

Hanwag unterstützt die Sherpas mit Schuhen

Števo und seine Kollegen tragen ihre Last tatsächlich freiwillig und mit Freude: »Nur wenige sind dafür gemacht. Als junger Mann war ich stolz auf meine Kraft, inzwischen gibt mir das Tragen Energie für den Alltag.« Števo, Mitte 40, geht am liebsten alleine, fällt in einen meditativen Schritt, arrangiert sich mit Schmerz und Selbstschinderei. »Oben anzukommen ist immer ein besonderer Moment. Du bist vielleicht erschöpft, aber fühlst dich vollkommen.«

Auch das sagt Camus über Sisyphos: »Der Kampf gegen Gipfe­l vermag ein Menschenherz auszufüllen.«

die Tatra Sherpas am Ziel, der Chata-pod-Rysmi-Hütte in der Slowakei
Števo und Filip am Ziel. Ohne sie wäre die 2250 Meter hoch gelegene Chata-pod-Rysmi-Hütte auf die Versorgung mit Helikoptern angewiesen. 

Im Video: Unterwegs in der Hohen Tatra mit Stevo Backor

Text: Stephan Glocker | Fotos: Chris Wittig