Vanlife in Portugal

Zeit als Ziel –

immer wieder Portugal

Seit 1996 reist Oliver Lück im Bulli durch Europa. Den Begriff »Vanlife« gab es damals noch nicht – aber das Gefühl, frei und unabhängig unterwegs zu sein. Und gleich seine erste Busreise führte ihn nach Portugal. Hier erzählt der Buchautor und Fotograf, wie sich das Reisen auf Rädern verändert hat. Von Bulli bis Vanlife – eine Tour durch die letzten 28 Jahre.

Es ist ja so, dass vor allem Gerüche längst vergessene Bilder und Gefühle zurückholen können. Besondere Ereignisse, die mit einem Duft oder einem Geschmack verbunden sind, graben sich tief in das Gedächtnis, sodass man sie auch Jahrzehnte später noch wachrufen kann. Momente der Kindheit werden wieder lebendig, Erinnerungen an endlos lange Sommerferien, in denen an jedem Tag die Sonne schien, man mit einem Bärenhunger aus dem Freibad kam – und dann gab es Pommes!

Bei mir ist es bis heute der Hauch von frisch gezapftem Diesel, der mich in der Zeit zurückreisen lässt. Kaum bin ich beim Tanken, bin ich im Urlaub. In Gedanken stehe ich an einer Zapfsäule in Portugal, bin sofort wieder 23 Jahre alt. Und die Sonne scheint. Und ich habe Zeit.

Denn so fing das alles an mit dem Reisen auf Rädern. Es war 1996, das Jahr, in dem Rio Reiser starb. Ein Schaf namens »Dolly« kam zur Welt. Und ich hatte mir mein erstes Auto gekauft: Einen rostigen, postgelben Bulli, Baujahr 1973. Für 2670 Mark. Ein Freund malte schwarze Posthörner auf die Türen und zwei Wörter in großen Buchstaben darunter: PEST auf die eine und ROST auf die andere Seite. Und ich kannte jemanden beim TÜV. Vier Tage später ging es los.

Das Reisen funktionierte ganz anders damals – ohne Handy oder Hilfe aus dem Weltraum. Es gab noch keine Navigationsgeräte. Und ich weiß noch, dass ich immerhin eine Straßenkarte dabeihatte. Sie war aus dem Jahr 1979 und winzig: Europa im Maßstab eins zu vier Millionen. Doch rückblickend betrachtet, hätte ich die Karte gar nicht gebraucht, wollte ich doch sowieso immer an der Küste entlang. Rechts das Wasser, links das Land, von Hamburg in Richtung Süden und bis nach Portugal. Dann umdrehen und zurück.

  • Oliver Lück mit Hund
    Sorry, die Dachterrasse ist besetzt
  • Gut verstecker Bulli im Gebüsch
    Wie es früher einmal war. Heute …
  • Bulli auf Campingplatz
    … sucht man nach Möglichkeit einen Campingplatz auf.
  • Oliver Lück vor Bulli
    Vanlife in der Vor-Lichterketten-Ära

Einmal Bulli, immer Bulli

Nach 85 Tagen und 16.000 Kilometern endete diese erste Tour mit Motorschaden am Offenbacher Kreuz. Doch sie war wegweisend. Denn mir war schnell klar geworden, dass ich weiter so reisen wollte – im eigenen Haus auf Rädern. Der Bus als Hotel und Büro. Gleichzeitig unterwegs und trotzdem zu Hause. Alles drin, was ich brauche, sehr reduziert, aber ausreichend. So ließ es sich viel unabhängiger reisen. Der Campingbus bot mir einen geschützten Rahmen. Und jede Nacht das eigene Bett. Ich konnte frei entscheiden, wo ich anhalte und wie lange ich dort bleibe. Alles ganz einfach, aber sehr flexibel. Und so wurde aus meinem gelben Bulli ein Roter (T3, Baujahr 1987). Und aus dem Roten ein Blauer (T3, Baujahr 1991), den ich nun seit 23 Jahren und mehr als einer halben Million Kilometer fahre.

Alle drei Jahre breche ich nach Portugal auf. Weil ich muss. Es gibt Länder und Orte, die eine nicht zu beschreibende Anziehungskraft haben, an die man immer wieder zurückkehren muss. Der Nationalpark Peneda-Gerês im Norden, nahe der Grenze zu Spanien, zum Beispiel ist so einer. Oder Ria Formosa im Süden. Oder Porto und der Lauf des Douro. Oder natürlich die naturbunte Südwestküste der Algarve zwischen Sines und Lagos, für mich eine der schönsten Gegenden Europas, weil sie so ganz anders als der zu weiten Teilen betonverseuchte Süden ist. Hier ist das Wasser immer etwas kälter, sind die Winde immer etwas stärker und die Wellen immer etwas höher.

Die Strände zwischen Porto Covo im Alentejo bis nach Burgau an der Algarve gehören zum Parque Natural do Sudoeste Alentejano e Costa Vicentina. Mehr als 100 Kilometer, die zu den unberührtesten Küsten Europas zählen. Das weitläufige Hinterland steht in voller Blüte. Als hätte jemand den breiten Streifen bis zum Strand mit Wiesen tapeziert, steht das Gras kniehoch wie ein tiefgrüner Pflanzenteppich. Dazwischen gelbe und rote Mittagsblumen, Currykraut und Narzissen. Die wenigen weiß gekalkten Häuser wirken wie Fata Morganen. Es dürfen keine Hotels gebaut werden. Die Menschenmassen sollen woanders Urlaub machen. Am Praia da Bordeira hat sich seit meinem ersten Besuch daher so gut wie kaum etwas verändert. Eine Lagune wird hier durch eine Düne vom Meer abgeschirmt. Wer an einem eher windstilleren Tag bei Ebbe von dem kleinen Parkplatz aus zum Wasser läuft, könnte glauben, dass der Strand gar nicht mehr enden wird.

»Einsteigen, Schlüssel umdrehen, losrollen, Urlaub – die Freiheit beim Vanlife beginnt mit dem ersten Kilometer.«

Benehmt euch bitte!

Irgendwann Anfang der 2010er Jahre aber passierte etwas Grundlegendes. Auch in Portugal, wo immer mehr selbstausgebaute Campingbusse unterwegs sind. Immer schwieriger wurde es, an den schönen Orten der Atlantikküste einen Schlafplatz für die Nacht zu finden. Entweder war dieser schon besetzt oder das wilde Campieren plötzlich verboten.

In und um Carrapateira zum Beispiel, dem kleinen »Surferdorf«, das Mitte der 90er Jahre noch keinen Surfshop und keine Surfschule hatte, stehen heute Verbotsschilder, wo vor zehn Jahren noch das Übernachten problemlos möglich war. Manche Nebenstraßen wurden von den Einheimischen zusätzlich mit schweren Ketten versperrt. »Es ist zu viel geworden«, erzählte mir bei meinem letzten Besuch einer der Bauern der Gegend, »fast das gesamte Jahr überfluten Campingbusse und Wohnmobile unsere Region. Und das noch größere Problem ist, dass viele der Leute sich nicht zu benehmen wissen. Sie kacken uns alles voll. Und ihren Müll lassen sie auch noch liegen.«

Hinzu kommt: Das Wildcampen ist in Portugal verboten. Früher wurde vieles toleriert, was sehr viele Busnomaden aus aller Welt anlockte. In den letzten Jahren aber wurden die Strafen drastisch erhöht. Inzwischen muss man mit 500 Euro plus rechnen, wird man von der GNR nachts erwischt. Die Stimmung gegenüber Vanlifern ist selbst bei den eigentlich so entspannten Portugiesen gekippt. An so manchem Straßenschild sieht man immer häufiger »Fuck Wildcampers«-Aufkleber.

Dabei ist Vanlife in Portugal so einfach wie in wenigen anderen Ländern Europas. Überall gibt es Ver- und Entsorgungsstationen, Waschmaschinen und günstiges Internet. Und von März bis November sind auch Wohnmobilreisende ohne Heizung an Bord genau richtig. Die Nächte im Dezember und Januar können kalt werden. Die Sommermonate sind inzwischen viel zu heiß. Aber: Das wilde Campen würde ich gerade in den Touristenhotspots an der Algarve oder im Großraum Lissabon derzeit so gar nicht empfehlen. Und: Man kann ja auch die Einheimischen fragen, wo es schöne Plätze gibt, wem die Wiese gehört oder wo eine Übernachtung möglich wäre. Das klappt fast immer.

In den letzten Jahren ist die Freiheit auf vier Rädern kleiner geworden. Ganz so unbeschwert wie früher läuft es nicht mehr. Auch Campingplätze müssen in manchen Regionen Portugals Wochen im Voraus gebucht werden. Und die Pandemie hat diesen Trend nochmals verstärkt. Heute fahren so viele Campingbusse auf den Straßen wie nie zuvor. Dazu die größeren Wohnmobile und Caravane. Inzwischen sollen es mehr als drei Millionen Deutsche sein, die mit dem eigenen Mobilheim verreisen. Gefühlt sind es sehr viel mehr. Tendenz: stark steigend. Europaweit.

  • Haus mit Blauen Kacheln
    Ach, Portugal …
  • Strand mit Blumen
    Beste Reisezeit wie immer: die Rand-Saison.
  • Steilküste Portugal
  • Meeresbrandung
    Schmal und lang … an Meer besteht in Portugal kein Mangel.

Eine Begegnung von damals, aus anderen Zeiten, die mir einiges über das viel erwähnte Lebensgefühl, länger im Bus zu sein, verraten hat: Vor 28 Jahren traf ich ein australisches Pärchen. Tagelang hatten sie mit einer Panne an der Hauptstraße eines portugiesischen Dorfes gestanden und den Motor ihres VW-Busses in sämtliche Einzelteile zerlegt. Sie saßen mit der englischsprachigen Ausgabe des Ratgebers »Jetzt helfe ich mir selbst« daneben. Er, seelenruhig: »Wir haben überhaupt keine Ahnung von Autos, aber wir haben ja dieses Buch.« Sie: »Und wir haben Zeit.« Ich weiß nicht, ob sie es jemals schafften, den Motor wieder in Gang zu bringen. Aber ich hatte sofort verstanden, worum es den beiden beim Unterwegssein ging.

Wie es früher war und heute ist

Irgendwann – es muss vor neun oder zehn Jahren gewesen sein – ging dann die Uhr in meinem Bus kaputt. Die Zeiger blieben einfach stehen. Auf fünf vor zehn. Heute meine Lieblingszeit. Morgens kann man sich noch einen Kaffee machen und bis mittags noch was schaffen, und abends ist der Abend auch noch nicht rum. Und seither ist es so: Wenn ich in den Bus steige, habe ich Zeit. Viel Zeit und kein Ziel. Eine gute Mischung.

Und zum Abschluss ein besonderer Tipp: der Nationalpark Ria Formosa. Wenn an Portugals Südostküste das Meer geht, kommen die Muschelsucher. Mit Harken und Rechen, mit Schaufeln und Mistgabeln stapfen sie schon frühmorgens gegen fünf durch das Watt. Zweimal am Tag stehen sie gebückt im Schlick, buddeln Löcher hinein, pflügen den schlammigen Grund um und schleppen eimerweise oder in großen Säcken und Netzen Herzmuscheln und Krebse zu ihren Autos. Die Arbeitszeiten bestimmen Ebbe und Flut. »Drei Stunden graben, fünf Kilo sammeln«, sagt José, der seit 30 Jahren fast täglich – noch vor oder nach der Arbeit, er ist Tischler – an diesen Platz kommt, den selbst viele Einheimische nicht kennen.

José verkauft seinen Fang an Restaurants oder an Supermärkte, wo die Muscheln als begehrte Delikatesse angeboten werden. Die Südostküste der Algarve ist ideal für das Muschelsuchen, die Tide ist deutlich zu spüren. Fast minütlich verändert sich die Landschaft. Wo eben noch das Wasser stand, kann man nun über Sand laufen, tauchen Queller und andere Salzpflanzen auf. Der Nationalpark Ria Formosa, vom offenen Meer durch Sandbänke getrennt und geschützt, zählt zu den größten Lagunengebieten Europas. 60 Kilometer lang, 18000 Hektar groß – Löffelreiher, Störche, Strandläufer, Säbelschnäbler, Graugänse, Flamingos und zottelige, portugiesische Wasserhunde, die hier gezüchtet werden, gut tauchen können und so manchem Fischer ein treuer Begleiter sind.

Die Algarve hat drei Gesichter: im Südwesten Ruhe und Weite, im Westen Rambazamba und im Osten von beidem ein bisschen. Doch auch hier – zwischen Tavira und der spanischen Grenze – kann man noch einsame Plätze finden. Man muss nur wissen, wo man suchen muss. Und auch an diesen Ort, mitten im Naturpark, muss man sich geografisch heranzoomen, sonst findet man ihn nicht: Portugal, Algarve, Tavira, die Hauptstraße N125 in Richtung Spanien, hinter dem Restaurant Xicken Piri Piri die erste, staubigweiße Piste rechts abbiegen und zwischen Golfplatz und Orangenplantagen etwa eineinhalb Kilometer bis zum Meer fahren. Hier endet der Weg. Hier beginnt der Atlantische Ozean. Und wenn an Portugals Südostküste das Meer zurückkommt, gehen die Muschelsucher und werden von den Anglern abgelöst. Schichtwechsel. Alles hat hier seine Zeit. Die Ebbe, die Flut, die Menschen.

Oliver Lück

… ist Autor und Fotograf. Er macht viele Lesungen und Bilderabende, auch bei Globetrotter. Er veranstaltet geführte Bullitouren (ab Sommer 2025) und entdeckt mehr denn je geheime Orte in Europa. Alle Infos zu Terminen und Büchern auf www.zeitalsziel.de


TEXT & FOTOS: Oliver Lück

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