Schneesturm auf der Annapurna-Runde

Die Umrundung des Annapurna-Massivs in Nepal ist eine der schönsten Trekkingtouren der Welt. Doch im Oktober 2014 sterben mehr als 40 Menschen in der Region und Hunderte Touristen müssen ausgeflogen werden. Unerwartet hatte ein Schneesturm die Region heimgesucht. Anna Klein war vor Ort. Wir haben mit ihr gesprochen.

Hallo Anna, wo erreichen wir dich?

In einem Café in Kathmandu. Nach einigen Tagen im Langtang-Gebiet genieße ich das quirlige Stadtleben und die Abwechslung auf meinem Teller. Zweidrittel meiner dreimonatigen Reise sind inzwischen beendet. Zeit, die restlichen Tage und einen weiteren Trip ins Annapurna-Gebiet zu planen.

Du warst schon einmal auf der Annapurna-Runde unterwegs. Mitte Oktober, als sie in Deutschland Teil der Hauptnachrichten war.

Ja, genau. Neben dem Besuch einer nepalesischen Schule wollte ich gerne mit einer Freundin wandern gehen. Der Annapurna-Trek stand bei meiner Abreise nicht auf der To-do-Liste, aber die Erfahrungen und Geschichten, die mir andere Reisende erzählten und eine motivierte Mitwanderin überzeugten mich schließlich. Und so starteten wir Anfang Oktober auf die rund dreiwöchige Tour um das Annapurna Massiv.

Wie muss man sich die Tour vorstellen?

Atemberaubend! Die Wanderwege sind gut ausgebaut und breit. Die Landschaft und das Klima wechseln von Tag zu Tag: Erst Reisfelder, tiefe Schluchten und steppenähnliche Landschaft, dann raue alpine Umgebung und immer der Blick auf die Achttausender. Dabei kann man auf sämtliches Kochgeschirr und Essen im Rucksack verzichten. Die Teehaus-Dichte am Trek ist sehr hoch und die Verpflegung gut. Verlaufen bei gutem Wetter fast unmöglich. Am Nachmittag sucht man sich eine Lodge und nächtigt dort in einfachen bis luxuriösen Zimmern. Wir haben auch ohne Reservierung immer einen Platz gefunden, obwohl Hochsaison war. Es ist fast immer möglich auf Pferde, Esel oder einen Jeep zum Gepäcktransport zurückzugreifen. Insgesamt eine tolle Tour um ins Herz des Himalayas vorzustoßen, ohne dabei großen alpinistischen Herausforderungen ausgesetzt zu sein.

Welche Ausrüstung hattest du mit?

Die meisten Annapurna-Umrunder sind ziemlich leicht unterwegs. Da es zur Hochsaison im Oktober sehr selten Niederschläge gibt, verzichtet man trotz der Höhe auf Gamaschen und Steigeisen. Ich hatte meinen eigenen Schlafsack mit und auch eine dicke Daunenjacke. Die meiste Zeit bin ich im T-Shirt gewandert. Ein ordentlicher Wanderschuh, der die Knöchel schützt und mit dem man auch mal kleine Bäche queren kann, ist aus meiner Sicht unentbehrlich.

Sicher auch wichtig, wenn man dann von dem Wintereinbruch hört. Wo wart ihr genau?

Wir hatten uns in einem kleinen Guesthouse zwischen Ledar und Yak Kharka einquartiert. Für unsere Akklimatisation hatten wir schon eine Extra-Runde über »Upper Pisang« gemacht, oben geschlafen und einen zusätzlichen Wandertag zum auf 4700 Meter Höhe gelegenen »Ice Lake« eingelegt. Am nächsten Tag wollten wir nach Thorung Pedi auf 4520 Meter aufsteigen. Vom Pass trennten uns zu diesem Zeitpunkt noch eineinhalb Tagesmärsche und gut 1400 Höhenmeter.

Der Wintereinbruch kam durch die Reste eines Wirbelsturms, der vom Norden Indiens in die Region gezogen ist. Gab es Vorwarnungen?

Diese Großwetterlage war uns nicht bewusst. Seit unserem Start hatten wir keinen Wetterbericht mehr in den Händen gehalten. Der Tag des Wetterumschwungs begann leicht bewölkt. Anders als an den letzten Tagen stiegen die Wolken aber höher als die höchsten Berge auf. Ein geübter Wetterbeobachter hätte dies sicherlich als Vorwarnung verstanden. Uns klärte schließlich ein Österreicher am Abend im Guesthouse auf. Erst am späten Nachmittag, als wir schon lange im Guesthouse waren, traf der Wetterwechsel bei uns ein: Es begann zu schneien und hielt eineinhalb Tage an. Schon in der Nacht türmte sich der Schnee vor dem Haus bis zu einem Meter auf. Am folgenden Tag erlebten wir einen »Whiteout«. Sprichwörtlich konnte man die eigene Hand nicht mehr sehen. Den Weg zur Toilette kämpften wir uns entlang des Dach-Überstands frei. Die Nepali räumten den Schnee vom Dach und beschädigten dabei das Ofenrohr. Dadurch wurde es kalt und wir verbrachten den Tag und die Nacht dick eingemummelt in Daunenklamotte und Schlafsack. An diesem Tag haben wir niemanden aufsteigen sehen.

»Wir entschieden uns für den Abstieg, da uns der weitere Wegverlauf durch ein steiles Tal mit lawinengefährdeten Hängen zu gefährlich erschien.«

Wie war die Stimmung in der Hütte?

Gedrückt. Wir und auch die anderen Gäste waren nicht auf eine solche Zwangspause eingestellt. Für viele stellt die Überschreitung des Passes den sportlichen Höhepunkt ihrer Nepal-Reise dar. Davon nun Abstand zu nehmen und dieses Ziel vielleicht sogar komplett streichen zu müssen, ist nicht einfach und führte zu vielen Diskussionen und auch Tränen. Um ein Gefühl für die Verhältnisse zu bekommen, versuchten wir einige Meter im tiefen Schnee ohne Gamaschen und Steigeisen zu laufen. Mussten aber feststellen, dass wir die Überschreitung des Passes bei dieser Schneelage am übernächsten Tag nicht an einem Tag schaffen würden. Damit war für mich klar, dass ich die Überschreitung nicht in Angriff nehme und zurück ins Tal steige. Hinzu kam, dass die Lawinenlage mit jedem Zentimeter Schnee angespannter wurde.

Gab es Kommunikation nach Außen?

An manchen Stellen am Trek hat man Handy-Empfang. In den großen Guesthouses gibt es Internet oder Satelliten-Telefone. In unserem kleinen hatten wir nichts dergleichen. Zudem waren viele Stromleitungen durch Schnee und Lawinen zerstört und nur die Lodges mit Notstromaggregaten hatten noch Strom. So konnten wir auch keine Informationen über Wetter und Situation am Pass bekommen und haben uns auf die Einschätzung der Gäste und Einheimischen verlassen, wobei die ein solches Wetterphänomen zu dieser Jahreszeit auch noch nicht erlebt hatten.

Wie entwickelte sich die Situation weiter?

Am folgenden Tag – eineinhalb Tage nach dem Wetterumschwung – lachte die Sonne wieder vom Himmel. Es war trügerisch idyllisch und auch schön, die Berge mal mit Schnee zu sehen. Die Situation schien eine ganz andere. Wieder kam die Idee auf, doch den Aufstieg zu machen. Ungefähr die Hälfte der Lodge-Gäste stiegen auf und auch eine Gruppe von unten stieg an unserem Haus vorbei. Eine Spur im Schnee gab es also. Wir wussten zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht, was am Pass passiert war und es flogen noch keine Helikopter. Die Abbruch-Entscheidung, die am Vortag doch relativ einstimmig gefallen war, wurde nun wieder hinterfragt. Im Endeffekt entschieden wir uns für den Abstieg, da uns der weitere Wegverlauf durch ein steiles Tal mit lawinengefährdeten Hängen zu gefährlich erschien.

Mehr als eineinhalb Meter Neuschnee. Keine entsprechende Ausrüstung, da ist auch der Abstieg kein Spaß?

Das stellten wir auch schnell fest. Es gab zwar eine Spur, aber durch die Sonneneinstrahlung schmolz der Schnee und es wurde sehr glatt und tief. Bei jedem Schritt versackten wir im Schnee und Schuhe und Klamotten waren schnell nass. Schon einige Meter nach unserer Hütte mussten wir den ersten Lawinenkegel überqueren. Spätestens nach dem Zweiten war dann für alle klar, dass wir die richtige Entscheidung getroffen haben. Von unten kam uns zu dieser Zeit auch niemand mehr entgegen und wir sahen die ersten Militärmaschinen in Richtung Pass und »Tilicho Lake Trek« fliegen. Durch die Diskussionen und unsere Entscheidungsfindung am Morgen war viel Zeit verstrichen und so kamen wir erst gegen Mittag im normalerweise nur zehn Minuten entfernten »Yak Kharka« an. Diese kurze Wegstrecke hatte uns aber schon so beeindruckt und auch beängstigt, dass wir entschieden, die Nacht dort zu verbringen und am nächsten Tag früh morgens zu starten. So hofften wir der Mittagssonne und der erhöhten Lawinengefahr zu entgehen.

An diesem Abend kamen in Deutschland die ersten Medienberichte auf. War euch schon bewusst, was da um euch passierte und dass ihr euch zu Hause melden solltet, um Entwarnung zu geben?

Die Helikopter und die Schneemassen knapp eineinhalb Tausend Meter unter dem Pass ließen schon erahnen, dass dort oben etwas passiert ist. Aber wer ahnt schon, dass das in Deutschland  ein Thema in der Tagesschau ist und sich nun alle Sorgen machen? Wir zu diesem Zeitpunkt nicht! Als wir in »Yak Kharka« eintrafen, war der Ort fast ausgestorben. Die meisten Trekker waren bereits abgestiegen. Es gab kein Internet und die Einheimischen gingen ihrem täglichen Geschäft nach. Für unser Wohl war gesorgt und alle versuchten uns mit Informationen zu versorgen, doch wenn man selbst nichts weiß, kann man auch nichts weitergeben.

Das änderte sich einen Tag später. Dein Name war einer der ersten, der in einer Facebook-Gruppe mit dem Namen »Annapurna Nepal Avalanche and Blizzard Info Share« auftauchte. Wie kam es dazu?

Am nächsten Morgen sind wir früh aufgebrochen und erst einmal bis Manang auf 3540 Metern abgestiegen. Auch hier war die Schneedecke noch geschlossen, aber die Infrastruktur wesentlich besser. Wir hatten kurz Handy-Empfang und schrieben SMS nach Deutschland. Das Netz brach allerdings unter der Last ständig zusammen. Je mehr Leute wir trafen, desto mehr Gerüchte und Vermutungen gab’s. In einer Bäckerei mit Internet-Hotspot trafen wir zwei Australierinnen, die schon länger in Manang waren und schon einiges an Informationen zusammengetragen hatten. Sie fragten, ob sie unsere Namen auf die Timeline dieser Facebook-Gruppe als »SAVE« setzen sollen und das verneinten wir natürlich nicht. Uns wurde das Ausmaß nun so langsam bewusst. Wir hatten uns zwar in Deutschland gemeldet, aber noch keine Rückbestätigung bekommen, dass die Daheimgebliebenen auch unsere Nachricht bekommen hatten. In einem großen Guesthouse ergab sich die Gelegenheit ein Satelliten-Telefon zu nutzen. Alles gut, danach stiegen wir mit ruhigem Gewissen weiter ab.

Wie war der weitere Weg?

Ab Manang hatten wir noch fast eine Woche Fußmarsch bis zur Busstation von Besishar – unserem Start- und nun auch Endpunkt – vor uns. So gut, wie im Aufstieg, war die Stimmung nun nicht mehr, denn schließlich hatten wir Leute kennengelernt, von denen wir nun nicht wussten, wo sie steckten. Die Helikopter blieben in den kommenden Tagen ständige Begleiter. Das sie im Endeffekt mehr als 500 Menschen ausfliegen werden und fast 40 Tote bergen, erfuhren wir erst in Pokhara. Auf unserem Weg querten wir in den kommenden Tagen mehrfach mächtige Lawinenkegel. Sie zeigten noch einmal auf, was sich oben in den Bergen abgespielt hatte und brachten dies auch tausende Höhenmeter hinunter ins Tal. Eine Yak-Mutter, die ihr verschüttetes, totes Junges teilweise ausgebuddelt hatte, wird mir noch lange in Erinnerung bleiben.

Was ist dein Fazit?

Ich komme gerne wieder zurück. Die Landschaft ist überwältigend und ich will die Runde vollenden. Je länger ich in der Region war, desto mehr interessierten mich die Dörfer und die Kultur in den Hochtälern. Auch wenn man den Pass nicht überschreitet, bleibt die Faszination der Runde erhalten. Den Rückweg kann man zum Beispiel mit Jeep, Bus oder Flugzeug machen. Den gesunden Menschenverstand sollte man immer walten lassen, denn so einfach die Tour auch ist, Teile befinden sich auf über 5000 Meter. Da müssen Wetterumschwünge und damit verbundene Konsequenzen eingeplant werden. Ordentliche Bergausrüstung sollte selbstverständlich sein. Viele der Wanderer auf dem Trek haben in ihrem Leben noch keinen Schnee gesehen, geschweige denn eine mehrtägige Wanderung im Hochgebirge gemacht. Damit bringen sie nicht nur sich, sondern auch ihre nepalesischen Guides und Träger in Gefahr. Im Endeffekt sind sie der Arbeitergeber für die Nepalis und haben immer das letzte Wort, wenn es um Aufstieg oder Umkehr geht. Man befindet sich in einem der 20 ärmsten Ländern der Welt, das darf man bei der überwältigen Natur nicht vergessen.


ANNAPURNA CIRCUIT

Der »Annapurna Circuit« führt als zwei- bis dreiwöchige Tour einmal um das gewaltige Massiv der Annapurna und durch die tiefste Schlucht der Welt. Höhepunkt ist die Überschreitung des 5416 Meter hohen Thorung La Passes zwischen dem Tal des Marshyangdi Ngadi und Kali Gandaki.

Körperliche Fitness vorausgesetzt, erlauben die moderaten Schwierigkeiten und ein hervorragend ausgebautes Hüttensystem auch unerfahrenen Wanderern diese atemberaubende Tour zu bewältigen. Ausgangspunkt ist die Stadt Pokhara. Jährlich starten fast 100.000 Touristen auf die Tour. Dabei reicht das Spektrum von der geführten Tour durch einen westlichen Veranstalter mit Trägern und Guides bis zur individuellen autonomen Tour mit Zelt und Proviant. Im Oktober machen sich die meisten Trekker auf den Weg. Das Wetter gilt in diesem Monat als besonders stabil, die Sicht auf der Berge ist meist frei.

Text: Sebastian Lüke
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