Globetrotter im Gespräch: Nachhaltigkeit bei Patagonia

Was bedeutet Qualität für Patagonia?

Zeitlos, langlebig und 98 Prozent recycelte Materialien – Patagonia gilt als Vorreiter für eine nachhaltigere Outdoorbranche. Ein Gespräch über Kreislaufwirtschaft, Produktentwicklung und neue Kund:innen dank Secondhand.


INTERVIEW: Julian Rohn

FOTOS: Archiv Patagonia

Birgit Grossmann

Community Marketing & Impact Manager
Central Europe bei Patagonia.

Linden Mallory

Product Line Manager Alpine
bei Patagonia

Mit dem neuesten Patagonia-Film »The Shitthropocene« beleuchtet ihr das heutige Konsum-Verhalten. Die Doku ruft dazu auf, weniger zu kaufen und auf Qualität zu achten. Was versteht Patagonia unter Qualität?

Linden Mallory: Qualität in Form von Haltbarkeit ist bei Patagonia schon vor der Gründung der Bekleidungssparte ein großes Thema gewesen. Unser Gründer Yvon Chouinard hat Karabiner und Haken für Kletterinnen und Kletterer verkauft. Qualität war da immer oberstes Ziel, weil da Leben von abhingen. Dieser Anspruch wurde für die Bekleidungssparte übernommen, die 1973 gegründet wurde. Bei unserer Kleidung hängt mittlerweile selten unser Leben davon ab, was wir tragen, dafür aber umso mehr das Überleben unseres Planeten und dessen limitierter Ressourcen.

Birgit Grossmann: Qualität bedeutet für uns aber auch, dass das Produkt unter fairen Bedingungen hergestellt wird, möglichst geringe Umweltauswirkungen hat, dass es zeitlos ist, dass es reparierbar ist. Multifunktionalität ist uns wichtig. Wenn man das Produkt für mehrere Einsatzzwecke nutzen kann, braucht man im Endeffekt weniger.

Worauf sollten Konsument:innen achten?

Birgit: Es ist gut, wenn man sich vor dem Kauf gewisse Fragen stellt. Habe ich bereits ein ähnliches Produkt? Wenn ich doch was kaufen muss, dann kann ich mir überlegen, wofür ich das Produkt noch verwenden kann? Oder hat jemand das Produkt und braucht es aber gerade nicht mehr? Wenn ich also was kaufe, dann ist Multifunktionalität und Secondhand immer eine gute Option.

Mit euren Produkten kommt das Versprechen, dass diese besonders langlebig sind. Und wenn dann doch mal etwas kaputtgeht?

Birgit: Wir versuchen, unsere Produkte so langlebig wie möglich zu entwickeln. Dass sie für immer halten, ist aber utopisch. Du fällst mit dem Mountainbike hin oder reibst beim Klettern am Fels, da geht halt was kaputt. Deshalb kannst du in unseres Stores und auf unserer Website eine Reparatur anmelden. Anschließend wird dein Produkt von unseren Spezialist:innen kostenlos repariert.

Linden: Das ist gut, weil du kein neues Produkt kaufen muss und sich dein Fußabdruck sich nicht unnötig vergrößert. Gleichzeitig nutzten wir das Feedback, das wir über die Reparaturzentren kriegen, um die Produkte weiter zu verbessern. Denn wenn wir zum Beispiel merken, dass an einer bestimmten Jacke immer die gleiche Reparatur nötig ist, dann müssen wir vielleicht das Produkt ändern.

Birgit: Daneben sind wir auch mit mobilen Schneiderwerkstätten im Rahmen unserer »Worn Wear Tour« unterwegs – in Europa seit 2016. Das heißt: Wir fahren zu Sportveranstaltungen oder zu Festivals und reparieren dort die Bekleidung kostenlos vor Ort – auch von anderen Marken.

Habt ihr ein konkretes Produkt, dass ihr aufgrund von Reparatur-Feedback geändert habt?

Linden: Beim Down Sweater waren in den letzten 15 Jahren die beiden größten Rückläufer Risse im Stoff und defekte Reißverschlüsse. Also sind wir vor einiger Zeit auf stabileres Nylon umgestiegen und haben Verstärkungen eingearbeitet. Die Konstruktion des Reißverschlusses haben wir geändert, sodass man den alten Reißverschluss ganz einfach heraustrennen und ersetzen kann, ohne die Nähte der Daunenkammern öffnen zu müssen.

Kreislaufwirtschaft und Recycling scheint die Lösung zu sein. Wird es aber nicht auch als Rechtfertigung genutzt, um weiter über den Bedarf zu produzieren und zu konsumieren?

Birgit: Jede:r bei uns im Unternehmen ist sich bewusst, dass jedes unserer Produkte einen Impact hat und am Ende schlecht für den Planeten ist. Man kann kein Produkt so herstellen, dass es unserem Planeten was Gutes tut. Man kann überhaupt nichts herstellen, das irgendwie gut für die Umwelt wäre und deshalb ist eine verantwortungsvolle Produktion wichtig. Auf der anderen Seite ist verantwortungsvoller Konsum wichtig. Die Konsument:innen müssen sich überlegen, ob sie etwas Neues kaufen, wo sie einkaufen, was sie einkaufen und sich dann für langlebige und reparaturfähige Produkte entscheiden. Schon seit den 90er Jahren verwenden wir recycelte Materialien und haben jetzt eine Quote von 98 Prozent in unseren Produkten.

  • Patagonia Worn Wear
  • Patagonia Reparatur
  • Patagonia Reparatur
  • Patagonia Reparaturcenter
  • Patagonia Reparaturcenter

Im Grunde müsste man doch gar nichts mehr kaufen und nur reparieren und recyceln und Patagonia müsste sich selbst abschaffen, oder?

Birgit: Das wäre das beste, aber es sprechen zwei Gründe dagegen. Erstens wollen wir die Branche von innen verändern, indem wir Pionierarbeit leisten. Also Materialien mitentwickeln, die dann auch anderen Marken nutzen können. Wir lassen zum Beispiel auch viele Fabriken mit dem »Fairtrade«-Siegel zertifizieren. Das ist ein langer und schwieriger Prozess, der viel Monitoring braucht. Aber wenn eine Fabrik das geschafft hat, kann sie auch anderen Marken die Zertifizierung für ihre Produkte anbieten. Und der zweite Grund: Wenn wir uns abschaffen, dann gibt es von uns keine recycelten Produkte mehr oder Produkte, die reparaturfähig sind. Der Bedarf von Konsument:innen ist da und wir wollen diese über verschiedene Kanäle ansprechen und darüber informieren, wie sie verantwortungsbewusst kaufen und ihre Kleidung möglichst lange am Leben halten können.

Gebrauchte Funktionsbekleidung zu einem geringeren Preis zu verkaufen, ist auch eine Möglichkeit, um Produkte vor dem Wegwerfen zu bewahren. Bei Globetrotter gibt es diese Option seit ein paar Jahren. Was ist eure Erfahrung mit Secondhand?

Birgit: Das wird super angenommen. Secondhand ist zum einen gut für den Planeten, weil man die Sachen einfach länger benutzt. Zum anderen beobachten wir, dass da ganz andere Kund:innen kaufen. Secondhand-Artikel sind preiswerter und macht die ganze Outdoor-Community inklusiver und zugänglicher für andere Personengruppen.

2022 verkündete euer Gründer Yvon Chouinard: »The earth is our only shareholder«. Seitdem gehört die Marke einer Stiftung, die alle überschüssigen Gelder in Umweltschutzprojekte investiert. Ist eure Community dadurch gewachsen? Produziert und verkauft ihr mehr?

Birgit: Das war ein besonderer Moment und wir haben auch durch Partner wie Globetrotter gemerkt, dass das in unserer Community Aufsehen erregt hat. Vor allem haben wir aber durch die große Berichterstattung auch Menschen erreicht, die davor Patagonia gar nicht kannten. An unserer Arbeit hat sich nichts verändert. Wir haben das Ziel, unseren Planeten zu retten und gute, langlebige Bekleidung herzustellen. Wenn wir an Wachstum denken, dann eher: Wie viele Reparaturzentren müssen wir eröffnen, damit wir unsere Reparaturkapazität hochfahren können? Der Bedarf ist auf jeden Fall da, weil es sich herumspricht, dass wir kostenlos reparieren und eine lebenslange Garantie geben. Ein anderes Wachstumsziel ist: Wie können wir noch mehr Geld an Umwelt- und Klimaorganisationen geben und da insgesamt einen größeren Impact schaffen?

Gerade habt ihr die M10-Linie komplett überarbeitet. Wie wirken sich alle diese Überlegungen auf eure Produkte aus?

Linden: Die M10-Jacken sollen in den Bergen Schutz bieten und gleichzeitig nicht die Bewegung einschränken. Dafür wollten wir den Schnitt noch mal verbessern oder sogar ganz neu denken. Gleichzeitig wollten wir keine Jacken konstruieren, die vielleicht gut performen aber nicht lange halten. Deshalb mussten wir für die M10-Linie noch besserer Materialien finden – die nicht nur haltbarer sind, sondern auch weniger Auswirkungen auf die Umwelt haben und sich nach dem Ende des Lebenszyklus der Jacke auch bestmöglich recyceln lassen.

Die neue M10-Linie

Die M10-Linie hat Patagonia für Kletter:innen entwickelt, die im Alpinismus die Grenzen verschieben wollen. Bewegungsfreiheit war dabei die oberste Maxime. Trotzdem übertreffen die verwendeten Materialien die selbstgesetzten Standards für Wasserdichtigkeit und Atmungsaktivität und das alles ohne den Einsatz von »ewigen Chemikalien«.

M10 Jacket & M10 Anorak

3 FAKTEN:

  • Eine neue Konstruktion der Unterarme ermöglicht uneingeschränkte Bewegungsfreiheit der Arme über dem Kopf. Ohne, dass der Saum nach oben rutscht.
  • Jacke und Anorak lassen sich in die eigene Brusttasche verstauen.
  • Es gibt eine Damen- und Herren-Jacke und einen minimalistischen Anorak.

Wie läuft das genau ab, bevor so ein Produkt bei Globetrotter auf dem Kleiderbügel hängt?

Linden: Zunächst verbringen wir viel Zeit mit dem Entwickeln und Testen von einzelnen Materialien. Das fingt bei der M10-Linie mit der Membran und dem Zusammenspiel mit unterschiedlichen Innen- und Außenmaterialien an. Da haben wir monatelang getestet, was unseren Ansprüchen standhält. Unter anderem hat unsere Textilingenieurin Natalie Testpersonen auf einem Fahrradergometer sprinten lassen, während sie künstlich beregnet wurden. Die Testpersonen hatten Jacken aus unterschiedlichen Materialkombinationen an und Natalie hat die Feuchtigkeitswerte in der Jacke getestet. Dazu kommen immer Abrieb- und Waschtests. Als wir dann eine geeignete Materialkombination gefunden hatten, wurden erste Prototypen geschneidert, die bei unseren Ambassadors noch mal einige Feedbackrunden gedreht haben.

Welchen Einfluss haben eure Ambassadors auf so eine Entwicklung?

Linden: Wir sind eine Marke mit Wurzeln im Alpinklettern. Daher ist die Meinung unseres Athlet:innen-Teams, was für ein Produkt sie brauchen, viel wichtiger, als irgendwelche Markttrends. Für die Produktentwicklung suchen wir uns also eine Gruppe von Leuten, die in ihrer Sportart wirklich gut sind und versuchen, ihre Probleme zu lösen. Wir glauben, wenn wir die richtigen Lösungen für Athlet:innen wie Colin Haley oder Dörte Pietron finden, dass auch eine breite Nutzergruppe davon profitieren wird.

Mehr Qualität bei Patagonia – was konkret gibt es in den nächsten Jahren zu tun?

Linden: Die größte Herausforderung ist es immer noch, die Kreislauf- und Reparaturfähigkeit unserer Produkte weiter zu verbessern. Wir haben zum Beispiel noch keine Lösung, um bei einer Hardshell-Jacke den Reissverschluss zu wechseln, ohne die Wasserdichtigkeit des Produkts zu beeinträchtigen. Bei der M10-Linie haben wir das Laminat, das aus Außenstoff, Membran und Innenschicht besteht, komplett auf Nylon umgestellt. So haben wir nur ein Grundmaterial, das wir in Zukunft hoffentlich besser recyceln können. Im Moment sind unsere Laminate vor allem Mischmaterialien und da haben wir noch keine Technologie, wie wir die für eine Kreislaufwirtschaft recyceln können.

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