Der Hersteller Patagonia hat eine Petition gegen die Grundschleppnetzfischerei gestartet. Kannst du erklären, was überhaupt das Problem bei dieser Methode ist?
Das offensichtlichste Problem ist die Zerstörung von Lebensräumen am Meeresboden. Die Netze, die in vielen Fällen sehr groß und schwer sind, werden direkt über den Boden gezogen und zerstören dort Strukturen und Lebensräume. Das können Pflanzen sein, aber auch Tiere wie Schwämme oder Korallen.
Das zweite Problem ist, dass man in Grundschleppnetzen bis zu 80 Prozent Beifang hat. In den Netzen bleibt alles hängen, was am Boden lebt. Also auch Krebse, Seesterne und anderes – für diese Tiere gibt es in den meisten Fällen keinerlei Verwendung.
Als Drittes wirbeln die Netze viel Sediment auf. Es gibt Satellitenbilder, wo man hinter den Schiffen beeindruckende Wolken im Wasser sieht. Alle Organismen, die dort am Boden leben, kriegen in dieser Zeit kein Licht – das kann Tage dauern. Sinkt das Sediment wieder ab, werden Schwämme, Korallen oder Muscheln darunter begraben. Beim Aufwirbeln oxidiert das Sediment außerdem. Das heißt: Dem Wasser wird wichtiger Sauerstoff entzogen.
Der letzte wichtige Aspekt ist die Klimawirkung. Wir wissen, dass Meeresböden die größten Kohlenstoffsenken des Planeten sind. Und wir wissen, dass Grundschleppnetze auf diese Böden eine direkte Auswirkung haben. Es wird gerade noch untersucht, wie sehr die Grundschleppnetzfischerei die Fähigkeit des Meeresbodens beeinträchtigt, Kohlenstoff langfristig zu speichern. Dass sie das tut, ist aber klar.

Valeska Diemel ist Referentin für Fischereipolitik beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V.. Sie hat ihren Bachelor in Umweltwissenschaften an der Uni Oldenburg abgeschlossen und einen Master in Marine Biology an der Universität Bremen absolviert. Valeska ist leidenschaftliche Sporttaucherin und ausgebildete Forschungstaucherin.
Dass Beifang einfach über Bord geworfen wird und weiterlebt, ist eine zu romantische Vorstellung von Fischerei?
Die Sterblichkeit von Beifang ist bei Grundschleppnetzen sehr hoch. Viele Netze werden stundenlang gezogen. Gerade die Tiere, die als erstes drin landen, werden allein von den anderen Tieren, die immer oben drauf kommen, erdrückt.
Und: Aus dem Wasser holen, auf Deck auskippen und sortieren – das dauert eine Zeit. Da kommt es stark darauf an, wie tolerant diese Organismen gegenüber Luft sind. Selbst wenn ich schließlich ein Tier lebend über Bord werfe, was auch bei anderen Fischereimethoden passiert, kann es sein, dass das Tier im ersten Moment lebt und wegschwimmt, aber dann am Schock und an den Verletzungen stirbt. Dieses Feld ist aber nicht sehr gut untersucht, weil es offensichtlich ziemlich schwierig ist.
Wenn man ein Mal mit einem Grundschleppnetz über den Meeresboden gefahren ist, ist dann dort schon alles kaputt oder geht es mehr um eine Langzeitwirkung?
Kommt drauf an, welchen Lebensraum du dir anguckst. Im Watt zum Beispiel, da sind »nur« Sand und Schlick. Deshalb argumentiert die Fischereiindustrie auch in die Richtung: »Da fahren wir seit 50 Jahren darüber. Warum regt ihr euch darüber auf?« Wenn du 50 Jahre zurückschaust, dann ist das vielleicht richtig. Aber gehst du 100 Jahre zurück, dann hatte das Wattenmeer auch mal Riffe aus Sankorallen und Austernbänke. Im Zweifel reicht ein Netz, das über die falsche Stelle gezogen wird, und empfindliche Strukturen sind für tausende Jahre kaputt, weil viele dieser Organismen wahnsinnig lange brauchen, um zu wachsen. Und eine Erholung wird durch die stetige Störung ohnehin verhindert.

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Unterstütze die Petition von Patagonia
Die Grundschleppnetzfischerei zerstört unseren Meeresboden, gefährdet die traditionelle Kleinfischerei und verschärft die Klimakrise. Patagonia fordert den Stopp dieser zerstörerischen Praxis – im ersten Schritt durch ein sofortiges Verbot der Grundschleppnetzfischerei in Meeresschutzgebieten und küstennahen Zonen.
Hier kannst du die Petition unterzeichnen: eu.patagonia.com/de/de/actionworks/kampagnen/schuetzt-die-meere
Wo wird mit Grundschleppnetzen gefischt?
Eigentlich überall, wo es möglich ist. In vielen Regionen haben die Länder die Gebiete ganz direkt vor der Küste für die Grundschleppnetzfischerei geschlossen. Weil sie mit der Zeit auch Auswirkungen auf die kleine Küstenfischerei und die Lebensräume gemerkt haben. Dann gibt es ein paar Meeresschutzgebiete, wo es verboten ist. Und in der EU gibt es eine Begrenzung, dass man in Tiefen von mehr als 800 Meter nicht mit Grundschleppnetzen fischen darf. Ansonsten ist das eine sehr verbreitete Fischereimethode. Am ehesten wird darauf noch verzichtet, wenn die Fischer wissen, dass in einer Region die Bodenstrukturen so steinig oder uneben sind, dass sich die Netze da verhaken oder kaputt gehen. Ansonsten reicht das Spektrum vom kleinen Krabbenkutter bis hin zum Hochsee-Trawler mit Netzen, in die mehrere Fußballfelder passen würden.
Außer der EU-Tiefenbeschränkung ist es aber ungeregelt, was man mit den Netzen fangen darf?
Ja, bei uns ist Fischerei in erster Linie durch Quoten beschränkt. Das bezieht sich auf die Menge an Fisch, die ich fangen darf, aber nicht auf die Art der Methode. Es kann sein, dass es mal Ausnahmen gibt. Aber ganz generell ist Grundschleppnetzfischerei erlaubt und wird großflächig eingesetzt. In der EU wird der überwiegende Teil des Fisches mit Grundschleppnetzen gefangen.
Was genau versucht man mit Grundschleppnetzen zu fangen?
Die Grundschleppnetzte sind nicht auf eine bestimmte Art ausgelegt. Aber der Fokus liegt auf Fischen und Krebstieren, die bodennah leben. Zum Beispiel Plattfische wie Flunder, Scholle oder Seezunge – alle diese lustigen Fische mit den zwei Augen auf einer Seite, die wirklich auf dem Boden liegen. Dann gibt es Arten, zu denen zum Beispiel Dorsch bwz. Kabeljau gehören. Diese Fische leben nicht direkt auf dem Boden, aber sie halten sich gerne bodennah auf. Und dann werden auch noch Krebstiere gefangen, das sind bei uns in erster Linie die Nordseegarnelen, es können aber auch andere Garnelen und größere Krebse.


Was wäre denn eine Alternative zu Grundschleppnetzen?
Bei vielen Fischarten, wie den Plattfischen zum Beispiel oder auch bei Dorsch bzw. Kabeljau, gibt es andere Methoden wie Stellnetze. Auch Fallen und Käfige erleben gerade eine Renaissance. Die werden mit einem Köder ausgebracht, die Fische schwimmen rein und bleiben unversehrt, bis sie aus dem Wasser geholt werden. Weil so auch die Qualität besser ist, bekommt der Fischer sogar einen besseren Preis. Es ist aber ganz klar, dass man mit diesen Methoden nicht die gleichen Mengen fangen kann.
Woran kann man sich als Verbraucher orientieren, welchen Fisch man kaufen kann?
Der erste Schritt für uns sollte sein, weniger Fisch zu konsumieren. Genauso wie Fleisch, sollte Fisch ein besonderes Essen sein. Siegel können beim Kauf eine Orientierung sein. In Deutschland ist das MSC-Siegel der Platzhirsch, doch das ist von den Standards und den Vergaberichtlinien nicht wirklich empfehlenswert. Die Siegel von Bioland oder Naturland sind besser. Wer gar nicht den »ganzen« Fisch konsumiert, sondern nur den geschredderten Thunfisch auf der Pizza oder Fischstäbchen, sollte pflanzliche Alternativen testen. Da kann ich das gleiche Geschmackserlebnis und sogar den besseren Nährwert durch die pflanzlichen Alternativen bekommen. Und wenn ich richtigen Fisch esse möchte, dann am besten in Regionen mit Zugang zu frischem Fisch, der regional und umweltfreundlich gefangen wurde.
Wie kann man als Verbraucher erkennen, ob ein Fischprodukt mit Grundschleppnetzen gefangen wurde?
Im Supermarkt muss es auf dem Produkt stehen. Auf der Verpackung steht immer das Fanggebiet und die Fangmethode. Für die Menschen, die noch mehr Zeit und Motivation haben sich mit ihrem Fischkauf zu beschäftigen, gibt es Fischratgeber von den Umweltverbänden. Ich finde es aber nicht richtig, hier die Gesamtverantwortung an die Verbraucher:innen abzugeben. Die Politik muss stärkere Vorgaben für nachhaltige Fischerei machen und Schutzgebiete vorantreiben. Natürlich ist es trotzdem gut, wenn ich eine kritische Verbraucherin bin, die auch einfach nochmal genau hinguckt und nachfragt.
Gibt es Regionen, die durch die Grundschleppnetzfischerei schon zerstört sind?
Die am stärksten betroffenen Regionen der Welt liegen in der EU. Hier haben wir kaum Bereiche, die nicht betroffen sind. Das ist leider so, weil in der Fischerei die stärkere Motorisierung der Schiffe und die Entwicklung dieser Fangmethoden ziemlich schnell und unkontrolliert losging. Bis man durch Veränderungen in den Fischpopulationen und Lebensräumen bemerkt hat, dass da etwas zerstört wird, waren viele dieser Gebiete schon kaputt – und sind das noch immer.
Wenn man jetzt die Grundschleppnetzfischerei verbietet, gibt es eine Perspektive, was passieren wird?
Unser Mantra sollte lauten: Wir müssen es versuchen und einfach mal gucken, was die Natur macht, wenn wir sie in Ruhe lassen. Ich glaube, dass sie uns überraschen wird, wie schnell sie sich erholt und was zurückkommen kann. Dass sich Kaltwasserkorallen oder ähnlich langsam wachsende Arten erholen, werden auch unsere Enkelkinder nicht mehr erleben. Aber ich denke, dass der Ausschluss von Grundschleppnetzfischerei und auch die Einrichtung von Nullnutzungszonen, also sowas wie Nationalparks und Wildnisgebiete im Wasser, ganz wichtig sind. Zumal die Meere ja auch noch mit der Klimakrise, mit der Versauerung, mit dem Lärm und der Verschmutzung umgehen müssen.