Walk like a Massai

Tansania = Kilimandscharo? Mitnichten. Ähnlich spektakulär für Trekkingfans ist der »Great Rift Valley Trek«, der vom Ngorongoro-­Hochland bis zum Lake Natron führt. Als Zugabe wartet der Aufstieg zum Vulkan Ol ­Doinyo Lengai, dem ­heiligen Berg der Massai.

Nirgends auf der Erde leben so viele wilde Tiere auf engste­­­m Raum zusammen wie im Ngorongoro-Krater. Bernhard Grzimek, der »Anwalt der Serengeti«, nannte ihn gar das achte Weltwunder. Am ersten Aussichtspunkt, der uns einen Blick in diese Riesenschüssel erlaubt, feuern die Kameras der Touristen deshalb ohne Unterbrechung. Keine Frage: Eine Safari im Krater ist ein Höhepunkt jeder Tansania-Reise. Wir lassen das Juwel dieses Mal jedoch links liegen. Der Geländewagen rumpelt jetzt über grobes Geröll. »African Massage« sagt unser Fahrer Pascal mit breitem Grinsen. Thomson-Gazellen und Zebras fliegen an den Fenstern vorbei. Statt Touristen sind da plötzlich nur noch Massai mit ihren Rinderherden in der offenen Savanne. Dann wird die Landschaft grüner und üppiger, geht in dichten Bergnebelwald über. Gut geschüttelt wie ein Wodka-Martini erreichen wir unser Zeltcamp für die erste Nacht am Rand des Empakai-Kraters. Am Lager­feuer lauschen wir noch kurz der Busch-Combo aus Hyänen, Baumschliefern und Pavianen. In der Ferne meinen wir sogar einen Leoparden zu hören. Und dann sind wir auch schon unter Decken begraben, denn auf 2800 Metern über dem Meer wird es auch in Afrika empfindlich kalt, sobald sich die Sonne verabschiedet.

Massai Trekking
Für alle Fälle: Ein bewaffneter Wildhüter begleitet uns auf den ersten Etappen des Treks.
Empakai-Krater
Der Empakai-Krater liegt etwa 40 Kilometer nordöstlich seines berühmten Nachbarn, dem Ngorongoro-Krater. Auf dem Grund tummeln sich jedoch keine Wildtiere, denn die mögen keine dauerhaft nassen Füße.

Wie lautet das Credo der Immobilienbranche? Lage, Lage, Lage! So betrachtet wohnen wir in einer Luxusvilla. Am nächsten Morgen sehen wir nämlich erst, welche fantastischen Blicke in diesen erloschenen Vulkan sich da auftun, auf dessen Grund sich heute ein stark alkalischer See ausbreitet. Für die Massai ist er deshalb als Weidegebiet uninteressant, und so sind wir hier völlig allein. »Mindestens so schön wie der Ngorongoro«, sagen wir fast zeitgleich. »Na, dann wollen wir uns den Krater doch aus der Nähe ansehen«, schlägt Massai-Guide Olengoko Sabaya vor, was übersetzt »Ältester der Großmutter« bedeutet. Weil sich wir Mzungus (Weiße) den Namen selten merken könne­­n, lässt er sich lieber Alex rufen. Auch Philimon, der NCA-Ranger, macht sich bereit und schultert sein Gewehr. »Es könnte sein, dass wir Tieren begegnen«, sagt er, und es ist klar, dass er damit nicht Zwergkaninchen meint.

Tatsächlich treffen wir beim Abstieg in den Empakai-Krate­­r nicht nur auf Diademmeerkatzen, sondern auch auf einen alten Büffel. Auf uns wirkt der Einzelgänger nicht sehr bedrohlich, aber Philimon ist auf der Hut: »Der sieht aus wie eine lahme Ente. Aber glaubt mir, der gewinnt jedes Laufduell.« Am Boden des Kraters angekommen, ­pirschen wir uns an die Zwergflamingos heran. Alex lacht: »­Verschwendet keinen Film, ihr werdet am Lake Natron noch Zehntausende sehen.« Bei einer kurzen Pause ist Geschichtsstunde: »Wir Massai lebten früher in der Serengeti – bis diese zum Nationalpark erklärt wurde und wir in die Ngorongor­o-Region ausweichen mussten.« Ein guter Deal? »Für uns nicht«, meint Alex. »Das uns versprochene besser­e Land mit gutem Wasser und Gras haben wir nie bekommen, stattdessen 8000 Quadratkilometer Ödnis rund um den Krater.« Der Krater selbst sei zwar eine Oase inmitten der Kargheit, »aber ihn müssen wir mit Wildtieren und Reisenden teilen.« Für uns Gäste auf Zeit sei das freilich spannend: »Ein Trekking durch die Ngorongoro Conservation Area ist nicht nur eine Natur-, sondern auch eine Kulturwanderung. Ihr erfahrt hautnah, wie wir Massai leben.« Außerdem führe der Great Rift Valley Trek, wie er offiziell heißt, am Ostafrikanischen Grabenbruch entlang, einer der geologisch und anthropologisch interessantesten Regionen der Erde. Nicht sehr weit von hier befindet sich die Olduvai-Schlucht. Sie gilt als eine der Wiegen der Menschheit, weil dort Über­reste unserer frühesten Vorfahren gefunden wurden.

Massai
Nachdem die Serengeti zum Nationalpark erklärt wurde, siedelte man die Massai zwischen Ngorongoro-Krater und Lake Natron an.

Nach dem Aufstieg aus dem Zauberwald des Empakai-Kraters wandern wir Richtung Nayobi, dem Heimatdorf von Alex. Dabei schiebt sich der aktive Vulkan Ol Doinyo Lengai – der weltweit einzige, der Karbonatit-Lava speit, die fast so dünnflüssig wie Wasser ist – immer prominenter ins Bild. »In unserer Mythologie ist er Sitz des Gottes Engai«, erklärt Alex. »Seine Ausbrüche symbolisieren den Zorn der Götter.« 2007 muss der Fast-Dreitausender besonders wütend gewesen sein. Eine gewaltige Eruption fetzte seine Kuppel weg. »Auf mein Dorf regnete es Asche. Und an den steilen Hängen schoss die Lava hinab. Es ging rasend schnell. Meine Leute mussten evakuiert werden.« Aber ja, er habe dieses Tor zur Hölle schon bestiegen; mit den Sandalen aus Autoreifen-Gummi, die er auch jetzt trägt.

Tansania
Beim Wandern taucht man ein Stück weit in ihre Lebenswelt ein – die aktuell bedrohter denn je ist. Tansania will aus ihrem Territorium ein privates Jagdrevier für Investoren aus den Vereinigten Arabischen Emiraten machen.
Lake Natron
Wohnen wie Wanderer in Afrika – unser Zeltcamp am Lake Natron mit dem finalen Ziel am Horizont: dem Ol Doinyo Lengai.

In Nayobi verabschieden wir uns von Ranger Philimon. Offenbar besteht ab jetzt keine Gefahr mehr, von wilden Tieren gefressen zu werden. Wir haben Glück: Auf den Wiesen rund um das Dorf findet ein Markt statt. Vom Esel bis zur bunten Glasperlenkette ist alles im Angebot. Auch gebrauchte Handys gibt es. Man spürt: Das stolze Hirtenvolk will in der Moderne ankommen, ohne seine Traditionen zu verlieren. »Als Teenager wurde ich beschnitten«, erzählt Alex. »Und danach mit einem halben Dutzend Gleichaltriger in den Busch geschickt. Wir mussten beweise­­n, dass wir ohne Kontakt zum Stamm über­leben können.« Jeder habe eine Aufgabe bekommen: Wasse­­r holen, Feuerholz sammeln, auf die Jagd gehen. »Das schweißt zusammen. Auch wenn man heutzutage einen Löwen nicht mehr mit dem Speer erlegen muss.«

Alex‘ Dorf markiert die Grenze der NCA. Keine Stunde später kommen wir im Camp Leonotis an. Die Zelte sind bereits aufgebaut, ein kühles »Safari Lager« wartet schon.

Wellness für die Füße

Anderntags verändert sich die Landschaft. Der Wutaus­bruch des Ol Doinyo Lengai hat Narben hinterlassen. Der Abstieg zum Lake Natron an den Flanken des Vulkans auf Lavasand ist steil und rutschig. Doch auch ohne die Erup­tion wäre das hier eine wasser- und vegetationslose, eine unbewohnte und unwirtliche Halbwüste. Am Horizont flimmert der See am Grund des Afrikanischen Grabenbruchs auf nur 600 Metern. Linker Hand blicken wir auf kahle Berge, hinter denen sich die Savannen der Serengeti ausbreiten. War es oben am Empakai noch kühl und regnerisc­­h, ist es jetzt trocken und heiß. Wir könnten jetzt noch gut 20 Kilometer bis zum Lake Natron weiter marschieren, doch der Spaß hielte sich in dieser gleichermaßen bedrohlichen wie faszinierenden Mondlandschaft in Grenzen. Wir sind deshalb froh, als wir Pascals Jeep sehen. Er lädt uns genau dort auf, wo wir über­morgen den Aufstieg zum Vulkan beginnen werden.

Das Lake Natron Camp ist eine paradiesische Oase in Pole Position am Seeufer. Von den geräumigen Safarizelten blickt man auf ein Meer aus rosaroten Flamingos. Zebras und Gnus kommen zum Trinken an den kleinen Fluss, der durch das von Massai geführte Camp plätschert und einen natürlichen Swimmingpool formt. Wenn man darin badet, blickt man in die Glubschaugen winziger Fisch­­e, die manchmal sogar alte Hautfetzen abknabbern. So geht Wellness 3.0! Der Bach wird von einer Quelle mit frischem, nur leicht alkalischem Wasser gespeist. Reiher und Störche, Bienenfresser und Schwalben kommen zum Trinken. Sie sind darauf angewiesen, denn der Lake Natron selbst ist der alkalischste See der Welt mit einem pH-Wert von bis zu 10,5 – das ist fast so hoch wie bei reinem Ammo­niak. Tiere, die in den See fallen, erstarren zu Stein. Nur die Flamingos können das Salz im Wasser über Drüsen oberhalb ihres Schnabels ausscheiden. Gleichzeitig schützt sie dieses Gewässer der Extreme vor Fressfeinden.

Massai
Hanwag, Meindl, Lowa? Die Schuhe der Massai sind eher von Goodyear, ­Michelin oder Pirelli.
Tansania
Die weglosen 1600 Höhenmeter auf den Vulkan sind eine absolute Challenge.

Die Quellen, die den Wasserlauf speisen, sind auch der Grund, warum hier Massai leben. In der Nähe gibt es sogar einen erfrischenden Wasserfall, den man durch eine Schlucht erreicht, mal im Bach watend, mal an steilen Hängen kraxelnd. Isaiah, unser Guide, beobachtet genau, wie wir uns dabei anstellen. Er wird uns morgen auf den Vulkan begleiten, der Trek zur Blauen Lagune ist gewissermaßen die Feuertaufe. Er scheint zufrieden, denn zurück im Camp drückt er uns Kletterhelme in die Hand: »Um Mitternacht brechen wir auf. Vergesst eure Stirnlampen nicht.«

Es ist stockdunkel, als wir die 1600 Höhenmeter in Angrif­­f nehmen. Zuerst ist da noch Steppengras, doch bald schon geht es in engen Rinnen, die sich zwischen ­ver­festigter Asche durch Regenwasser gebildet haben, in direkte­­r Linie nach oben. Asche und spärlicher Bewuchs gehen in kahle, bis zu 40 Grad steile Platten über. Zum Glück greifen die Bergschuhe auf der Lava gut. »Pole, pole«, raunt Isaiah auf Swahili. Das Kilimandscharo-Motto gilt auch hier: immer schön langsam. Durch eine erkaltete Lava­spalte queren wir zum Finale. Überall blubbert und brodelt es, ätzender Schwefeldampf steigt in unsere Nasen. Und wir hören das Grollen, das Donnern aus dem Krater. Unheimlich. Faszinierend. Uns Menschlein klein machend.

Tansania
Der Götterberg lockt nach 1600 Höhenmetern mit einem Blick ins Innere der Erde.

Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, als wir den Krater erreichen. Perfektes Timing. Wir blicken in den Höllenschlund, auf die Mini-Vulkane da unten: Man spürt förmlich die unter der Kruste wabernde Ursuppe. Dann endlich wagt sich der Feuerball am Horizont aus der Deckung. Wir erkennen Kilimandscharo und Mount Meru im Südosten, den See im Norden, erahnen die Serengeti im Westen. Lang­e bleiben wir sitzen und genießen die wärmende Kraft der Sonne. Blicken die üppig grüne Südflanke hinab, die Regenseite. Das Grauen des Abstiegs verdrängen wir noch. Doch es geht dann besser als erwartet. Als wir am Auto ankommen, in dem Pascal als Back-up-Mann geschlafen hat, sagt dieser zu unserem Guide: »Isaiah, du hast dein Funkgerät vergessen!« Wieder eine Lektion gelernt: Beim Tanz auf dem Vulkan bricht man sich besser kein Bein.


Das nehm ich mit:

Alles für deine nächste Wanderung durch Afrika


Tansania zu Fuß – und auf Safari

Der Great Rift Valley Trek lässt sich je nach Zeit- und Reise-Budget nach Belieben gestalten. Im Lake Natron Camp sollte man mindestens zwei, besser drei Nächte verbringen. Wer mehr Zeit hat, integriert die Olduvai-Schlucht in die Wanderung. Das große Gepäck wird dabei von Jeeps oder Eseln ­transportiert. Es ist deshalb ratsam, eine wasserdichte Duffel-Bag mitzubringen. Die Besteigung des 3188 Meter hohen Ol Doinyo Lengai ist optional und nur trittsicheren Trekker:innen zu empfehlen, die zudem die Kondition für 1600 Höhenmeter mitbringen. Im Gegensatz zum Kilimandscharo stellt die Höhe kein Problem dar, dafür ist er technisch deutlich anspruchs­voller als der Normalweg am »Kili«. Pro Jahr zählt der Ol Doinyo Lengai weniger als 100 Besteigungen. Wer den Ngorongoro- ­Krater noch nicht kennt, sollte die Reise dort beginnen – und nach dem Hike in der Serengeti fortsetzen

Anreise / Einreise Mit Qatar Airways via Doha zum Kilimanjaro International Airport nahe Arusha. Das Visum erhält man bei der Einreise für 50 USD in bar.

Veranstalter Abendsonne Afrika ist Experte für logistisch anspruchsvolle Reisen nach Afrika. Die Berater kennen die Camps aus eigener Erfahrung und stellen maßgeschneiderte Programme zusammen.

Zur Einstimmung Abdulrazak Gurnah: »Das verlorene Paradies«. Das beste Buch des in Tansania geborenen Schriftstellers, der 2021 den Nobelpreis für Literatur erhielt, spielt während der deutschen Kolonialzeit in seiner Heimat.

Mehr zu Ngorongoro Conservation Area: www.ncaa.go.tz

Text: Günter Kast