Von der Hängematte zur offenen See

Komfortzone verlassen und raus in die Welt!

Für euch – von euch. Ein Abenteuerbericht aus der Globetrotter-Community – von Lasse Rusniok

So fing alles an…

Ich bin Lasse und war gerade mit dem Abitur fertig, als ich mich mit 19 Jahren auf den Weg ans andere Ende der Welt machte – nach Costa Rica. Nach einem bequemen Aufenthalt in einer Gastfamilie fasste ich einen Entschluss, der alles veränderte: Ich tauschte mein Bett in einem sicheren Umfeld gegen eine Hängematte.

Die nächste Station war der Regenwald zwischen Costa Rica und Nicaragua. Ab diesem Zeitpunkt gab es kein Zurück mehr – die Abenteuerlust hatte mich voll im Griff! So entschied ich mich noch zur etwa gleichen Zeit, meinen Rückflug nach Deutschland zu streichen und ein Segelschiff von Panama zu finden, das mich mit nach Europa nimmt.

Wunderschönes Panorama im Regenwald Costa Ricas.

Mein Leben im Regenwald

Aber nun mal langsam. Zuerst nehme ich euch mit in den Regenwald. Ist es nicht totaler Quatsch, sich von dem ganzen Luxus zu verabschieden, den ich bei meiner Gastfamilie genießen durfte, nur um mich in ein Leben im Regenwald zu stürzen?

Für mich war diese Frage leicht zu beantworten: Es war die beste Entscheidung, die ich in diesem Moment treffen konnte. Schnell merkte ich, dass das genau mein Ding war. Und außerdem lebte ich in guter Gesellschaft, bei einer Familie, die aus Belgien in den Regenwald ausgewandert war. Ich wohnte in einer kleinen Hütte, trug jeden Tag Gummistiefel, eine lange Hose und ein langes weißes Hemd, sowie eine Majete. Zuletzt sollte diese Klinge zur Verteidigung dienen, es ging eher darum, sie als Werkzeug nutzen zu lernen. Und wie sich herausstellte, war sie eine große Hilfe. 

Mit Machete ist man im Regenwald für alles gewappnet.

Mit Sicherheit wäre ich in einem Zelt besser vor Tieren geschützt gewesen, als in meiner bescheidenen Hütte, auch wenn ich mein neues Zuhause sehr mochte. Gerade das Badezimmer hatte einige Schwachstellen, denn der Duschboden war völlig durchlässig und hatte große Spalten, durch die sich jedes Tier Zutritt verschaffte, das wollte und klein genug war. Dicke Kröten, Schlangen, Fledermäuse und Spinnen bahnten sich ihren Weg und leisteten mir Gesellschaft. Mücken waren natürlich überall und anstatt mich darüber zu ärgern, nahm ich es mit der Zeit einfach an, da ich sowieso nichts dagegen unternehmen konnte. Mein letzter Schluck Mückenspray war dagegen ein Tropfen auf dem heißen Stein. Mit jeder unangenehmen Begegnung die ich akzeptierte, fühlte es sich richtiger an, an diesem Ort zu sein und dann war es halt so, dass Spinnen an dem Mückennetz über meinem Bett hinauf krabbelten oder Schlangen in der Dusche auf mich warteten. 

An die neue Umgebung muss man sich erst einmal gewöhnen.

Mein absurdes Segelabenteuer in Kolumbien

Es war schon wieder so eine der spontanen Ideen, wie sie mir auf der Reise ständig in den Kopf schossen. Ich arbeitete gerade in einem Hostel in Medellín, als ich spaßeshalber einige Seglergruppen auf Facebook durchforstete. Ab und zu werden dort Posts zu Mitfahrgelegenheiten veröffentlicht. Und ein bisschen Segelerfahrung sammeln, konnte schließlich nicht schaden, dachte ich mir. Schneller als ich gucken konnte, warf ich meinen Rucksack auf die feuchte Matratze meiner Schlafkoje eines alten Katamarans. Das war mein neues Zuhause für die nächsten Wochen, doch die ganze Sache hatte einen Haken: Der Katamaran hatte keine Toilette, keinen Motor und keinen Kühlschrank. Es gab vier Betten, die wir unter acht Leuten aufteilen mussten. Ich teilte mir mein Bett mit einem Spanier und hin und wieder mit einer Katze oder einem Hund, der durchaus bissfreudig war. Mit anderen Worten: An Bord herrschte ein reges Durcheinander, niemand, außer der Kapitän, hatte wirklich Segelerfahrung.

Mitten in der Hurrikansaison verwarfen wir unseren eigentlichen Plan, von Kolumbien zurück nach Panama zu segeln und machten uns auf den Weg nach Venezuela. In Küstennähe wäre es wohl sicherer. Das Abenteuer, bei dem eine Salatschüssel als Regenauffangbehälter, Toilette oder Essteller verwendet wurde, konnte beginnen.

Leben mit so vielen Menschen auf kleinem Raum, ist eine ganz schöne Herausforderung.

Die ersten Stunden entlang der kolumbianischen Küste dienten zur Probe und wir stellten uns die Fragen: Kommen wir mit acht Leuten auf so engem Raum überhaupt zurecht? Reicht das Essen? Wie würden sich die Tiere auf dem Meer verhalten? Wie funktioniert die Sache mit dem Klo? „Für die Jungs ist das ein einfaches Spiel“, erklärte der Kapitän, der einfach auf das Bootsgeländer deutete. Über Bord pinkeln stellte ich mir tatsächlich auch nicht besonders kompliziert vor. Aber wenn es dann doch einmal etwas größer werden sollte, sah ich besonders im Bereich der Privatsphäre ein Problem. Viel mehr interessierte uns jedoch erstmal die Wetterlage, die keine vielversprechenden Aussichten prophezeite. In meiner ersten Nachtschicht wurde es spannend, denn das erste Mal spürte ich, wie sehr wir auf den Wind angewiesen waren. Na klar, wir waren auf einem Segelschiff, genauer gesagt auf einem Segelkatamaran. Aber normalerweise haben solche Dinger einen Motor, mit dem das Schiff im Notfall unter Kontrolle gebracht werden konnte. Diesen Luxus durften wir allerdings nicht genießen.

Und weiter geht die Fahrt!

In dieser ersten Nachtschicht war ich mit einer Französin am Steuer und hielt den Kurs. Ohne den Wind konnten wir den Katamaran auf keinem geraden Kurs halten und so wurden wir von der Strömung immer weiter auf das offene Meer getrieben. Das war nicht gut! „Hol die langen Holzpaddel nach vorne“, sagte sie und drehte ohne jeglichen Erfolg am Steuerrad. Zum Glück war es dunkel und niemand in der Nähe, der uns hätte beobachten können, denn es muss wirklich verzweifelt ausgesehen haben, wie wir versuchten, das große Schiff mit zwei mickrigen Holzpaddeln erneut auszurichten. Aber es funktionierte. Zumindest gelang es uns, die Spitze wieder Richtung Süden zu drehen.

Sturm und Paradies

Von einem Tag auf den nächsten nahm der Wind plötzlich erheblich zu. Regen und reißende Flüsse, die im Meer mündeten, forderten noch einmal unsere volle Aufmerksamkeit. Kurz bevor wir die Küste vor Barranquilla erreichten, stellte ich mich ans vordere Geländer des Katamarans und hielt Ausschau. „Hier sind wir vor ein paar Jahren mit einem Baumstamm kollidiert“, rief der Kapitän und bereitete uns auf das vor, was auf uns warten könnte. Die überfüllten Flüsse transportierten alles Mögliche aus dem Landesinneren ins Meer und das schwamm nun hier herum. Mit dem starken Wind schossen wir nun förmlich über die kleinen Wellen und fuhren Slalom. Man muss jedoch berücksichtigen, dass so ein träges Schiff nicht so schnell in die Kurve geht, wie ein Kajak. Wäre ein Baumstamm auf unserer Route gewesen, hätten wir ihn mit Sicherheit getroffen.

Segeln ist anstrengend und so beschlossen wir, in einer der malerischen Buchten zu ankern. Ringsherum war alles grün. Bis auf die offene Seite, wo das Meer tanzte und mit zunehmender Dämmerung bedrohlich aussah. Da fühlte ich mich in dieser Bucht schon ganz wohl. Wir waren hier mitten im Nirgendwo: Vor uns lag eine nahezu undurchdringliche Wand, zumindest sah sie so aus – der dichte Regenwald. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie man ohne Segelschiff an diesen beeindruckenden Ort kommen sollte. Mit ein bisschen Wind, der uns in die Bucht drückte, warfen wir den Anker und sicherten somit unseren Platz zum Schlafen.

Unsere tierischen Mitreisenden machen es sich gemütlich. 

Nach einem gemeinsamen Essen legten wir uns alle in unsere Betten, die auf der bisherigen Fahrt ein wenig nass geworden waren. Unser Bett war ein wenig nass geworden, da eine kleine Welle durch die offene Dachluke ins Innere schwappte und sich über die Matratze verteilt hatte. Das war zwar total unangenehm, aber glücklicherweise war es tierisch heiß, sodass wir ohnehin so viel schwitzten, dass wir den Unterschied zwischen Meerwasser und Schweiß gar nicht mehr merkten.

Die Nacht war stürmisch und ich konnte nicht anders, als ab und zu nach draußen zu laufen, um zu schauen, ob noch alles an Ort und Stelle war. Manchmal donnerte und ruckelte es so stark, dass ich dachte, wir wären mit irgendetwas kollidiert. Es war keine besonders erholsame Nacht.

Eine geheimnisvolle Bucht

Am nächsten Tag setzten wir unsere Segel weiter in Richtung Süden und ehrlich gesagt hatte sich niemand Gedanken um die Lebensmittelsituation gemacht. Haferflocken hatten wir eine Menge, aber uns ging das Wasser aus. Das war auch nicht gerade überraschend mit acht Leuten an Bord. Von der Zivilisation waren wir weit entfernt und das machte uns zunehmend Sorgen. Zusammen mit dem Spanier nutzte ich gerade die Chance, ein wenig Regenwasser aufzufangen. Dazu platzierten wir alles, was irgendwie zum Auffangen von Flüssigkeit verwendet werden konnte, auf dem Deck des Katamarans – Töpfe, Schüsseln, Eimer und eine Plane.

Wir waren nicht einmal eine Woche unterwegs, doch viel mehr als Haferflocken gab es nicht und so gab es vorerst Haferflocken mit Regenwasser. Mhh, das war vielleicht lecker.

Da mussten wir jetzt durch und auch um die Toilettengänge kamen wir nicht herum. Ich hatte allerdings den Eindruck, dass sich sowieso niemand dafür interessierte, wer gerade über dem Geländer hing. Jeder war auf seine eigene Weise damit beschäftigt, dieses unglaubliche Abenteuer zu realisieren. Natürlich ist hierbei das Abenteuer, auf einem halb seetauglichen Schiff über das Meer zu segeln, gemeint und nicht der Toilettengang, wobei sich dieser ebenfalls recht abenteuerlich gestaltete.

Als wir in den kommenden Tagen unter kollektiven Magenproblemen litten, intensivierte sich dieser Abenteuereffekt noch einmal um ein Vielfaches. Immerhin gab es keine besetzte Toilette, das Meer war schließlich groß genug.

Die Vorräte waren schnell aufgebraucht – da wird man kreativ!

Nach zwei weiteren Tagen hielten wir erneut in einer Bucht. Der Spanier, eine Französin, die etwa in meinem Alter war und ich, beschlossen, die kommende Nacht an Land zu schlafen. Am frühen Abend bereiteten wir die Kajaks vor und paddelten an den Sandstrand, der knapp zweihundert Meter vom ankernden Katamaran entfernt lag. Jeder spannte seine Hängematte auf und endlich folgte eine Nacht ohne Schaukeln, dafür aber mit heftigem Wind, der den Hängemattenstoff flattern ließ. So lag ich dort zwischen zwei Palmen und lauschte den Geräuschen der Natur. Das Rascheln der großen Blätter klang fast etwas unheimlich und ich fragte mich, was hinter dieser Blätterwand wohl für Tiere leben würden.

Der nächste Morgen kam schneller als erwartet und ich muss fantastisch geschlafen haben, zumindest fühlte ich mich bestens erholt. Ich liebte es auch einfach, in der Hängematte zu schlafen, vielleicht lag es daran. Mit einem Satz hüpfte ich auf den kühlen Sand und beobachtete ein paar riesige Krebse, die vermutlich auf Nahrungssuche waren. Nachdem wir unsere Sachen gepackt hatten, paddelten wir wieder zum Katamaran zurück und widmeten uns dem Frühstück. Was freuten wir uns auf Haferflocken mit Regenwasser.

Die nächsten Tage waren ein Mix aus Wind, Regen und Sonne – alles war dabei. Der Regenwald, der sich seit Tagen rechts von uns erstreckte, veränderte sich nur wenig.

Segeln über den Ozean, immer mit Blick auf den Regenwald.

Mit dem Segelschiff von Panama nach Spanien

Meine Reise neigte sich dem Ende zu, aber gleichzeitig stand ich vor meinem größten Abenteuer. Mit dem Flugzeug wollte ich auf keinen Fall zurück nach Europa reisen und da kam mir das Segelschiff in den Kopf. Per Anhalter reiste ich mal wieder von Costa Rica nach Panama, schlief mit meiner Luftmatratze im Schlafsack auf dem Fußweg vor einer Polizeistation oder mit der Hängematte unter einem Lkw. In einem kleinen Hafen am Panamakanal fragte ich herum, ob mich nicht jemand mit nach Europa nehmen könnte. Dieses Herumfragen hatte mir bereits sämtliche Türen auf meiner Reise geöffnet.

Unter einem Truck, vor einer Polizeistation – bei der Schlafplatzwahl ist alles dabei!

So auch die eines Segelschiffs, mit dem ich Mitte April die Überfahrt über den Atlantik startete. Mit vier weiteren Personen verließen wir den sicheren Hafen und stürzten uns in die Wellen der Karibik. Unser Kapitän Peter war ein Däne und wollte sein Schiff in Italien verkaufen. Er suchte sich ein paar junge Leute, die ihn dabei unterstützen, das gute Stück zu überführen: Lothar (ein Holländer), Dave (ein Ire) und Janis, der zweite Deutsche. Wir wurden ausgewählt, um dem Kapitän bei dieser verantwortungsvollen Aufgabe zu helfen. Auch wir hatten nicht besonders viel Segelerfahrung, aber Peter brachte uns das Wichtigste in Kürze bei.

Die ersten Tage bis nach Jamaika waren ein Kampf gegen die Wellen und die Seekrankheit. Janis und ich erlebten die schlimmsten Stunden unseres Lebens und dachten, es würde mit uns zu Ende gehen. Noch nie hatte ich mich derart schlecht gefühlt, aber nach ein paar Tagen sollte alles wieder in Ordnung sein, erklärte uns Peter. Aber bis dahin war jeder einzelne Tag, jede einzelne Nachtschicht eine reine Qual. Stundenlang hingen wir spuckend über der Reling und wünschten uns nichts lieber, als wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.

Nach dem vierten Tag wurde es dann tatsächlich besser, obwohl die übrigen vier Tage bis Jamaika ziemlich rau waren. Auf der Insel machten wir dann einen wohlverdienten Zwischenstopp, reparierten Schäden am Schiff, füllten Vorräte auf und setzten unsere Reise zwei Tage später fort.

Bevor es so richtig weitergeht, bedarf es noch einigen Reparaturen.

Segeln in Guantánamo, schwimmen im 4.000 Meter tiefen Meer

Nun ging es weiter nach Kuba und auch hier legten wir eine Pause ein. Auch wenn die Fahrt bisher abenteuerlich genug war, erreichte sie an der kubanischen Küste ihren Höhepunkt. Meine Schicht war gerade vorbei gewesen und so legte ich mich ein wenig in meine Kabine. Unser nächstes Ziel war Bermuda und es würde eine lange und turbulente Fahrt werden, sodass ich jeden Moment nutzen wollte, um mich ein wenig auszuruhen.

Das sanfte Plätschern der Wellen, die gegen die Bootswand schlugen und mich in den Schlaf schaukelten, wurden plötzlich von einem ohrenbetäubenden Lärm abgelöst – es heulten Sirenen.

Es dauerte keine zwei Sekunden und ich saß senkrecht im Bett. Schnell öffnete ich die Kabinentür, ging in den Aufenthaltsraum und schaute aus dem Fenster. Mehrere Militärschiffe waren zu sehen, alle waren mit schwerbewaffneten Männern besetzt. „Was ist hier los?“, fragte ich Lother, der gerade die Treppe herunterkam. „Peter wollte unbedingt hier durch die Sperrzone von Guantánamo segeln und das finden die natürlich nicht so gut“, antwortete er. Kurz darauf setzten wir uns zu den anderen ins Cockpit und hörten zu, was die Amerikaner zu sagen hatten. Klar war, dass wir hier sofort raus mussten, sonst kämen die Waffen zum Einsatz und davon gab es jede Menge. Es war gar nicht so leicht, Peter davon zu überzeugen, weil er ziemlich stur war und behauptete, dass das Meer allen Menschen gehöre. Das war ja auch eine schöne Vorstellung, aber die USA haben sich hier eben einen kleinen Bereich für sich abgetrennt, da hatten wir nichts zu suchen.

Weil die Soldaten sichergehen wollten, dass wir ihnen auch tatsächlich gehorchten, begleiteten uns zwei Schiffe bis zur Grenze.

Nach unserer Begegnung mit der amerikanischen Küstenwache, füllen wir in Kuba unsere Vorräte auf. 

Weiter ging es zunächst an der kubanischen Küste, wo wir erneut unser Glück versuchten, etwas Fisch zu fangen, aber leider wieder ohne Erfolg. Was uns an Fisch fehlte, hatten wir bald an Abenteuer, denn gerade die Nächte wurden ziemlich unheimlich. In einer meiner Nachtschichten entdeckte ich weiße Nebelfelder, die sich mystisch über das Wasser legten, als würde es dampfen. Auch ein Schiff, dessen Lichter vor uns auftauchten, dann jedoch wieder verschwanden, sorgte für eine beängstigende Atmosphäre.

Die Tage zogen sich endlos lang, bis wir endlich in Bermuda ankamen. Aber damit hatten wir schon ein ordentliches Stück unserer Reise geschafft. Jetzt stand uns noch die längste Etappe bevor: Drei Wochen ohne Land. Unser nächstes Ziel waren die Azoren. Auf Bermuda genossen wir nur einen kurzen Aufenthalt; nicht nur weil es unfassbar teuer war, sondern weil wir es kaum erwarten konnten, weiter Richtung Osten zu segeln.

Peter warnte uns bereits vor einem Unwetter, das im Anmarsch war und uns große Schwierigkeiten bereiten könnte. Bevor das Spektakel losgehen würde, wollten Janis, Lothar und ich noch einmal schwimmen gehen. Das Tiefenmessgerät zeigte 4.005 Meter an. In einem Sportschwimmbecken kann ich auch nicht stehen und die paar Meter mehr, machten nun auch keinen Unterschied mehr. Aber nun mal Spaß beiseite – das war mit Abstand das tiefste Gewässer, in dem ich je geschwommen war und wir waren ziemlich aufgeregt. Der Sprung ins Wasser fühlte sich ganz gewöhnlich an, aber der Blick hinauf zum Segelschiff versetzte mich in eine demütige Haltung. Wir waren hier mitten auf dem Nordatlantik und auf so einer winzigen Nussschale unterwegs. Mit Leichtigkeit hätte uns eine Welle verschlingen können, wenn sie nur wollte. Unter uns ging es über vier Kilometer nach unten und das Wasser war tiefblau.

Schwimmen in so tiefem Gewässer – eine überwältigende Erfahrung…

Sturm auf dem Nordatlantik

Der von Peter angekündigte Sturm ließ nicht lange auf sich warten und so war erneut unsere volle Aufmerksamkeit gefragt. Im Cockpit mussten wir uns in unseren Schichten mit einem Karabinerhaken sichern, damit wir nicht über Bord fielen. Manchmal fiel es mir schwer zu glauben, dass wir aus dieser Sache heile rauskommen würden, aber ich dachte ja auch, dass ich die Seekrankheit nicht überleben würde.

Alles wurde nun schwieriger, jedoch nicht unmöglich. Wer bei diesem Wetter in der kleinen Küche anfängt, Nudeln mit Tomatensoße zu kochen, ist selbst schuld. Schließlich gab es einige Alternativen, die weniger gefährlich waren. Wofür es allerdings keine Alternative gab, war der Gang auf die Toilette. Jeder von uns flog mindestens einmal pro Toilettengang auf den Boden. Dabei war der Weg zwischen Bett und Badezimmer wirklich nicht besonders lang, zumal das gesamte Schiff nur knappe dreizehn Meter maß.

Vorher müssen wir unbedingt noch alles sturmsicher machen!

Auf dieser Überfahrt blieb nichts aus. Von Erbrechen, Durchfall und Verstopfungen über Madenbefall, Orkaangriff und Geisterschiffen, war alles dabei.

Alle Gegenstände an Bord mussten gesichert werden, andernfalls wären sie durch den gesamten Bootsraum geflogen. Peter gab noch keine Entwarnung, im Gegenteil – es sollte noch schlimmer werden. Zwischen acht Meter hohen Wellen versuchten wir die nächsten Stunden zu überstehen und konnten am nächsten Morgen endlich aufatmen.

Wir konnten es kaum fassen, als die Umrisse der Azoren zu sehen waren. Dieser Anblick gab uns Hoffnung, denn so langsam konnten wir auch wieder gutes Essen gebrauchen. Zwar mussten wir uns von keinem Regenwasser ernähren, aber jede Mahlzeit versuchten wir mit Mühe, im Körper zu behalten, weil die Wellen alles dafür taten, um uns einen Strich durch die Rechnung zu machen. 

Orka-Angriff und europäisches Festland

Von den Azoren war es dann nicht mehr weit – das europäische Festland war zum Greifen nah, auch wenn uns noch circa sieben Segeltage fehlten. Immerhin konnten wir, vor allem Janis und ich, die Tage so richtig genießen, weil wir uns gut fühlten und mit keiner Seekrankheit kämpfen mussten. Außerdem verhielt sich das Meer verhältnismäßig ruhig, sodass wir schöne Sachen kochen konnten. Häufig schmissen wir nur alles Mögliche in einen Topf, drückten den Deckel darauf und hofften, dass nichts überschwappte. Dass nichts überschwappte, wünschten wir uns übrigens auch inständig, während wir auf der Toilette waren.

Alles was uns nun noch aus der Ruhe bringen konnte, war ein Orka, der kurz vor der portugiesischen Küste mit unserem Schiff spielen wollte. Plötzlich wackelte das gesamte Boot, so als wäre ein anderes Schiff in unsere Seite reingefahren. Dann kam eine weitere Erschütterung und im Wasser war ein Schatten zu sehen. Das war ein Orka und klein war das Tier nicht. Jetzt konnte man ihn ausgezeichnet erkennen. 

Auf offener See übernimmt ein Orka das Steuer.

Peter sagte uns, dass er ohne Probleme das Schiff zum Sinken bringen könnte, womit er uns natürlich völlig beruhigte. Jetzt wo wir das wussten, war ja alles in Ordnung. Dieses Tier ließ nicht locker und rammte immer und immer wieder das Heckteil. Zeitgleich holte Peter eine Signalpistole aus dem Schiffsinnenraum und lud sie an Deck durch, zielte einige Meter entfernt vom Tier ins Wasser und drückte ab. Bis auf ein Piepen im Ohr war zunächst nichts zu hören. Offensichtlich hatte sich der Orka aus dem Staub gemacht und das war unsere Rettung.

Nach der Aufregung folgte das, worauf wir uns die ganze Zeit am meisten gefreut haben: Europäisches Festland betreten und eine Dusche.

 

Lasse Rusniok

Genaueres über Lasses Reise findet ihr in seinem neuem Buch „Vom Komfort ins Ungewisse“. Dort erzählt er von den spannendsten Erlebnissen auf seiner Reise, unter anderem durch Mittel- und Südamerika. Damit möchte er teilen, was er aus diesem Abenteuer gelernt hat und andere dazu ermutigen solche wertvollen Erfahrungen zu sammeln. Wer erleben möchte, wie Lasse persönlich von seiner Reise erzählt, kann seine regelmäßigen Vorträge besuchen.

Mehr Informationen zu Lasse findet ihr auf Instagram oder auf seiner Webseite!

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