Appetit auf Abenteuer?
Das Gute liegt so nah, genauer zwischen Greiz und Gera. Der »Elsterperlenweg« folgt dem größten Fluss des sächsisch-thüringischen Vogtlands auf 72 Kilometern durch nahezu unberührte Landschaften.
Neulich haben Margrit und ich unsere »Bucketlist« überarbeitet: Wandertouren ohne lange Anreise, lange Wochenenden statt mehrwöchiger Urlaub, nicht mehr so zackig wie früher im Hochgebirge, weniger Gepäck, leichterer Rucksack.
Das könnte doch gut passen zu einer Entdeckung im letzten Herbst. Nach einem Termin nahe Greiz hatte ich die Trailrunningschuhe geschnürt und war ohne große Erwartungen auf einen lockeren »Fünfzehner« gestartet. Beim Laufen sah ich die blau-weißen Elsterperlenweg-Schilder: aha, ein Etappenweg beidseits des Flusses mit diversen Wegeoptionen. Eine kurze Recherche ergab: Fünf bis sechs Wanderetappen hat der Elsterperlenweg. Nicht zu arg, ein paar Höhenmeter und spontan änderbar inklusive »Shuttle« mit dem Zug. Margrit war sofort dabei. Wir würden uns einige Tage freinehmen und diese unbekannte Wanderecke in Mitteldeutschland entdecken.
An einem milden Frühlingstag im April stehen wir nun in Greiz am Start des Elsterperlenwegs. Der Regionalexpress hat uns soeben in der 800-jährigen Residenzstadt im Thüringer Vogtland abgesetzt. Elsterperlenweg ist ein Name wie aus dem Marketing-Lehrbuch. Doch steht tatsächlich etwas dahinter: Auf den Kieselbänken der Weißen Elster wurde jahrhundertelang auch im Greizer Raum Perlenfischerei betrieben. Muskatnussgroß sollen manche Perlen gewesen sein.
Zwei von vielen Highlight aif der Strecke: Das Obere Schloss Greiz thront hoch über der Elster. Torte aus dem Küchenhaus im Greizer Park.
Wir beschließen, die Geschichte des »Kleinsten Fürstentums« zu ignorieren und die beiden Schlösser der Reußen schöne Kulisse sein zu lassen. Magisch zieht es uns in den Fürstlich Greizer Park: Inmitten des englischen Landschaftsgartens in der Elsteraue steht das »Küchenhaus«. Als passionierte Kuchenesser gönnen wir uns im dortigen Café zum Auftakt ein ordentliches Stück der feinen Süße.
Wir werfen eine Münze: In welcher Richtung wandern wir entlang der Lebensader des Vogtlands? Gegen oder mit der Uhr? Gegen. Also am Ostufer der Elster nordwärts bis Wünschendorf, am Westufer nach Greiz zurück. Die ersten drei Tage geht es so flussabwärts. Doch gleich hinter Greiz steigen wir im Wald bergauf zum Weißen Kreuz. Geht das schon nach der kleinen Kuchen-Orgie von eben? Wir schieben den Gedanken beiseite auf dem Weg zum Edelpanorama. Die von Margrit liebevoll geschmierten Stullen bleiben jedenfalls noch im Rucksack.
Eine alte Wanderregel besagt, dass spätestens ab Mittag die Gedanken nur ums Essen kreisen. Insofern erscheint der abzweigende »Bierweg« interessant – Margrit grinst wissend. Aber der feine Hohlweg hinab nach Neumühle lenkt unsere Gedanken bald in andere Richtungen. Unser Tempo zieht an, bis wir das mächtige Elsterwehr mit dem perfekt hindrapierten Picknickplatz im Dörfchen erreichen – die Sonne brät, Margrits Brote sind perfekt. Kein Gedanke, dass es gleich wieder hinaufgeht. Ein Blick auf die Uhr mahnt dann aber, das Tagesziel im Museumshof in Waltersdorf anzusteuern. Dort besprechen wir im bäuerlichen Idyll die morgigen Heldentaten.
»Der stete Wechsel aus Naturidylle und Sehenswürdigkeit begeistert unseren Kopf und Körper.«
Es soll am Morgen regnen, wir planen um: Margrit schont ihre zwickende linke Ferse, ich mache ein Läufchen hinab zur Steinermühle, quere die Elster und klettere am Westufer auf die Rüßdorfer Alpen. Die Schieferfelsen hier sind herrlich schroff und ich bin dankbar für die alten, spärlichen Geländer. Zurück in Waltersdorf starten wir die Halbetappe nach Berga. Im Elstertal gibt es keine Straße, nur der Regionalexpress rauscht jede Stunde vorbei. Menschen sehen wir kaum. Ländliches Idyll. Im kleinen Berga laden wir Proviant. Beim Bäcker bestellt eine ältere Frau »zwei Mal DDR«. DDR? Ja, diese seien schön teigig. Nicht so aufgetriebene Luftbrötchen, wie sie ab 1990 auch im Osten aufkamen. Ich erinnere mich. Wir holen Eierschecke, die ist hier immer gut.
Am nächsten Morgen stehen wir früh auf. Wir wollen hinauf zur Bergaer Bastei und von dort beim Frühstück zuschauen, wie sich der Morgendunst aus dem Tal verzieht und die Sonne aufgeht. Der weite Elsterbogen wird sichtbar, das Städtchen erwacht und die Natur packt die ganze Palette ihrer Farben aus. Fotoprofis lieben diese Tagesrandzeiten, wir bleiben doch lieber Handy-Amateure.
Die Wünschendorfer Holzbrücke kennzeichnet den nördlichen Umkehrpunkt des Elsterperlenwegs.
Wieder werfen wir die Münze: Abkürzung zum Fluss, dann wieder auf den EPW und 17 Kilometer zum »Wendehammer« in Wünschendorf. Wieder haben wir den Idyll-Joker gezogen: Der Pfad führt im perfekten Steigungsgrad entlang der bemoosten Schieferfelsen zur nächsten Bastei (die von Groß Ratzdorf).
Margrit hat das Handy ausgeschaltet, einfach nur gehen in flüssigem Rhythmus, den Rotkehlchen und dem Rauschen des Elsterwehrs an der Clodramühle tief unter uns lauschen. Bis zur alten Holzbrücke in Wünschendorf wollen wir schweigen. Wer etwas sagt, zahlt den nächsten Kuchen. Das ist Margrit: »Hach«, entfährt es ihr, »wie wenig braucht man doch zum Glück!«
Einen Münzwurf später verlängern wir spontan die Runde und steuern Weida an. Hier residierten im zwölften Jahrhundert die ersten Vögte, daher der Regionsname »Vogtland«. Kurzer Stopp auf der mächtigen Osterburg und weiter zur Clodramühle. Diese ist ein Ort der Glückseligkeit. Im Sommer kann man hier mit dem Kanu anlegen, der Freisitz ist pittoresk, das Essen zwar nicht vogtländisch-deftig, dafür italienisch gut.
Tags darauf zieht es uns noch einmal auf die Höhen. Wir folgen der Alten Poststraße. Ein Steinmäuerchen im steilsten Stück vor einem Abhang entpuppt sich als Sicherungsmaßnahme für die Postkutschen. Die rutschten mit gezogener Bremse den felsigen Untergrund hinab, wovon Schleifspuren im Boden zeugen. Nicht jede Kutsche kriegte die Kurve.
Der letzte Morgen: Wir könnten ja mit dem Zug die eine Station zurück nach Greiz. Sind wir übersättigt vom Naturidyll? Oder einfach älter geworden? Die Münze entscheidet: Kopf, das heißt Wandern. Also los, die paar Schritte schaffen wir. Unterwegs überlegen wir: Welche Bastei war die schönste? Wie viele Menschen haben wir getroffen? Welcher Kuchen war der beste? Hatten wir es jemals so einfach und so schön, fast direkt vor unserer eigenen Haustür?
Im Kuchen- – ähem – Küchenhaus im Greizer Park wollen wir noch ein Abschieds-Selfie machen. Doch Pustekuchen. Mein Handyakku ist leer und Margrit hat schlicht ihre PIN vergessen. Ziel erreicht, würde ich sagen.
Der 45 Kilometer lange Zeulenrodaer Talsperrenweg führt um die beiden großen Talsperren im Weidatal. Er verläuft zu mehr als 80 Prozent auf naturbelassenen Wegen und schmalen Pfaden. Idyllische Bachläufe, Waldgebiete, Aussichtspunkte und immer wieder der weite Blick über die großen Wasserflächen der Stauseen zeichnen den Weg als Naturerlebnis aus. Vier reizvolle Wanderhütten laden mit ihren geschnitzten Figuren zur Rast und zum Ausruhen ein. Der Rundweg um die Vorsperre Riedelmühle und der Promenadenweg zwischen Bio-Seehotel und Strandbad Zeulenroda sind barrierefrei nutzbare Teilstücke des Wegs.
TEXT: Hagen Melzer
FOTOS: Sebastian Theilig