Vanlife
in Nordamerika

Endlose Weiten und unberührte Natur in Alaska entdecken. In den Flüssen und Seen Kanadas baden. Im Wilden Westen Wyomings am Lagerfeuer sitzen. Oder in den Wüsten von Arizona und Utah. So oder so ähnlich stellen wir uns das Vanlife in Nordamerika vor, als wir unsere Jobs und Wohnung kündigen, um ins Abenteuer zu starten.
Wir, das sind Svenja und Peter vom Reiseblog Work Travel Balance. Wir sind schon immer viel gereist, doch irgendwann war klar, dass wir eine längere Zeit unterwegs sein wollen. Daraus wurden letztlich zwei Jahre. Von Alaska bis Rio de Janeiro mit dem Campervan – und dem ein oder anderen „kleinen Umweg“ nach Hawaii und in die Südsee dazwischen. Unser „Vanlife in Nordamerika“ ist uns dabei als besonderes Highlight in Erinnerung geblieben. Aber eins nach dem anderen.
Juli 2018: In Anchorage, der größten Stadt Alaskas, geht es für uns mit der Campervan-Suche los. Auf diversen Portalen wie Craigslist und Facebook Marketplace haben wir in Frage kommende Verkäufer angeschrieben und Besichtigungstermine vereinbart.
Das erste Auto gefällt uns auf Anhieb ganz gut. Dave fährt mit einem blauen VW Eurovan am verabredeten Baumarkt-Parkplatz vor. Sein Bulli ist zwar keiner dieser hübschen alten Campervans, wie man sie von Instagram-Bildern kennt, aber bei dem begrenzten Angebot in Anchorage sind wir nicht wählerisch. Technisch wirkt der T4, Baujahr 2001, gut in Schuss. Die Innenausstattung hat dafür schon umso mehr mitgemacht. Die Sitze sind versifft, teilweise ist die Verkleidung abgerissen, es riecht penetrant nach nassem Hund. Und auch von außen hat der Wagen den einen oder anderen Kratzer abbekommen. Von den Schönheitsmäkeln abgesehen macht er einen guten Eindruck: V6 Motor, 206 PS und für Alaska-Verhältnisse kaum Rost. Wir schlagen zu.
Was uns vorab nicht bewusst war: was für ein glücklicher Zufall es ist, dass wir ausgerechnet in Alaska einen Campervan kaufen wollen. Nicht in jedem US-Staat wäre der Autokauf für ausländische Touristen so einfach möglich gewesen. In unserem Fall handelt es lediglich um den Gang zur örtlichen Zulassungsstelle und den Abschluss einer Kfz-Versicherung. Unsere airbnb-Adresse in Anchorage, das Vorzeigen unserer deutschen Führerscheine sowie die Zahlung von 15 US-Dollar sind ausreichend, um kurz darauf die neuen Nummernschilder und Fahrzeugpapiere in den Händen zu halten. Wir haben tatsächlich einen Bulli gekauft!
Die nächsten Tage sind wir damit beschäftigt, aus der abgenutzten Familienkutsche einen vorzeigbaren Campervan zu machen. Die Sitze fliegen raus, Bett und Küche kommen rein. Zum Glück ist es in Alaskas Sommer ähnlich wie in Skandinavien fast die ganze Nacht hell und so sind wir bereits unglaubliche vier Tage später startklar fürs Abenteuer.
Wir stellen vor: unsere Bärtha (namensgebend war hier der Grizzlybär, der das extravagante Alaska-Nummernschild ziert): Sämtliche Mitfahrersitze sind dem Bett gewichen. Das kann man theoretisch umklappen, um stattdessen einen kleinen Sitzbereich zu schaffen. Praktisch machen wir das in acht Monaten mit Bärtha kein einziges Mal. Das Bett eignet sich auch einfach zu gut als Ess- und Wohnbereich. Bei der Bulli-Küche handelt es sich um einen Outdoor-Kochbereich. Dafür muss man den Kofferraum öffnen und dann eine Tischplatte unter dem Bett hervorziehen. Auf zwei Platten wird mit Gas unter der geöffneten Heckklappe gekocht.
Das Bad besteht aus einem Wasserkanister mit Hahn sowie einer Campingdusche. Fünf Gallonen Wasser passen da hinein. Den schwarzen Beutel legt man in die Sonne, sodass sich das Wasser darin erwärmt. Anschließend hängt man ihn an einen Ast und kann dann mit Hilfe des Schlauchs eine hoffentlich warme Dusche genießen. Ob die Sonne in Alaska wohl stark genug ist? Doch es nützt ja nichts. Wenn wir nicht wie Stinktiere durch die Gegend laufen möchten, wird uns früher oder später nichts anderes übrig bleiben. Ich wage es und hüpfe unter die Dusche. Die Sommersonne Alaskas erweist sich als stark genug, um zumindest lauwarmes Wasser zu produzieren. Und auch wenn ich schon besseren Wasserdruck erlebt habe – zum sauber werden reicht es. Ein weiterer Meilenstein für unsere Unabhängigkeit von der Zivilisation auf dieser Reise!
Svenja an ihrem Van im Wald

Alaska – The Last Frontier

Alaska zieht uns mit seinen endlosen Weiten und der unberührten Natur von Beginn an in seinen Bann. Wir stellen allerdings schnell fest, dass allzu viele Umwege mit unserem Campervan kaum möglich sind. Nicht nur der Staat an sich ist dünn besiedelt, auch das Straßennetz ist alles andere als ein dichtes Netz aus Autobahnen… Weite Teile Alaskas sind überhaupt nicht erschlossen und lediglich per Expedition oder mit dem Wasserflugzeug zu erreichen. Und so drehen wir früher als gedacht mit unserer Bärtha nach Osten, in Richtung Kanada ab.
Der Grenzübertritt verläuft unkompliziert. „Wem gehört das Auto?“, „Wie lange wollt ihr in Kanada bleiben?“, „Habt ihr Waffen dabei? Oder Fleisch oder Fisch?“, arbeitet der Grenzbeamte seinen Fragenkatalog ab. Dann bekommen wir einen Stempel in den Pass und man heißt uns herzlich willkommen im Yukon. Die einstige Goldgräberregion ist ähnlich dünn besiedelt wie Alaska. Für uns optimal, denn wo kaum Menschen sind, gibt es auch kaum Privatland, aber dafür eine große Auswahl an traumhaft schönen Orten, die zum Wildcampen einladen.
In Alaska und dem Yukon übernachten wir nur ein einziges Mal auf einem offiziellen Campingplatz und campen dennoch (oder gerade deswegen) an den schönsten Orten, die man sich vorstellen kann – nicht selten mit Blick auf Berge oder Seen aus der geöffneten Heckklappe. Lediglich in den Nationalparks ist Wildcamping grundsätzlich verboten.
Svenjas und Peters Ausblick aus der Heckklappe des Vans beim Wildcampen
grüne Nordlichter in Kanada über Svenjas und Peters Van
Eigentlich hatten wir uns vorgenommen, möglichst langsam zu reisen und bloß nicht zu hetzen. Doch erstaunt stellen wir unterwegs fest: Auch ganz ohne Stress kommen wir oft schneller voran als gedacht. Selten schlafen wir länger als zwei Nächte am gleichen Ort – gehetzt fühlen wir uns dennoch nicht. Vermutlich liegt es daran, dass wir im Gegensatz zu anderen Reisenden unser Zuhause immer dabei haben. So brauchen wir weniger Verschnaufpausen und bauen stattdessen den einen oder anderen Umweg in unsere Reiseroute ein. Und ein weiteres Phänomen fällt uns auf: die Zeit scheint unterwegs viel langsamer zu vergehen. Wir erleben mit unserem Bulli so viel, dass wir oft gar nicht glauben können, dass gerade mal wieder erst eine Woche vergangen sein soll!
Wenn gar nichts anderes mehr geht, ist der örtliche Walmart-Parkplatz stets die letzte Option. Walmart ist unter Campern bekannt dafür, Übernachtungsgäste auf dem Parkplatz zu dulden. Zwar kann man sich wohl idyllischere Orte vorstellen, aber wenn nun mal gerade nichts Besseres in der Nähe ist, dann ist diese Variante wenigstens kostenlos und legal. Und ein Riesenvorteil: es gibt rund um die Uhr Toiletten. Wenn man sich auf den Parkplätzen umschaut, merkt man auch schnell, dass eine Übernachtung dort nicht zwingend etwas mit Geldproblemen zu tun hat: Die Supermarkt-Parkplätze sind oft vollgeparkt mit protzigen Wohnmobilen in der Größe von Reisebussen. Die meisten von ihnen ziehen noch einen Kleinwagen auf dem Anhänger hinter sich her – oder gleich ein Boot oder Jet-Ski. Wir befinden uns also in feinster Gesellschaft.
Nicht zuletzt die Apps Wiki Camps und iOverlander sind große Hilfen bei der Schlafplatzsuche – und für Vanlife-Bedürfnisse aller Art. Der Wassertank muss aufgefüllt werden? Du brauchst endlich mal wieder eine richtig warme Dusche? Oder eine Werkstatt? Nur selten haben die Apps uns enttäuscht. Und insbesondere in Nordamerika ist die Infrastruktur fürs Vanlife genial. Überall gibt es öffentliche Toiletten, Frischwasserversorgung, kostenloses WiFi und was man sonst noch so braucht, wenn einem die Wildnis doch mal zu wild wird.
Svenjas und Peters Van auf einem Berg in Nordamerika

„Did you come all the way from Alaska?”

Je weiter südlich wir anschließend kommen, desto schwieriger wird es allerdings mit dem Campen in der Wildnis – insbesondere in Küstennähe. In Oregon und Kalifornien gibt es kaum noch öffentliches Land und an „No Camping“-Schildern hat man nicht gespart. Doch zum Glück sind die Amerikaner selbst eine echte Camper-Nation, sodass wir letztlich immer irgendeine Option finden.
Ab und an auf einen Campingplatz auszuweichen, ist auch gar nicht so schlecht, denn Wildcamping macht manchmal auch etwas einsam. Insbesondere im hohen Norden treffen wir nur selten andere Reisende und so freuen wir uns über jeden noch so kurzen Smalltalk, wenn wir dann doch mal Menschen begegnen. Zum Glück ist unser Alaska-Nummernschild ein wahrer Eisbrecher, an dem irgendwann kaum noch jemand vorbeiläuft ohne verwundert zu fragen, ob wir wirklich den ganzen Weg aus Alaska gekommen sind.
Wer hätte übrigens gedacht, dass es ausgerechnet bei unserer ersten Nacht in Kalifornien und nicht in Alaska passiert, dass uns vor Kälte die Fensterscheiben gefrieren. Von innen! Regentage haben wir auf der gesamten Reise übrigens kaum zu verbuchen, dafür machen uns Waldbrände das ein oder andere Mal einen Strich durch die Rechnung. Brände in Kanada ziehen eine Rauchwolke nach sich, die bis ins weitentfernte Texas zu sehen ist.
Apropos Texas: Dort ereilt uns noch ein ganz anderes Problem…
Es ist Ende November. Abends reicht ein Lagerfeuer nicht mehr aus, um uns für die frostigen Nächte ausreichend zu wärmen. Der nahende Winter treibt uns unweigerlich Richtung Zentralamerika. Der Weg dorthin führt uns durch den Norden von Texas, wo nach einer ruhigen Nacht bei der sonst so robusten Bärtha plötzlich gar nichts mehr geht…
„Hörst du das auch? Was ist das?“, ratlos schauen wir uns an. Der Motor heult ungewohnt laut, sobald man aufs Gaspedal tritt. Schnell wird klar, dass das Automatikgetriebe streikt. Dazu kommt ein Pieps-Geräusch, ähnlich dem, wenn man vergessen hat, die Handbremse zu lösen. Die Fenster lassen sich nicht mehr öffnen und auch das Radio hat seinen Dienst eingestellt. Was ist hier los?
In Deutschland ruft man den ADAC, in den USA den AAA. Glücklicherweise hatten wir zu Beginn unserer Reise eine Premium-Mitgliedschaft abgeschlossen, dank der wir bis zu 200 Meilen kostenlos abgeschleppt werden können. Eigentlich hatten wir dabei damals die Weiten Alaskas und Kanadas im Hinterkopf, doch auch jetzt im dichter besiedelten Texas kommen wir fast an die Inklusiv-Kilometergrenze. Denn während wir auf den Abschleppwagen warten, ist Peter ein gutes Weilchen damit beschäftigt, sämtliche Werkstätten im Umkreis von 200 Meilen in Richtung Austin telefonisch abzuklappern. Mit ernüchternden Ergebnis: Lediglich ein einziger Mechaniker im zwei Stunden entfernten Abilene bezeichnet sich selbst als Experten für automatische Getriebe, traut sich VW-Elektronik zu und hat auch kurzfristig Zeit, um einen Blick auf unsere Bärtha zu werfen.
Svenjas und Peters Van muss nach einer Panne in Texas abgeschleppt werden
Reparaturen an Svenjas und peters Van
Bis wir in Abilene eintreffen, ist es allerdings schon Abend. Freitagabend. Vor Montag passiert also nichts mehr. Doch wir haben Glück im Unglück: Unsere Premium-Mitgliedschaft hat einen weiteren Vorteil: eine sogenannte „Trip Interruption Insurance“: Bis zu 1.500 US-Dollar für Hotel, Verpflegung und ein Ersatztransportmittel stehen uns für maximal 96 Stunden zu. Das ist sonst locker unser gemeinsames Budget für mehrere Wochen. Sowas nennt man wohl Glück im Unglück und so vergeuden wir keine wertvolle Zeit unserer 96 Stunden und ziehen spontan vom Bulli ins Hotel um. Doch so schön das erstmal klingt: Das eigentliche Problem ist dadurch leider noch kein Stückchen gelöst. Am Montagmorgen dann die Hiobsbotschaft:

„Das Getriebe ist hinüber“

Ein Gebrauchtteil ist nirgends aufzutreiben – bis auf eins für schlappe 6.000 Dollar. So viel hat der ganze Bulli nicht gekostet! Alternativ könnte die Werkstatt ein Getriebe nachbauen, aber auch das kommt kaum günstiger. Und ein gebrauchtes Getriebe im Ausland suchen und nach Texas schicken lassen? – Allein für den Transport veranschlagen die Paketdienste einen hohen dreistelligen Betrag. Plus den Preis für das Getriebe plus Zoll plus Einbau durch einen Kfz-Mechaniker. Das Ergebnis der Überschlagsrechnung fällt nicht besser aus als bei den anderen Alternativen. „Und was, wenn wir einfach mal im ersten Gang weiterfahren?“ Kaputt zu machen ist ja nichts mehr. Und in Mexiko sind die Kosten sicherlich deutlich niedriger – schließlich produziert VW dort. Da muss es doch billige Ersatzteile geben, oder?
Letztlich bleibt uns nicht viel anderes übrig und so stellen wir uns auf eine lange Fahrt im ersten Gang ein… Doch dann das Wunder: Als wir auf den Highway einbiegen, schaltet Bärtha wieder. Dabei haben die Mechaniker doch gar nichts repariert und eindeutig einen Totalschaden diagnostiziert! Braucht Bärtha vielleicht einfach nur mal eine Pause von uns?
Tatsächlich fahren wir mit normaler Geschwindigkeit und kommen früher als erhofft in Austin an. Doch leider wissen wir auch, dass die Sache hiermit noch nicht erledigt sein wird. Die Symptome haben sich zwar kurzfristig verbessert, aber der Getriebeschaden als Ursache ist noch lange nicht behoben. Doch im Moment wollen wir nicht weiter daran denken und genießen erst einmal die Live-Musik-Metropole Austin.
Als wir uns nach ein paar Tagen langsam an den Gedanken gewöhnen, den Bulli auszuschlachten und als Backpacker weiterreisen zu müssen, erreicht uns unverhofft eine Nachricht: „Ich hatte einmal ein ähnliches Problem mit meinem Golf. Wenn ihr die Ersatzteile besorgt und ein Sixpack Bier mitbringt, repariere ich euch das Getriebe.“
Wir sind zunächst skeptisch. Wer macht den sowas? Auf der anderen Seite: Was haben wir zu verlieren? Und so vereinbaren wir ein Treffen mit Absender Elias. Im texanischen San Antonio wirft Elias einen ersten Blick auf unseren Bulli. Er ist zuversichtlich, alle Probleme beheben zu können und diktiert uns prompt eine lange Liste an Ersatzteilen, die es zu bestellen gilt. Am Ende des Treffens sind wir uns jedenfalls sicher: die anfängliche Skepsis war Quatsch. Elias ist ein rundum guter Typ, der einfach nur helfen will. Nicht jeder, der so großzügig seine Hilfe anbietet, hat Hintergedanken. Manche Menschen sind wirklich einfach nur hilfsbereit und nett!
Und das allerbeste: Elias ist nicht nur nett, sondern auch äußerst fähig. Keine zwei Wochen nach unserem Fiasko brummt Bulli Bärtha wieder vor sich hin. Es kann weitergehen!
Svenja und Peter posieren vor ihrem Van im Monument Valley
Und zwar nach Mexiko. Waren die Grenzübertritte in den USA und Kanada noch ein Kinderspiel, so wird in Mexiko und Zentralamerika alles komplizierter. Sowohl an den Grenzen, als auch beim Vanlife allgemein. Komplizierter, aber als Reise nicht weniger schön und erlebnisreich. Doch das ist eine andere Geschichte…