Tom gilt nicht nur als einer der besten Risskletterer der Welt. Er ist auch für unkonventionelle Trainingsmethoden und einem Hang zu absurden Projekten bekannt – etwa dem Klettern eines horizontalen Risses unter einer Autobahnbrücke. Dank der EOFT-Filme »Wide Boyz« und »Bridge Boys« ist der Brite längst auch außerhalb der Kletterszene bekannt.
Muss man heute für eine erfolgreiche Kletterkarriere auch gleichzeitig ein guter Entertainer sein? Wir haben den Rab-Athleten Tom Randall per WhatsApp-Interview gefragt, wie eine moderne Karriere als Kletterprofi so funktioniert.
In den ersten Jahren bin vor allem deshalb so viel geklettert, weil ich genau zum richtigen Zeitpunkt in meinem Leben mit dem Klettern in Berührung gekommen bin. Damals hab ich mich gerade sehr für Sport interessiert. Es war das Wichtigste, was mich von der Schule ablenken konnte, und die Schule hat mir nicht besonders viel Spaß gemacht. Außerdem hatte ich einen sehr guten Freund, der sich sehr für das Klettern interessierte. Ich hatte also eine Art Mentor. Gleichzeitig wurde viel geklettert, an kleinen Kanten, an Ziegelsteinen, an Wänden und in der Nähe meines Wohnortes, wo man eher künstlich kletterte, also an der Außenseite von Gebäuden. Und ich wurde richtig besessen davon und verbrachte die ersten paar Jahre meines Kletterlebens damit, allein und mit meinem besten Freund zu klettern. Ich habe in diesen ersten paar Jahren fast jeden Tag in der Woche geklettert, ich war richtig besessen. Ich würde sagen, ich bin ein ziemlich obsessiver Mensch. Der Grund, warum ich so gut zurechtkam, wenn man bedenkt, dass ich erst so spät damit angefangen habe, war, dass ich mit Vollgas eingestiegen bin und mich voll und ganz dem Klettern verschrieben habe. Ich habe an nichts anderes mehr gedacht.
Ich fing in meinen Teenagerjahren und während des Studiums mit dem Klettern an und verbachte fast meine ganze Zeit damit, zu klettern, zu lernen und Kontakte zu knüpfen. Das wurde mein Leben. Mit Anfang 20 machte in einen relativ normalen und langweiligen Finanzjob in London, bis ich mit Mitte 20 merkte, dass mir die normale Karriere keinen Spaß mehr machte. Jeder Urlaub hatte mit Klettern zu tun. Jeder Ausflug hatte mit Klettern zu tun. Alle meine Freunde waren beim Klettern. Ich arbeitete mehr oder weniger umsonst in einem Kletterzentrum in London und schraubte Routen, weil ich einfach alles liebte, was mit Klettern zu tun hatte. Schließlich zog ich von London nach Sheffield, dem Zentrum des Klettersports in Großbritannien. Ich nahm eine massive Gehaltskürzung in Kauf, um in einer Kletterhalle als Routenschrauber zu arbeiten. Dort nahm meine professionelle Kletterkarriere richtig Fahrt auf, weil ich fast Vollzeit für die Halle tätig war. Ich habe ein bisschen gecoacht und bin jeden Tag in der Woche geklettert. Und ich war in der Szene. Jeden, der in Großbritannien professionell klettert, zieht es nach Sheffield. Also traf ich mich mit diesen Leuten, kletterte viel mit ihnen und das war der Punkt, an dem es für mich richtig losging: Ich war Routenschrauber, machte ein paar Coachings und kletterte mit vielen oder zumindest einigen der besten Kletterer in Sheffield und landete auf deren Touren und Projekten. Außerdem lernte ich meinen Kletterpartner Pete kennen, mit dem ich im Laufe der Jahre viel geklettert bin, und von da an ging es richtig los.
2007 verletzte ich mich sehr schwer am Finger und ich konnte keine normalen Griffe zum Klettern benutzen. Also alle Kanten, die man beim normalen Klettern hat, die Standardgriffe eben. Aber ich konnte immer noch Rissklettern, weil man da beim Klettern die Hände in die Risse stecken muss, was bei bestimmten Verletzungen nicht schadet. Ich hatte also eine lange Rehabilitationsphase nach meiner Verletzung von etwa sechs Monaten vor mir, in der ich nur in einem bestimmten Stil klettern konnte. Und in dieser Zeit beschloss ich, mich zu 100 Prozent darauf zu konzentrieren, ein wirklich guter Risskletterer zu werden. Und von da an ging es Schlag auf Schlag. Ich mochte diese Art des Kletterns schon vorher und ich war ziemlich scharf darauf. Ich liebe die Reinheit der Linien. Einige der besten Klettereien der Welt, die besten Felswände der Welt, vor allem große Wände, haben jede Menge Risse. Es war also etwas, das mich aufgrund der Reinheit und Ästhetik immer sehr angesprochen hat. Und es war nur ein zufälliges Timing im Leben, das ungefähr im Jahr 2007 passierte, und meinen Weg verändert hat.
Ich denke, dass was ich und Pete tun, um unsere Geschichte zu erzählen, der Spaß und die Albernheit und alles, darauf zurückführt, dass es uns als Menschen widerspiegelt. Mein Klettern muss mit Spaß und Interesse gefüllt sein. Und das Gleiche gilt für Pete. Und wenn man zwei Menschen zusammenbringt, die die gleiche Art zu kommunizieren und Dinge zu tun haben, dann kommt das auf natürliche Weise heraus. Ich würde also sagen, dass alles, was ich und Pete tun, einfach ein natürliches Abbild dessen ist, wie wir als Menschen sind. Es ist also keine organisierte Sache oder wir denken nicht besonders darüber nach. Wir denken gar nicht darüber nach. Normalerweise tun wir einfach das, was sich richtig anfühlt, und das macht am Ende wirklich Spaß.
Ja, absolut. Letztendlich ist das wichtigste bei einem Projekt für mich und Pete, dass es uns beide motiviert. Außerdem ist es wirklich reizvoll, wenn es eine große Herausforderung ist. Also genau an der Grenze dessen, was wir für möglich halten – sei es die körperliche Grenze oder die geistige Grenze oder die taktische oder strategische Grenze. Natürlich ist es noch interessanter, wenn man eine Kombination aus physischer und strategischer Grenze hat. Das macht es viel schwieriger, viel anregender und herausfordernder. Ich würde also sagen, dass das Element der Herausforderung auch sehr wichtig ist. Zum Schluss kommt noch ein gewisses Maß an Spaß hinzu und etwas, das zu meiner und Petes Persönlichkeit passt. Wir mögen es, über den Tellerrand hinauszuschauen und Dinge zu tun, die nicht dem normalen Weg entsprechen. Wir finden es sehr interessant, etwas zu tun, das anders ist. Allein die Tatsache, dass die Leute es als seltsam oder merkwürdig empfinden könnten, scheint uns besonders zu reizen. Das ist ein wichtiger Aspekt unserer Partnerschaft und der Projekte, die wir in Angriff nehmen. Aber es ist definitiv ein sehr wichtig, dass die Sache herausfordernd und wirklich schwierig ist. Es darf nicht nur Spaß machen, sonst würden wir uns nicht auf diese Dinge einlassen.
Ja, das stimmt. Also ich habe eigentlich zwei YouTube-Kanäle. Der eine ist der Wide Boyz Channel, auf dem sich alles ums Rissklettern und die Abenteuer dreht, die Pete und ich im Laufe der Jahre erlebt haben. Und der andere ist ein Trainingskanal namens Lattice Training, der Teil meines normalen Tagesjobs ist. Es kommt darauf an, wie alt sie sind, aber viele Profikletterer haben ein Geschäft oder eine Art von Arbeit, die sie neben dem Klettern ausüben, weil es oft ziemlich schwer ist, Vollzeit vom Klettern zu leben oder genug Geld für die Rente zu sparen oder für andere normale Dinge, die man als Erwachsener im Leben macht. Aber ja, der eine ist eher ein Unterhaltungskanal, der Spaß macht. Der andere ist eher lehrreich und versucht, den Leuten zu zeigen, wie sie trainieren und besser klettern können, fitter und stärker werden und so weiter.
Und der Grund, warum ich diese Kanäle gestartet habe, oder es ist eher so, dass wir diese Kanäle gestartet haben (weil Pete sehr stark in Wide Boyz involviert ist), ist, dass wir vor vielen Jahren eine Entwicklung von reinen Bildinhalten hin zu viel mehr Videoinhalten gesehen haben. Die Leute scheinen das wirklich mehr zu schätzen. Und obwohl die Produktion der Inhalte viel zeitaufwändiger und teurer ist, sind sie meiner Meinung nach am wichtigsten. Wenn du also irgendwas in ein Video packen kannst, dann kannst du damit den größtmögliche Effekt erlangen, egal ob es sich um Unterhaltung, Bildung oder Inspiration handelt. Meiner Meinung nach ist das immer besser als ein statisches Foto und etwas Text.
Lattice Training ist ein Online-Coaching- und Trainingsunternehmen, das von Großbritannien aus operiert, aber mit Kletterern aus der ganzen Welt zusammenarbeitet. Wir analysieren das Können und erstellen Trainingspläne für Kletterer, egal ob es sich um Sportkletterer, Boulderer, Trad-Kletterer oder Hallenkletterer oder Wettkampfkletterer handelt. Wir arbeiten mit Kletterern aus der ganzen Welt zusammen, von professionellen Kletterern wie Alex Honnold, Tommy Caldwell, Emily Harrington und Hazel Findlay bis hin zu begeisterten Amateuren, die vielleicht nur am Wochenende klettern gehen und unter der Woche trainieren. Alles ist ein maßgeschneidertes, individuelles Trainingsprogramm, damit die Leute ihre Ziele erreichen. Wir haben hier ein Team von Trainern, das im Norden von Großbritannien tätig ist, und wir sind wirklich sehr daran interessiert, dass die Leute gut klettern können.
TEXT: Julian Rohn
FOTOS: Philipp Klein, Coldhouse