Weil ich Soloreisen liebe

Abenteuer, Erlebnisse und Begegnungen – alles auf eigene Faust. Claudia Seebothe gibt einen Einblick in die Kunst des Alleinreisens.

Warum reise ich eigentlich allein? Diese Frage stelle ich mir regelmäßig, wenn ich mit vollgepacktem Rucksack einen steilen Bergpfad hochstapfe, wenn mir jeder Schritt schwerfällt, weil ich die Höhe in den Anden nicht vertrage oder wenn ich in einer einsamen Berghütte eingeschlossen bin, weil ein Brett die Tür verkantet hat.

Doch genauso schnell fällt es mir wieder ein: Weil ich Soloreisen liebe. Allein oben auf einem Gipfel stehen und die Freiheit spüren, mich abseits meines durchgetakteten Alltags einfach mal treiben lassen, ohne mich mit jemandem absprechen zu müssen, Menschen begegnen und zu erkennen, dass es so viele Möglichkeiten gibt, das Leben zu gestalten.

In diesem Artikel berichte ich von meinen Erfahrungen aus über 10 Jahren Soloreisen als Frau, von meinen Strategien zum Thema Sicherheit und davon, warum man beim Alleinreisen selten allein oder einsam ist.

»3 Gründe fürs Alleinreisen: Freiheit, Unabhängigkeit und neue Perspektiven.«

Vom Zufall zur bewussten Entscheidung

Das Schwierigste am Alleinreisen ist nicht, allein unterwegs zu sein. Das Schwierigste am Alleinreisen ist die Entscheidung dafür. Man hat zwar tausend Ideen, aber mindestens genauso viele Bedenken: Ich allein unterwegs als Frau, ist das denn sicher? Was mache ich überhaupt den ganzen Tag, so allein? Wie gehe ich damit um, wenn ich mich einsam fühle? 

Bei meiner ersten Soloreise hatte ich zum Glück nicht viel Zeit nachzudenken, denn sie war ein Zufall: 2010 war ich als Au-pair einen Sommer lang in Frankreich und eines Tages sagte meine Au-pair-Mutter: „Du hast übrigens fünf Tage frei.“ Das ist ja fantastisch, dachte ich mir, und da niemand in der Nähe war, mit dem ich hätte zusammen reisen können, bin ich alleine los. Zuerst nach Bordeaux, dann zur größten Düne Europas und schließlich nach La Rochelle. Und was ich auf dieser ersten Soloreise gleich festgestellt habe: Alleinreisen heißt nicht, allein zu bleiben oder einsam zu sein. Kaum im Hostel von Bordeaux eingecheckt, traf ich andere Soloreisende und am nächsten Tag haben wir die Stadt gemeinsam besichtigt.

Es folgten eine Soloreise entlang der Ostküste Australiens, wo mich die tropische Natur begeisterte, ein Roadtrip durch die östlichen Provinzen Kanadas, auf dem ich das Autofahren lieben lernte, und eine Reise nach China, wo ich stundenlang durch Pekings Hutongs spazierte und mich nicht satt sehen konnte an der Architektur dieser traditionellen Wohngebiete. Bald war das Soloreisen kein Zufall mehr, sondern eine bewusste Entscheidung. Weil ich gerne allein reise, die Freiheit genieße und es mein Vertrauen in mich selbst und in andere Menschen stärkt.

»Das Schwierigste am Alleinreisen: Die eigenen Bedenken und Ängste im Vorfeld und die Entscheidung für die Reise allein.
Das Schönste am Alleinreisen: Die Freiheit, die Begegnungen, das gestärkte Selbstvertrauen.«

In Pekings Hutongs

Sicher unterwegs: Was traue ich mir zu?

Bei all diesen Reisen war die Frage nach meiner Sicherheit mein ständiger Begleiter, und für mich hat sich im Laufe der Jahre das Prinzip der kleinen Schritte bewährt: Welches ist der nächste kleine Schritt, den ich mir zutraue? Frankreich kannte ich bereits durch einen Studienaufenthalt gut und ich sprach fließend Französisch, Australien und Kanada sind westliche Länder und gelten als sicher, in China besuchte ich Freunde und engagierte für meine mehrtägigen Ausflüge Tourguides. Und so wurde aus vielen kleinen Schritten am Ende meines Studiums ein großer: Ich ging auf Weltreise.

Was als 8-monatige Tour durch Südafrika, Südostasien und Neuseeland geplant war, endet nach 13 Monaten auf dem Kontinent, von dem ich immer dachte, dass ich ihn nie allein als Frau bereisen würde: Südamerika. Zu gefährlich, ich allein als blonde Frau, lieber nicht, dachte ich mir. Bis ich im Laufe der Weltreise so viel Sicherheit und Spaß am Alleinreisen entwickelte, dass mir Südamerika plötzlich als machbare Herausforderung erschien. Als dann noch eine Freundin sagte, dass sie gerne mal nach Peru wollte und mich auf den ersten zwei Wochen begleiten würde, war die Entscheidung getroffen. Vier Wochen später standen wir auf den berühmten Inka-Ruinen von Machu Picchu und meine Zeit in den peruanischen Anden und im bolivianischen Dschungel wurde ein toller Abschluss für das Abenteuer Weltreise.

Neben dem Prinzip der kleinen Schritte und der Frage, was ich mir als nächstes zutraue, haben sich für mich im Laufe der Zeit noch weitere Strategien bewährt: nach Möglichkeit nicht im Dunkeln alleine umherlaufen, meinen Kleidungsstil den Einheimischen anpassen, Wertsachen und Schmuck nicht offen zur Schau tragen, registrierte Taxis benutzen, ein klares Nein, wenn ich etwas nicht möchte. Ein Restrisiko bleibt natürlich immer, denn manchmal kann ich es nicht vermeiden, auch im Dunkeln alleine draußen zu sein (z. B. wenn der Bus Verspätung hat) und es ist auch nicht immer überall ersichtlich, ob es sich um ein registriertes Taxi handelt oder nicht. Dann gilt für mich: auf mein Bauchgefühl hören.

3 Fragen zum Einschätzen der Sicherheit:
1. Wie schätzen Locals die Lage ein?
2. Was traue ich mir zu?
3. Was sagt mein Bauchgefühl

Umgang mit Sicherheitsbedenken: ein Beispiel

Südafrika war das erste Land auf meiner Weltreise und aus der Ferne konnte ich überhaupt nicht einschätzen, was mich dort erwartet. Deshalb beschloss ich, die ersten zwei Wochen Freiwilligenarbeit auf einer Farm in der Karoo zu machen, die gute Bewertungen hatte, in einem festgesteckten, sicheren Rahmen. Auf der Farm gab es neben sehr, sehr vielen Schafen auch einige Gästezimmer, und meine Hauptaufgabe war die Betreuung der Gäste. Check-in, Führung über die Farm, Essen Vorbereiten und Servieren. So kam ich mit vielen Menschen ins Gespräch: Mit Studierenden, die hier nach Fossilien suchten, mit einem Ehepaar aus Kapstadt, die einen Wochenend-Ausflug machten, und einer Wandergruppe, die die Natur der Halbwüste erkundete.

Biltong

In der zweiten Woche kam der Sohn meiner Gastgeber mit seiner Freundin zu Besuch und wir verstanden uns auf Anhieb gut. Sie erklärten mir, was „Biltong“ ist (getrocknetes Fleisch, das ähnlich wie Chips geknabbert wird) und luden mich zu sich nach Stellenbosch ein. Und plötzlich erschien es mir gar nicht mehr so abwegig, zwei Wochen alleine als Frau durch Südafrika zu reisen. Nicht nur, weil ich mit Locals darüber gesprochen hatte, was sie sicherheitstechnisch für machbar hielten und was nicht (z. B. ist es ok, die Überlandbusse von lokalen Unternehmen zu nehmen, es muss nicht unbedingt der Baz-Bus für Touristen sein, und auf den Tafelberg in Kapstadt sollte ich lieber nicht alleine wandern). Es erschien mir auch machbar, weil ich wusste, dass es im Notfall Menschen vor Ort gibt, die ich um Hilfe bitten kann. So machte ich mich auf nach Kapstadt und da stellte ich noch etwas fest: Nämlich, dass die anderen Soloreisenden ebensolche Sicherheitsbedenken hatten wie ich, weshalb wir uns schnell zusammengetan haben. Tatsächlich war ich bis auf wenige Ausnahmen – ein Spaziergang durch Kapstadt, die Überlandfahrten mit dem Bus – nie alleine in Südafrika unterwegs.

3 Gründe für Freiwilligenarbeit:
1. Man lernt auf authentische Art und Weise Land und Leute kennen.
2. Man lebt und arbeitet in einem sicheren, vorab definierten Rahmen.
3. Man knüpft neue Freundschaften.

Alleinreisen bedeutet, Menschen begegnen

Neben der Freiheit ist meine Neugierde die zweite große Motivation fürs Alleinreisen. Ich möchte andere Kulturen kennenlernen und wissen, wie Menschen woanders leben. Tatsächlich habe ich die Erfahrung gemacht, dass es mir als Alleinreisende besonders leichtfällt, Menschen kennenzulernen. Zum einen, weil ich aktiver nach sozialen Kontakten suche, als wenn ich einen Reisepartner hätte. Zum anderen sprechen mich Einheimische eher an.

Hostels sind eine wunderbare Möglichkeit, um andere Reisende kennenzulernen. „Na, was hast du heute vor?“ beim Frühstück, „Oh, das sieht aber lecker aus, was ist das?“ beim Kochen in der Gemeinschaftsküche oder ein „Und, wo fährst du als nächstes hin?“ zwischendurch sind klassische Eisbrecherfragen. Auch auf Free Walking Tours, die in vielen Städten weltweit angeboten werden, habe ich unterwegs neue Freunde gefunden.

Free Walking Tour durch Kapstadt

Locals lerne ich beim Reisen vor allem auf langen Bus- oder Zugfahrten kennen, in Homestays (Einheimische bieten gegen Bezahlung Unterkunft und Halbpension an) oder durch Freiwilligenarbeit wie in Südafrika (ca. 5 Stunden Arbeit gegen freie Kost und Logis). Was mir bei letzterem besonders gefällt: Dass ich gemeinsam mit meinen Gastgebern den Alltag teile und so mehr darüber erfahre, wie sie ihr Leben gestalten und was ihnen wichtig ist. Gleichzeitig ist es eine gute Möglichkeit, ein Gespür für ein Land zu bekommen.

»3 Möglichkeiten, Reisenden und Locals zu begegnen: In Hostels. In Homestays oder über die Freiwilligenarbeit.«

Auch auf langen Zugfahrten kommt man leicht mit anderen Reisenden ins Gespräch

Keine Zeit für Langeweile unterwegs

Nach der Weltreise war mein Fernweh übrigens bei Weitem nicht gestillt. Im Gegenteil, mir kam es vor, als hätte ich nur einen Bruchteil der Welt gesehen. Und so ging es munter weiter. Ich fuhr mit dem Zug durch den Balkan, mit dem Kanu auf dem Fluss San Juan in Nicaragua und wanderte zu Fuß durch die Julischen Alpen. Alleinreisen ist für mich auch ein großes Ausprobieren und auf die Frage, wie ich mehrere Wochen oder Monate alleine mit Zeit füllen soll, finde ich immer schnell eine Antwort: Mit Dingen, die ich auch zuhause gerne mache, mit Dingen, die ich schon immer mal ausprobieren wollte, und mit Dingen, die ich mir bisher nicht zugetraut habe: Auf Reisen habe ich das Tauchen gelernt, habe zum ersten Mal in meinem Leben ein Auto gekauft (und wieder verkauft), habe festgestellt, wie gerne ich tagelang mit meinem Rucksack über einsame Bergpfade wandere und dass Tiere-in-der-Wildnis-Beobachten ein wunderbarer Zeitvertreib ist. Ebenso wie stundenlanges Lesen in der Hängematte an einem tropischen Strand oder das Tanzen traditioneller Tänze in einem indonesischen Dorf.

3 Fragen gegen Langeweile:
1. Was mache ich zuhause gerne in meiner Freizeit?
2. Was wollte ich schon immer mal ausprobieren?
3. Was würde ich gerne mal ausprobieren, aber habe es mich bisher noch nicht getraut?

Nachdenkliche Momente

So gerne, wie ich alleine reise, gibt es unterwegs auch viele Momente, die mich nachdenklich stimmen. Da ist z. B. die große Armut, die ich in Myanmar erlebe. Die meisten Menschen auf den Dörfern kochen mit Feuer und strahlen gleichzeitig eine große Lebensfreude aus, sodass ich mir die Frage stelle: Was bedeutet eigentlich Reichtum? In Nicaragua bricht einen Tag vor meinem Abflug ein Aufstand aus und ich bin mitten drin, weil ich für die letzte Nacht eine Unterkunft suche. Während draußen die Menschen für mehr Demokratie demonstrieren und auf den Straßen Reifen anzünden, klappert mein Taxifahrer geduldig mit mir die Hostels in Flughafennähe ab (sie sind alle belegt …), findet ruhige Nebenstraßen und schließlich ein Hotelzimmer für mich in einer sicheren Gegend.

Und was mich auch immer wieder beschäftigt, ist die Diskrepanz zwischen dem negativen Bild von der Welt, das oftmals in unseren Medien gezeichnet wird, und der Herzlichkeit und Gastfreundschaft, die ich vor Ort bei Begegnungen mit Locals erlebe. Wie z. B. der Mann aus Myanmar, der mich in seinem Auto von der thailändischen Grenze bis nach Bangkok mitnimmt, wo er auf dem Bau arbeitet und ich ein Hostel gebucht habe. Als wir am Stadtrand ankommen, fährt mich sein Cousin mit dem Roller zur Bushaltestelle und stellt sicher, dass ich den richtigen Bus ins Zentrum nehme. In solchen Momenten finde ich Alleinreisen fast ein bisschen überwältigend und hätte gerne jemanden, mit dem ich diese Erfahrungen teilen könnte.

»Die Nebenwirkung von Alleinreisen:Es ist nicht immer jemand da, mit dem man die nachdenklichen und überwältigenden Momente besprechen könnte

Sonnenaufgang über den Tempeln von Bagan, Myanmar

10 Jahre Soloreisen als Frau: ein Fazit

Meine ersten Soloreisen habe ich eher zufällig gemacht und das Prinzip der kleinen Schritte und die Frage „Was traue ich mir zu?“ haben mir dabei geholfen, mit meinen Ängsten und Zweifeln umzugehen. Dazu kam dann irgendwann die Erfahrung. Inzwischen reise ich alleine, einfach, weil ich gerne alleine reise. Der Wunsch nach Freiheit und die Neugierde auf andere Kulturen treiben mich immer wieder dazu an. Alleinreisen heißt für mich auch Menschen begegnen, weil ich aktiv nach sozialen Kontakten suche und ich öfter von Einheimischen angesprochen werde, als wenn ich mit jemandem zusammen reisen würde. Gleichzeitig habe ich festgestellt: Je mehr ich fahre, sehe, erlebe, je mehr Menschen und andere Kulturen ich kennenlerne, desto mehr lerne ich vor allem über mich selbst.

Alleinreisen ist ein großes Abenteuer, bei dem man viel über andere Menschen lernt, aber vor allem sich selbst begegnet.


Die Autorin

CLAUDIA SEEBOTHE
Zuhause in: Hannover // Beruf: Freie Übersetzerin und Reisecoach // Instagram: @rucksackjournal_com

»Meine Vorfahren überbrachten Nachrichten als Boten über die See – daher mein Name Seebothe. Sie waren Abenteurer, die Wind und Wetter, Räubern und Piraten trotzten, um ihren Auftrag zu erfüllen.

Ich bin ein neugieriger Mensch und reise gerne, weil ich wissen möchte, wie Menschen in anderen Kulturen leben und was sie bewegt. Sprache ist der Türöffner zu solchen Gesprächen. Damit Menschen mir aber auch ihre Gedanken, Gefühle und Motivation erzählen, ist noch etwas anderes wichtig: Dass ich ihnen zuhöre und mich in sie hineinversetzen kann.

Auf meinem Blog https://rucksackjournal.com/ berichte ich euch von meinen Erlebnissen und davon als alleinreisende Frau unterwegs zu sein. Ihr findet daneben auch Tipps und Ideen für eure eigene Reise.«

Text: Claudia Seebothe | Frederieke Krippeit