Skitrekking in Finnland: Mit dem Pulka in die Sauna

Skitrekking der schönsten Art: eisige Zeltnächte, einsame Hütten, Aufgüsse und Nordlichter in Finnisch-Lappland.

Roberto Mottola, Olaf Rämer & Leo Plehn
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Es ist 6:30 Uhr, stockfinster und der Wecker klingelt unaufhörlich. Doch wo zum Teufel steckt dieser hartnäckige Traumzerstörer? Tief im Inneren meines Schlafsacks finde ich ihn und beende das mechanische Kreischen. Meine Körperwärme hat ihn durch die Nacht gebracht und seine Batterien geschont. Glücklicherweise, denn in den letzten Tagen hatte er nach der kalten Nacht Probleme mit dem Aufwachen.

Heute wollen wir pünktlich auf die Ski. Den Temperaturen ein Schnippchen schlagen und vor allem frühzeitig am Tagesziel die Sauna anfeuern. Diszipliniert, aber langsam schälen wir uns aus den Schichten und bereiten uns auf einen langen Tag entlang der finnisch-russischen Grenze vor. In Richtung Süden wollen wir nach Anterinmukka, zu einer urigen Holzhütte im Urho-Kekkonen-Nationalpark im Norden Finnlands ziehen – Königsetappe. Es ist der Höhepunkt unserer elftägigen Skitrekking-Tour durch die Einsamkeit des Nationalparks. Viel weiter östlich und nördlich geht es in Europa nicht.

Wir sind Leo, Olaf, Roberto und Mo. Vier Freunde, Ende 20, die schon zusammen mit Seekajaks die kroatische Küste unsicher gemacht haben und zu Fuß durch die Pyrenäen und den norwegischen Jotunheimen-Nationalpark gelaufen sind. Die Lust am Abenteuer abseits bekannter Routen hat uns zusammengebracht.

Bisher waren wir vor allem im Sommer und Herbst unterwegs. Eis, Schnee und Kälte stellen wir vier uns gemeinsam nun das erste Mal. Nur Olaf und Roberto zog es schon einmal auf Wintertour in die norwegische Hardangervidda und in den Sarek-Nationalpark.

Nun also der Urho-Kekkonen-Nationalpark: Der Park wurde 1983 gegründet und schützt die Natur und den Lebensraum der halbnomadischen Samen und ihrer Rentierherden. Er ist der zweitgrößte Nationalpark Finnlands und bietet mit seinen ausgedehnten Wildnis-Flächen viele Möglichkeiten für anspruchsvolle, mehrtägige Skitouren. Die Jahresdurchschnittstemperatur liegt unter null Grad – Tiefsttemperaturen von –40 Grad sind im Winter keine Seltenheit. Kein Wunder also, dass die Schneedecke meist bis Mitte Mai geschlossen bleibt und die Seen der Region erst im Juni eisfrei sind.

Roberto Mottola, Olaf Rämer & Leo Plehn

WINTERTOUR-NOVIZEN

Im Nationalpark gibt es ein hervorragendes System aus unbewirtschafteten Wanderhütten, bezahlt aus finnischen Steuergeldern. Das scheint für uns als Wintertour-Novizen die perfekte Rückversicherung, wenn es mit dem Zelten nicht klappen sollte. Eine 130 Kilometer lange Rundtour von der Zivilisation zur russischen Grenze und zurück soll es werden. Wir rüsten uns für eine autarke Tour mit eisigen Nächten in Zelt und Schlafsack. Dementsprechend dimensioniert ist unser Marschgepäck: zwei 4-Jahreszeiten-Zelte, dicke Isomatten, Daunenbekleidung, sieben Liter flüssiger Brennstoff und diverse Gaskartuschen – auch zum Schneeschmelzen. Keine Chance, dies in Rucksäcken zu verstauen, und so nutzen wir traditionelle Lastschlitten: In den Pulkas verstauen wir alles Gepäck, das erst am Abend wieder genutzt wird, und in den Tagesrucksäcken Schokolade, Müsliriegel und Wechselklamotten.

Mitte März starten wir unsere Tour. Die Tage sind so, auch nördlich des Polarkreises, bereits länger als die Nächte und die Temperaturen moderater. Im Wintersportort Saariselkä bringen uns schmale Spuren an den letzten Häusern vorbei in die Wildnis. Sanft gleiten wir durch den Schnee. Es läuft. Die Spuren der Vorfahrer sind zwar einige Tage alt, aber seitdem hat kein Neuschnee sie bedeckt. Für mich sind es die ersten Meter auf Ski und es fühlt sich gut an, hinter den anderen in der »gemachten« Spur zu laufen. Mit dem Pulka sind wir über ein Geschirr ähnlich einem Rucksack-Beckengurt verbunden. Die rund 30 Kilo, die ich so hinter mir herziehe, merke ich kaum. Vielleicht auch, weil es erst einmal fast topfeben – vielleicht sogar leicht bergab – dahingeht.

Roberto Mottola, Olaf Rämer & Leo Plehn

ALLEIN IM TIEFSCHNEE

Doch unsere Vorfahrer hatten wohl andere Pläne. Nach einigen Kilometern biegen die Spuren in die falsche Richtung ab. Wir legen unsere eigene Spur und geraten in schneegefüllte Senken. Die einzig sinnvolle Laufrichtung führt leicht bergauf, so dass der Pulka zusätzlich bremst. Am liebsten würde er wohl im weichen Schnee stecken bleiben. Unter diesen Bedingungen drücken sich auch die Ski weit unter die Schneedecke und lassen sich nur mit großem Geschick bewegen. Für einen Profi sicher kein Problem. Als echter Neuling bin ich der Verzweiflung nahe.
Minutenlang kämpfen wir uns Meter für Meter vor. Der Blick zurück ist ernüchternd. Also schnallen wir zeitweise die Pulkas ab und helfen uns gegenseitig. Mit Schieben, Ziehen und Drücken machen wir Strecke. Ein 20-Meter-Seil erweist sich als hilfreich: Einer geht vor und zieht einen Pulka nach dem anderen von einem festen Stand nach. Es ist ein wildes Wühlen im Schnee und wir sind erleichtert, als wir Stunden später wieder Spuren finden und gleiten können. Es wird nicht die letzte Tiefschnee-Eskapade unserer Tour bleiben.

Anders als in Mitteleuropa fällt der Schnee erst, wenn der Boden bereits gefroren ist und die Temperaturen unter null gefallen sind. Tiefschnee wird hier seinem Namen gerecht: feinstes Pulver bis zur Hüfte. Um für unsere Zelte einen Standplatz zu schaffen, schaufeln und trampeln wir eine Stunde zu viert, bis wir den Schnee komprimiert haben. Dann beginnt die eigentliche Abendroutine: Zelt aufbauen, Nachtlager richten, Schnee schmelzen, Tee zubereiten und ein hungrig ersehntes Abendessen kochen. Natürlich nicht, ohne vorher Fotos der Nordlichter zu schießen und den butterweichen Tiefschnee als Schnitzelgrube für abenteuerliche Sprungakrobatik zu nutzen. Gegen das Auskühlen, versteht sich. Nach der Plackerei unterwegs und dem abendlichen Zelt-Pflichtprogramm gönnen wir uns einen langen Schlaf. Die Batterien unseres Weckers fallen nachts der Kälte zum Opfer – aber das stört uns nicht.

Roberto Mottola, Olaf Rämer & Leo Plehn

Fell-Experimente

Als wir am nächsten Tag alles zusammengepackt haben und aufbrechen, übersteigt die Temperatur schon den Gefrierpunkt. Nach erster Freude über einen Tag in Hemdsärmeln müssen wir feststellen, dass der Schnee unter unseren Ski zu Klumpen gefriert. Wir experimentieren mit aufgezogenen Fellen, regelmäßigem Abkratzen und anderen Gehstilen. Bis zu 15 Zentimeter feuchte Masse sammelt sich unter den Ski, gefühlte zehn Kilo Gewicht. Wir kommen langsam voran, sind genervt und verfallen schlussendlich dem Charme einer Hütte am Wegesrand. Wer will jetzt schon Plattformgraben und Zeltaufbau? Stattdessen heißt es erstmals finnisches Kulturprogramm: anheizen und kräftig saunieren. Aufgebrochen sind wir mit dem Plan, die meisten Nächte im Zelt zu verbringen; dementsprechend viel Proviant und Brennstoff führen wir mit. Doch nach der ersten Nacht in einer großartig eingerichteten Hütte beschließen wir eine Planänderung. Ein Ofen mit Feuerholz, Gasherd und gute Schlafplätze gehören zur Standardausstattung, dazu gibt es urige Atmosphäre und in zwei Hütten im Park sogar eine Sauna. Im Gegensatz zu den Berghütten in den Alpen sind deren finnische Pendants nicht überlaufen. Unser herzlichster Dank gilt dem finnischen Steuerzahler, denn die Nutzung der Hütten ist auch noch kostenfrei.

Bis zu 15 Zentimeter, gefühlte zehn Kilo Schnee kleben unter unseren Ski. Da hilft nur Abschnallen.

Zurück zur Königsetappe: Nachdem der plärrende Wecker gezähmt ist, packen wir zusammen. Unser Tourenfrühstück kocht vor sich hin: Porridge, Schoko-tropfen und Trockenobst. Lecker und nahrhaft. Nach den üblichen zwei Stunden, um unser Gepäck auf den Pulkas zu verzurren, sind wir unterwegs Richtung Osten. Leider konnten wir auch mit unserem frühen Start dem Wetter kein Schnippchen schlagen. Der Schnee klebt wieder an den Ski und wir ziehen Felle auf. So erreichen wir bei fast frühlingshaften Temperaturen schnell die Patrouillenwege entlang der russischen Grenze. Die Grenzschützer – immerhin der EU-Außengrenze – haben durch regelmäßige Fahrten mit Schneemobilen exzellente Wege geschaffen. Bis zum Mittag können wir über gefrorene Seen und durch verschneite Wälder ordentlich Strecke machen. Am Nachmittag überschreiten die Temperaturen den Gefrierpunkt. Ans Gleiten ist nicht mehr zu denken. Das heißt, wir ziehen die Ski aus, binden sie auf den Pulka und laufen. Zum Glück geht das recht gut, die Schneemobile haben den Schnee wunderbar komprimiert.

Uns trennen noch etwa fünf Kilometer von der Hütte, als es beginnt, stark zu schneien. Es wird schwerer, sich zu orientieren, und sobald wir kurz anhalten, fangen wir an zu frieren. Was für ein Wetterumschwung nach diesem Vormittag.

Das Abendessen muss warten

Zur besseren Orientierung entschließen wir uns, auf dem gefrorenen Fluss weiterzufahren, auch wenn wir dafür den schützenden Wald verlassen müssen. Eisiger Wind weht uns die Flocken ins Gesicht. Nach einigen Kilometern – einer gefühlten Ewigkeit – erkennen wir auf der rechten Flussseite eine kleine Hütte: die Sauna. Feuerholz liegt schon bereit. Wir beginnen mit dem Anfeuern, das Abendessen muss warten. Barfuß stehen wir im Schnee, übergießen uns mit heißem Wasser, umgeben vom stillen finnischen Wald, über uns die Sterne, und am Horizont wabern die ersten Nordlichter des Abends. Wir beschließen, die restlichen Tage genauso zu bestreiten: früh starten, den Tag auf Ski auspowern und abends Hüttenatmosphäre genießen.

Der Plan ist Programm. Wir feiern den hohen Norden, die einsamen Tage und unsere Freundschaft. Drei der verbleibenden fünf Nächte verbringen wir in urigen Hütten. Eine Wintertour wie aus dem Bilderbuch, resümieren wir am Ende. Noch einmal lassen wir Olaf und Roberto nicht alleine in die Kälte.

Roberto Mottola, Olaf Rämer & Leo Plehn