Eine Umrundung der Insel voller erstaunlicher Naturgewalten
Ein Abenteuerbericht aus der Globetrotter-Community
von Alessa Stolley
Mit dem Fahrrad einmal um Island? Im Mai? Und was ist mit Schnee und Kälte? Fragen, die ich gestellt bekam, oder die ich mir auch selbst stellte, als mir ein Bekannter vor knapp drei Jahren vorschlug, ihn im Frühjahr 2023 auf eine Fahrradtour auf Island zu begleiten. Ich stand gerade vor meiner ersten mehrmonatigen Radreise und war etwas unsicher, was ich antworten sollte. Lust hatte ich auf jeden Fall. Drei Monate später, ich war gerade seit wenigen Tagen wieder zuhause, buchte ich also die Fähre nach Island.
Hinreise – Zwischenstopp auf den Färöer Inseln.
Tag 1 – Pass zwischen Seydisfjördur und Egilsstadir.
Je länger wir unterwegs sind, desto mehr merken wir, wie unbeständig das Wetter auf Island eigentlich ist. Die Wettervorhersage über verschiedene Apps zu prüfen, gehört schon bald zu unserem Alltag. Da vor allem der Wind nicht zu unterschätzen ist, fangen wir an, unsere Fahrzeiten nach diesem zu planen. Mittlerweile übernachten wir überwiegend auf Campingplätzen, um dort die Tage mit zu starkem Wind auszusitzen. Häufig starten wir nun schon frühmorgens, sobald es hell wird, und können so die menschen- oder besser gesagt autoleeren Straßen genießen. Um mit ausreichend Energie versorgt zu sein, kochen wir uns häufig am Abend vorher Nudeln, die wir dann in einer Tupperdose mitnehmen und morgens mit einer Dose „Bohnen in Tomatensoße“ essen. Schmeckt tatsächlich besser, als es sich vielleicht anhört.
Die Jökulsárlón Glacier Lagoon und unser Frühstück.
Zwischen Vík und Selfoss.
Wenige Tage später erreichen wir Reykjavík, die Hauptstadt Islands. Dort endet auch die gemeinsame Zeit von Jannik und mir. Von nun an werden wir getrennt weiterfahren, zum einen, weil wir zu unterschiedlichen Zeitpunkten mit der Fähre zurückfahren werden, zum anderen aber auch, um alleine neue Erfahrungen zu sammeln und mehr mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen. Davor werden wir aber noch die letzten gemeinsamen Tage zusammen in Reykjavík verbringen, um uns ein wenig die Stadt anzuschauen und noch einige Dinge zu erledigen.
Unser letzter gemeinsamer Halt in Reykjavík.
Ansonsten verbringen wir die Tage damit, uns die Stadt anzuschauen, Ausrüstung zu reparieren und die weitere Route zu planen. Und dann kommt auch schon der Tag, an dem wir uns voneinander verabschieden müssen. Wir sind während der gemeinsamen Zeit zu einem echten Team geworden, haben viele positive als auch negative Momente zusammen erlebt und neue Erfahrungen gesammelt. Auch wenn der Abschied nicht leichtfällt, bleiben doch jede Menge schöner Erinnerungen an diese Zeit. Während Jannik sich auf den Weg Richtung Norden macht, bleibe ich noch für einige Tage in Reykjavík.
Wenige Tage später geht es auch für mich weiter, raus aus Reykjavík und weiter in den eher dünn besiedelten und weniger touristischen Norden Islands. Auch wenn es am Anfang noch etwas ungewohnt ist, gewöhne ich mich schnell wieder daran, alleine unterwegs zu sein. Mit der Zeit komme ich in meinen Rhythmus und fange an, die Zeit für mich zu genießen. Ich fahre nun nicht mehr durchgehend auf der Ringstraße, sondern suche mir häufig auch alternative Routen, die etwas weiter abseits des Tourismusstroms liegen. Leider stellt sich das Wildcampen jedoch weiterhin als schwieriger heraus, als gedacht, da entlang der Straßen in einigen Metern Entfernung durchgehend Zäune stehen. Trotzdem schlage ich gelegentlich mein Zelt auf diesem Streifen auf.
Wildcampen am Straßenrand.
Je länger ich unterwegs bin, desto mehr merke ich, wie es langsam Sommer wird. Das Wetter wird besser, die Nächte kürzer, und es kommen immer mehr Touristen auf die Insel. Schon seit einiger Zeit habe ich den Gedanken im Kopf, über Nacht zu fahren. Vor allem will ich damit den immer stärker werdenden Verkehr umgehen, der auf der Ringstraße tagsüber mittlerweile fast unerträglich geworden ist. Die Etappe von Varmahlíð nach Akureyri bietet sich dafür perfekt an: Ein Pass, 100 km, 600 hm. Ich starte am späten Abend auf dem Campingplatz. Der Anstieg verläuft ohne Probleme, und schon um 1 Uhr nachts erreiche ich den höchsten Punkt des Passes. Die Aussicht ist atemberaubend. Die umliegenden Berge sind noch mit Schneefeldern bedeckt, und am Horizont wird es langsam hell. Um mich herum ist nur Stille. Von nun an geht es mehrheitlich bergab. Ich genieße die Abfahrt, soweit wie möglich, denn auch wenn es inzwischen schon Mitte Juni ist, ist der Fahrtwind trotzdem eisig kalt. Als ich um 4 Uhr morgens das Ortsschild von Akureyri passiere, kommt im gleichen Moment die Sonne hinter den Berggipfeln hervor. Die Stadt wirkt wie ausgestorben, als ich durch die menschenleeren Straßen rolle, auf der Suche nach einem Platz zum Frühstücken.
Mein Weg von Varmahlíd nach Akureyri.
Die nächsten Tage verbringe ich in Akureyri und erlebe dort am 17. Juni den isländischen Nationalfeiertag hautnah mit, bevor es für mich weiter in Richtung Osten geht. Wieder starte ich am Abend und fahre die gesamte Nacht durch. Gegen Morgen bin ich so erschöpft, dass ich mein Zelt wenige Meter abseits der Straße aufstelle, um einige Stunden zu schlafen. Gegen Mittag baue ich alles wieder ab und fahre weiter. Schon bald erreiche ich den Mývatn, der als „Mückensee“ bekannt ist. Die Landschaft an seinen Ufern ist abwechslungsreich und vielfältig, einer der Gründe, weshalb in dieser Gegend besonders viele Touristen anzutreffen sind. Mein Ziel ist der Ort Reykjahlíð am Ende des Mývatn.
Nationalfeiertag in Akureyri, Zwischenstopp am Godafoss und mein Schlafplatz in Reykjahlíd am Mỳvatn.
Von Reykjahlíð aus sind es nur noch wenige Tagesetappen bis nach Egilsstadir, der Stadt, die ich schon zu Beginn meiner Reise durchfahren habe und wo ich mit meiner Ankunft Island offiziell einmal umrundet hätte. Ich könnte diesen Abschnitt ganz entspannt angehen, da mir noch genug Zeit bis zu meiner Rückfahrt mit der Fähre bleibt. Allerdings ist die Wettervorhersage nicht sehr vielversprechend, und vor allem habe ich das Verlangen nach einer körperlichen Herausforderung. Von Reykjahlíð bis nach Egilsstadir sind es 170 km, eine Strecke, die ich noch nie am Stück gefahren bin – und vielleicht gerade deshalb reizt mich der Gedanke, es einfach zu versuchen. Bevor in einigen Tagen wieder starker Wind aufzieht, wird vorher die Windstärke noch etwas abschwächen. Perfekt also für mein Vorhaben.
Wie gewohnt geht es abends los, diesmal jedoch etwas früher als sonst, da ich erstens deutlich mehr Strecke vor mir habe als üblich und zweitens sich direkt hinter Reykjahlíð die Námafjall-Geothermal-Area befindet, die ich mir gerne noch etwas genauer anschauen möchte. Direkt steigt mir der für Island so typische Schwefelgeruch in die Nase. Überall sind dampfende Fumarolen (Austrittsstellen vulkanischer Dämpfe und Gase) und kochende Schlammtöpfe zu sehen, umgeben von Schwefelkristallen in vielen verschiedenen Farben.
Námafjall Geothermal Area.
Nachdem ich ein paar Fotos gemacht habe, geht es direkt weiter. Schon bald merke ich, dass der Wind entgegen der Vorhersage nicht schwächer wird. Ein Blick auf mein Handy bestätigt mein Gefühl. Doch davon lasse ich mich nicht entmutigen – ändern kann ich sowieso nichts. Die Landschaft in diesem Teil Islands ist sehr karg und eintönig. Keine Häuser, keine Menschen und stundenlang nicht mal ein Auto. Ich fühle mich, als wäre ich alleine auf der Welt. Die einzigen Lebewesen, die mir begegnen, sind Schafe und ein paar Schneehühner. So beeindruckend die Landschaft auch ist, mit der Zeit merke ich, wie sich die fehlende Abwechslung auf meine Motivation auswirkt. Als am frühen Morgen jedoch die Sonne aufgeht, wird es wieder besser. Entspannt rolle ich die leicht bergab führende Straße entlang und könnte mir in diesem Moment keinen Ort vorstellen, an dem ich lieber wäre.
Sonnenaufgang auf der 170 km Etappe von Reykjahlíd nach Egilsstadir.
Mein Tacho zeigt 140 km an, als ich am Morgen meine erste richtige Pause einlege. Allzu viel Zeit nehme ich mir jedoch nicht, da die Straßen allmählich wieder voller werden und ich an meinem Ziel ankommen möchte. Der letzte Teil der Strecke fordert mich noch mal ganz besonders heraus. Meine Kraftkapazität ist leer, ich bin erschöpft und schaffe es kaum noch, gegen den Wind anzukämpfen. Endlich ist der letzte Anstieg geschafft, und es geht nur noch bergab. In meiner Vorstellung rolle ich ohne große Anstrengung entspannt die letzten Kilometer bis in die Stadt. Doch die Realität sieht da leider anders aus: Der Wind ist inzwischen so stark, dass man selbst beim Bergabfahren mit aller Kraft gegen den Wind ankämpfen muss, um überhaupt vorwärtszukommen.
Ich bin am Ende meiner Kräfte, als mich von hinten ein anderer Radreisender überholt und mich anspricht. Wir unterhalten uns eine Weile, und das Gespräch lenkt mich von der Anstrengung ab. Schon bald taucht vor mir das Ortsschild von Egilsstadir auf. Ich habe es geschafft!
Ankunft in Egilsstadir nach 170 km.
Bis zur Abfahrt der Fähre bleibt mir noch eine Woche Zeit, daher verbringe ich noch einige Tage in Egilsstadir, bevor ich die letzten Kilometer über den Pass zurück nach Seydisfjördur fahre. Diesmal fallen mir die Höhenmeter viel leichter als zu Beginn der Tour. Nach einer letzten, für Juli relativ kalten Abfahrt, komme ich wieder an dem Ausgangspunkt meiner Tour an. Hinter mir liegen zwei Monate und 1.708 km mit viel (Gegen-)Wind, aber vor allem zahlreichen Begegnungen mit Einheimischen sowie anderen Reisenden und neuen Erfahrungen. Als ich am nächsten Morgen auf die Fähre steige, denke ich an die vielen Erlebnisse und hoffe, dass dies nicht meine letzte Radreise gewesen sein wird.
Seydisfjördur – Meine Reise endet dort, wo ich vor Wochen gestartet bin.
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