Die Frau fürs Steile
Ob beim Klettern oder Skifahren – Fay Manners mag es steil. Steil war auch die Karriere der Britin, die erst als Erwachsene zum Bergsport kam und sich für mehr Sichtbarkeit von Frauen in der Branche einsetzt.
Sie ist unerschrocken und abenteuerlustig, ehrgeizig und talentiert. Stürzt sich mit Ski wilde Steilwandabfahrten hinunter und wagt sich an anspruchsvollste Eiskletterrouten. Aber wirklich breite, internationale Aufmerksamkeit bekam die britische Alpinistin Fay Manners erst nach einer gescheiterten Expedition in Nordindien. »Kuscheln rettete ihr Leben«, titelten die Boulevardzeitungen.
Am 6.974 Meter hohen Chaukhamba III wollten Fay und ihre Kletterpartnerin Michelle Dvorak aus den USA im Herbst 2024 eine neue Route eröffnen. Sie haben es bereits auf 6.400 Meter geschafft, als ein herabfallender Stein das Seil zu dem Sack, in dem sie große Teile ihrer Ausrüstung nachziehen, durchtrennt. Nicht nur Zelt, Kocher und Steigeisen stürzen in die Tiefe, auch ihre warme Kleidung. Angesichts einer nahenden Schlechtwetterfront ein wirkliches Horrorszenario. Sie setzen einen Notruf ab, aber die Helikopterbesatzung findet die Kletterinnen bei schlechter werdender Sicht in der großen Felswand nicht. Also müssen Fay und Michelle es irgendwie alleine hinunterschaffen. Sie lecken Schmelzwasser auf, finden Möglichkeiten, mit extrem wenig Material abzuseilen, und ja, sie kuscheln sich gegen die Kälte eng aneinander. »Ich war stark unterkühlt, nur noch am Zittern. Kuscheln half tatsächlich«, erzählt die 37-Jährige. »Entscheidender war aber, dass wir dank unserer alpinen Erfahrung trotz fehlendem Material halbwegs sichere Fixpunkte bauen konnten.« Nach fast drei Tagen kommt ihnen eine Gruppe französischer Bergsteiger zu Hilfe. Nach der Rettung ärgert Fay sich zunächst, dass alle nur über ihr Scheitern berichten. Schließlich hatte sie vorher bereits große alpine Leistungen erbraucht, darunter neue Routen in Grönland, Pakistan und in den Alpen. Diese Leistungen hatten bis dahin jedoch wenig Aufmerksamkeit bekommen. Doch dann macht sie sich klar, dass es eine hoffnungsvolle Geschichte über zwei kompetente Frauen ist. »Es gibt einfach zu viele Fälle, in denen Bergsteiger:innen so etwas nicht überleben.«
Zum Zeitpunkt der Indien-Expedition lebt die studierte Datenwissenschaftlerin Fay Manners seit etwa zwei Jahren vom Alpinismus. Bereits in ihrer Jugend im sehr flachen Bedfordshire nördlich von London träumt sie von einer Karriere als Sportlerin, allerdings als Hockey-Profi. Nach dem Studium geht sie für die Arbeit nach New York und entdeckt das Bouldern. An den Wochenenden zieht es sie raus aus der Stadt, erst zum Snowboarden, dann zum Felsklettern und 2015 schließlich ganz weg – in die Bergsteiger-Metropole Chamonix am Fuß des Mont Blancs. Über Facebook-Gruppen lernt sie Kletterpartner:innen kennen, aber richtig Anschluss zu finden ist in Chamonix, wo viele Bergverrückte nur eine Saison oder zwei verbringen, nicht einfach. Fay sehnt sich danach, mit den starken Frauen, die sie hier sieht, lange alpine Touren zu machen, traut sich aber nicht, sie anzusprechen.
Kontinuierlich verbessert sie ihre alpinen Fähigkeiten, lernt unterschiedliche Kletterstile und Felsarten kennen – und steigt vom Snowboard auf Ski um. Sie feilt unermüdlich an ihrer Technik. Mit Erfolg: Nur wenige Jahre, nachdem sie mit Mitte 20 das erste Mal auf Ski stand, macht sie Erstbefahrungen im steilsten Gelände. »Auf gewisse Art hatte es Vorteile, erst so spät anzufangen. Ich konnte Fehler vermeiden, die ich später mühsam hätte ausbügeln müssen, wenn ich schon als Kind das Skifahren gelernt gehabt hätte.«
Aber es hat auch Tücken, von so vielen hochmotivierten Menschen umgeben zu sein. Einmal gerät sie auf der italienischen Seite des Mont-Blanc-Massivs in eine Lawine, die ein anderer Skifahrer im Hang über ihr auslöst. Ein Social-Media-Post über die Skiabfahrt unter der Skyway-Seilbahn hatte großen Andrang verursacht. »Inzwischen versuche ich, mich möglichst vom Trubel fernzuhalten – besonders bei Neuschnee oder beim Eisklettern. Lieber scheitere ich an schlechten Bedingungen, als mir den Stress auf überfüllten Routen anzutun.«
Social Media verdankt Fay aber auch eine prägende Bekanntschaft. Die Niederländerin Line van den Berg reagiert auf einen Post von Fay und kommt nach Chamonix zum Klettern. Die beiden verstehen sich auf Anhieb, werden beste Freundinnen, vertrauen sich blind. Es ist die Erfüllung von Fays Traum einer starken Frauenseilschaft. »Mit Line als ebenbürtiger Partnerin konnte ich mehr an meine Grenzen gehen. Ich traute mich, häufiger vorzusteigen und schwierigere Routen zu klettern – immer im Bewusstsein, dass wir zusammen unterwegs sind und es nicht schlimm ist, zu scheitern.« Zusammen gelingt ihnen die erste Begehung als Frauenseilschaft der extrem langen Mixed-Route »Phantom Direct« an den Grandes Jorasses – Fays Eintrittskarte in die Welt des Profi-Sports, neben diversen alpinen Routen von Chamonix aus während Covid. Und selbst wenn Pläne nicht aufgehen, haben die beiden eine gute Zeit zusammen. Bei einem Schottland-Trip etwa verbringen sie mehr Zeit mit Warten als mit Klettern.
Im Kontakt mit Line, die sehr feministische Ansichten vertritt, beginnt Fay, den Einfluss der Gesellschaft auf Frauen und damit einhergehende Regeln zu reflektieren. »Line fragte Sachen wie: Warum rasieren wir unsere Beine? Wären wärmende Haare in den Bergen nicht besser?« Fay realisiert, dass sich Frauen in Gegenwart von Männern häufig automatisch klein machen. »Wir lassen oft den Mann vorsteigen, weil wir denken, dass er bestimmt besser ist. Ich will Frauen dazu inspirieren, rauszugehen und zu zeigen, wie stark wir sind.« Zwar gebe es tolle weibliche Vorbilder und nach und nach mehr Frauen in den Bergen, aber: »Es ist immer noch ein ordentlicher Weg zu wirklicher Geschlechterbalance – besonders beim Eisklettern oder Steilwandskifahren.« Fay will andere Frauen daher motivieren, sich von der Kletterhalle an den Fels zu wagen und vor allem ihren Träumen zu folgen.
Ihre eigene Traumseilschaft währt nur kurz. 2023 kommt Line in einer Lawine ums Leben. »Es war ein großer Schock und extrem grausam, Line zu verlieren – so kurz, nachdem wir uns gefunden hatten«, sagt Fay und dass sie im Nachhinein froh ist über das schlechte Wetter während der Schottland-Expedition. »So hatten wir mehr Zeit, zusammen zu lachen. Ich werde Line bis ans Ende meiner Tage vermissen. Wir hatten viele gemeinsame Pläne, die jetzt für immer in der Schublade bleiben werden.
»Manchmal wundert Fay sich dann selbst, dass sie mittlerweile Wände mit Ski herunterfährt, die sie zu ihrer Anfangszeit in Chamonix als Eiskletterroute hinaufgestiegen ist.«
Denn Fay hat keine Tourenliste, die sie stur abarbeitet. Ihre Projekte entwickelt sie gern im Kontakt mit ihren Kletterpartner:innen. Und ihre Vorlieben wechseln von Zeit zu Zeit. Mal faszinieren sie steile Skiabfahrten, dann sind es Erstbegehungen in Grönland, Norwegen oder Patagonien. Einen Winter widmete sie einem harten Ausdauerprojekt, bei dem sie mehrere Couloirs mit Ski abfuhr und die Strecke dazwischen mit dem Fahrrad zurücklegte. Zuletzt hat sie die Verbindung von Eisklettern und Skifahren fasziniert. Manchmal wundert Fay sich dann selbst, dass sie mittlerweile Wände mit Ski herunterfährt, die sie zu ihrer Anfangszeit in Chamonix als Eiskletterroute hinaufgestiegen ist.
Dass es in den Bergen oft ungemütlich kalt und manchmal gefährlich ist, nimmt sie in Kauf. »Es ist nicht so, dass ich die Strapazen genieße. Aber die Befriedigung hinterher ist umso größer, wenn du ein bisschen leiden musstest.« Gefahren versucht sie, durch sorgfältige Vorbereitung und Vorsicht zu vermeiden. Wenn Wetter- oder Lawinenlagebericht nicht passen, geht sie lieber kein Risiko ein, denn ihre größte Angst sind unkontrollierbare Situationen wie etwa ein Schneesturm oder eine große Lawine. Andere Ängste hat sie im Griff – weite Hakenabstände beim Klettern und Routen, die sie selbst absichern muss, sind kein Problem für die routinierte Alpinistin.
Was sie neben den Herausforderungen reizt, sind die schönen Seiten des Alpinismus: »In einer klirrend kalten Nacht in einem kuscheligen Schlafsack unter den Sternen zu liegen, einen Sonnenaufgang oder die atemberaubende Aussicht zu erleben.« Gemeinsam mit einer vertrauten Person eine tolle Zeit draußen zu haben – sei es in den Alpen oder den Bergen der Welt. Und wenn die warme Kleidung die Felswand hinuntergefallen ist, weiß Fay sich zu helfen – mit Kuscheln und einem kühlen Kopf.
TEXT: Franziska Haack
FOTOS: Fay Manners