Phönix aus der Schlacke
Vor einigen Jahren wurde die Minett-Region im Süden Luxemburgs von der UNESCO als Biosphärenreservat anerkannt. Sehenswert sind die von Menschenhand erschaffenen und renaturierten Landschaften. Wo einst Tagebau betrieben wurde, entstehen artenreiche Lebensräume. Eine Region für Naturliebende und Geschichtsbegeisterte gleichermaßen. – Wenn du die Region selbst erleben willst, mach bei unserem Gewinnspiel am Ende des Beitrags mit. Wir schicke eine Gruppe Outdoorbegeisterte auf Entdeckungstour ins Nachbarland.
T E X T Tom Jutzler
F O T O S André Schösser
Bärte!, schießt es mir durch den Kopf. Die Bäume haben grüne Bärte. Gleich beginnen sie, mit mir zu reden. Ich bin in Mittelerde. Es ist offensichtlich. Und spielten beim »Hobbit« nicht auch bergbaubetreibende Zwerge eine große Rolle? Es würde mich nicht wundern, wenn mir gleich einer von ihnen aus einem der sehr dunklen Löcher entgegenkäme, die sich hier allenthalben im Fels auftun.
Wunderschön gemauerte, perfekt eingefasste Grubeneingänge. Seit Jahren verlassen. Moosig grün überwuchert an vielen Stellen. Steht man vor einem der Eingänge, spürt man den immer wehenden, kalten Luftzug auf der Haut. Auf der Gänsehaut. Schon bevor man sich dem eigentlichen Grubenschlund nähert, bemerkt man eine Temperaturveränderung. Ganz leichte, feucht-kühle Winde künden von den unterirdischen Gängen, die hier im Minett alles unterirdisch durchziehen. Diese kühle Feuchte ist es, die den Bäumen in den von Menschen gemachten Schluchten die Bärte wachsen lässt. Grüne, moosige Zotteln hängen wuchernd von den Ästen und geben den dünnen Stämmen eine bizarre, mystische Anmutung.
Die Landschaft im Süden Luxemburgs ist durchlöchert und angebissen. Sie liegt da wie die Reste eines überdimensionierten Riesen-Festmahls. Die stählernen Giganten, die hier einstmals die Landschaft angefressen haben, sind fast alle verschwunden. Übrig sind Orte, die von intensiver industrieller Nutzung zeugen und die gleichzeitig beweisen, dass die Einflüsse des Menschen auf die Natur nicht nur ausbeuterisch sein müssen, sondern auch positiv sein können: Die Stilllegung der ehemaligen Bergbaustandorte hat die Entwicklung von Pflanzengesellschaften und die Entstehung einer besonderen Fauna begünstigt. Im Mikroklima der renaturierten Tagebaue siedeln sich seltene Pflanzen an. Kleintiere und Insekten kommen zurück. Orchideen, Schmetterlinge, Fledermäuse, Amphibien, Eidechsen, Reptilien – um nur einige zu nennen – sind auf Wanderungen im UNESCO-Biosphärenreservat zu entdecken.
Während wir uns durch den knorrigen feuchten Wald auf alten Versorgungswegen und stillgelegten Eisenbahnstrecken wieder aus demselben herausbewegen, begegnen wir immer wieder Eidechsen, die ihre Sonnenplätzchen flitzend verlassen und ins Unterholz abhauen. In Senken sammelt sich Wasser und man kann als Laie unmöglich erkennen, ob ein Biotop natürlichen oder menschlichen Ursprungs ist. Was erstaunlich ist, ist die Vielfalt an Insekten und Amphibien, die sich an diesen Tümpeln beobachten lässt. Hin und wieder landen Libellen auf hübsch leuchtenden Orchideenblüten. Es quakt im Gebüsch und in den Sonnenstrahlen über dem glitzernden Wasser tanzen unzählige Insekten.
Schon ein paar hundert Meter weiter zeigt sich ein völlig anderes Bild, wenn im ehemaligen Tagebau die Sonne das dunkelrote Gestein erhitzt und sich eine fast prärieartige Natur zeigt. Espen, Birken und Kiefern, die locker beieinanderstehen und den Besuchenden gnädig ein wenig Schatten spenden, während sie sich wundernd durch diese Landschaft im Wandel bewegen.
»Die Natur erobert sich die Abbaugebiete zurück«
Die Natur erobert sich die Abbaugebiete zurück. Auf dem Haard-Plateau staunen wir über eine Schafherde, die wie eine neugierige Touristengruppe zwischen den rostroten Felsen umherstolpert. Der Unterschied zwischen den Gebieten, wo die dunklen, leeren Augen der Schachteingänge die Besuchenden in schmalen Tälern anglotzen, und den offenen, heißen Zonen der Tagebaue könnte kaum größer sein. Feuchte hier – Trockenheit da. Dichtes Gestrüpp gegen offene Fläche. Kühle gegen Wärme. Dieser Gang durch die Klimazonen ist an einem Tag zu erleben, wenn man die richtige Wanderroute wählt. Und plötzlich steht man wieder inmitten der Zivilisation. In Esch an der Alzette zum Beispiel, wo riesige, auf Hochglanz polierte Hochöfen wie Kunstwerke in den Himmel ragen.
Wir besuchen den Fond-de-Gras, einen historischen Industrie-Freiluftpark, der einst das pulsierende Herz des Bergbaus war. Der alte Bahnhof, der noch immer in seinem ursprünglichen Zustand erhalten ist, versetzt uns in eine Zeit zurück, in der Dampfzüge das dominierende Transportmittel waren. Eine besondere Attraktion ist der »Train 1900«, eine historische Dampfeisenbahn, die uns auf eine Zeitreise in die Vergangenheit mitnimmt. Während der Fahrt können wir uns vorstellen, wie das kostbare Erz aus den Minen abtransportiert wurde, und die Atmosphäre von damals hautnah erleben. Übernachten werden wir in einem alten Waggon, der inmitten der historischen Stätte, als Teil der sogenannten Kabaisercher, für Übernachtungsgäste bereitsteht. Die Kabaisercher sind ausgefallene Ferienwohnungen entlang des Minett Trail. Mal ein Eisenbahnwaggon, mal eine Art Hausboot, mal ein umgebauter Schuppen – immer aber sehr originell.
Ortswechsel. Wenn das UNESCO-Welterbe Luxemburg-Stadt so nah ist, wollen wir der City natürlich auch einen Besuch abstatten. Das üppige Grün der Hauptstadt ist sehenswert – so ähnlich müssen die Hängenden Gärten der Semiramis ausgesehen haben, fachsimpeln wir. Von Blättern überwucherte Terrassen und Vorsprünge zieren die Abbruchkanten des Canyons, den das Wasser von Alzette und Petruss in das Gestein gemeißelt hat. Wir begeben uns in den sogenannten Grund – jenes malerische, in der Tiefe gelegene Tal, das wie ein geheimer Garten unter der pulsierenden Oberstadt verborgen liegt.
Der Grund empfängt uns mit kleinen Gassen, alten Gemäuern und dem Murmeln der beiden Wasserläufe. Wir treten über Kopfsteinpflaster und spüren, wie der Geist vergangener Jahrhunderte in den Mauern und Fassaden nachklingt. An den Ufern der Alzette und Petruss, die sich gemächlich durch das Tal schlängeln, ist die Natur mit der urbanen Lebendigkeit verflochten. Ein kleiner Abstecher führt uns zum Skatepark.
Zwischen alten Mauern und dem Grün der umliegenden Bäume hat sich ein Treffpunkt etabliert, der ganz im Kontrast zu den stillen Geschichten der Vergangenheit steht. Jugendliche und Kinder finden hier ihren Freiraum: Mit Skateboards, Rollern und einem unbändigen Drang, die Schwerkraft herauszufordern, gleiten sie über schicke Rampen und glatte Betonflächen. Die Luft ist erfüllt vom rhythmischen Klackern der Räder, vom Lachen und gelegentlich einem enthusiastischen Jubel, wenn ein besonders waghalsiger Sprung gelingt.
Das Wasser fließt ruhig und beständig, als wolle es die wechselnden Epochen der Stadt in sich aufnehmen und weitertragen. In sanftem Sonnenlicht funkeln kleine Wellen, die an den Steinen brechen, während an den Ufern Sitzgelegenheiten und kleine Cafés die Reisenden einladen, für einen Moment innezuhalten und die Symbiose von Natur und Urbanität zu genießen.
Mit dem letzten Sonnenstrahl im Rücken verlassen wir den Skatepark, während im Tal von Alzette und Petruss der Tag in die Dämmerung übergeht. Hier, an diesem Schnittpunkt von Geschichte und Moderne, von Tradition und Innovation, wird uns noch einmal deutlich: Luxemburg ist gleichzeitig traditionsreiches Großherzogtum und ständig im Wandel. Ein fortschrittliches Land. Ein lebendiges Mosaik, in dem jeder Winkel, jede Landschaft seine eigene, unverwechselbare und doch wechselvolle Geschichte erzählt.
G E W I N N S P I E L
Du willst die Hauptstadt und den Süden des Großherzogtums kennenlernen? Dann mach bei unserem Gewinnspiel mit! Wenn in Luxemburg-City in diesem Sommer die Gartenschau »LUGA« stattfindet, schicken wir eine Reisegruppe auf begleitete Entdeckungstour in das quirlige Nachbarland.