Patagonia war schon immer anders

Der Gründer der Outdoor-Marke hat seine Firma verschenkt, alle verfügbaren Gewinne werden jetzt in den Umweltschutz investiert. Ein absolutes Novum in der Branche. Aus diesem Anlass erinnern sich hier drei Globetrotter Redakteure an ihre eigene Story zu dieser erstaunlichen Firma.

Im Sommer 2022 ließ es sich fast nicht vermeiden, davon zu lesen. Selbst Nicht-Outdoor-Medien wie »Die Tagesschau«, »Der Spiegel« oder die »Süddeutsche Zeitung« haben es aufgegeriffen: Patagonia hat den Eigentümer gewechselt. Der Gründer Yvon Chouinard und seine Familie haben ihre nicht-stimmberechtigten Anteile an eine gemeinnützige Organisation überschrieben, die jeden Cent des Unternehmensgewinns nutzt, der nicht in die Firma reinvestiert wird, um die Umweltkrise zu bekämpfen. Allein für 2022 sollen das 100 Millionen Dollar sein. Die stimmberechtigten Anteile an Patagonia werden ab sofort von einer Dachgesellschaft kontrolliert, die eben diese Entscheidung und die Unternehmenswerte schützt. Damit verzichtet die Familie Chouinard in Zukunft auf jeglichen Gewinn aus dem Unternehmen.

Wenn wir in den nächsten 50 Jahren auch nur die geringste Hoffnung auf einen lebenswerten Planeten – geschweige denn auf ein prosperierendes Unternehmen – haben wollen, müssen wir alles tun, was wir mit den uns zur Verfügung stehenden Ressourcen können.

Yvon Chouinard

Dieser Schritt ist bemerkenswert, kommt aber auch nicht total überraschend. Patagonia war schon immer ein etwas anderes Unternehmen und Yvon Chouinard schon immer ein etwas anderer Geschäftsmann. Das haben auch drei Redakteure des Globetrotter Magazins schon miterlebt und aus diesem Anlass hier ihre persönlichen Anekdoten zu Patagonia aufgeschrieben:

Ein Scheck von Jennifer

Michael Neumann, Chefredakteur beim Globetrotter Magazin, hat 1996 ein Bild im berühmten Patagonia Katalog veröffentlicht. Damals ein Ritterschlag.

1996. Als Kajak-Bum, der mit Fotos und Reportagen seine Reisen refinanziert, hatte man es anno dazumal nicht leicht. Wir hatten ja nix. Internet, E-Mail, Digitalfotografie? Zukunftsmusik. Belichtete Filme, das Stück für 15 Euro, wurden monatelang im Gepäck mitgeschleppt, bis man sie daheim ins Labor bringen konnte. Zwischen Aufnahmedatum und entwickeltem Diafilm auf dem Leuchttisch lagen bei diesem Bild stolze vier Monate. Und, oh Mann, war ich gespannt. Das Motiv, so viel war mir schon im Moment des Auslösens klar, ist einmalig. Der kalifornische Dry Meadow Creek entwässert in den Kern River und hat mit diesen »Teacups« im Laufe der Jahrtausende eine geologische Sensation geschaffen. Sowas hatte ich noch nie zuvor gesehen – und in den über 25 Jahren danach auch nie wieder. Wir hatten den »DMC« am Vorabend auf einem lokalen Filmabend gesehen und mit dem ersten Take des Super-8-Streifens den Plan für den nächsten Tag besiegelt.

Erster Check: Schärfe und Belichtung okay, auch kein Sandkorn hatte das Bild beim Weitertransport in der Kamera zerkratzt. Uff! Aber was mit dem Bild machen? Da gab es seinerzeit keine zwei Meinungen: zu Patagonia schicken. Die hatten mit Jane Sievert und Jennifer Ridgeway [Anm. Ihr Mann Rick Ridgeway hat uns gerade ein großes Interview gegeben und auch viel über Jennifer gesprochen] zwei Fotoredakteurinnen, die mit ihrer selektiven Bildsprache bereits mehrere Jahrzehnte Outdoor-Historie geprägt hatten. Eine Veröffentlichung im Patagonia-Katalog war damals – wie heute – ein absoluter Ritterschlag. Also schnell noch ein Duplikat für eigene Zwecke angefertigt und das Unikat stabil verpackt und per Einschreiben ab nach Kalifornien. Es dauerte keine drei Monate, bis ich Post aus Ventura bekam. Darin der neue Katalog mit meinem Bild und ein Scheck (ja, so wurde damals bezahlt) über 3600 US-Dollar. Das war in etwa das Zehnfache dessen, was andere Companies damals für Katalogbilder zahlten – und das auch erst nach der zweiten Mahnung. In diesem Sinne nochmals danke, Jennifer und Jane, ihr habt mich saniert.   

Dieses Foto vom Dry Meadow Creek erschien 1996 im Patagonia-Katalog.
Patagonia-Gründer Yvon Chouinard.
Patagonia-Gründer Yvon Chouinard in der Schweiz.

Einer von uns

Redakteur Philip Baues hat den Patagonia-Gründer Yvon Chouinard 2017 in der Schweiz getroffen und einen Mann kennengelernt, der vom Kellner bis zum CEO jedem den gleichen Respekt entgegenbringt.

»Meint ihr, es ist ok, wenn ich da drüben hinter den Bus pinkle?« Keine ungewöhnliche Frage, wenn Jungs am Lagerfeuer sitzen und schon ein paar Bier getrunken haben. Von einem 78-jährigen Milliardär würde man sie aber wohl nicht erwarten.

Ich habe Yvon Chouinard im Juli 2017 in der Schweiz getroffen, um mit ihm über zeitgemäße Unternehmensführung und schwerfällige Hierarchien zu sprechen. Berühmt ist der Patagonia-Gründer, der nie ein Geschäftsmann werden wollte, für seine Maxime »Management durch Abwesenheit«. »Mein Ziel war es immer, gute Leute einzustellen, auf die ich mich verlassen kann. So konnte ich surfen, angeln oder klettern gehen, ohne mir Sorgen um die Firma machen zu müssen. Andersrum sollen meine Leute diese Freiheit auch haben: Wer surfen will, geht surfen, wessen Kind krank ist, bleibt zu Hause. Die Mitarbeiter organisieren sich untereinander und springen füreinander ein.«, fasst Chouinard seine Philosophie zusammen.

Ab der ersten Sekunde unseres Treffens ist klar, dass Chouinard kein gewöhnlicher, sehr, sehr reicher älterer Herr ist. Noch immer umweht ihn die Aura des Abenteuers. Sein Händedruck zeugt von jahrzehntelangem Felsklettern, sofort bietet er mir das »Du« an. Meine Businessfragen beantwortet er souverän und mit viel Witz. Kinderspiel – ähnliche Gespräche hat er schon Tausende geführt. Als ich aber beiläufig erwähne, Wildwasserpaddler zu sein, blitzt es in seinen Augen. Begeistert fachsimpelt er mit mir über die schönsten Flüsse Chiles, erzählt von haarsträubenden Erstbefahrungen in Patagonien und überrascht mich mit fundiertem Wissen über die aktuelle Kajakszene. Als wir auf seinen Wunsch vom schicken Restaurant ans erwähnte Lagerfeuer umziehen, ermahnt Melinda Chouinard ihren Mann, nicht zu spät ins Bett zu kommen. Er sei nicht mehr der Jüngste und der lange Flug würde ihm morgen in den Knochen stecken. Yvon nickt artig und grinst dann verschmitzt in die Runde. Am Ende wird es ein langer, geselliger Abend und nicht bei einem »Austreten« hinter dem Bus bleiben.

Die sind wirklich so

Redakteur Julian Rohn war 2016 bei Patagonia zu Besuch und neugierig, ob es beim Hersteller aus Ventura wirklich so entspannt zugeht, wie es immer heißt.

Ich bin 2016 mit einem alten VW T3 von Los Angeles in Richtung Big Sur gefahren. Es sollte ein kleiner Surf-Roadtrip am Pazifik werden, bevor ich hinüber ins Yosemite-Valley zum Klettern fahren wollte. Der Highway No 1 gilt als eine der schönsten Küstenstraßen überhaupt und führt auch durch Ventura – am Hauptsitz von Patagonia vorbei.

Als Jugendlicher hatte ich die Kataloge unter meinem Bett gesammelt und darin staunend gelesen, dass sich Patagonia-Mitarbeitende frei nehmen können, wenn die Wellen gerade gut sind oder frischer Pulverschnee angesagt ist. Weil ich schon mal vor Ort war, hatte ich mich für einen Besuch angemeldet. Ich war neugierig, ob die Firma wirklich so ein Traum-Arbeitgeber ist.

Schon am Parkplatz liegt bei jedem zweiten Pick-Up ein Surfbrett auf der Ladefläche. Wetsuits hängen zum Trocknen auf dem Zaun daneben. Draußen sitzen Mitarbeitende mit Laptops auf Bänken im Schatten – das offizielle WLAN auf dem Firmengelände heißt »ELCAPITAN«. Ich werde sehr offen, typisch kalifornisch begrüßt. In der Kantine schallen »The Doors« aus dem Lautsprecher und schon damals (2016!) steht auch ein veganes Gericht zur Auswahl.

Hinter dem Hauptgebäude steht »The Tin Shed«. In dieser Wellblechhütte hat Yvon Chouinard einst sein Business gestartet und Kletterhaken geschmiedet. In der Hütte liegt noch immer Werkzeug herum, die Kohle in der Esse ist nicht lange kalt – tatsächlich nutzt Chouinard seine Werkstatt noch regelmäßig.

Der Hausherr selbst ist an diesem Tag beim Fliegenfischen, aber sein Sohn Fletcher ist da. Er fertigt eigene Surfboards auf dem Gelände. Bevor ich der Küste weiter nach Norden folge, schicken mich Fletcher und seine Mitarbeiter aus dem Surfshop noch ins Wasser. Der Surfspot »C Street« liegt nur wenige Meter hinter dem Firmengelände.

Patagonia ist also wirklich so.

»The Tin Shed« auf dem Patagonia-Gelände in Ventura.