Viele Menschen werden zustimmen, dass ein Ausflug in den Wald oder eine Wanderung in den Bergen Balsam für die Seele sein kann. Weniger bekannt ist jedoch, dass Erholung in der Natur als zentraler Bestandteil in therapeutischen Arbeiten genutzt wird. Aber gerade im Bereich der psychischen Gesundheit wächst das Interesse an der Outdoor-Therapie. Eine Vorreiterrolle spielt dabei Norwegen.
Es ist ein früher Morgen im Erholungsgebiet Selvåg im norwegischen Sørland. Eine kleine Gruppe von Kindern und Erwachsenen versammelt sich in gemächlichem Tempo am Seeufer. Die Sonne lugt hinter den herbstlich gelben Bäumen hervor und lichtet langsam den Nebel in der kleinen Bucht. In der Ferne ist ein Wintervogel zu hören, und der Geruch von nassem Laub vermischt sich mit dem Duft von Lagerfeuer und Kaffee.
Doch dies ist kein gewöhnlicher Waldausflug. Die Gruppe besteht aus fünf Vätern, ihren Söhnen und drei Therapeuten des Outdoor-Teams der Abteilung für psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen am Sørlandet-Krankenhaus außerhalb von Kristiansand, bekannt als ABUP. Die Gruppe ist dabei, in den vierten Tag eines fünftägigen Outdoor-Therapieprogramms zu starten. Der Sozialarbeiter und Therapeut Halvor Vaaje misst die Stimmung in der Gruppe. Ein Daumen nach oben, nach unten oder dazwischen ist genug. Wenn man seine Gefühle nicht mit den anderen teilen möchte, ist das auch in Ordnung.
Halvor Vaaje stellt den Tagesplan vor: Bogenbau, Pfannkuchenessen am Lagerfeuer und am Nachmittag Top-Rope-Klettern an einem nahe gelegenen Felsen – die Handys bleiben den ganzen Tag zu Hause. Ein guter Plan, finden alle, bis auf eines der Kinder, das mit lautem Protest den Wunsch äußert, das gestrige Angelabenteuer fortzusetzen. Wie bei den Daumen sind auch Proteste und Bitten laut den Therapeuten völlig in Ordnung. Die Familien, die an dem Outdoor-Therapieprogramm teilnehmen, üben sich in der Bewältigung komplexer Herausforderungen, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Hauses. Das primäre Ziel sind also nicht die Aktivitäten selbst, sondern die Stärkung der Interaktion und der Beziehungen innerhalb der Familie.
Die heutigen Herausforderungen und Erfahrungen bieten große Entwicklungschancen. So ist es zum Beispiel nicht so einfach, auf einem gewundenen und rutschigen Pfad über Baumstämme und Steine zu gehen, um Material für den Bogen zu sammeln, wie es vielleicht klingt. Im Gegenteil, schnell entsteht das Bedürfnis nach praktischer Unterstützung und ermutigenden Worten. „Du schaffst das“, ‚Ich weiß, dass du enttäuscht sein wirst, wenn der Bogen kaputt geht‘ und “Papa, schau mal, was ich gemacht habe!“ sind laut und deutlich zu hören.