Unterwegs in Ostkanada: Hudson Bay

Paddeln mit Belugas

Jeden Sommer wird die Hudson Bay von mehreren Tausend Belugas besucht, die dorthin zum Fressen und Kalben kommen. Mit dem Kajak kommt man den Walen bis auf wenige Meter nah. Die einzige Frage ist: Wer beobachtet hier eigentlich wen?

Ein schneeweißer Kopf mit schwarzen Knopfaugen späht zwischen den Wellen zu mir herüber. Unter meinem Kajak gleiten weiße Schemen vorbei, sechs, sieben, ich höre auf zu zählen. Massive Luftblasen steigen um mich herum auf und platzen an der Oberfläche mit einem satten Blubb Blubb. Dann taucht ein weiterer Belugawal auf. Mustert mich kurz und geht wieder auf Tauchstation. Was für ein erhebendes Gefühl. Ich könnte jubeln. 

Ich spreche kein Beluga, fange aber trotzdem eine Unterhaltung an. Ob sie mich hören? Ob die kaum hörbaren Klick- und Quietschgeräusche tatsächlich von unten kommen? Oder bilde ich mir das nur ein? Jedenfalls steigen ein paar köstliche Sekunden lang rings um mein Kajak noch mehr Luftblasen auf und ich habe tatsächlich den Eindruck, dass da unten über mich gesprochen wird.

  • Überall ums Kajak herum: Flossen, Luftblasen und manchmal ein Pfiff.
  • Die Belugas kommen, um in der Hudson Bay zu kalben.

Die Hudson Bay – eigentlich ein Randmeer

Die Hudson Bay ist mit 1,2 Millionen Quadratkilometern eigentlich keine Bucht mehr, sondern ein riesiges, 1400 Kilometer langes und bis zu 1000 Kilometer breites Randmeer. Im Süden reicht es tief nach Kanada hinein, im Norden bis zum Eismeer und zum Atlantik. Die Provinzen Manitoba, Ontario und Quebec und im Norden das Inuit-Territorium Nunavut teilen sich die Ufer, felsenreiche Ödnis und feucht-marschigen Tiefland.

Jedes Jahr im Juni bekommt die Bay Besuch von rund 60.000 Belugawalen aus der Arktis. 3000 – 5000 der bis zu vier Meter langen Säuger ziehen seit Menschengedenken zum Fressen und Kalben in die seichten und wärmeren Flüsse rund um den 900-Seelen-Outpost Churchill. Allein im Churchill River werden jeden Sommer rund 1000 Belugas gesichtet. Die Veranstalter des rauen Frontier-Städtchens bieten geführte Touren in Schlauchbooten und Kajaks an. Die bei kommerzieller Walbeobachtung in Kanada sonst geltenden strengen Abstandsregeln gelten hier nicht: Die Belugas sind extrem soziale, neugierige und intelligente Tiere und kommen zur Inspektion von sich aus näher. Die Skipper stellen die Motoren aus und lassen die Schlauchboote treiben, Kajaker brauchen nur ein paar Paddelschläge bis zur Mitte des Flusses, um in aller Ruhe zu warten und zu genießen. Paddel-Erfahrung ist nicht nötig: Die Guides des Kajakverleihs erklären die Handhabung des Doppelpaddels und dass kein Grund zur Panik besteht, wenn eine ganze Schule nur wenige Meter weiter vorbeizieht. Und los gehts.

Wer beobachtet hier eigentlich wen?

Auf meiner mehrstündigen Kajaktour sehe ich alle zehn Minuten mindestens zwei Belugawale. Mehrere Male ziehen ganze Familienverbände vorbei, die kleinen grauen Babies in ihrer Mitte. Sie inspizieren mein Kajak und mich, stoßen Luftblasen aus und beäugen mich voller Interesse. Einmal höre ich sie über Wasser miteinander kommunizieren, es ist ein hohes, bei Wind und Wellengang kaum vernehmbares Zirpen und Knarzen. Einmal höre ich sie durch den Rumpf meines Kajaks. Ich bin mir nicht sicher, aber sie scheinen dabei zu rotieren, sodass jedes Mitglied ein Auge auf mich werden kann. Was für ein Glück. Ich jubele. Alles hier sagt mit, dass ich nicht mehr in meiner Welt bin, sondern in der von jemand anderem. Der Belugawale. Das macht bescheiden.

  • Ulm Fischerviertel
  • Ulm Fischerviertel
    Mit dem Kajak kommt man den Walen ganz nah.
  • Ulm Fischerviertel

TEXT: Ole Helmhausen

FOTOS: Travel Manitoba

Ole Helmhausen

Ole Helmhausen lebt seit 1993 in Montréal (Kanada) und berichtet von dort über Nordamerika und die Karibik. Der gebürtige Westfale und Halbdäne hat Völkerkunde und Soziologie in Münster studiert.

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