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Wälder, Wasser und Weite

Herbstlicher Roadtrip durch Ontario

Während viele von British Columbia und Alberta schwärmen, hat Ontario im Herbst seinen ganz eigenen Reiz! Innerhalb einer Woche kannst du hier alles erleben: Toronto’s pulsierendes Stadtleben, ruhige Bootstouren an der Georgian Bay, Paddeln und Wandern im malerischen Killarney National Park und die faszinierende Kultur der First Nations auf Manitoulin Island.


TEXT UND FOTOS: Virginia Schraml

Mit seinen warmen, sonnigen Tagen und klaren, kühlen Nächten ist der Indian Summer in Ontario eine ideale Reisezeit.

Je weiter man sich von Toronto entfernt, desto leiser wird die Welt. Der Himmel wächst, der Blick wird klarer – und irgendwann bleibt der Lärm der Stadt einfach zurück.

Unser Ziel ist die Killarney Mountain Lodge, eine charmante Unterkunft mit rustikalem Flair und direktem Zugang zu einem der schönsten Wildnisgebiete Kanadas: dem Killarney Provincial Park. Hier, wo die La Cloche Mountains in weißem Quarzit leuchten, wo still glitzernde Seen wie Spiegel zwischen Felsen liegen und das Wasser des Georgian Bay tiefblau an rosafarbenen Granitkanten bricht, schlagen wir für zwei Tage unser Basislager auf – gemütlich, rustikal, mit Blick aufs Wasser. Morgens liegt Nebel über dem See, abends leuchten die Felsen rosa im Sonnenuntergang.

Am nächsten Tag fahren wir raus aufs Wasser. Kapitän Bungy – ein Original mit wettergegerbtem Gesicht und Geschichten für drei Leben – schippert uns mit sicherer Hand hinaus in die Inselwelt der Georgian Bay. Mit seinem Boot bringt er uns nach Fox Island. Um uns: windgebeugte Kiefern, glatter rosa Granit, dazwischen klares, tiefblaues Wasser. Später wandern wir zum Leuchtturm, springen ins eisklare Wasser und treiben mit Kajaks, die man an der Lodge leihen kann, durch die Abendsonne. 

Zurück in der Lodge klingt der Tag so aus, wie man’s sich besser nicht wünschen könnte: erst S’mores am knisternden Feuer, dann Craft Beer und Live-Musik in der Carousel Lounge. Die Stimmung ist warm. Irgendwann schlägt die Müdigkeit zu, auch wenn niemand der Erste sein will, der ins Bett geht. Zu schön war dieser Tag.

Die Killarney Lodge ist perfekt für alle, die gerne wandern und paddeln, aber nicht auf Komfort verzichten  möchten.

Am nächsten Tag bekommen wir einen Einblick in der reichhaltige Outdoor Programm der Region. Es geht in den Killarney Provincial Park. Der Park, oft als „Kronjuwel“ des Ontario-Parksystems bezeichnet, ist ein Paradies für Naturliebhaber – und ich konnte es kaum erwarten, die Ruhe und Schönheit dieses Ortes hautnah zu erleben.

Unser Tag startete bei Killarney Outfitters, wo wir unsere Paddel und Schwimmwesten für das bevorstehende Abenteuer abholten. Mit unserem Guide Chase paddelten wir durch das kristallklare Wasser, umgeben von den leuchtenden weißen Quarzitbergen und den bunten Herbstbäumen – der Indian Summer zeigte sich in voller Farbenpracht! 
Der Einstieg zum Silver Peak Trail liegt versteckt zwischen Felsen und Kiefern. Von dort geht’s zu Fuß weiter – erst durch leuchtendes Laub, dann über verwurzelte Pfade und schließlich steil hinauf auf einen Grat aus schneeweißem Quarzit. Der Trail fordert – genau richtig für alle, die es gern kernig, aber nicht extrem mögen. Die letzten Höhenmeter brennen in den Oberschenkeln, aber der Blick vom Gipfel haut alles raus: ein 360-Grad-Panorama über Killarneys wilde Landschaft, über glitzernde Seen, endlose Wälder und die blaugraue Weite der Georgian Bay.

Oben weht ein kühler Wind, genau die richtige Mischung aus Gänsehaut und Glücksgefühl. Wir essen unseren mitgebrachten Trail Lunch mit Blick auf den Horizont, lehnen uns zurück und sagen erst mal: gar nichts! Die perfekte Mischung aus Natur und herbstlicher Farbenpracht.

Zurück an der Lodge genießen wir den letzten Abend in der Lodge mit einem Abendessen im Ranch House. Draußen spiegelt sich der Sonnenuntergang im Kanal, drinnen breitet sich dieses Gefühl aus, für das man hergekommen ist: Draußensein, Durchatmen.

Der höchsten Punkt im Killarney Provincial Park bietet eine spektakuläre Aussicht über den Park und die Georgian Bay. Ein kurzer Paddelabschnitt führt direkt zum Einstieg.

Am nächsten Morgen brechen wir auf nach Manitoulin Island. Die größte Süßwasserinsel der Welt liegt ruhig in den Weiten des Lake Huron, voller Wälder, Wasserfälle und einsamer Buchten. Doch was diesen Ort wirklich besonders macht, spürt man erst, wenn man tiefer eintaucht.

Für die Anishinaabe wird Manitoulin nicht ohne Grund „Spirit Island“ genannt. Es ist mehr als Outdoor-Paradies – es ist ein Ort, an dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der indigenen Kultur spürbar werden.

Wiikwemkoong, die größte First-Nation-Gemeinschaft der Insel bietet mit Wiikwemkoong Tourism eine Vielzahl an authentischen Erlebnissen, die einen tiefen Einblick in das kulturelle Erbe der Anishinabek des Three Fires Confederacy – Ojibwe, Odawa und Pottawatomi – ermöglichen. Von sanften Naturerlebnissen über Eco-Adventures bis hin zu Versöhnungs- und Bildungstouren wird hier alles geboten, was Geist und Sinne berührt.

Ob eintägiger Ausflug oder mehrtägige Reise: Besucher*innen können von Mai bis November maßgeschneiderte Gruppenprogramme buchen – mit land-based learning, präkolonialen Kochtraditionen, Erzählrunden und Wanderungen durch die ursprüngliche Natur. So wird das Eintauchen in die Weltanschauung der Anishinaabe zu einem echten Perspektivwechsel.

Unser Besuch fällt auf den National Day for Truth and Reconciliation. Wir haben die besondere Ehre, an einer Gedenkzeremonie teilzunehmen. Auf dem Gelände einer ehemaligen Residential School versammeln sich Menschen, um der Kinder zu gedenken, die nie zurückkehrten – und um die Überlebenden zu ehren. Es ist still, bis der Jingle Healing Dance beginnt. Dann bewegt sich die Luft: kraftvoll, würdevoll, heilend.

Die Energie dieses Moments bleibt hängen – auch als wir längst wieder gehen. „Every Child Matters“ ist nicht nur ein Leitsatz, es ist eine Verpflichtung. Für alle, die zuhören wollen.

Beim traditionellen Mittagessen am Bebamikawe Trail – mit über Feuer gegartem Wild und geräuchertem Fisch – wird deutlich: Essen ist hier nicht nur Nahrung, sondern ein Ausdruck von Geschichte und Gemeinschaft der First Nations.

Am National Day of Truth and Reconciliation am 30. September gedenken Menschen in ganz Kanada der indigenen Kinder, die in den Residential Schools ihr Leben verloren – und ehren die, die überlebt haben.

Am zweite Tag auf Manitoulin Island tauchen wir noch tiefer ein in die Kultur der First Nations. In der Ojibwe Cultural Foundation erhalten wir nicht nur einen Einblick – wir dürfen teilhaben. Die Einrichtung wurde 1974 gegründet, um Sprache, Kultur, Kunst, Spiritualität und Traditionen der Anishinaabe und der umliegenden Regionen zu bewahren und lebendig zu halten.

Die Stiftung widmet sich mit großer Hingabe dem Ziel, die Ausdrucksformen der Anishinaabe-Kultur zu fördern – damit Kunst, Sprache, Geschichten, Lieder und überliefertes Wissen heute aufblühen und auch künftigen Generationen erhalten bleiben.

In den Ateliers treffen wir unter anderem auf Darlene Bebonang, Artist-in-Residence, die gemeinsam mit anderen Kunsthandwerkerinnen zeigt, wie man mit traditionellen Materialien wie Birkenrinde, Süßgras, Leder und Perlen arbeitet.

Wer Interesse hat, kann beim Quillwork, Flechten oder Perlensticken mitmachen oder sich einfach von der meditativen Atmosphäre inspirieren lassen.

Die Ojibwe Cultural Foundation bietet aber noch mehr: Tanzaufführungen, Musik, Kunstausstellungen. Besucher sind eingeladen, diesen Ausdruck lebendiger Tradition direkt zu erleben – nicht als touristische Show, sondern als ehrliche, offene Begegnung mit einer tief verwurzelten Kultur.

Später stehen wir am Fuß der Bridal Veil Falls, spüren den Sprühnebel im Gesicht und beobachten, wie Lachse den Fluss hinaufspringen. Ein eindrückliches Schauspiel des Lebenskreislaufs.

Der sechste Tag bringt uns zurück aufs Wasser – diesmal mit der legendären Fähre Chi-Cheemaun, der „Großen Kanadierin“. Sie bringt uns zurück ans Festland. Gemächlich gleiten wir durch die Weiten des Georgian Bay Richtung Tobermory, einem kleinen Hafenort am nördlichsten Zipfel der Bruce-Halbinsel.

Dort empfängt uns das weiße Big Tub Lighthouse – seit 1885 in Betrieb – mit maritimem Flair. Früher diente der Leuchtturm als Orientierungspunkt für Segelschiffe, heute ist er ein beliebter Spot zum Sonnenuntergang-Schauen. Das Wasser schimmert grünblau, und wer mag, kann direkt an der Küste ins Kajak steigen oder sich eines der Tauch-Wracks im nahen Fathom Five Marine Park anschauen.

Tobermory ist entspannt und übersichtlich – perfekt, um kurz durchzuatmen, bevor es weitergeht. Cafés, Fish & Chips, kleine Shops – nichts Aufregendes, aber alles da. Für alle, die auf dem Weg nach Toronto nochmal kurz am Wasser verweilen wollen: genau der richtige Ort.

Nach einem Bummel durch den Ort geht es weiter nach Toronto. Hier, im Trubel der Großstadt, lassen wir den Tag bei einem gemeinsamen Abendessen im Sunny’s Chinese ausklingen – ein Restaurant, das aus einem Lockdown-Pop-up entstanden ist und heute zur Michelin-Auswahl Torontos gehört.

Unser letzter Tag in Kanada – und was für ein Kontrast. Nach Tagen in der Weite des Nordens, im Rhythmus von Wald, Wasser und Wind, fühlen sich die Straßen von Toronto fast fremd an. Doch genau darin liegt die Schönheit dieses Abschieds.

Wir treffen Bruce Bell, Stadtführer, Historiker, Geschichtenerzähler – und sofort ist klar: Toronto wird heute kein Sightseeing-Programm, sondern eine Zeitreise. Vom altehrwürdigen Fairmont Hotel geht es zu Fuß durch das historische Herz der Stadt. Zwischen Glasfassaden und viktorianischer Backsteinarchitektur führt er uns durch enge Gassen, über Plätze, zu eher versteckten ruhigen Orten inmitten der Großstadt.

Am St. Lawrence Market stehen wir vor Auslagen voller Käse, Wild, Fisch, hören von der 200-jährigen Geschichte des Marktes – und probieren uns durch die lokalen Spezialitäten. Es riecht nach Gewürzen, Gebäck, Geschichten. Weiter geht’s durch die Altstadt zum Distillery District – einst Whiskyfabrik, heute Kreativszene. Kopfsteinpflaster, rote Ziegel, Designläden, Galerien und der Duft von frisch geröstetem Kaffee. 

Zum Abschied gibt uns Bruce noch seinen ganz persönlichen Tipp mit: Ein Abstecher auf nach Toronto Island – direkt gegenüber der Innenstadt, aber gefühlt eine Welt entfernt. Wir haben noch ein paar Stunden, bevor es Richtung Flughafen geht, also: geht es runter zum Hafen und rauf auf’s Wassertaxi.

Die Fahrt dauert nur ein paar Minuten, aber plötzlich ist alles ruhiger. Keine Autos, keine Hektik – stattdessen ein grüner Park und diese besondere Mischung aus badenden Vögeln und der Großstadtkulisse im Hintergrund. Ein ziemlich perfekter Abschlussblick.

Für den Rückweg nehmen wir die kostenlose Personenfähre, lassen uns noch einmal übers Wasser treiben und schauen der Stadt dabei zu, wie sie wieder näher rückt. Der Trubel von Downtown fühlt sich nach einer Woche voller wilder Natur, stiller Wälder und tiefer Begegnungen fast surreal an.

Und doch gehört es zusammen – Wildnis und Großstadt, Kultur und Natur, Entschleunigung und Bewegung. Kanada zum Anfassen eben. Und zum Wiederkommen.

Diese Reise war mehr als nur ein Roadtrip. Sie war Besinnung. Auf Geschichten, die unter der Oberfläche liegen. Und auf eine Kultur, die mit der Natur lebt.

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