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Sehsuchtsziel: Norwegens Südwesten

Hinter jedem Fjord
ein Hochland

Norwegen ist Sehnsuchtsland. Eines der nördlichen Tore zur großen wilden Welt, die in Europa immer schneller schwindet. Für viele Rucksackreisende und Camper Traumziel voller schier unerschöpflicher Naturwunder. Unser Autor hat mit Familie den Südwesten Norwegens erkundet und sein Herz gleich dagelassen.

Warum ist der norwegische Südwesten wie er ist?

»Irgendwie ist alles rund, hier« war einer der ersten Gedanken, die mir in den Sinn kamen. Es ist steil, aber dennoch dominieren in den Fjorden und Gebirgen runde, weiche Formen. Eigentlich kein Wunder, wenn man bedenkt, dass ganz Norwegen vom Eis geformt wurde. In den Eiszeiten war das gesamte Nordeuropa unter einem dicken Eispanzer begraben.

Die Eiszeit war’s!

Im Eis war so viel Wasser gebunden, dass der Meeresspiegel ca. 150 Meter tiefer lag als heute. Das Skandinavische Gebirge an der Westküste bildete eine natürliche Trennlinie für die Gletscher. Während sich die Regionen östlich davon eher zu einer sanfteren Landschaft mit Hügeln, Wäldern und Mooren entwickelte, wuchsen die riesigen Gletscherzungen im Südwesten steil die Berge hinab in Richtung Meer. Durch die Kraft der wachsenden Gletscher wurden tiefe Rinnen in das harte Felsgestein gegraben. Den Rest erledigte das abfließende Schmelzwasser, als das Klima sich wieder erwärmte. Es spülte die Vertiefungen weiter aus und gleichzeitig brachte es den Meeresspiegel wieder zum Ansteigen – die neuen Gräben füllten sich von der Küste landeinwärts mit Wasser. Die Fjorde und Küstentäler entstanden.

Kvasfossen: Wald – Wasser – Moos Überdosis!

Die Frau fährt, ich darf nicht. Hab vor lauter Landschafts-Begeisterung das Auto fast in den nächstbesten Sumpf gelenkt. Unser erstes Ziel nach Ankunft liegt im Inland. Ein kleiner Campingplatz am Kvåsfossen, einem Wasserfall des Flusses Lygna, mit großer Bedeutung für die Lachs-Bestände im Süden. Die Fahrt vom Fährhafen Kristiansand ist tatsächlich nicht lang, wobei wir schnell merken werden, dass Luftlinien hier wenig Bedeutung haben.

Die Lygna bildet für die ziehenden Lachse ein weitreichendes Laichgebiet, welches durch sanften Eingriff des Menschen noch um viele Flusskilometer erweitert wurde. Zu sehen ist das im Lachszentrum Kvåsfossen, oberhalb des Campingplatzes Kvås Camping. Neben einer Ausstellung rund um das Thema Wildlachs, kann hier eine Fischtreppe, die den Hauptwasserfall in einer Schlucht umgeht, unterirdisch begangen werden. Durch Glasscheiben sieht man die Lachse. Über diese Treppe erreichen sie den oberen Bereich des Flusses und finden dort zusätzliche Laichgründe im Landesinneren.

Rund um den Campingplatz gibt es ein gut markiertes Wanderwegenetz, auf denen sich das umliegende bewaldete Bergland erkunden lässt. Ab Ende Juli darf ein Pilzkorb nicht fehlen, in den Hochmooren wachsen dann die Heiderotkappen und Birkenpilze, die uns am ersten Abend bereits eine köstliche Suppe am Zelt bescheren.

Norwegens Südwesten – abwechslungsreicher geht nicht!

In Norwegen angekommen muss man nicht erst weit in den Norden reisen (gut, ist man ja jetzt irgendwie schon, aber eben nicht noch weiter), die Naturwunder beginnen bereits an der Südküste. Ausgedehnte Schärenlandschaften voller kleiner und großer Felsinseln verbinden sich mit dem Atlantik zu einer Küste von rauem Charme. Kommt man weiter nach Südwesten, erhöht sich die zerklüftete Landschaft und erste Fjorde, wie der Flekkefjord, reichen tief in die felsige Landschaft hinein. Erhöhen sich die Täler am Fjordende nach und nach über den Meeresspiegel, steigen sie häufig als lange Rinnen weiter an und es reiht sich See an See. Unendlich viele kleine und große Gletscherüberbleibsel in ihren Becken aus Granit.

Angeln am Frafjord und Campen im Hochland

Die großen und bekannten Fjorde wollen wir vermeiden. Es ist Ferienzeit und an den Hotspots ist man nie allein. Also entscheiden wir uns für den Frafjord, südlich des Lysefjords. Der Campingplatz für die erste Nacht liegt direkt am Fjordende, die Übernachtung zahlt man einfach am Automaten. Wir sind Zelt Nummer 1 am Platz, außer uns zwei Wohnmobile. Später stoßen noch Freunde auf der Durchreise hinzu. Von den Stegen, die entlang der Klippen angebracht wurden, werfen wir die Angeln aus. Abends gibt es frischen Seelachs im Bierteig. Der Fjord schimmert silbergrau in den tiefhängenden Wolken, es regnet und es ist egal.

Tags darauf gehen wir wieder eigene Wege, es zieht uns hinauf in die Frafjordheiane, ein ausgedehntes, felsiges Plateau voller Seen, zwischen Frafjord und Lysefjord. Leider über Umwege, da der steile Weg am Platz von vorherigen Unwettern beschädigt und nicht begehbar ist. Wandern, campen, weiter. Traumhaft schön! Vor allem die einsame Abendstimmung am Zelt, mit Blick über den See in die Wolken, bleibt unvergesslich!

Die Westküste von Stavanger bis Bergen wartet schließlich mit den größten und tiefsten Fjorden des Landes auf, samt ihren teils weltberühmten Attraktionen. Bei Stavanger ist der Lysefjord nicht weit, der mit der Riesenklippe Preikestolen und dem schwindelerregenden Findling in der Felsspalte, Kjeragbolten, zwei echte Highlights für Trittfeste bereithält. Von Stavanger geht es entweder durch Inselhopping weiter nach Norden, was extrem schön, aber auch zeitraubend ist, oder man bewegt sich wieder etwas weiter ins Landesinnere. Hier dominiert Wasser und Fels. Hohe Gebirge, Gletscher, Fjorde und Seen überall.

Warum regnet es in den Fjorden so viel? 

Die bis auf weit über 2.000 Meter ansteigenden Höhenzüge des Skandinavischen Gebirges bilden eine enorme Wetterbarriere. Die feuchte Atlantikluft sammelt sich an den steilen Hängen und kühlt schnell ab. Die Folge ist oft tagelang anhaltender Regen. Besonders mies hat es Bergen getroffen, die schöne Stadt gilt als die regenreichste Europas und zwar was Häufigkeit und Menge angeht. Aber ganz ehrlich, mit Regen sollte man in Norwegen eh nicht zu empfindlich sein.

Das Camp am Eidfjord

Der Eidfjord liegt eigentlich nur auf der Durchreise, ist aber irgendwie doch viel zu schön, um einfach vorbeizufahren. Wir beschließen, eine Nacht zu bleiben. Der Campingplatz im gleichnamigen Ort ist uns dann doch zu zentral und urban, also fahren wir weiter am Fjord entlang. Bei einer Pause an einem kleinen Wäldchen werden wir fündig. Unten am blauen Wasser, zwischen Findlingen und Kiefern, ist ein kleiner, ebener Platz. Unserer! So schön, dass wir zwei Tage bleiben. Vielleicht nochmal etwas angeln, es bietet sich an. Die Makrelen sehen es genauso.

Etwas weiter nördlich liegen drei mächtige Nationalparks: Der Folgefonna mit seinen hohen Bergen und mächtigen Gletschern ist ein beliebtes Wander- und vor allem Skigebiet. Östlich davon, getrennt durch das lange Tal des Sørfjords, einem Abzweig des riesigen Hardangerfjords, erheben sich erneut vergletscherte Bergkämme. Diese laufen allerdings ostwärts in einem enormen Hochplateau aus: Der Hardangervidda. Diese 8.000 km² große Hochebene ist Norwegens größter Nationalpark und eine eigene Welt für sich. Hier lassen sich Tage und Wochen in Einsamkeit verbringen. Karg ist es und seenreich, auf einer Durchschnittshöhe von 1.200 bis 1.400 Meter. Das Wegenetz ist gut markiert und es gibt viele Schutzhütten, dennoch verirren sich immer wieder Trekker hier oben, vor allem bei Nebel oder Schneefall. Nördlich der beiden Parks liegt der Hallingskarvet-Nasjonalpark, der ein weiteres mächtiges Hochplateau bildet und dessen Berge bis 1.900 Meter aufragen.

Bärendreck in der Hardangervidda

Kennt Ihr Bärendreck? Denn genau so sieht das aus, da drüben, drei Meter neben unserem Zelt. Kilometertief in der Hardangervidda. Google sagt das auch! Wir ziehen um!

Es wird sich herausstellen, dass es kein Bärendreck ist. Es gibt keine Bären in der Hardangervidda. Zumindest normalerweise. Egal, wir sind am neuen Lagerplatz und hier ist alles wunderbar. Alle sind entspannt, niemand wird gefressen und die Hochebene gibt alles. Spektakulär! Es ist kalt. Weit hinten sieht man die Berge des Hallingskarvet-Plateaus in dunklen Wolken. Darunter wird es immer heller, es schneit. Uns wird der Schnee nicht erreichen. Die tiefe Sonne lässt alles in ersten Herbstfarben leuchten, es ist August und der Sommer ist kurz, im Hochland. Ein Stück weiter steht ein Fuchs und beobachtet uns. Die gibt es hier. Wirklich!

Im Grunde geht es jetzt in Richtung Norden einfach immer so weiter. Das Skandinavische Gebirge zieht sich, Höhenzug für Höhenzug, wie eine Perlenkette gen Polarkreis. Nur unterbrochen von Fjorden, die sich fernab ihres Ursprungs in die Landschaft schneiden. Der längste Fjord Norwegens beginnt nördlich von Bergen. 204 km reicht der Sognefjord, der zugleich auch der tiefste des Landes ist, ins gebirgige Innere.

Da zwei Superlative nicht reichen, küsst der Fjord an seinem Ende auch noch den höchsten Gebirgszug Skandinaviens: Jotunheimen, in der nordischen Mythologie die „Heimat der Riesen“. Diese Riesen beherbergt der Nationalpark tatsächlich, der höchste von ihnen hört auf den Namen Galdhoppigen. Mit seinen 2.469 m ist er der höchste Berg von ganz Nordeuropa. Er kann über verschiedene Routen erwandert werden, alle sind recht anspruchsvoll. Der kürzeste und einfachste Anstieg beginnt an der Juvashytta. Da er über ein weites Stück Gletscherkontakt hat, ist allerdings ein Guide nötig, da die verschneiten Spalten nicht zu erkennen sind. Wer lieber lange Grate, anstatt höchste Gipfel will, geht über den beliebten, aber gar nicht so einfachen Besseggen-Kamm, eine lange Tour zwischen zwei unterschiedlich gefärbten Bergseen.

Aber auch für alle, die nicht die großen Berge von oben, sondern einfach „nur“ Wildnis suchen, ist Jotunheimen ein ideales Ziel. Selbst wenn die Hauptattraktionen in der Sommersaison stark besucht sind, einmal ins nächste Seitental abgebogen, steht das Zelt in guter Nachbarschaft zu Rentieren und Polarfüchsen. Natürlich sollte die Tour vorher gewissenhaft geplant werden.

In Jotunheimen – Rentier? Rentier!

Jotunheimen soll das Highlight der Reise werden. Das Wetter sagt was anderes. Die Unwetter, die in den letzten Wochen vor unserer Ankunft das Land heimsuchten, sind hier noch spürbar. Die Sonne scheint, doch es herrscht überall Hochwasserwarnung. Die Hochmoore haben das Wasser aufgesaugt wie ein Schwamm und geben es nach wie vor in großen Mengen ab. Die Bäche rauschen talwärts, die Flüsse können die Wassermassen nicht mehr halten. 
Also erkunden wir den Nationalpark auf kleineren Touren und ohne viel Moorkontakt und laufen mitten in die Rentiere. Zuerst ist es eins, dann tauchen immer mehr auf. Sie lassen sich kaum stören, ist ihnen der Abstand zu knapp, warnen sie durch ein kurzes Stampfen, oder gehen ein paar Schritte weg. Wir gehen auf etwas mehr Distanz und setzen uns. Wir haben unser Highlight. Hier bleiben wir etwas länger, bevor es zurück an die Südküste geht.

Norwegens Südwesten – Die Fakten

Beste Reisezeit

Juli und August, ab Mitte August enden die Sommerferien in Norwegen, dann wird es auch an gut besuchten Orten ruhiger und der Herbst zieht ein. Sensationelle Herbstfarben gibt’s im September, aber es kann dann auch schon mal schneien.

Wetter

Vor allem im Bereich der Fjorde wäre es ein Wunder, wenn es nicht ab und zu regnet. Hier kann sich aber auch so richtig schön was festsetzen und dann gießt es tagelang, das ist normal und gehört irgendwie dazu. Es kann sehr schnell abkühlen. Die Regenbekleidung und ausreichend warme Schichten müssen ins Gepäck. Ansonsten gibt es natürlich auch hier warme Sommertage. Im Hochland kann es auch im Hochsommer windig und frostig werden.

Campingplätze

Camping ist im teuren Norwegen sehr günstig, Plätze gibt es überall! Wenn man kein wirkliches Ziel hat, kann man sich treiben lassen und findet garantiert am Ende des Tages schnell einen Platz. An manchen kleineren Campingplätzen zahlt man die Nacht einfach an einem Automaten und legt das „Parkticket“ ins Fenster.

Wildcampen

Wildcampen mit dem Zelt ist dank Jedermannsrecht überall bis zu zwei Tage erlaubt, solange es nicht explizit verboten ist. Das kann lediglich an sehr hoch frequentierten Orten und in Schutzgebieten vorkommen. Von Wohnhäusern muss ein Mindestabstand von 150 Metern gehalten werden.

Wildcampen mit Wohnmobil und Camper

Camper und Wohnmobile haben es nicht ganz so leicht. Die müssen auf dem Campingplatz, am Strand oder auf einem öffentlichen Parkplatz stehen. Diese Parkplätze gibt es aber auch in Top-Lage, beispielsweise an der Straße 7 von Eidfjord nach Geilo. Die führt durch den nördlichen Teil der Hardangervidda und es gibt Parkplätze mit epischem Ausblick.

Mücken

Schützt Euch! Der Sommer ist die Zeit der Blutsauger, vor allem in feuchten Jahren. Vergesst alles, was Ihr von hier kennt, die nordischen Moore und Wälder sind Mückenland. Ein wirksames Insektenspray und ein Mückennetz sind absolute Nordland-Pflicht. Im Spätsommer wird es langsam besser.

Fähren

Auf vielen Straßen werden per Fähre Fjorde überquert. Hier stellt man sich einfach in die Reihe. Es kommen entweder Mitarbeiter an die Autos und kassieren, oder man bezahlt per Autopass-App. Manche Fähren fahren nur alle paar Stunden, informiert Euch hier vorab, sonst steht Ihr in der Schlange und das war’s erstmal.

Angeln & Sammeln

Wer gerne frischen Fisch isst und Lust hat, sollte eine Angel einpacken. Ein Angelschein ist nicht notwendig, an Seen und Flüssen braucht man allerdings einen gültigen Erlaubnisschein. Campingplätze am Gewässer haben oft Fischrechte für ihr Ufer und lassen Gäste kostenlos angeln. Am Meer braucht man gar nichts. Schonmaße und Schonzeiten gibt es allerdings und es ist hilfreich, mit dem Equipment umgehen zu können. In den Fjorden schwimmen Seelachse (Pollack), Dorsche, Makrelen und Lachse. Es kann sich lohnen. Das Sammeln von Beeren und Pilzen ist erlaubt.

Feuer

Lagerfeuer in der freien Natur sind in Norwegen nicht mehr erlaubt! Zumindest in der Zeit von 15. April bis 15. September. Lediglich an ausgewiesenen Plätzen und der (waldlosen) Küste dürfen kleine Feuer entzündet werden. Je nach Trockenheit sind auch Gaskocher im Wald verboten.


TEXT & FOTOS: André Tappe

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