Nord-Schweden: Gipfelglück am Kebnekaise

Tausche Home-Office mit Zeltabenteuer in Schweden – für drei Globetrotter Mitarbeiter:innen geht es hoch hinauf auf Schwedens höchsten Berg, den Kebnekaise.

Passend zu meiner Jacke, färbt sich mein Schädel knatschrot und mir läuft der Schweiß von der Stirn. Wie hübsch. Genau so hab ich mir guten Outdoor-Content vorgestellt …

Bereits als Kind begeisterte mich Akka von Kebnekaise, die Leitgans in der Nils-Holgersson-Geschichte von Selma Lagerlöf. Dass ich eines Tages genau diesen Berg – immerhin Schwedens höchster – hinaufwandern würde, wäre mir damals nicht in den Sinn gekommen. Ein paar Jahrzehnte später, Dienstag 10:48 Uhr, Home-Office in Hamburg. Pling. Nachricht vom Chef ans Marketingteam: „Freunde – es gibt ein Angebot von Tierra, mit uns für Content auf den Berg zu fahren. Drei Personen können mit.“ Meine Reaktion: ein Minion Emoji, das freudig die Arme in die Luft streckt. Die Konsequenz: ein Ticket nach Nord-Schweden, ohne wirklich zu wissen, was das bedeutet. Spoiler: Campingromantik 150 Kilometer nördlich des Polarkreises, Rentiere hautnah, Schnee im Spätsommer, fünf Tage ungeduscht.

Schweden der Länge nach

Meeting Hamburg Flughafen. Geri aus dem E-Commerce, Dennis aus dem Einkauf und meine Wenigkeit aus dem Marketing des Globetrotter Universums. Eine unbekannte Konstellation auf dem Weg von Hamburg nach Stockholm und noch viel weiter. Erster Zwischenstopp ist das Fenix Office in Stockholm. Hier treffen wir Linus, Marketingleiter von Tierra und Abenteurer durch und durch. Einer der Meetingräume ist bereits vollgepackt mit Equipment für eine Woche outdoor – von Essensvorräten und Kocher über Schlafsäcke und Zelte bis Blasenpflaster und Klopapier. All das versuchen wir, möglichst sinnvoll und vollständig in den nächsten Stunden in unseren riesigen Backpacks zu verstauen. Einige „It’s Friday then“-Songs später machen wir uns gegen Abend auf in Richtung Nachtzug ab Stockholm Hauptbahnhof. 14 Stunden von Süd nach Nord, Schweden der Länge nach. Mit dabei ein Gepäckvolumen für eine gefühlt mehrmonatige Expedition.

Der Nachtzug nach Nord-Schweden hat etwas wunderbar Nostalgisches. Alles quietscht, qualmt und mufft.

Weit und breit begegnen uns nur Outdoor-Menschen mit weit gereisten Backpacks auf dem Rücken, klobigen Wanderschuhen an den Füßen und viel Abenteuerfreude im Gesicht. In unserem Abteil liegt eine Mischung aus stickiger Sauna und Geruch gut eingetragener Wanderschuhe in der Luft. Und ein bisschen Harry Potter. Ich fühle mich jetzt schon angekommen, obwohl die Reise erst losgeht. Theoretisch ist dieses Kabuff für sechs Personen vorgesehen. Mir unerklärlich, wie das bei dem wenigen Platz funktionieren soll. Wir verwandeln das Abteil in unser Schlafzimmer für die Nacht. In wenigen Minuten sind die Betten unter lautem Quietschen ausgeklappt und bezogen. Ganz oben schläft unser Gepäck, darunter in zwei weiteren Reihen wir. Schnell und erstaunlich komfortabel werden wir die nächsten Stunden von der alten Bahn in den Schlaf gewiegt. Noch ein weiterer Zug, ein letzter Bus und wir sind da – willkommen in Nikkaluokta, dem Tor zur Bergwelt um den Kebnekaise und Einstieg des berühmtesten Fernwanderweg des Landes, dem Kungsleden.

Linus bestellt klassisch einmal Rentier für alle. Von der Kebnekaise Fjällstation trennen uns 19 Kilometer Wanderung. Es ist bereits später Nachmittag, daher satteln wir nach kurzer Verschnaufpause ein letztes Mal für heute unsere schweren Rucksäcke auf und stapfen durch das Tor in Richtung Abenteuer. Die Landschaft vor uns ist einfach atemberaubend. Viele Blätter sind bereits herbstlich verfärbt und es liegt eine kühle Abendluft über den Holzstegen des Fjälls. Auf halber Strecke finden wir einen geeigneten Schlafplatz für die erste Nacht im Zelt. Zum Thema „nichts vergessen“: Geri und mir fehlt die zweite Isomatte neben der bescheidenden Schaumstoff-Unterlage. Ups, die liegt wohl noch in Stockholm. Wir nehmen es mit Humor und machen bald die Augen zu, während Dennis und Linus im Nachbarzelt in der De-luxe-Version schlafen.

Wasserfälle, Rentiere & Fjäll

Wir stehen mit der Sonne auf, um die letzten der insgesamt 19 Kilometer hinter uns zu bringen. Kaum ist das Gepäck auf dem Rücken zurechtgezurrt, kann ich’s kaum erwarten, es bald wieder abzusetzen. Wandern mit so viel Gewicht (an die 20 Kilo) bin ich nicht gewohnt und ich weiß noch nicht, ob ich großer Fan davon werde. Endlich am Fuße des Kebnekaise angekommen, werden wir von tosendem Regen, Wind und einem riesigen Regenbogen begrüßt. Kurz bereue ich, im Vorgespräch mit Linus die Option „Abenteuer Zelt“ der Option „gemütliche Fjällstation“ vorgezogen zu haben. Die Fjällstation begann als kleine Wanderhütte und ist mittlerweile mit ca. 200 Betten, Restaurant und Sauna fast schon Luxus. Aber ich wollte outdoor, also kriege ich outdoor. Lustig, wenn man bedenkt, dass sich meine Campingerfahrung bis jetzt auf Festivals und ein paar Globetrotter Teamevents beschränkt. Wir begeben uns also weg von der Station, von warmen Duschen, weichen Betten und knisterndem Kaminfeuer in Richtung flussabwärts. Ein paar Kilometer entfernt finden wir einen geeigneten Platz für die nächsten Tage. Als zugezogene Hamburger bleiben wir uns treu und knüpfen an die steife Brise der letzten Nacht. Dazu peitscht uns nun auch der Regen aus allen Himmelsrichtungen ins Gesicht – da macht der Zeltaufbau gleich doppelt Spaß. Mein erstes Learning: Ordentlich gespannt und mit Windrichtung kommen Zelt und Zeltbewohnende selbst im Sturm zur Ruhe.

Mein erstes Learning: Ordentlich gespannt und mit Windrichtung kommen Zelt und Zeltbewohnende selbst im Sturm zur Ruhe.

„Bei euch oder bei uns?“ – Wie die Pinguine kuscheln wir uns zu viert in einem der Zelte zusammen. Mit einer warmen Mahlzeit im Bauch und einem Kartendeck in petto lassen wir den Abend gemütlich ausklingen. Nur einer muss wieder raus, um mit Stirnlampe Teller, Besteck und Topf im eiskalten Fluss zu spülen. Ach, was wären wir doch da oben an der Fjällstation. Für eine gute Nacht im Schlafsack Tipp von Linus: Shake it! Durch das Schütteln verteilt sich die Daune optimal, erzeugt mit voller Bauschkraft gleichmäßige Wärme und hält so auch kleine Frostbeulen warm. Tatsächlich lässt sich die Nacht bei einstelligen Gradzahlen mit dem Frau-Holle-Tipp perfekt aushalten. Erholt stärken wir uns daher am Morgen mit dem vorab rationierten Frühstück: Porridge, oder wie Linus es mit seinem schwedisch-deutschen Akzent liebevoll nennt: Grütze. Mit Blaubeerpulver und Geschmack von Dr. Bronners Lavendel-Spüli und hartnäckigen Pesto-Resten vom Vortag. Beim Camping muss man seinen gewohnten Spülmaschinen-Hygiene-Standard einfach daheimlassen.

Eine Herde Rentiere kommt gemütlich direkt auf uns zu. Die Zeit steht für einen Moment still und ich traue mich kaum zu atmen, weil wir so nah dran sind.

Der Wechsel vom 75-Liter-Backpack zum Daypack für den heutigen Tag fühlt sich herrlich befreiend an. Wir schweben förmlich über die Wege, es gibt die ersten Mutproben – über reißende Flüsse springen (alle bestehen!) – und wir bedienen uns immer wieder an den wilden Blaubeeren am Wegesrand. Eine ganze Weile tost und braust es schon von Weitem: Elsas Bro – mehrere Wasserfälle in wunderschönem Bergpanorama. Wie besessen laufe ich mit meinem Handy umher und will jeden Winkel einfangen. Plötzlich zischt Linus „Pssst!“ und deutet mit seinem Finger in die Ferne: Eine Herde Rentiere kommt gemütlich direkt auf uns zu. Wir tapsen vorsichtig ein paar Schritte näher durchs Gras und lassen uns leise auf einem Stein nieder. Die Zeit steht für einen Moment still und ich traue mich kaum zu atmen, weil wir so nah dran sind. Von klein auf war ich regelmäßig in der Natur, aber eine Herde Rentiere habe ich so entspannt und so nah noch nie erlebt. Wir alle grinsen bis über beide Ohren. Die Herde zieht langsam weiter, so auch wir. Über Steine, Brücken, etwas hoch auf den Berg, querfeldein.

Wir hören (an)gespannt zu: »Slow but steady hike, zehn bis zwölf Stunden. Es gibt nur Pausen, wenn ich sie ankündige. Ich gebe das Tempo an und ihr folgt.«

Am Abend wird Jenny anreisen. Wenn Linus von ihr erzählt, fallen Beschreibungen wie: Topathletin, war schon immer in den Bergen zu Hause, Powerfrau … Jenny wird unser Guide für die morgige Wanderung auf den Kebnekaise sein. Und da steht sie plötzlich auch schon vor uns im Camp. Mal eben aus Nikkaluokta mit ihrem ganzen Gepäck über 20 Kilometer hergejoggt. Why not? Sie hat schon jetzt meinen vollen Respekt. Ein paar große Schlucke Wasser, ein bisschen Smalltalk und schon stecken wir die Köpfe für den morgigen Masterplan zusammen. Der Kebnekaise besitzt zwei Gipfel, einen südlichen und einen nördlichen. Unser Ziel, der südliche, besteht aus einem Gletscher und variiert in seiner Höhe, je nachdem, wie viel im Sommer schmilzt und wie viel es im Winter schneit. „Die meisten Wanderer nehmen die Westroute auf den südlichen Gipfel des Kebnekaise. Wir aber nehmen die Ostroute“, erklärt Jenny. Okay, wäre ja auch zu einfach, wenn wir das Standardprogramm machen würden.

Wir hören weiter (an)gespannt zu: „Slow but steady hike, zehn bis zwölf Stunden. Es gibt nur Pausen, wenn ich sie ankündige. Ich gebe das Tempo an und ihr folgt. Wenn ihr die Gruppe aufhaltet, müsst ihr umkehren. Es beginnt gleich mit einem steilen Anstieg bis zum point of no return – wenn wir den passiert haben, gibt es kein Zurück mehr. Dann heißt es durchziehen. Über den Gletscher und Klettersteig bis zum Gipfel und zurück.“ Geri, Dennis und ich schauen uns an. Hoppala, auf was haben wir uns da eigentlich eingelassen? War da nicht mal die Rede von nur ein bisschen Content machen? Muss man dabei nicht gut aussehen? Jenny fährt fort. Ausrüstungs-Check: Klettergurt, Helm, Steigeisen, Klamottenschichten, Essensvorräte. Wir verstauen alles in unseren Rucksäcken und füllen den restlichen Platz mit Wasser-Elektrolyte-Mischung, Snacks und vollgetankten Powerbanks. Na gute Nacht auch.

Endgegner Kebnekaise: Östra Leden

Es ist 6 Uhr in der Früh. Das Zelt raschelt im Wind und wird kurzzeitig vom Klingeln des Weckers übertönt. Ich bin ehrlich – jetzt aus dem warmen Schlafsack zu krabbeln, um die Wanderung des Jahres (hoffentlich) zu meistern, kostet etwas Überwindung. Linus hingegen ist schon länger wach und kocht fleißig Wasser. Heißer Tipp: Schon am Morgen das frisch aufgekochte Wasser zusammen mit dem Tütenessen in den Thermobehälter füllen, gut umrühren, Deckel draufschrauben und im Rucksack verstauen. So spart man am Gipfel Zeit, Geduld und Müll, und die Freude über bereits fertiges Essen ist riesig. Nach einem kurzen Porridge-Powerfrühstück im Stehen satteln wir die bereits gepackten Rucksäcke auf, um in Richtung Highlight unserer Reise zu starten.

Worüber andere Länder lachen würden, hat es der Stolz Schwedens mit seinen nur knapp über 2.000 Metern in sich. Insgesamt gilt es, 1.500 Höhenmeter zu überwinden, und gleich zu Beginn geht es entlang des Wassers steil bergauf. Time-Management hat heute absolute Prio. Jenny ist die Verkörperung von effektivem Zeitmanagement und gibt als Leader Tempo und alle Pausen vor. Mit mimimi und „Können wir nicht mal kurz …?“ braucht man es gar nicht erst zu probieren. Jenny wirft einen Blick auf ihre Fitnessuhr. Endlich wieder eine Pause. Fünf Minuten. Ich befreie mich von meinem Rucksack, greife zur Wasserflasche, esse einen Powerriegel. „Zwei Minuten bis zum Aufbruch“ – ich stopfe noch schnell ein paar Nüsse in mich hinein, schnalle den Rucksack wieder fest und schon ist die Pause rum. Boxenstopps bei der Formel 1 sind nichts dagegen.

Wie angekündigt wandern wir slow but steady bis zum besagten point of no return vor dem Gletscher. Jetzt heißt es: umkehren oder bis zum Gipfel durchziehen. Wir hängen zeitlich zurück und würden es in dem bisherigen Tempo nicht mehr bei Tageslicht zurückschaffen. In der Gruppe teilen wir offen unsere Gedanken und beratschlagen uns. Eine von uns entscheidet sich schweren Herzens, nicht weiter mitzukommen, sondern umzukehren. Für die restlichen vier von uns geht es weiter bergauf.

Jenny zieht das Tempo noch mal gut an und mir geht ordentlich die Pumpe. Passend zu meiner Jacke, färbt sich mein Schädel knatschrot und mir läuft der Schweiß von der Stirn. Wie hübsch. Genau so hab ich mir guten Outdoor-Content vorgestellt. Ich, Ton in Ton in der neuen Globetrotter Kampagne. Na, das kann ja was werden. Um mich bei Tempo und Laune zu halten, läute ich die Mission „Geist über Körper“ ein. Ha, ha, ha, ha, stayin’ alive, stayin’ alive. In meinem Kopf stimme ich die Hits der 70er an. Funktioniert immer wieder sensationell. Mit jedem weiteren Song-Kracher kommen wir der gewaltigen Felslandschaft vor uns immer näher.

Um mich bei Tempo und Laune zu halten, läute ich die Mission »Geist über Körper« ein. In meinem Kopf stimme ich die Hits der 70er an.

Nord-Schweden ist anders als die Alpen oder alles, was ich mir bisher erwandert habe. Es gibt unglaublich viele Steine: große, kleine, dicke, dünne. Steine in jeder Größe und Farbe. Mal rutschig, mal locker. Manchmal sind sie dein Freund, manchmal dein Feind. Wir springen, hüpfen, klettern und fluchen, bis es endlich flacher wird und ich meine Augen zukneifen muss. Vor uns liegt eine riesige Schneedecke, die den 210 Meter breiten Gletscher auf mittlerweile ca. 1.500 Höhenmetern bedeckt. Der Björling-Gletscher ist nach Johan Alfred Björling benannt, der 1889 als erster Schwede den höchsten Gipfel des Landes bestieg. Kleiner Unterschied: Er war zarte 17 Jahr und nicht ansatzweise so professionell ausgestattet wie wir. Was er wohl für Tricks hatte?

Eine erste Schneeflocke berührt meine Nase, gefolgt von vielen weiteren. Wow, kurz durchatmen. Das sommerliche Gefühl von noch letzter Woche beim Paddeln auf der Alster in Hamburg ist längst verflogen und ich beeile mich, meine Daunenjacke aus dem Rucksack zu kramen. Hier oben ist eine andere Welt. Eine winterliche Landschaft, umgeben von schneebedeckten Bergen. Weit und breit außer uns kein anderer Mensch in Sicht. Wie absurd. Ein sanftes Kribbeln durchfährt meinen Körper. Kann man denn einen besseren Job haben?

Essen ist meine wichtigste Überlebensstrategie für den heutigen Tag. Tüten-Bolognese, Schokolade und Nüsse sorgen schnell dafür, dass meine Energiebalken wieder auftanken.

Wir machen spendable zehn Minuten Pause, bevor es die senkrechte Wand aus Schnee und Fels hinaufgeht. Beim Öffnen meines Thermobehälters lachen mich die heißen, schon fertigen Nudeln an. Essen ist meine wichtigste Überlebensstrategie für den heutigen Tag. Tüten-Bolognese, Schokolade und Nüsse sorgen schnell dafür, dass meine Energiebalken wieder auftanken. Gut gestärkt und durchs Seil miteinander gesichert überqueren wir gemeinsam in Reihe den Gletscher. Vor uns – Zitat Linus – die „suuuper easy via ferrata“. Dass ich nicht lache. Eins sei gesagt: Die schwedische Vorstellung von super easy geht mit meiner aber mal gewaltig auseinander. Ich bin nur wenig klettererfahren, liebe es aber, die Komfortzone immer wieder zu verlassen. Dennis und ich sind vollgepumpt mit Adrenalin, hangeln uns nacheinander von Abschnitt zu Abschnitt und schaufeln die Klettersteige frei von Schnee. Teilweise ist der Steig ganz schön steil, schmal und rutschig. Mal gibt es auch nur ein Seil, dem man sein Leben kurzweilig anvertrauen muss. Klassischer Einsteigerklettersteig halt. Mein Backup: die Abenteuerlust, das sagenhafte Team und die unschlagbare Aussicht. Ein letztes Mal haken wir den Karabiner aus und auch das wäre geschafft. Der Gipfel ist allerdings immer noch nicht erreicht. Von hier aus ist der Weg im Vergleich zu dem, was hinter uns liegt, aber immerhin nicht mehr so anspruchsvoll. Meine Beine sind trotzdem müde. Wir sehen auch wieder andere Wanderer, denn hier treffen West- und Ost-Wanderroute aufeinander.

Es ist fast windstill und Nebel umringt uns, als die Gletscher-Spitze des Berges endlich in Sicht ist. Die letzten Meter tippeln wir parallel in kleinen Schritten zum Gipfel. Und dann ist es endlich so weit: Wir stehen auf dem höchsten Punkt Schwedens! Wir haben es geschafft! Es ist punkt 14 Uhr und die Freude ist riesig. Das Wichtigste zuerst: eisgekühltes Glück aus der Jackentasche, ein verdientes Gipfel-Snickers. Zucker hat noch nie so gut geschmeckt. Dass die Sicht in den letzten Minuten auf sehr neblig bis gar nicht vorhanden umgeschwenkt ist, macht nun auch nichts mehr. Bei klarem Wetter hat man hier wohl Ausblick auf zehn Prozent des Landes. Wir fühlen uns trotzdem wie die Könige. Ich bin erschöpft, aber mehr als glücklich.

Wieder etwas weiter unten verbringen wir eine weitere kurze Pause in einer alten Holzhütte. Wir verschlingen dank Thermobehälter die letzten immer noch dampfenden Essensreste sowie einen weiteren Power- und Proteinschokoriegel. Noch beflügelt vom Erreichen des Gipfels, kommt mir eine nicht unerhebliche, aber geschickt verdrängte Sache in den Kopf: Kilometermäßig ist gerade mal Halbzeit und den bis hierher zurückgelegten Weg müssen wir ja auch wieder komplett zurück. Jetzt sofort, ohne große Verschnaufpause. Wie soll das denn funktionieren? Dass der Abstieg gerne auch mal unbequemer als der Aufstieg sein kann, wissen alle geübten Bergurlauber.

In Windeseile tänzeln wir den Klettersteig und den Wanderweg von Stein zu Stein hinunter und lassen Schnee und Kälte hinter uns. Die nächsten Stunden verbringt mein Körper auf Autopilot. Ein Fuß nach dem anderen. An dieser Stelle eine Danksagung an meine ausgeliehenen Stöcke, die ich erst gar nicht mitnehmen wollte. Stöcke sind doch nur was für ältere Leute und overequipped Germans. Dachte ich, bis heute. Absoluter Quatsch. Ich bin heilfroh über die Entlastung. Mir brennen die Oberschenkel und bei jedem Auftreten von meiner steinharten Schuhsohle auf steinharte Steine schießt ein beachtlicher Schmerz durch meine Knie. Die letzten Kilometer ziehen sich endlos, aber die Landschaft ist wirklich atemberaubend. Die Umrisse der markanten schwarzen Fjällstation werden immer deutlicher. Und dann: Ein letzter Blick auf die Smart Watch. Jenny drückt einen der Seitenknöpfe. Es piept laut. Wir haben es geschafft! Wir haben überlebt! Wir haben den Berg bezwungen! Exakt zehneinhalb Stunden. Mit letzter Kraft klopfe ich auf Dennis’ Schulter und strahle zufrieden in die Runde. Was für ein geiler Tag.

Luxus an der Fjällstation

Ein lautes Lachen dringt am nächsten Morgen aus einem der zwei Zelte. Ich bin der Grund, da ich nur mit Müh und Not aus dem Zelt gekrochen komme. Meine Knie fühlen sich an wie die einer 90-Jährigen. Wenn man das mit Ende 20 überhaupt ansatzweise beurteilen kann. Ich werde mich dran erinnern. Beim Frühstück an der frischen Luft immerhin Entwarnung für den Tag: heute nur eine entspannte Wandertour zum Abschluss, ohne Zeitdruck. Ich hoffe, die beiden Schweden haben nicht wieder andere Vorstellungen von super easy Dingen. Nach dem Abwasch am Fluss schnüren wir wieder einmal die Wanderschuhe fest und begeben uns in den letzten gemeinsamen Tag in den Bergen in Richtung Tarfala. Nach den ersten Kilometern sind auch die Knie erstaunlicherweise wieder halbwegs geölt. Ich genieße es, in aller Ruhe die wunderschöne Landschaft zu entdecken und nicht die Zeit im Nacken zu haben. Mein Handy gewinnt in kürzester Zeit hunderte Bilder und Videos dazu. Auf dem Weg eröffnet sich eine tolle Sicht auf den Kebnekaise. Von hier unten sieht man den südlichen Gipfel, auf dem wir gestern standen. Wahnsinn, das glaubt mir ja keiner. Hätte ich’s nicht gestern selbst erlebt, würde ich’s mir ja selber nicht abkaufen. Ich schüttele den Kopf und grinse in mich hinein.

Zurück von der Wanderung verlegen wir am frühen Nachmittag im Raketentempo unser Lager weiter Richtung Fjällstation, um den Rückweg nach Nikkaluokta am nächsten Morgen zu verkürzen. Am so gut wie letzten Tag kommen auch wir schließlich noch in den Genuss des Luxus der Fjällstation. Unsere Körper sehen nach fünf Tagen endlich eine Dusche. Pure Wohltat. Meinen Respekt an unsere Merinokleidung, die ihrem Ruf wirklich aller Ehre gemacht hat. So richtig müffeln tun wir nicht und trotz all dem vielen Wandern fühlen wir uns auch nicht wirklich eklig. Na gut, bis auf die verfilzten Haare durch Wind, Mütze und Helm. Ich brauche fast zehn Minuten, um meine Mähne mit der Bürste zu entwirren. Gekrönt wird die Dusche mit einem Saunabesuch mit Blick auf die Berge und einem Drei-Gänge-Menü im hauseigenen Restaurant. Von Bergstationen bin ich Pommes und Erbsensuppe gewöhnt. Hier allerdings gibt es feinste Kreationen von Lebensmitteln und Zutaten, wie ich sie noch nie zusammen gegessen habe. Letzte Nacht, schwerer Abschied.

Hej hej Schweden – ein Fazit

Um 6 Uhr in der Früh machen wir drei Globetrotter uns ohne unsere Lieblingsschweden Linus und Jenny auf die Rückreise Richtung Nikkaluokta. Nach den letzten Tagen und dem wieder viel zu schweren großen Rucksack gönnen wir uns den Luxus, die Wanderung mit der Fähre um sechs Kilometer abzukürzen. Nach sieben Kilometern erreichen wir die Anlegestelle im Nirgendwo. Das kleine Boot mit Sitzplatz für maximal 15 Leute kommt um die Ecke gebraust. Ich schlucke. Die Leute vor uns zeigen fast alle ihre bereits gebuchten Tickets mit dem Handy vor. Oje. Um Tickets haben wir uns vorab nicht gekümmert und keiner von uns hat schwedische Kronen zum Bezahlen. Eins steht fest: Zu Fuß werden wir die Strecke bis zum Bus und der anschließenden Weiterreise Richtung Deutschland nicht mehr schaffen. Wir müssen mit aufs Boot. Komme, was wolle. Wir sind die Letzten in der Reihe. Ich nuschele ein „Three tickets please“ und halte dem Fahrer meine Kreditkarte mit einem naiven Lächeln hin. Er schaut auf meine Karte, schaut mich an, nickt kurz und kramt mitten in der Natur doch tatsächlich ein Kartenlesegerät aus seiner Bauchtasche hervor. Gelobt sei der digitale Vorsprung Schwedens. Mit 250 schwedischen Kronen (ca. 23 €) pro Person ist die kurze Überfahrt von 20 Minuten allerdings nicht ganz billig.

Auf den letzten knapp sechs Kilometern der Wanderung bis zur Busstation habe ich das Gefühl, dass der Weg nie ein Ende nehmen wird. Der schwere Backpack raubt mir den letzten Fitzel Energie und schnürt mir immer mehr den Brustkorb zu. Die Füße sind schwer und schlurfen langsam nur wenige Zentimeter über dem Boden. Wie weit war der Weg denn? Immerhin keine Blasen. Meine Kraft reicht nicht einmal mehr für ein Summen meiner Gute-Laune-Charts. Stumpf zähle ich daher in meinem Kopf von eins bis 100. Immer und immer wieder. Bis wir endlich das Tor erreichen, durch das wir vor einer Woche ins Unbekannte gestartet sind. Ob ich das Ganze genauso noch einmal machen würde? Auf jeden Fall.


Das nehme ich mit

Ausrüstung für deine nächste Schweden-Tour

Die Route

Den Gipfel des Kebnekaises kannst du über zwei Routen mit unterschiedlichen Herausforderungen erreichen. Von unserem Camp nahe der Fjällstation bis zum Gipfel, dem Kebnekaise Sydtoppen, sind es über die Ost-Route 17 km und 1.500 Höhenmeter. Für die gesamte Tour solltest du zwischen 10-12 Stunden einplanen. Hab unbedingt genügend Verpflegung und passende Ausrüstung für den Klettersteig und die Gletscherüberquerung dabei. Wenn du keine oder nur wenig Erfahrung hast, kannst du eine*n erfahrende*n Bergführer*in an der Fjällstation buchen. Oder probiere es mit der weniger technischen West-Route auf Schwedens höchsten Berg aus. Hier ist der zurückgelegte Weg zwar länger, aber es gibt wenig steile Passagen und du brauchst keine Klettererfahrungen und -equipment.

Tour ab Camp nahe Fjällstation über die Ostroute auf den südlichen Gipfel des Kebnekaises
Übersicht West- und Ostroute (Västra & Östra leden) auf den Gipfel des Kebnekaises
Text: Sandra Königs