Auf unserer zweiten Neuseelandreise 2012 verschlug es uns auch ins wuselige Wanaka im Süden der Südinsel. Wir nächtigten damals an der Glendhu Bay außerhalb des Ortes und passierten entlang der Verbindungsstraße nach Wanaka mehrfach den Parkplatz zum Roys Peak Track mit gefühlt zehn Parkplätzen. Selten war dort ein Auto zu sehen. Ein Begriff war mir der Wanderweg bereits. Aber welch geniale Aussichten er über den Lake Wanaka bietet und wie populär er werden würde, war mir damals nicht klar. Der lange Aufstieg schreckte uns ab, schließlich waren wir schon fast ein halbes Jahr auf Wanderreise und ziemlich müde.
Sieben Jahre später ist Roys Peak zu einer der beliebtesten Tageswanderungen Neuseelands avanciert. Im Sommer pilgern Hunderte keuchend die 1260 Höhenmeter zum Gipfel oder stehen etwas unterhalb Schlange für den „einzigartigen“ Moment am Social-Media-Hotspot. Der Parkplatz wurde enorm ausgebaut, dennoch platzt er an manchen Tagen aus allen Nähten. Leider ist nur für einige wenige der Weg das Ziel. Fast zu jeder Tageszeit ist jemand unterwegs. Einige laufen den einfachen und breiten, aber konditionell anspruchsvollen Weg frühmorgens im Dunkeln los, um auf der Spitze des Roys Peak den Sonnenaufgang genießen zu können. Ich sah sogar eine Familie, die aufopferungsvoll ihren Sohnemann im Buggy vor sich her bugsierte.

Ich bin nicht menschenscheu, aber auf Wanderungen bevorzuge ich doch ein paar weniger Zeitgenossen, mit denen ich dann auch gerne ein Schwätzchen halte. Auf der Suche nach Alternativen hatte ich mir schon in Deutschland den Zugang über den Skyline Track herausgepickt. Der Startpunkt zum Wanderweg ist ein kleiner, unscheinbarer Parkplatz zehn Kilometer südlich entlang der Cardrona Valley Road (395 Hm). Nur zwei kleinere Schilder weisen darauf hin, dass man hier richtig ist.
Jagdsaison
Durch ein kleines Tor im Gatter starte ich an einem kühlen, aber perfekten Morgen meine Wanderung. Der Himmel ist wolkenlos, die frische Brise nehme ich dankend an, denke ich doch schon an den langen Aufstieg. Bereits nach wenigen Metern stehe ich vor einem Warnschild, das mich ein bisschen mehr frösteln lässt. Auf dem privaten Gelände um Spotts Creek werden Safaris veranstaltet. Während der Roar Season jagt man hier von Februar bis Juli große Rothirsche („Red Stags“).



Ein Gedanke schießt mir sofort in den Kopf: Wie erfahren sind die Teilnehmer? Zum Glück habe ich Handy-Empfang und rufe die angegebene Telefonnummer an. Marcus von Cardrona Safaris bestätigt mir, dass seine Klienten schon irgendwo in den Büschen der Hänge lauern und auf ihren großen Moment warten. Kurz darauf erhalte ich eine SMS von ihm: Jetzt wüssten alle Jäger über meine Wanderpläne Bescheid. Die Hirsche wären aktuell während der Brunft unberechenbar und ich solle mich von ihnen fernhalten.
Ich hole die bunteste Ausrüstung heraus, die ich bei mir habe. Selbst das rote Regencover ziehe ich über den Rucksack. Als laufender Paradiesvogel hoffe ich, nicht mit einem Hirsch verwechselt zu werden.
Eine unerwartete Begegnung
Der Weg selbst ist zunächst unspektakulär. Durch die Wiesen des weiten Spotts Creek Valley geht es ohne große Steigungen gemütlich an Zäunen entlang, orangefarbene Stäbe oder Dreiecke helfen bei der Orientierung.
Nach ein paar Kilometern meldet sich ein dringendes Bedürfnis. Ich gehe diskret hinter einen Hügel, schaue auf und – keine zehn Meter entfernt starrt mich ein riesiger Hirsch an. Mehrere Sekunden stehen wir uns gegenüber, bis er sich entscheidet, geräuschlos den Rückzug anzutreten. Ich lache (innerlich) laut los: Da hocken die Jäger stundenlang frierend in ihren Verstecken, und ich bekomme so ein Prachtexemplar beim Pinkeln zu Gesicht. Ich wünsche dem Hirsch in Gedanken viel Glück. Nach zwei kleinen Bachquerungen durch den Spotts Creek nach 3,5 Kilometern biegt der Weg in das engere Tal nach Nordosten ab, die ersten Höhenmeter müssen erklommen werden. Noch spenden die umgebenden Berge Schatten, doch schon bald bin ich der stärker werdenden Sonne ausgesetzt. Der 4WD-Fahrtweg schlängelt sich immer höher. Nach sieben Kilometern ändert sich das Bild: Nach Osten eröffnet sich der Blick in das weite Cardrona Valley.

Skyline Track mit Mount Alpha und Roys Peak
- Start: Spotts Creek Carpark, GPS: S 44°46.409‘, E 169°05.494‘
- Ziel: Roys Peak Carpark, GPS S 44°40.389‘ E 169°04.311‘
- Distanz: 22,7 Kilometer
- Dauer: 9-11 Stunden
- Höhenmeter: 1440 Meter Aufstieg /1515 Meter Abstieg (inkl. Zwischenanstiege)
- Achtung: Der Abschnitt des Roys Peak Track (14,9 km bis zum Ziel) durch das private Gelände der Alpha Burn Station ist vom 1. Oktober bis 10. November gesperrt.

Mount Alpha
Ab hier geht es nach einer Kehrtwendung über samtig-weich aussehende Tussockgras-Hänge nach Norden weiter bergan. An dieser Stelle treffe ich den ersten Mitmenschen. Er kommt aus der anderen Richtung und hat Roys Peak zum Sonnenaufgang bestiegen. Ich muss gestehen, seine Fotos sind atemberaubend.
Je weiter ich emporsteige, desto besser wird der Ausblick. Mit einer gewissen Erleichterung trete ich durch ein Weidetor aus dem Safari-Bereich. In der Stack Conservation Area sind nur noch die Berge und ich. Etwas mehr als zehn Kilometer nach meinem Start genieße ich Panoramablicke auf den vielarmigen Lake Wanaka im Norden und das gleichnamige Städtchen im Osten. Mount Alpha und Roys Peak sind nun ebenfalls sichtbar. Zurückblickend habe ich das gesamte Cardrona Valley zu meinen Füßen, die Berge von Queenstown sind im Hintergrund zu sehen.




Der Wind pfeift mir um die Ohren. Der Weg ist jedoch weiterhin eindeutig und einfach. Immer wieder halte ich inne und genieße die Aussichten. So dauert es eine Weile, bis ich Mount Alpha bei Kilometer 12,5 erreiche (1630 Hm). Ein Gipfel mit satter 360°-Szenerie. Und als ob es noch nicht spektakulär genug wäre, kann ich nun auch weit in die Täler der Matukituki und Motatapu Rivers schauen. Die Serpentinen hinauf zum Treble Cone Skifield sind genauso sichtbar wie der etwas verdeckte, weit entfernte Rob Roy Glacier im West Matukituki Valley.



Finale am Roys Peak
Nach einer ausgedehnten Pause und flüchtiger Bekanntschaft mit einem weiteren Wanderer folge ich dem schmalen, steilen und teilweise ausgesetzten Pfad über einen Berggrat in Richtung Roys Peak. Spätestens hier wird mir die Bedeutung Skyline Track klar. Das 2,5 Kilometer lange Stück quert das anspruchsvollste Terrain der gesamten Wanderung. Für geübte Wanderer unter guten Wetterbedingungen ist es aber problemlos machbar. Beim steilen Abstieg durch die Felsen direkt nach Mount Alpha sollte man auf jeden Fall auf dem Weg entlang der westlichen (linken) Seite des Grats bleiben, auf der östlichen Flanke besteht Absturzgefahr!

Das Wetter ist nach wie vor herrlich, es ist inzwischen Nachmittag. Mein kürzer werdender Atem rechtfertigt jede Pause. Der letzte Anstieg des Tages hat es in sich. Schließlich erreiche ich den Roys Peak (km 14,9) genauso stöhnend wie die Wanderer von der anderen Seite. Die Blicke sind nochmal ein i-Tüpfelchen auf meine ohnehin schon glückliche Wanderseele. Auf dem Weg nach unten zum Parkplatz über die endlosen Schleifen des breiten Fahrtwegs stören mich die vielen Menschen nicht mehr. Die Schlange am Social-Media-Hotspot lasse ich stehen; ich habe meine Bilder bereits in meinem Kopf abgespeichert.
Der Artikel ist in ähnlicher Form im Magazin 360° Neuseeland erschienen


Über Daniel
Daniel Hüske ist Outdoor-Fan mit Leib und Seele. Der Wahl-Leipziger hat vor einigen Jahren seinen ersten Wanderführer zu Patagonien veröffentlicht, 2019 folgen zwei Bücher zu Neuseelands Nord- und Südinsel.
Daniel ist auch immer wieder für Info-Abende in den Globetrotter-Filialen unterwegs – in diesem Frühjahr berichtet er über Patagonien und natürlich Neuseeland: