Zu Besuch bei den Murmeltieren

Auf Murmels Spuren

Murmeltiere gehören zur Familie der Erdhörnchen und besiedeln die Alpen seit der letzten Eiszeit. Für unsere Kinder sind sie einfach nur »süüüüß«. Höchste Zeit also, ihnen mal mit einem kleinen Microadventure nachzustellen.

Murmeltiere sind Werbeweltmeister für die Berge. Ihr Antlitz ziert Alpenmilch-Schokolade, Bergbauernmilch und Kräuterquark. Eine bekannte Outdoor-Marke verdankt ihnen ihren Namen, doch so richtig beobachten – in wirklich freier Wildbahn – konnten unsere Kinder die drolligen Tiere bislang noch nicht. Zu gut verstecken sie sich vor den Tagestouristen oder der Mittagshitze in ihren riesigen Höhlensystemen. »Abends und wenn das Wetter schlechter ist, kommen die Tiere heraus«, erklären wir ihnen. »Dann sind wir aber nicht da …«, antworten sie. Stimmt.

Früher – noch ohne Nachwuchs – bekamen wir die Nager öfter zu sehen. Beim abendlichen Zustieg zur Bernhardseck im Lechtal beispielsweise beobachteten wir eine ganze Kolonien bei der Nahrungssuche. Ein Murmeltier-Kindergarten nistete sich beim Gipfelbiwak in den französischen Alpen neben uns ein. Das würden wir auch gerne mal mit unseren Kindern erleben …

Also auf in die Berge: Die Gjaid-Alm am Dachstein bietet – neben den Schlafplätzen in der Hütte – Zeltplätze im direkten Hüttenumfeld an. Das scheint uns ein gelungener Kompromiss zwischen Sicherheit einer Berghütte (Es gibt einen extra – immer zugänglichen – Schlafraum, wenn es nachts zu gruselig wird.) und Camperfreiheit (Matratzenlager können wir uns mit den Kindern noch nicht vorstellen.). Außerdem ist der Hüttenzustieg denkbar einfach: mittels Gondel (=Murmelbahn) geht es über den Hohen Krippenstein und dreimal Umsteigen fast direkt vor die Gjaid-Alm. Trotzdem sind die Seilbahntechnik und das Skigebiet von der Hütte nicht zu sehen.

Wir nähern uns dem Dachsteinmassiv vom Hallstätter-See. Was wir unterschätzt haben, ist die touristische Bedeutung der Region. Nicht erst seit der Ernennung zum UNESCO-Welterbe 1997 tummeln sich hier Touristen aus aller Welt. Wir reihen uns ein, schieben uns in die Gondel. Auch die Ankunft auf der Hütte hat wenig mit Bergromantik zu tun. Alle Tische besetzt, Kaiserschmarren im Akkord, Sommer in Österreich. Egal. Wir stellen unser Zelt auf, packen Isomatten und Schlafsäcke aus – das Nachtlager steht. 

Murmeltierbau

Besser als Zelt: Murmeltiere leben in Maisonette-Wohnungen

Murmeltiere bewohnen selbstgegrabene Höhlensysteme. Nur etwa 10 Prozent ihrer Lebenszeit verbringen sie oberirdisch. Das Bausystem einer Murmeltier-Familie besteht aus einem Hauptbau (siehe Abbildung) mit mehreren Kammern und diversen Nebenbauten. Diese Nebenbauten haben meist keinen Übergang zum Hauptbau und bestehen nur aus einer Höhle und Zugang. Sie dienen als schnelle Schutzhöhle. Der Hauptbau kann sich auf einer Fläche von 100 Quadratmetern erstrecken und bis zu 3,5 Meter in die Tiefe gehen. Der zentrale Kessel (Wohn- und Schlafstelle) liegt etwas erhöht, damit eintretendes Wasser schnell abfließt.

Nach dem Richten des Nachtlagers bleibt nun genügend Zeit, um das Hochplateau um die Hütte zu erkunden. Eine typische Tageswanderung haben wir ausgesucht. Allerdings starten wir nicht klassisch morgens, sondern antizyklisch weit nach Mittag. Durch die Übernachtung gewinnen wir Zeit, da kein Abstieg nötig ist. Allein das Abendessen um 19 Uhr auf der Hütte wollen wir uns nicht entgehen lassen. 

Das Wandergebiet ist kindgerecht. Die alpine Topographie des Dachsteins mit Karst, Gletscher (aus der Ferne) und Höhlen lädt zum Fantasieren ein. Außerdem ist die Blütenpracht durch den späten Frühling und nun sehr regenreichen Sommer üppig wie selten. Die Wiesen stehen in einem satten Grün.

Wandergruppen kommen uns entgegen, niemand geht mehr in unsere Richtung. Der Plan scheint aufzugehen, gegen 16 Uhr sind wir alleine unterwegs. Bergruhe. Das scheinen auch die Murmeltiere zu schätzen. In einer Senke an einem Südhang erkennen wir die Eingänge zum Höhlensystem. Wir hocken uns ins Gras, spitzen die Ohren. Und beobachten Murmeltiere, ganz alleine, ohne Zäune, ohne Anfütterung. Als I-Tüpfcheln kreuzen noch zwei Gämsen unseren Heimweg. Mission completed!

Zurück an der Gjaid-Alm lassen wir uns mit Hüttenkost verwöhnen und genießen den Sommerabend auf der Terrasse.

So entdeckst du das Murmeltier

Beste Zeit: Juli bis September (Murmeltiere halten bis zu 7 Monate Winterschlaf)
Bester Ort: Alpenregionen über 900 Höhenmeter.
Halte Ausschau nach: Erdlöchern mit rund 15 bis 20 Zentimeter Durchmesser, besonders im Frühsommer mit frischem Aushub davor.
Achte auf: Pfiffe, die wie Vogelstimmen klingen. In Wirklichkeit sind die Pfiffe Warnschreie.

In der Mittelstation bleiben unsere Kinder an den Schaufenstern eines Souvenirladens kleben. Murmeltiere in allen Größen. Eines von den Stofftieren muss mit ins Tal, das ist schnell klar und der Name ist auch gefunden: Murmel ist ab jetzt Dauergast im Kinderbett.

Das Alpenmurmeltier

engl. marmot

Murmeltiere (Marmota) sind eine Gattung der Hörnchen bestehend aus 14 Unterarten. Unter den Nagetieren sind nur Stachelschwein und Biber größer. Das heute nur noch in den Gebirgslagen jenseits der Baumgrenze beheimatete Alpenmurmeltier kam währen der letzten Eiszeit im gesamt europäischen Tiefland vor. Mit dem Rückzug der Gletscher zog es sich in den alpinen Raum zurück.

Alpenmurmeltiere graben komplexe Höhlensysteme mit Gängen von bis zu 70 Metern. Diese sind Gemeinschaftswerke. Das Alpenmurmeltier lebt in Familien von circa 20 Tieren, die aus einem dominanten Pärchen und deren jüngeren Verwandten besteht. Nach etwa zwei Jahren verlassen die ausgewachsenen Murmeltiere die Gruppe. Die männlichen Tiere versuchen oftmals fremde Kolonien, durch Vertreibung des dominanten Männchen zu übernehmen. Murmeltiere warnen sich untereinander durch Schreie, die mit Vogelstimmen verwechselt werden können.

Während des Sommers ernähren sich Murmeltiere von Pflanzen wie Gräsern, Kräutern und Blumen. In den wenigen Sommermonaten im Hochgebirge müssen sie sich ein Fettpolster für den Winterschlaf anfressen. Dieser dauert, je nach Witterung und Höhenlage, zwischen sieben und neun Monaten. Um diese Zeit ohne Nahrungsaufnahme zu überbrücken, sinkt die Atemfrequenz auf zwei Züge pro Minute, der Herzschlag von 200 auf 20 Schläge und Darm und Magen verkleinern sich auf die Hälfte. So reicht eine Energiereserve von 1,2 Kilogram Körperfett für den gesamten Winter. Weitere charakteristische Verhalten der Murmeltiere sind das Sitzen auf den Hinterbeinen und Nasenreiben zur Begrüßung.

In den alpinen Ökosystemen spielen Murmeltiere eine wichtige Rolle. Sie beeinflussen die Vegetation durch ihr Weideverhalten und schaffen Lebensraum für andere Tiere, indem sie Höhlen graben, die von anderen Arten genutzt werden können. Die Beziehung zwischen Menschen und Murmeltieren ist jedoch komplex. In manchen Gebieten werden sie als touristische Attraktion geschützt, während sie in anderen Regionen bejagt werden und ihre Bauten zur Gefahr für Weidetiere werden.


TEXT: Sebastian Lüke

FOTOS: Jens Klatt