
Unsere Kolumnistin ist eine Multi-Outdoorsportlerin wie sie im Buche steht und – eh klar – am liebsten an der frischen Luft unterwegs. In der neunten Folge: Sissi und ihr Verhältnis zu Outdoor Filmen.

Mein erster Kinofilm war Willy Bogners »Fire & Ice«. Ich freute mich über den Platz in der ersten Reihe. Was für ein Glück! Bis ich aufstehen musste, um mich im Gang in einen Schirmständer zu übergeben. Jahre später – ich war zur erfahrenen Cineastin gereift – kam die erste GoPro auf den Markt und bald nahmen viele Amateure den Namen wortwörtlich.
Das Skifilm-Genre erfand sich neu und ich bekam Einladungen zu Premieren, die davon handelten, wie Zitat(!) »Skifahrer sich in ihrem Bus aufmachen, um unberührte Lines auf den Skiern zurückzulegen«. Es ging viel um »das Gefühl, stoked zu sein«. Meine Erwartungshaltung, es würde sicher auch etwas passieren, blieb stets unerfüllt. Die Akteure waren sich genug. L’athlète pour l’athlète statt l’art pour l’art.
An Kosten wurde nicht gespart, am Inhalt durchaus. Reduzierter Plot, minimalistische Handlung, monogeschlechtlicher Cast. Die Frage »Schnee oder kein Schnee?« bestimmte die Dramaturgie. Ummantelt wurde sie mit Bildern von unberührten Lines, die auf Skiern zurückgelegt wurden, Logoplatzierungen für die Sponsoren und dem Gefühl, stoked zu sein. Wonnetrunken rannte man nackt durch den Schnee, tanzte auf dem Dach des Campers oder pieselte den Namen in den Schnee.
»An Kosten wurde nicht gespart, am Inhalt durchaus.«
Die Sujets hielten sich hartnäckig, wurden hier und da erweitert durch Motive wie das Aufsuchen eines Mentors. Der ungestüme Haudegen von einst deutete auf vergilbte Fotos und erzählte mit rauer Stimme von meilenhohem Schnee, Wagemut und unberührten Lines,
die auf Skiern zurückgelegt wurden. Die jungen Ski-Pros nickten beeindruckt und fuhren wieder davon. In ihrem 4W-Drive mit Sitzheizung. Ich löschte Einladungen und führte Interviews, ohne die Filme gesehen zu haben.
Dann sah ich einen Film, der all meine Ressentiments pulverisierte. Ein Mann, eine Insel, eine GoPro, ein Monolog. Xavier Rosset ließ sich für 300 Tage auf einer Insel im Pazifik aussetzen, um zu sehen, wie es sich so verhält mit der Einsamkeit. Ein geschenkter Hund und ein gefangenes Ferkelchen werden zu seinen Begleitern, während er mit der sozialen Leere ringt und mit dem Überleben. So einfach, so berührend, so humorvoll.
Über die Jahre wurden meine Interviews länger, unterhaltsamer, bereichernder. Eine US-Freeriderin war eingeflogen. Am Vortag hatte ihr Land Trump gewählt. Wir verarbeiteten gemeinsam. Über vier Stunden. Wir sprachen über Ängste und Hoffnung. Im Alltag wie am Berg. In mir hallt es bis heute nach.
Ich sah einen Film mit Kletterern, die gen Baffin segelten. Mit Gesang und Humor entzogen sie ihren Big-Wall-Leistungen jegliche epische Inszenierung. Reverend Bob Shepton war ihr Kapitän. 79 Jahre war er damals alt. Die 90 Minuten Gespräch, die wir hatten, reichten nicht. Kurz darauf stand er bei der Premiere auf der Bühne und sang mit dem kompletten Saal den Film-Song »Dodo’s Delight«. Jahre später saßen wir erneut beisammen. Er erzählte von der Ermordung seines Vaters, von seiner Flucht als Kind. Davon, wie er Kleriker wurde und dann Skipper. Heute ist Bob 88. Im Sommer 2023 war er in Grönland unterwegs. Viele freuen sich über die Lines im Schnee. Bei mir sind es Menschen, die Spuren hinterlassen.
SISSI PÄRSCH ist Autorin, fährt Ski, geht Laufen und Biken. Ursprünglich stammt sie aus dem Allgäu, zahlt viel Miete in München und ist doch meist auf Reisen. Sie mag Bewegung und Menschen sehr gern – genauso wie Kaffee und Einkehren.