Kolumne: Faszination Vanlife

Unsere Kolumnistin ist eine Multi-Outdoorsportlerin wie sie im Buche steht und – eh klar – am liebsten an der frischen Luft unterwegs. In der zweiten Folge analysiert sie das Vanlife.

Oft sind es Kleinigkeiten, die im Leben für Unruhe sorgen. Eine Nadel im Heuhaufen, ein Haar in der Suppe, eine Frau im DAX-­Vorstand. Sie können Dinge gehörig ins Schwanken bringe­­n. Dabei wissen wir aber doch: Kleinigkeiten machen den feinen Unter­schied und halten die Dinge in Balance. Das kann nur ein Buchstabe sein wie bei Ping und Pong. Oder zwei wie bei Yin und Yang, dem Bizeps und dem Trizeps – oder wie bei mobil und immobil.

Ich möchte euch von meinen Freunde­n erzählen – alles durchgehend feine Menschen. Bei 91 Prozent von ihnen hat die Immobilie zum Wohnmobil geführt. Kaum hat man sich niedergelassen, ist zusammen­gezogen, hat womöglich eine Wohnung oder gar ein Haus gekauft, bricht der Van-Wahn aus: Es muss ein Bus oder ein Camper her!

»Hat der Mensch einen sichere­­n Hafen, zieht es ihn aufs weite Meer hinaus.«

Warum nun ist das so? Wir brauchen Gegen­sätze. Sie ziehen sich an, bedingen sich wechselseitig, schaffen Energie. Licht und Schatten, Plus und Minus, süß und saue­r. Polaritä­­t und Diversität bedingen und bereicher­­n unser Lebe­­n. Das sagen Buddha und Bono, der Dalai Lama und Lady Gaga. Alle. Und meine Freunde – alles durchgehend kluge Menschen.

Übertragen bedeutet das: Hat der Mensch einen sicheren Hafen, zieht es ihn aufs weit­e Meer hinaus. Haben wir starke Wurzeln, können unsere Flügel wachsen. (Ihr dürft das gern in euer Achtsamkeitsbuch notieren. Früher sagte man Poesiealbum. Da dachten wir aber auch noch, dass achtsam sowas bedeuten würd­e wie »obacht«). Zu unseren psychischen Grundbedürfnissen zählen sowohl der Drang nach Sicherheit und Geborgenheit wie auch der nach Unabhängigkeit und Autonomie. Deshalb, genau deshalb boomt Vanlife.

Oder es boomt, weil es einfach sensationell ist, ein Gefährt zu haben, das man mit dem Essenziellsten vollstopfen kann – Ma­tratz­e, Klamotten, Geschirr, ein wenig Nahrung, Bike, Board, Boulder-, Yoga- und Hänge­matte, Helm­e und Stiefel, Kaffeepresse, Klapptisch und der wirklich geile Stuhl von Helinox – um dann aufzubrechen, ungebunden und frei, an den Ort, an dem gerade die Sonne scheint.

Exakt aus diesem Grund drängt es meine Freunde – alles durchgehend reflektierte Menschen – dazu, Handwerker zu bezahlen, die sich um ihre Wohnung kümmern, damit sie in der Zwischenzeit in der Hofeinfahrt die Innen­einrichtung des T4 zusammenmöbeln könne­n. Während im Haus die Regendusche mit Design­thermostat montiert wird, tüftelt man beim Van an der tröpfelnden Outdoor-Lösung. Es fließt so viel Liebe und Zeit und Schweiß und Geld in das Mobil – aber es ist unser Versprechen von Freiheit und Einfachdrauflos.

Wie gut tut der Gedanke, dass alles so simpel sein kann! Kein Thermomix. Keine Spülmaschine. Stattdessen Dreckklumpen auf dem Boden und Krümel im Bett. Flip-Flops an den Füßen, Cap auf dem Kopf und immer diese Luft in der Nase. Wir wachen auf mit den Vögeln und gehen ins Bett mit den Grillen. Wir gehen von der Van-Türe weg in die Berge oder ins Meer. Lasst es uns ohne Buddha, Bono und Psychologen sagen: Da draußen, da sind wir ganz einfach daheim.


SISSI PÄRSCH

ist 44 und Autorin. Sie fährt Ski, geht Laufen und Biken und stammt aus dem Allgäu, zahlt viel Miete in München und ist doch meist auf Reisen. Sie mag Bewegung und Menschen sehr gern genauso wie Kaffee und Einkehren.

vanlife