Kegeln auf chinesisch
Wenn es in Südchina an einem keinen Mangel gibt, dann Karst. Der verwitterte Kalkstein, einst der Grund eines Urmeers, erstreckt sich über 500.000 km² und hat atemberaubende Landschaften hinterlassen. Unser Autor war in der Provinz Guangxi unterwegs und sah Flüsse, Berge und Höhlen, die surrealer nicht sein könnten.
Ein Kormoranfischer am Kai in Yangshuo. Früher war die Fischerei mit den großen Tauchvögeln eine der Haupterwerbsquellen am Li-Fluss, heute gehen dem nur noch vereinzelte Fischer nach. Die meisten lassen sich lieber für ein paar Yuan fotografieren.
Schluchten, steile Felswände und Kegelberge. Geformt von Wasser und Wind, bewachsen mit robusten Pflanzen und umrahmt von Bambus und Feigenwäldern. Die Erosion hat hier ganze Arbeit geleistet. Dabei war die Region im Süden und Südosten Chinas doch ursprünglich einmal Meeresgrund. Die Riffe und kalkhaltigen Ablagerungen hoben sich durch plattentektonische Bewegungen nach und nach aus dem Meer. Eigentlich war das nur die Randerscheinung eines viel größeren Prozesses: der Entstehung des Himalaya-Gebirges. Hübsches Beiwerk, sozusagen. Ausgesprochen hübsches!
Yangshuo – das Basecamp im Paradies
Eingeschmiegt in diese Landschaft, die der Fantasie einer berauschten Gottheit entsprungen zu sein scheint, liegt die Kreisstadt Yangshuo. Direkt am Li Fluss zwischen illustren Bergen, mit Namen wie „Grüner Lotos Gipfel“. Die umliegenden Kegelberge samt Flusslandschaft sind UNESCO-Weltkulturerbe, eine Gipfelgruppe hat es sogar auf den chinesischen 20 RMB Geldschein geschafft. Yangshuo hat mittlerweile seine Haupt-Einnahmequelle von Fischerei und Landwirtschaft hin zum Tourismus verlagert. Die Kormoranfischer posieren heute lieber für Fotos und stocken damit ihr karges Einkommen auf. In den fruchtbaren Ebenen des Li, außerhalb der Stadt, sind aber immer noch viele Obstplantagen und Reisfelder zu sehen. Voller Wasserbüffel, Kraniche und Reiher.
Ein wenig Bruchtal in Fernost. Blick über die die Dächer von Yangshuo. Bis an den Rand der Berge reichen die Häuser heran, wo die Ebene des Li endet, endet auch die Stadt.
Die Stadt selbst ist Ziel der Li Kreuzfahrten, die im knapp 70 km entfernten Guilin, der Hauptstadt der Provinz Guangxi starten. Kein Wunder also, dass die alten Viertel am Kai vor Hotels, Gasthäusern und Souvenirshops überquellen. Das Gedränge am Tag nimmt aber mit dem Ablegen des letzten Bootes ein jähes Ende. Abends gehört Yangshuo wieder den Einheimischen, Rucksacktouristen und Kletterern. Auf den Straßen eröffnen kleine Garküchen und in den Hostels und Backpacker-Unterkünften tauscht man sich mit Menschen aus aller Welt über Wanderungen, Ausflüge und Kletterrouten aus. Über all jene Orte, wo man eben tagsüber unterwegs sein sollte, wenn die Ausflugsschiffe die Stadt vereinnahmen.
Sehenswürdigkeiten und Touren rund um Yangshuo
In einer derart mystischen Landschaft auf Entdeckungsreise zu gehen, kann nur eines sein: absolut episch! Rund um Yangshuo lassen sich viele Ziele und Touren problemlos erreichen, es fahren Busse, die Taxis sind recht günstig und – noch viel besser – man kann sich bei vielen Hostels Fahrräder mieten (oder an der Rezeption erfragen, wo das geht, ohne übers Ohr gehauen zu werden). Damit lässt sich die Gegend hervorragend erkunden.
Der Weg zur Butterfly-Cave wirkt an einigen Stellen sehr verwunschen. Auch wenn vieles künstlich angelegt ist, haben vor allem Kinder auf den Hängebrücken, Höhlen und Pfaden eine Menge Spaß.
Der große Felsbogen des Moon Hill umrahmt die endlose Kegellandschaft. Ein Blick der sich lohnt. Wer mag, kann bis zum Gipfel aufsteigen.
Grüner Lotus Gipfel – für Neuankömmlinge
Sicher kein Geheimtipp, aber der Grüne Lotos Gipfel bietet einen tollen Blick auf die Stadt und vor allem den Fluss, samt seinen Bambusflößen und Fischern. Gegenüber liegen die Hausboote der Flussbewohner. Folgt man dem Kai zu seinem südlichen Ende, beginnt der Anstieg in Richtung Berg. Eher ein Spaziergang auf guten Wegen als eine Wanderung, aber lohnend für einen ersten Überblick.
Moon Hill – das Wahrzeichen
Der Mondberg trägt seinen Namen aus nachvollziehbaren Gründen. In der großen Felswand unter dem Gipfel klafft eine halbmondförmige Öffnung, ca. 50 x 50 Meter groß und am Deckenbogen übersäht mit Tropfsteinen. Das Felstor kann auch aus der Nähe bestaunt werden, hier führt ein Wanderweg nach oben. Wer ganz hinauf will, sollte wenigstens ein Mindestmaß an Schwindelfreiheit mitbringen. Der Ausblick ist großartig! Noch spektakulärer ist aber der Blick durch den Bogen hindurch auf die umliegende Karstlandschaft.
Ein Wald unter der Baumkrone. Die Luftwurzeln unter dem Kronendach des Big Banyan Tree stützen die Äste. In der Mitte der enorme Stamm mit über 7 Meter Umfang.
Fährt man mit dem Fahrrad dorthin (ist schnell zu erreichen), kann man auf dem Weg noch die Butterfly-Cave und ein paar Kilometer weiter den mächtigen Banyan-Tree mitnehmen. Der Feigenbaum steht in einer Parkanlage am Jinbao River und ist wirklich beeindruckend, mit seiner enormen Breite (er bedeckt eine Fläche von 1.000 m²) und den durch Luftwurzeln gestützten Ästen. Beides schon recht touristisch, aber wirklich sehenswert.
Wandern am Li Fluss
Die Flusslandschaft des Li-River muss man einfach gesehen haben! Hier gibt es eine Tour, die das eindrucksvoll ermöglicht. Sie startet im Dorf Yangdi, ca. 40 km nördlich von Yangshuo und führt mit mehreren Flussquerungen per Fähre (hier Wartezeiten einkalkulieren) über 18 km in das uralte Städtchen Xingping. Start und Ziel können mit dem Bus erreicht werden. Manche Hostels bieten hier auch Shuttle-Fahrten an, am besten einfach an der Rezeption nachfragen. In den Touristen-Infos gibt es ebenfalls Angebote (auch geführt, oder in der Gruppe). Am Ufer trifft man häufiger auf grasende oder badende Wasserbüffel. Die sind zwar an Menschen gewöhnt und eher entspannt, aber etwas Abstand und Respekt ist angebracht.
Eine der vielen Fähren am Fluss. Backpacker, Bauern oder Geschäftsleute – wer über den Li will, landet unweigerlich hier. Brücken gibt es nur in den größeren Städten.
Badende Wasserbüffel im Fluss. Wer über weitere Strecken am Li unterwegs ist, trifft unweigerlich auf diese mächtigen Tiere. Sie sind an fremde Menschen gewöhnt und sehr entspannt, solange man etwas Abstand hält.
Der Li auf dem Floß
Wer den Li lieber auf statt am Wasser erkunden möchte, fährt ebenfalls nach Yangdi. Die Strecke bis Xingping kann mit dem motorisierten Bambusfloß befahren werden. Hier warten Aussichten, die spektakulärer nicht sein könnten. Wenn jetzt noch leichter Nebel über dem Fluss liegt, fühlt man sich in alte Tuschmalereien versetzt. Zumindest, bis der Fährmann hektisch wird, weil die Felsgruppe, an der man eben vorbeituckert, auf seiner zerfledderten Kippenschachtel abgedruckt ist. Aber die Aufregung währt nur kurz, dann malt der Pinsel die Landschaft auch schon wieder neu.
Wichtig: Natürlich kann man die Bergregion auch auf eigene Faust etwas abgeschiedener erkunden. Hier sollte man sich aber vorab über die geplante Route informieren, entweder im Hostel oder in der Touristen-Information. Die Täler sind dicht bewachsen und nicht jeder Landwirtschafts- oder Tierpfad führt auch wirklich zum gedachten Ziel. Hinzu kommt die Sprachbarriere – außerhalb der Stadt spricht fast niemand Englisch. Es ist also kaum möglich nach dem Weg zu fragen, wenn man am dritten Kegel falsch abgebogen ist und sich im Tal vertan hat. Wer schmale, krautige Pfade wählt, sollte zudem auf die Flipflops verzichten und stabile, hohe Wanderschuhe tragen. Hier gibt es die gleichen Gifttiere (Schlangen, Spinnen, Skorpione und Hundertfüßer) wie in vielen anderen südostasiatischen Ländern.
Wer wissen will, wie stabil so ein Floß schwimmt, kann das auf einer Floßfahrt herausfinden. Dort allerdings nicht mit Stangen, sondern motorbetrieben.
Klettern in Yangshuo
Steile Karstformationen sehen nicht nur schön aus, sie bringen ab einer gewissen Hangneigung auch massenhaft griffigen Fels mit sich. Rauh, rissig, durchlöchert oder plattig und in den überhängenden Abschnitten Heimat spektakulärer Sinter und Tropfsteine. Klar, dass da irgendwann mal so ein findiger Kletterer auftaucht und das Potenzial der Landschaft erkennt. Hier geschah das in den 80er Jahren und die Landschafts-Lustwandler bekamen Gesellschaft. Die Region wurde nach und nach eines der größten Sportklettergebiete im Reich der Mitte und es gibt bei weitem nicht nur am Moon Hill spektakuläre Routen zu entdecken. Vor allem hat man an den anderen Felsen mehr Ruhe und keine Wasserhändler im Rücken.
Yangshuo ist heute Anziehungspunkt für Kletterer aus aller Welt. In der Stadt hat sich eine einheimische Community entwickelt, es gibt Klettershops, Kletterschulen, Hostels. Ein wenig Arco in Fernost. Bei Fragen findet man immer jemanden. Einer der fleißigsten Erschließer der Region war übrigens ein in Hongkong lebender Brite, der hier intensivst die Werbetrommel gerührt hat und lange vor Ort einen Kletterführer anbot. Heute gibt es mit „Yangshuo Rock“ einen umfassenden Führer, der ebenfalls in den Kletter-Shops angeboten wird.
An den Einstiegen der bekannteren Felsen ist man selten allein. Die Kinder der Bauern stehen fasziniert unter den Wänden (auch schon mal mit ihrem Wasserbüffel an der Leine) und begutachten das Treiben. Viele Einheimische kennen sie bereits und lassen sie auch hin und wieder mitmachen, zumindest durfte ich das so erleben. Die Klettergebiete sind oft schon anhand ihrer Namen gut zu finden. „The Egg“, „Wine Bottle Cliff“ oder „Middle Finger“ sind selbsterklärend an die Form der jeweiligen Felskegel angelehnt. Viele Wände sind mit dem Fahrrad gut zu erreichen.
Löcher, Risse, Leisten – in der Region rund um Yangshuo finden Kletterer vor allem eines: viel Abwechslung und Routen für jeden Geschmack. Ganz abgesehen von einer der spektakulärsten Kulissen der Welt.
Höhlen – die Unterwelt der Karstgebirge
Das Wasser hat nicht nur oberflächig gearbeitet. Vielerorts hat es sich tief in die Berge gegraben und außergewöhnliche Höhlensysteme mit enormen unterirdischen Kammern geschaffen. Die Tropfsteinbildungen suchen weltweit ihresgleichen. Was allerdings für westliche Besucher hier oft irritierend wirkt, die imposanten Gebilde strahlen in allen Regenbogenfarben. In manchen Bereichen der Höhlen erwartet man förmlich den DJ, der zum Cave Dance aufruft. Etwas schwierig, ebenso wie die Souvenirshops IN der Höhle. Dennoch sind die großen Höhlensysteme einen Abstecher wert. Besonders beeindruckend ist Yinziyan – die Silver-Cave – südlich von Yangshuo. mit ihren (eigentlich) weiß-silbernen Formationen, die wie die fallenden Vorhänge eines riesenhaften Doms oder eingefrorene Wasserfälle erscheinen. Aber auch die über 600 m lange Lotus-Cave im Nordosten von Xingping ist sehr beeindruckend. Eine schöne Alternative an Regentagen.
Noch Zeit? Die Reisterrassen von Longji warten!
Etwa 100 km nördlich von Yangshuo liegt der „Drachenrücken“. Ein Reisanbaugebiet, welches bereits in der Yuan-Dynastie (1279 – 1368) angelegt wurde. Eine ganze Region wurde nach und nach terrassiert und an den steilen Hängen für die Landwirtschaft nutzbar gemacht. In dieser Gegend leben zwei ethnische Minderheiten, die Yao und die Zhuang, in ihren Dörfern. Die Frauen der Yao schneiden ihre Haare beim Eintritt ins Erwachsenenalter zum letzten Mal und tragen die langen Haare samt dem abgeschnittenen Zopf der Mutter zu einem Knoten gebunden auf dem Kopf. (Mehr Info zu den Yao hier.)
Viele Familien haben sich heute mit dem Tourismus ein zweites Standbein aufgebaut und bringen in ihren Häusern Besucher und Reisegruppen unter. Etliche der traditionellen Langhäuser wurden auch in neuen Siedlungen als reine Unterkünfte gebaut und werden nicht landwirtschaftlich genutzt.
Wir fuhren mit einer Sprachstudentin, die Touren in die Region anbot per Bus nach Longji und wohnten bei einer Yao-Familie auf dem Hof. Da wir zu Beginn der Regenzeit reisten, waren wir die einzigen Gäste. Ich beobachtete auf dem Weg zum Haus bereits neugierig die vielen Frösche auf den Feldern. Ich war so fasziniert, dass ich später gerade noch verhindern konnte, diese zum Abendessen serviert zu bekommen.
Die Dörfer und Terrassen sind durch ein weites Wegenetz verbunden und es können kurze Spaziergänge aber auch atemberaubende Tagestouren in der Region unternommen werden. Die spektakulärste Zeit ist hier sicher April und Mai, wenn die Felder geflutet sind, aber auch außerhalb dieser Monate wirken die Terrassen wie aus einer anderen Welt.
Aussichtsreiche Hanglage. Die Dörfer in den Reisterrassen sind nicht weniger atemberaubend als die uralte Agrarlandschaft, die sie umgibt.
In den steilen und unwegsamen Hängen haben Maschinen keine Chance. Esel, Maultiere und kleine Pferde sind die einzigen Helfer auf den Reisfeldern.
Infos zu Yangshuo & Südchina
Die einfachste Anreisemöglichkeit ist der Flug nach Guilin und von hier mit dem Bus weiter ins 65 km entfernte Yangshuo. Es gibt Direktverbindungen ab Guilin.
Ihr baut Yangshuo als Station in eine Chinareise ein und kommt aus einer anderen Stadt mit dem Fernzug in Guilin an? Auch vom Bahnhof gibt es Bus-Direktverbindungen nach Yangshuo.
Für Backpacker und Kletterer gibt es hier ein ausgiebiges Netz an Hostels, in denen perfekt Englisch gesprochen wird. An der Rezeption kann man auch Ausflüge und Tickets für Zug und Bus buchen, außerdem bekommt man vertrauenswürdige Informationen rund um die Region. Die Hostels bieten in der Regel auch eine Speisekarte mit traditioneller Küche und eine mit westlichen Gerichten, wie Spaghetti, Steak, Burger oder Pommes.
Es gibt auch Hostels in denen sich vorwiegend die Kletterszene versammelt, wie das Climbers-Inn, direkt im Zentrum.
Wichtig: Es kann sein, dass ihr im Bus bei Anreise auf Hotel-Schlepper trefft, die scheinbar euer Hostel kennen und euch hinbringen möchten. Spoiler – das ist nicht euer Hostel. Selbst wenn außen ein handgemaltes Schild von ebendiesem hängt. Das wird nach Bedarf ausgetauscht. Nehmt am Busbahnhof ein Taxi und lasst Euch zur Adresse Eures gebuchten Hostels bringen, oder geht zu Fuß. Grüße von einem (mir), der eine Nacht in der widerwärtigsten Absteige seines Lebens verbracht hat.
Tipp: Bucht erst mal ein bis zwei Nächte und schaut Euch dann vor Ort um. Es gibt eine Menge netter Unterkünfte, von denen haben Internet und Buchungsportale noch nie was gehört. Vielleicht zieht Ihr ja noch mal um.
Bei Globetrotter gibt es eine große Auswahl an China-Reiseführern, beispielweise den Lonely Planet China. Den Kletterführer „Yangshuo-Rock“ bekommt man direkt in Yangshuo.
Visumsfreie Einreise: Bei einer Aufenthaltsdauer von bis zu 15 Tagen darf zum aktuellen Stand bis zum 31. Dezember 2025 visumsfrei in China eingereist werden. Das gilt für folgende Zwecke: geschäftliche Tätigkeiten, Tourismus, Familien- und Freundschaftsbesuche.
Touristenvisum: Bei längeren Aufenthalten muss ein Touristenvisum beantragt werden. Dieses erfolgt über externe Anbieter, die den Antrag bei der zuständigen Botschaft stellen. Persönlich geht das nicht mehr.
Wichtig: Erkundigt euch rechtzeitig vor Reiseantritt bei der zuständigen chinesischen Vertretung zu den aktuellen Einreisevorschriften. Diese können sich jederzeit ändern.
Die beste Reisezeit für Südchina ist März bis Mai und dann wieder September bis November. Von Juni bis August ist Regenzeit und es fühlt sich an, wie in einem Dampfbad
Neben den gängigen Grundimpfungen, die auch hier empfohlen werden, ist die Hepatitis A, B und C Impfung in Südchina ratsam. Zudem sollte auf einen wirksamen Mückenschutz geachtet werden, da die Mücken das Dengue-Fieber übertragen können. Ein Durchfallmittel sollte im Reisegepäck dabei sein, da das einheimische Essen nicht immer verträglich ist. Vorsicht auch bei Leitungswasser.
TEXT & FOTOS: André Tappe