Spurensuche in uraltem Land

Die maritimen Provinzen Kanadas gehören zu den am frühesten ­besiedelten Regionen Nordamerikas. Gleichzeitig ist das Land immer noch nahezu menschenleer, ­ungezähmt und wild. An vielen ­Orten geben die indigenen Mi’kmaq ­spannende Einblicke in ihre Kultur.

Auf Goat Island gibt es schon lange keine Ziegen mehr. Und zum Glück gehört auch anderes der Vergangenheit an. Die war für viele First Nations, die in Nova Scotia Mi’kmaq heißen, oft grausam. Matthew, selbst Mi’kmaq und Mitglied des »Cultural Journey«-Teams auf Goat Island, berichtet von umerzogenen Kindern, ent­rissenen Kühen, erst aufgezwungenen und dann verendeten Ziegen. Der 30-Jährige, der Weste mit Mi’kmaq-Symbolen, schmuckes Haarband, modische Turnschuhe und eine stylishe Brille trägt, erzählt das nicht in vorwurfsvollem Ton, sondern sachlich. Sein Motto: »Man muss die Geschichte kennen, um einander zu verstehen.« Auf Goat Island, am Bras d’Or Lake auf Cape Breton Island gelegen, geht es um dieses Verständnis. Ein im Jahr 2022 eröffneter 2,4 Kilometer langer Pfad führt nicht nur um die Insel, sondern an interaktiven Stationen auch in die jahrtausendealte Geschichte und Kultur der First Nations.

Kanada Spurensuche im uralten Land

»Im seen- und waldreichen Gebiet des Kejimkujik National Park lebt ein Mi’kmaq-Volk seit 5000 Jahren.«

An der ersten präsentiert Matthew Werkzeug aus Knochen und Holz, Fallen, Schlingen und Speere, mit denen seine Ahnen Kabeljau, Otter, Elche und Co. gejagt haben. Er spricht über die im Freien ausgestellten Tipis, kunstvoll genähte und mit Stachelschweinborsten versehene Kübel und fransenverziertes Hirschleder. An der zweiten von über 20 Stationen wartet Matthews Kollege mit einer Smudging-, also Räucherzeremonie. Die ist dank Süßgrasvariante wohlriechend, emotional bewegend – und eine echte Ehre. Nebenan wird Stockbrotteig zubereitet, Äste und ein Lagerfeuer warten schon. Der Teig wird um das Holz gewickelt und über die Glut gehalten und nach ein paar Minuten lässt sich der an einigen Stellen sehr kross gewordene Snack genießen. Lecker! Gestärkt lauschen Interessierte an weiteren Stationen Chants und Trommel­abfolgen, lernen Tanzschritte und etwas über die Heilkraft von Kräutern.

Fünf-Sterne-Erlebnis unter Tausenden von Sternen

Alles nur alltagsferne Folklore für Feriengäste? Mitnichten. Matthew und seine Mitarbeitenden vermitteln den Eindruck einer lebendigen und selbstbewussten Community. Der gehören in Eskasoni rund 4000 Mitglieder an, was sie zur größten in Nova Scotia, gar ganz Nordamerika macht. Im seen- und waldreichen Kejimkujik National Park lebt noch ein weiteres Mi’kmaq-Volk – seit rund 5000 Jahren! Hunderte Petroglyphen und in Stein geschnitzte Bilder geben darüber Auskunft. Ein einzigartiges Zeugnis ihrer Kultur, weshalb der Nationalpark – als einziger in Kanada – auch das Siegel einer National Historic Site trägt. Und noch eine Besonderheit gibt es hier: In Nova Scotias einzigem Dark Sky Preserve erhellen in jeder wolkenlosen Nacht Zehntausende funkelnder Sterne den Himmel. Ein Anblick, den auch schon die Urahnen erleben konnten. Und plötzlich sind sie uns ganz nah.

Kanada Spurensuche im uralten Land: Korbflechten

Atlantik-Kanada – Land der Mi’kmaq

New Brunswick – im Einklang mit der Natur
Der Metepenagiag Heritage Park in New Brunswick will nicht nur an die jahrtausendealte Geschichte der First Nations erinnern, er will Menschen zusammenbringen und einen authentischen Einblick in die Welt der Ureinwohner geben. Besonders beliebt ist das Ookdotaan-Paket. Ookdotaan ist ein Mi’kmaq-Wort und bedeutet so viel wie »Essen kosten«. Die Gäste können Brot, Elch-Hackbällchen mit wildem Reis und Salbei, saftige junge Farnspitzen und ­traditionellen Tee aus Wintergrün und Zeder probieren. Da die Mi’kmaq schon immer in Einklang mit der Natur lebten, ist es ganz selbstverständlich, dass alle Zutaten aus der unmittelbaren Umgebung stammen.

Wer möchte, verweilt für mehrere Tage auf dem Land der Mi’kmaq. Die Verpflegung kommt aus der Region: frischer Lachs aus dem Fluss und Wild aus dem Wald. Ein besonderes Erlebnis ist die Übernachtung in einem echten Tipi. Abends sitzt man am Lagerfeuer und hört den Geschichten der Ältesten zu. Das Volk lebt seit 30 Jahrhunderten in der Gegend, es gibt also genug zu erzählen!

Neufundland – Reiches Leben an der Küste
Auch in Neufundland lebten die First Nations, lange bevor die Europäer kamen. Bis vor 300 Jahren gab es an der Notre Dame Bay in Boyd’s Cove ein Dorf der Beothuk. Im Beothuk Interpretation ­Centre taucht man in die Lebensweise des Stammes ein. Anschließend kann man auf einem kurzen Wanderweg zum ursprünglichen Dorfplatz gehen. Wie riesige Fußabdrücke sind die Umrisse der ehema­ligen Behausungen in den Boden geprägt. Eine plastische Erinnerung an die einstmals hier lebende Gemeinschaft.

Prince Edward Island – Trails durch die Geschichte
Prince Edward Island (PEI) ist eine wichtige Region für die Mi’kmaq Nation und es gibt einige Orte und Sehenswürdigkeiten, die ­Reisende besuchen können, um mehr über die Geschichte und Kultur der Urbevölkerung auf PEI zu erfahren. Zu empfehlen ist das Epekwitk aq Piktuk: ein archäologisches Gebiet, das Reste einer Mi’kmaq-­Siedlung aus dem 15. Jahrhundert enthält. Das Mi’kmaq Heritage Centre hingegen ist ein interaktives Museum, das die Geschichte und Kultur präsentiert. Für Wandernde gibt es den Mi’kmaq Trail: einen historischen Wanderweg, der durch das Land der indigenen Bevölkerung führt und an den wichtigen Orten Epekwitk aq Piktuk und dem Mi’kmaq ­Heritage ­Centre vorbeiführt.

Text: Christian Haas, Fotos: C. Haas & Destination Canada