Kanada? Nein, Japan. Auf der Nordinsel Hokkaido finden sich auf kleinstem Raum faszinierende Landschaften, die im Sommer wie im Winter eine Reise wert sind.
Der erste Versuch geht schon mal schief. Paddeltour bei Sonnenaufgang auf dem Lake Akan hatte es geheißen. Treffen halb sechs. Als ich Jetlag-bedingt die Vorhänge meines Hotelzimmers bereits um halb fünf öffne, ist es taghell. Hmmmm? Es ist Mitte Juli und wir befinden uns in etwa auf der Höhe Roms. Und dort ist es um diese Uhrzeit mit Sicherheit noch nicht hell. Des Rätsels Lösung ist der Erlass Japans, das komplette Land in einer Zeitzone zu vereinen, obwohl der westlichste und östlichste Punkt des Inselstaats 2400 Kilometer auseinanderliegen.
Sei es drum, denn als wir letztlich um sechs Uhr die Kanadier zu Wasser lassen, präsentiert sich der See absolut menschenleer. Keine Welle kräuselt das klare Wasser und die Hitze des Tages hält sich noch vornehm zurück. Langsam arbeiten wir uns entlang der Schilfgürtel gen Nordwesten. Nach rund einer Stunde bindet Guide Yasui die Boote zu einem Floß zusammen und kredenzt uns eine Kaffeepause vom Allerfeinsten. Er mahlt frische Bohnen, gibt selbige in einen Papierfilter und übergießt das Ganze mit einer speziellen Technik, die das Maximum aus dem Kaffeepulver herauslöst. Im Anschluss schmeckt er das Ergebnis ab und verdünnt bei Bedarf. Heraus kommt der wohl beste Filterkaffee, den ich je getrunken habe.
Am Ende frage ich Yasui, ob wir die Tour nicht morgen noch mal machen können? Dann aber bitte mit Start um vier Uhr. Schließlich haben wir Sonnenaufgang gebucht. Er lacht und schlägt ein. Alles klar, vier Uhr Abfahrt. Als ich am nächsten Morgen um sieben Uhr den Rest der Crew am Hotelbüffet treffe, fühle ich mich grundglücklich. Diesmal mit Yasui allein im Zweierkanadier unterwegs, haben wir den östlichen Seezipfel mit seinen fjordartigen Ausbuchtungen erkundet. Das glasklare blaue Wasser bildete einen fantastischen Kontrast zum undurchdringlichen Urwald am Ufer. Dabei reicht die Vegetation ohne den sonst üblichen Spülsaum bis an die Wasseroberfläche heran, was irgendwie künstlich wirkt. Sieht aus wie botanischer Garten, ist aber Natur pur. Und natürlich hat Yasuis Kaffee diesmal noch besser geschmeckt.
Im Anschluss geht es zum Wandern. Es steht der Mt. Meakan auf dem Programm. Ein aktiver Schichtvulkan, 1499 Meter hoch. Von einem Waldparkplatz aus sind es 800 Höhenmeter bis zum Gipfel. Der Weg macht keine Gefangenen. Sofort geht es über einen mit Wurzeln gepflasterten Pfad in die Höhe. Jeder Schritt will richtig gesetzt werden und die Trekkingstöcke leisten beste Dienste bei der Aufrechterhaltung der Balance. Zudem empfiehlt sich eine Bärenglocke, denn auf Hokkaido soll es vor Bären nur so wimmeln. Auch Bärenspray scheint geboten, haben doch alle Wanderer, die wir treffen, eines am Gürtel baumeln. Wir gleichen Glocke und Spray durch beständiges Quatschen aus.
Nach der Baumgrenze folgen die Latschenkiefern. Über Hunderte Höhenmeter zieht sich eine freigesägte Spur durch das ansonsten undurchdringliche Gestrüpp. Käme uns hier ein Bär entgegen, fiele Ausweichen schwer.
»Die Braunbärpopulation im Shiretoko-Nationalpark ist deutlich größer als im Westen Kanadas.«
Die letzten 300 Höhenmeter geht es über offene Hänge voller Vulkangeröll. Der Wind weht in Böen, gefühlt mit Orkanstärke, und hätte mein Hut keinen Kinnriemen, wäre er schon längst weg. Die steife Brise ist einerseits unangenehm, andererseits sorgt sie dafür, dass die beständig anrückenden Wolken am Gipfel förmlich zerblasen werden. So habe ich oben den vollen Rundumblick. Links schimmert ein kleiner, türkisblauer Kratersee, dahinter steht der Mt. Akan-Fuji mit seinen Stratovulkan und aus einem halben Dutzend Fumarolen zischt der Dampf teilweise in Düsenjet-Lautstärke. Wirklich sehr schick. Und dreht man sich um, sieht man ein weiteres Fumarolen-Feld und hinunter bis zum Lake Akan, wo unser Hotel steht.
Dort feiern wir am Abend den Gipfelerfolg mit ein wenig Reiswein und noch mehr Sapporo-Bier. Auf eine der schönsten Halbtageswanderungen Japans! Überhaupt könnte man hier in Hokkaido Wandernadel um Wandernadel erlaufen. Die Möglichkeiten sind unendlich und am Ende des Tages steht man meist auf einem Vulkan und genießt einen 360-Grad-Blick ins weite Rund.
Uns ruft jedoch zunächst der Onsen. Die meisten Hotels in Hokkaido bieten diese mit warmem bis heißem Thermalwasser gefüllten Pools. Perfekt, um müde Muskeln zu regenerieren – sofern man diesen kleinen Onsen-Knigge berücksichtigt, um die gastgebenden Japaner:innen nicht zu düpieren: Frauen und Männer streng getrennt. Schuhe aus, wenn es heißt: Schuhe aus. Dann im Umkleidebereich nackig machen und sich im Badebereich sitzend auf kleinen Schemeln akribisch mit Seife und viel Wasser säubern. Ins Bad selbst geht man barfuß und maximal mit einem kleinen Handtuch, das man beim Baden zusammengefaltet auf seinem Kopf ablegt. Wie auch im japanischen ÖPNV unterhält man sich im Onsen maximal gedämpft, besser gar nicht. Ach ja, sichtbare Tattoos sind meist verpönt, oft verboten – denn in Japan sind nur Kriminelle tätowiert – und davor haben Japaner Angst.
Am nächsten Tag tauchen wir in die Kultur der Ainu ein. Ainu heißt auf Japanisch so viel wie Mensch und bezeichnet die Ureinwohner Hokkaidos und aus Teilen Russlands. Sie lebten seit 14 000 vor Christus als Jäger und Fischer vom Tierreichtum der Region – bis dies von der japanischen Regierung verboten wurde. Aktuell setzen sie mit Erfolg einiges daran, ihre alten Traditionen aufleben zu lassen, und nirgends wird das deutlicher als am Lake Akan.
»In den allgegenwärtigen Onsen kann man sich die müden Wandermuskeln weich kochen lassen.«
Qualmt, zischt und stinkt nach Schwefel – der Meakan ist DAS Wanderziel im Südosten Hokkaidos.
Zunächst steht ein Besuch im kleinen Ainu-Museum an, am Nachmittag wohnen wir dem Erntedankfest der Ainu-Fischer bei und am Abend wird es dann richtig schick. Wir besuchen die Touristenattraktion »Kamuy Lumina«. Eine Nachtwanderung entlang des Seeufers, auf der eine aufwendige Lasershow die Geschichte einer Ainu-Eule erzählt und deren Abenteuer ohne Leinwand in den Wald projiziert. Klingt künstlich, ist künstlich, war aber perfekt gemacht und hat uns sehr beeindruckt.
Nach vier Tagen am wunderbaren Lake Akan wechseln wir das Quartier. Es geht in den Shiretoko-Nationalpark. Auf der Fahrt dahin erinnert der Ferne Osten verdammt ans Allgäu. Auf hügeligem Agrarland steht schwarz-weiß geschecktes Milchvieh und lässt sich das saftige Gras schmecken, daneben Kartoffeläcker bis zum Horizont.
Shiretoko ist eine Halbinsel im äußersten Nordosten, an der sich die zu Russland gehörenden Kurilen-Inseln fortsetzen. Der Nationalpark ist bekannt für seine unberührte Natur fern jeder Straße und eine der größten Braunbärpopulationen weltweit. Man schätzt, dass in Hokkaido bis zu 12 000 Bären leben, die meisten davon in Shiretoko, wo es wenig Siedlungen gibt und das Meer ein nahezu unendliches Lachs-Büffett serviert. Viele Attraktionen wie die 5-Seen-Wanderung oder die heißen Wasserfälle von Kamuiwakka (bester Onsen überhaupt) sind daher nur mit Guide zugänglich. Damit Bär und Mensch jeweils genug Lebensraum für sich haben, werden jedes Jahr bis zu 800 Braunbären »entnommen« – also nicht im Supermarkt über die Konserven mit Bärenfleisch wundern.
Wir sehen unseren ersten Bären keine fünf Minuten hinter der Nationalparkgrenze und auch die Folgetage bleiben nicht ohne Bärensichtung. Wer hier wandern geht, etwa auf dem zweitägigen »Shiretoko Peninsula Traverse Hike«, sollte Folgendes beachten: lieber in größeren Gruppen, immer Laut geben, Bärenspray für alle Fälle, keine Nahrungsmittel oder auch Zahnpasta nachts im oder am Zelt aufbewahren.
Szenenwechsel. Wer im Winter nach Hokkaido reist, muss sich keine Sorgen um Bären machen, die sind dann im Winterschlaf. Ich hatte bereits zwei Mal das Vergnügen. Zum Skifahren und um den Schnee zu genießen. »Puki Yuki« nennt man Frau Holle hier. Sie kommt aus den Weiten Kamtschatkas übers Meer gefegt und nimmt dabei besonders viel Feuchtigkeit auf. Einmal an Land, schneit sie in den Staugebieten gern mal 50 bis 100 Zentimeter – pro Nacht. Der »Japow« lockt Tiefschneefans mit über 100 Skigebieten. Hinzu kommen besondere Gaumenfreuden. Gilt doch die japanische Sushi-Küche im Winter als noch schmackhafter, da die Fische aus dem kalten Meer fetter sind.
Im winterlichen Shiretoko-Nationalpark sticht ein anderer Trumpf: Treibeis. Es drückt ab Mitte Februar aus dem nördlichen Ochotskischen Meer an die Küste und ist stellenweise so dicht, dass darauf Wanderungen angeboten werden. Im Trockenanzug allerdings, falls man doch mal neben die Eisscholle tritt.
Egal ob Winter oder Sommer, zum Ende sollte man unbedingt noch ein paar Tage Tokio einplanen. In diesem Ballungsraum leben aktuell 37,2 Millionen Menschen. Dabei geht es überall sittsam, sauber und sicher zu, so dass man jederzeit durch die Straßen und Gassen streunen und staunen kann. Oder man geht mal wieder paddeln 😉 Denn auch in Tokio gibt es Anbieter wie Mio Kayak Adventures. Diesmal buche ich die Sonnenuntergangstour. Auf Wasserwegen geht es zum Skytree, dem neuen Wahrzeichen Tokios und mit 634 Metern Höhe dritthöchstem Bauwerk der Welt. Superlative können sie, die Japaner.
TEXT UND FOTOS: Michael Neumann
Die Reise nach Japan ist ganz unkompliziert: Die ANA Group zum Beispiel bietet von Europa aus Flüge zu den internationalen Flughäfen Tokio und Osaka an. Ein Direktflug nach Japan dauert je nach Abflughafen etwa 11 bis 14 Stunden.
All Nippon Airways (ANA), die größte Fluggesellschaft Japans, wurde bereits elf Jahre in Folge von Skytrax mit 5 Sternen ausgezeichnet. Im kommenden Winter erweitert sie ihr Streckennetz um drei neue Ziele in Europa: Ab dem 3. Dezember 2024 geht es direkt von Tokio/Haneda nach Mailand, gefolgt von Stockholm (ab dem 31. Januar 2025) und Istanbul (ab dem 12. Februar 2025). Diese Flüge starten alle vom zentral gelegenen Flughafen Haneda in Tokio.
Darüber hinaus werden die bereits bestehenden täglichen Verbindungen von Frankfurt nach Tokio/Haneda beibehalten. Seit dem 1. Juli gibt es auch wieder tägliche Flüge von Paris und München nach Tokio/Haneda. Wenn du mehr wissen oder deinen Flug buchen möchtest, findest du alle wichtigen Infos und Buchungsoptionen auf der ANA-Website.