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Irland hoch 3

Diese Insel ist zu vielfältig für nur eine Outdoor­-Tour. Also erfand unser Autor eine irische Trilogie: Wandern, Mountainbiken und Seakayaking – in drei besonders schönen Regionen.

Christian McLeod Photography

1 Achill Island

Wandern auf einer Insel mit neun Oscar-Nominierungen

Im Bus vom Dubliner Airport werden mein Kumpel und ich – typisch irische Aufgeschlossenheit – mehrmals angesprochen, wohin es denn ginge. Die Antwort »Achill Island« führt zu hochgezogenen Augenbrauen und anerkennenden Kommentaren wie »Wander-Dorado« und »Starker Mix aus Bergen, Meer und Moor«. Wir sind gespannt auf die raue Schönheit der Insel vor Irlands Westküste.

Achill Island empfängt uns mit einem Schauer, doch gilt die Weisheit: »Wenn dir das irische Wetter nicht passt, warte 15 Minuten!« Also ab ins Café. Wir werden begrüßt wie entfernte Verwandte, die sich mal wieder blicken lassen. Afternoon Tea, Apfel-Brombeer-Crumble, mmh! Draußen kommt die Sonne durch. Diese schnellen Wetterwechsel werden wir nun ständig erleben – und mit ihnen immer neue Lichtmalereien auf der Leinwand dieser wilden Landschaft im Ozean.

Auf dem Granuaile Loop Walk starten wir unsere Inselumrundung. Noch ist der Weg eben, das irische Festland zum Greifen nah. Beim Grace O’Malley’s Tower House, nach einer berühmten Piratenkönigin benannt, könnte man rüberschwimmen – nur die 14 Grad Wassertemperatur sprechen dagegen. Wir biegen ums Inseleck nach Westen, die Blickrichtung geht auf den endlosen Atlantik. Abseits der ohnehin verkehrsarmen Sträßchen finden wir einen Top-Logenplatz für die Sandwich-Pause. Unter uns klatschen Wellen in die Felsen, dahinter liegen 3000 Kilometer offenes Meer bis Kanada. Wir meinen sogar ein paar Rückenflossen zu sehen.

Abends im Pub von Keel wird uns das bestätigt: »Schweinswale und Delfine sieht man hier sehr oft vom Ufer aus.« Wer tauchen geht, den erwarten Drückerfische, Spinnenkrabben und vielleicht sogar die Hauptattraktion dieser Gewässer: bis zu acht Meter lange Riesenhaie, nach den Walhaien die zweitgrößten Fische überhaupt. Mit offenem, zahnlosem Maul ziehen sie majestätisch durchs Wasser und ernähren sich von Plankton. Für Taucher sind sie harmlos.

An Land trifft man deutlich mehr Schafe als Menschen. Auf knapp 150 Quadrat­kilometern, etwa der Fläche von Liechtenstein, leben hier 2500 Einwohner (Liechtenstein: 39 000). Hinzu kommen im Sommer einige Wanderer und Backpacker, die sich auf den Trails schnell verteilen. Gerade der kaum erschlossene Norden und Westen der Insel sind spektakulär einsam. Diese pure Natur mit ihren hellen Stränden, erdige­­n Farbe­­n und weiten Blicken ist vermutlich auch der Grund, warum sich Achill eher unbescheiden als »Juwel in der Krone« vermarktet. Mit der Krone ist dabei der gesamte Wild Atlantic Way gemeint – jene 2600 Kilometer lange Straße entlang der irischen Westküste, der es an Highlights keineswegs mangelt, man denke nur an die Cliffs of Moher, den Connemara-Nationalpark oder die Wander­regionen in Kerry, Donegal und Mayo. Aber zugegeben: Bei all der schönen Konkurrenz hat Achill dennoch etwas sehr Spezielles.

»Als wir den steilen Weg auf den Achill Head erklimmen, steigt unser Puls nicht nur aufgrund der Anstrengung, sondern auch wegen des Ausblicks auf die Cliffs of Croaghaun. Bämm!«

Das entdecken wir in den folgenden Tagen. Keel East, eine jahr­tausendealte Megalithanlage, Stonehenge im Miniformat. Oder, zwei Wanderstunden weiter, Keem Bay. Klein, sandig, von Felsen umsäumt, türkises Wasser – ein Traum. Keine Häuser, keine Infrastruktur. Wo die Straße endet, beginnt Wildnis. Nur mit Wanderschuhen kommt man voran, weiter weg von der Zivilisation, näher ran an Amerika.

Als wir den steilen Weg auf den Achill Head erklimmen, steigt unser Puls nicht nur aufgrund der Anstrengung, sondern auch wegen des Ausblicks auf die Cliffs of Croaghaun. Bämm! Über 600 Meter ragen sie aus dem Meer empor und zählen damit zu den höchsten Klippen Europas. Diesen Anblick genießen Wanderer exklusiv. Folgt man den Schafspfaden (und seinem Kompass, der immer dabei sein sollte) hinauf, der nächste Hingucker: Der See Bunnafreva Lough West thront 300 Meter über dem benachbarten Meeresspiegel, königlich.

In dieser moorigen Berglandschaft könnten wir nun zu manch versteckter Bucht absteigen, doch es zieht uns Richtung Deserted Village, wo man uralte Cottage-Ruinen bewundern kann. Ganz in der Nähe liegt unser Tagesziel, das Old Beach Cottage in Dugort. Ein über 200 Jahre altes, steinhausgewordenes Irlandklischee, inklusive roter Haustür, alter Möbel und Kamin. Hier würden wir lieber zwei Wochen als nur zwei Tage bleiben, in Joyces »Ulysses« oder Bölls »Irischem Tagebuch« schmökern, Whiskey schlürfen und swingender Fiddle-Musik lauschen. Es gibt so viel zu entdecken: der konisch geformte Mount Slievemore, das Hammel-Stew im nahen Restaurant, zahllose Strände in Wanderreichweite. Bevor wir zwei Tage später wehmütig weiterziehen, erfahren wir einiges über die Dreharbeiten für »The Banshees of Inisherin« auf Achill Island. Das Epos ging bei den Oscars 2023 zwar trotz neun Nominierungen leer aus, aber ehrlich: An der Kulisse kann es nicht gelegen haben …

2 Mourne Mountains

Mountainbiken im Besten Trail-Gebiet Nordirlands

Über die grüne Grenze machen wir rüber nach Nordirland. Für Touristen kein Problem, nur die Verkehrsschilder wechseln von Kilometer auf Meilen. Filmlocations sind auch hier ein Megathema, vor allem die zu Pilgerstätten mutierten Drehorte der erfolgreichsten Serie ever, »Game of Thrones«. Beispiele gefällig? Glenariff, Tollymore Forest Park und die benachbarten Mourne Mountains. Für Insider: Die majestätische Bergkette diente als Portal der Stadt Vaes Dothrak. Die Granitgipfel hatten davor schon C. S. Lewis zu den »Chroniken von Narnia« inspiriert: »Die Mourne Mountains (…) gaben mir in einem speziellen Licht das Gefühl, dass jeden Moment ein Riese sein Haupt über den nächsten Bergkamm erheben könnte.«

Sollte das tatsächlich passieren, denken wir uns, wären Flüchtende mit einem Fahrrad klar im Vorteil. Wir quartieren uns in New­castle ein, leihen uns Mountainbikes und starten die Mission »Drei Tage Bikespaß«. Los geht es mit dem 72-km-Klassiker »Mourne Loop«. Die großteils am Meer verlaufende Straße nach Kilkeel und weiter nach Rostrevor verlangt weder Mountainbikes noch Extrakondition. Auch das erste Stück ins Landesinnere lässt sich noch gut meistern, doch dann der harte Cut: acht Kilometer Anstieg (bis zu elf Prozent!) hinauf zum Spelga Dam.

Durchgeschwitzt erhält man oben die Belohnung: freien Blick auf die 25 Kilometer lange Bergkette, aus den zwölf Gipfeln ragt der heilige Slieve Donard (849 m) als höchster heraus. Hier gibt es wilde Bike-Wege ohne Ende. Wir beschließen, jetzt zwar nach New­castle abzufahren, aber morgen gleich wiederzukommen.
»Die Mournes sind zum Synonym für Mountainbiken in Nordirland geworden«, bestätigt Guide Liam, den wir als Pfadfinder engagiert haben. Liam hat einige Singletracks parat. Unser Favorit: die Strecke von Tollymore mit ihren Drops, Rollern und Anliegern. Das könnten wir alles auch alleine, doch mit dem versierten Local macht es mehr Spaß. Liam zeigt uns Abzweige, Aussichtspunkte und auch bike­technisch ein paar Kniffe. Und natürlich weiß er ganz genau, wo hier oben bei »Game of Thrones« die Kameras standen.

3 Cork County

Seakayaking auf der Inchydoney-Halbinsel

Der letzte Teil unserer Trilogie führt uns – diesmal besuchen wir tatsächlich entfernte Verwandtschaft – in den Südwesten Irlands, auf die Inchydoney-Halbinsel. Diese allein lohnt die Reise, die Bucht ist eine Wucht. Eineinhalb Kilometer breit, von sanften Felsen und grünen Wiesen begrenzt, Priele umspülen breite Sandstrände. Dort tummeln sich bei Wind Drachenflieger und Kiter, bei Flaute Sonnen­anbeter, Jakobsmuschelsucher, Schwimmer und Bodysurfer.

Wir aber wollen Kajak fahren. Auf dem Meer! Auf Anraten unserer Gastgeber kontaktieren wir Jim Kennedy von Atlantic Sea Kayaking. Jim bietet nach seiner Profikarriere in der Kajaknationalmannschaft geführte Touren an und schickt seinen Guide Deaglan. Gleich beim Handshake gibt der zu: »Ich muss schmunzeln, wenn ich behaupte, das sei Arbeit. Ich liebe Natur, ich liebe Wasser. Hier habe ich beides.«

Am Reen Pier hinter Glandore, nur über eine brombeerumrankte Straße erreichbar, lässt er die mitgebrachten Boote zu Wasser. »Der Einstieg hier ist ideal. Familien und Anfänger lotsen wir in den einige Kilometer langen Inlandfjord, wo es keine Gezeiteneinwirkung gibt und keine Wellen. Mit allen anderen fahren wir raus aufs Meer.«

»Ich muss schmunzeln, wenn ich behaupte, das sei Arbeit. Ich liebe Natur, ich liebe Wasser. Hier habe ich beides.«

Auch mit uns. Sanft geht es los, vorbei an dahinschaukelnden Segel­booten und ehrwürdigen Häusern. Nach einer Viertelstunde wird es am Ufer einsamer – und im Boot feuchter. Offenbar habe ich das Paddel zu schwungvoll in die nun bewegtere See gestochen und mich ordentlich nass gemacht. »Den meisten geht es so«, beruhigt Deaglan. »Und die meisten spüren die Anstrengung eher in den Beinen als in den Armen.« Ich auch. Doch die Szenerie sorgt für Ablenkung. Hier ein Abstecher zu einer Höhle, die so schmal ist, dass man in ihr nicht wenden kann, sondern wieder rückwärts rauspaddelt. Dort eine vorgelagerte Insel, eine haushohe Klippe, saftig grüne und schaf­bestandene Wiesen – Irland wie aus dem Bilderbuch.

Die drei Stunden mit Deaglan erscheinen uns wie ein ganzer Tag. Er erzählt von Jasper Winn, der hier startete, um Irland per Kajak zu umrunden, was er in einem Buch niederschrieb. Von Bauern, die bis vor Jahren noch Kühe, Schweine, Schafe durch die rund 500 Meter breite Meerenge trieben, damit sie auf einer kleinen Insel grasen konnten. Und von kriegerischen Spaniern, die einst vor der Küste lauerten, aber aufgrund dichten Nebels von einer Invasion Abstand nahmen.

Wenn heutzutage schlechtes Wetter herrscht, muss niemand von einem Aufenthalt Abstand nehmen. Das nahe Städtchen Clonakilty ist auch dann hübsch. Das Modelleisenbahnmuseum, die Pubs, die putzigen Läden, in denen auch das gute Gewissen einkaufen kann. Clonakilty ist Irlands erste Fairtrade Town. Bereits 2001 wurde der 4500-Seelen-Ort ausgezeichnet als »Lebenswerteste Stadt der Welt« (Kategorie bis 20 000 Einwohner) und 2017 als »Beste Stadt in Großbritannien & Irland«. Kurz: ein würdiger Ort, um die irische Trilogie bei Livemusik, Guinness und in netter Gesellschaft zu beenden.

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