Komm wir fahrn nach Afrika
Komm wir fahrn nach Afrika
Mit ganz viel Neugierde, Zuversicht und einer kleinen Portion sympathischer Naivität im Gepäck radeln Hannah und Greta seit zweieinhalb Jahren in Richtung Südafrika. Wir erwischen die Schwestern in Ghana …
aus Kassel haben schon während ihrer Schulzeit das Fahrrad als günstige Reisemethode entdeckt, mit der man viele Menschen kennenlernt. Nach dem Abi sind die Schwestern dann mit Ziel Südafrika aufgebrochen. Durch Europa radelten sie noch relativ zielstrebig, doch spätestens seit Marokko drehen sie viele Schleifen und machen lange Stopps, um Länder und Menschen kennenzulernen.
instagram @hannahandgreta
Hannah und Greta, vor über zwei Jahren seid ihr in Kassel losgeradelt, mit dem groben Ziel Südafrika. Wie weit seid ihr bislang gekommen und wie geht es euch?
Hannah: Gerade sind wir in Ghana und seit gestern geht es mir wieder ganz gut. Ich hatte zum dritten Mal Malaria und war noch nie so krank. Zuletzt hatte ich keine Kraft mehr, meinen Lenker zu halten. Mit Infusionen und Spritzen wurde es im Krankenhaus zum Glück schnell besser.
Warum könnt ihr euch nicht vor Malaria schützen?
Greta: Wir zelten oft und kochen abends noch draußen, wenn die Mücken aktiv sind. Normale Touristen ziehen lange Sachen an, schlafen in Häusern und nehmen für ein paar Wochen Prophylaxe. Wir müssten die Tabletten seit über einem Jahr nehmen und die Nebenwirkungen sind nicht so toll. Komischerweise hatte ich aber noch keine Malaria.
Nach einem Jahr durch Europa und sieben Monaten in Marokko musstet ihr bis Westafrika noch 1000 Kilometer durch die Sahara, inklusive Sandsturm. Wie war das?
Hannah: Jetzt, nachdem wir auch den Regenwald und tropische Gebiete kennen, ist klar: Wir lieben die Wüste. Auch der Sandsturm war irgendwie toll. Es war aufregend. Alles war gelb, wir konnten die Sonne nicht sehen. Greta: Wir hatten immer einen Turban und lange Kleidung an und eine Sonnenbrille auf, trotzdem brannten die Augen. Danach wieder blauen Himmel zu sehen und die Ruhe zu spüren, war wie eine andere Welt.
Wo habt ihr in der Wüste geschlafen?
Greta: Oft kostenlos in Tankstellen. Nur einmal mussten wir ein Zimmer nehmen, das wir uns eigentlich nicht leisten konnten. Hannah: An weniger stürmischen Tagen haben wir in den Dünen das Zelt aufgebaut. Eine musste von innen die Wände festhalten, die andere die Heringe tief in den Sand schlagen und mit Steinen beschweren. An Schlaf war nicht zu denken, weil es so laut war. Greta: Und immer der Sand zwischen den Zähnen! Obwohl wir im Zelt gekocht und gekaut haben, ohne dass die Zähne aufeinandertreffen, knirschte es wie wild.
Wie vertragt ihr Hitze und Sonne?
Hannah: Wir haben viel mehr Energie, wenn es bewölkt ist oder Wind weht. In Mauretanien sind wir morgens und abends gefahren. Tagsüber lagen wir in trockenen Abwasserkanälen unter der Straße – im einzigen Schatten. Greta: Richtig krass war die Fahrt mit dem Zug in Mauretanien. Bei Abfahrt waren 25 Grad und bei Ankunft am nächsten Tag fast 50 Grad. Wir saßen in einem offenen Güterwaggon, auf den die Sonne knallte. An der Wand gab es 20 Zentimeter Schatten, aber die Wand konnte man nicht berühren, ohne sich zu verbrennen. Weil es in der Nacht kalt gewesen war, hatten wir Skiunterwäsche und Regenkleidung an. Wir sind beinahe umgekippt.
»Wir standen also im Sandsturm in der Wüste mit zwei gefrorenen Fischen in der Hand.«
1000 Kilometer durch die Westsahara: In der Wüste hangelten sich Hannah und Greta von Tankstelle zu Tankstelle. Selbst ein Sandsturm konnte ihre Begeisterung für diese Landschaft nicht stoppen.
Was ist das für ein Zug? Warum seid ihr damit gefahren?
Greta: Der Zug war die beste Möglichkeit, von der Grenzstadt Nouadhibou ins Inland von Mauretanien zu kommen. Er transportiert Eisenerz von den Minen zur Küste – etwa 700 Kilometer. Von der Küste ins Inland sitzt man in leeren Waggons, zurück auf dem Eisenerz. Einheimische fahren auch damit und transportieren sogar Kamele und Schafe. Hannah: Die Nacht im Zug war sehr beeindruckend, mitten durch die Wüste und über uns die gigantische Milchstraße. Aber das Schönste war das Frühstück mit zwei Jungs im Nachbarwaggon. Sie hatten Kamelmilch dabei und ein kleines Feuer gemacht. Sie fahren mehrmals die Woche hin und her, um Gaskartuschen zu transportieren, und hatten viel zu erzählen und wir blieben den ganzen Vormittag bei ihnen.
Wie geht es jetzt ab Ghana weiter?
Greta: Die meisten Afrika-Radler fahren nur von Marokko bis Senegal, das ist sozusagen der »Easy Part«. Jetzt wird es komplizierter. Nigeria ist ein großer Meilenstein und aufgrund der politischen Lage nicht ganz einfach. Wir setzen uns gerade konkret mit den aktuellen Bedingungen dort auseinander und planen eine Route. Zur Sicherheit wollen wir uns mit einem weiteren, männlichen Radreisenden zusammentun. Hannah: Aber bevor es weitergeht, möchten wir Ghana noch mehr erkunden. Wir sind gespannt, wie sich Vegetation und Kultur im Norden ändern, dort gibt es auch weniger Touristen.
Wie bekommt ihr für Nigeria gute Infos und Kontakte?
Greta: Wir sind über Instagram mit der lokalen Fahrrad-Community vernetzt und haben Kontakte von Deutschen, die in Nigeria arbeiten. Über eine Whatsapp-Gruppe sind wir mit anderen Reisenden in Westafrika verbunden. Gerade haben wir eine Warnung von einem Motorradfahrer bekommen, dass im Süden Nigerias ganze Dorfgemeinschaften entführt wurden.
Was ist das für eine Whatsapp-Gruppe?
Hannah: In der Gruppe befinden sich etwa 250 Mitglieder. Alles Leute, die gerade auch in Westafrika unterwegs sind oder es vor einiger Zeit waren. Greta: Über die Gruppe bekommen wir Infos teilweise noch vor dem Auswärtigen Amt. Und man schaut aufeinander. Zum Beispiel waren wir mal ein paar Tage »verschwunden«, weil wir ohne Internet zwischen zwei Grenzen feststeckten. Da wurde dann rumgefragt: Wer hat die beiden zuletzt gesehen? Jemand rief sogar bei den Botschaften an.
»Da wurde dann rumgefragt: Wer hat die beiden zuletzt gesehen? Jemand rief sogar bei den Botschaften an.«
Wie plant ihr sonst eure Route?
Hannah: Solange es sichere Reiseländer sind, planen wir kaum. Oft haben wir nur ein paar Anhaltspunkte. Manchmal fahren wir einfach drauflos, wie in Sierra Leone, als wir nach dem Grenzübertritt noch keine SIM-Karte hatten. Später haben wir festgestellt, dass es eine viel schönere Route gegeben hätte. Greta: Das bewusste Nicht-Planen beschert uns aber auch tolle Erfahrungen. In Liberia haben wir spontan einen anderen Grenzübergang zur Elfenbeinküste genommen und sind auf einer Dschungelstraße in Richtung Meer gefahren. Statt fünf Tagen waren wir zweieinhalb Wochen unterwegs, standen teilweise bis zum Oberschenkel im Wasser und mussten unsere Räder durch den Matsch schieben. Das war hart, aber sehr schön. Mit mehr Planung wären wir wohl nicht dort lang …
Wie organisiert ihr eure Vorräte?
Hannah: Seit dem Senegal gar nicht mehr. Es ist alles dicht besiedelt und es gibt überall Straßenstände. Davor hatten wir auch mal tagelang keine Einkaufsmöglichkeit und teilweise
20 bis 30 Liter Wasser dabei. In der Sahara hätten wir aber immer Autos oder Lkws anhalten können. Greta: Einmal hat jemand angehalten und uns zwei unverpackte gefrorene Fische geschenkt. Wir standen also im Sandsturm in der Wüste mit zwei Eis-Fischen in der Hand. Wir hatten noch nie Fisch zubereitet und haben deshalb den ersten samt Schuppen gegessen.
Wie verständigt ihr euch mit den Einheimischen?
Greta: In den sieben Monaten in Marokko haben wir etwas Darija sprechen gelernt, damit sind wir in Mauretanien auch gut durchgekommen. Seit dem Senegal sind die Amtssprachen oft Englisch und Französisch. In Städten sprechen das fast alle, in Dörfern auch immer jemand. Mit alten Leuten, Kindern und oft auch Frauen bleiben nur Hände und Füße. Der Google-Übersetzer ist nutzlos, weil der diese ganzen Sprachen und Dialekte nicht kennt. Hannah: Eigentlich wollten wir auch andere lokale Sprachen lernen. Wir haben aufgegeben, weil es so viele sind. Allein in Ghana sind es über 50. Du lernst ein Wort und kannst es abends schon nicht mehr nutzen.
Ihr werdet oft eingeladen, wie geht ihr damit um?
Hannah: Die Frage beschäftigt uns sehr. Wir schlafen häufiger bei relativ wohlhabenden Menschen. Da fällt es uns nicht schwer, das Mittagessen mitzuessen, ohne zu bezahlen. Aber bei ärmeren Menschen bereitet uns das Kopfzerbrechen.
Greta: Wir bleiben nie nur eine Nacht. Uns geht es nicht um kostenlose Unterkunft und Verpflegung, wir wollen Zeit mit den Menschen verbringen. Wenn wir gemeinsam auf den Markt gehen, wollen wir mindestens die Hälfte der Einkäufe bezahlen.Nur wird uns das oft nicht gestattet – weil wir ihre Gäste sind.
Ihr begegnet nicht nur Armut, ihr seht auch Kinderarbeit – während ihr seit über zwei Jahren Urlaub macht …
Hannah: Seit dem Senegal fragen wir uns oft, wie wir die Reise vertreten können. In Sierra Leone haben wir viele Kinder in Steinminen arbeiten sehen. Blieben wir zu Hause, würden sie trotzdem dort arbeiten. Das Schlimme ist nicht, dass wir hier sind, sondern dass wir aktuell nicht helfen können. Greta: Wir versuchen, nicht abzustumpfen und uns immer wieder bewusst zu machen, was wir gerade sehen, auch wenn es schmerzt. Wir werden uns definitiv weiter politisch engagieren, damit sich etwas ändert.
Welche Rolle spielt dabei Social Media?
Hannah: Ich sage das nicht gern, aber Instagram hilft uns ein wenig bei unseren inneren Konflikten. Durch das Teilen unserer Erfahrungen bekommt die Reise etwas mehr Sinn. Wir haben zum Beispiel über eine Festung in Princess Town berichtet, die von Deutschen für den Sklavenhandel gebaut wurde. Da haben wir viel Rückmeldung bekommen. Instagram ersetzt keine politische Arbeit, aber es ist schön, andere zu erreichen.
Für das Museum in der Festung habt ihr Geld gesammelt. Ihr habt um winzige Beträge gebeten, es kamen trotzdem 1000 Euro zusammen. Da gebt ihr doch schon was zurück?
Hannah: Ich hadere etwas damit. Ich möchte keine »Instagram-Aktivistin« sein, da macht man es sich zu einfach. Das war auch kein Spendenprojekt, sondern die Bezahlung für eine »virtuelle« Führung durch die Festung.
Als unverheiratete, alleinreisende Frauen erlebt man, dass anfangs nette Bekanntschaften ins Unangenehme kippen können. Habt ihr Strategien für solche Situationen?
Greta: Bei uns kippt es fast nie, weil die Männer entweder in den ersten zwei Minuten fragen, ob wir sie heiraten wollen, oder gar nicht. Hannah: Da wir weiß sind, sind wir in den Augen vieler interessant. Und für einige sind wir auch das Tor zu Europa. Wenn jemand fragt, ob wir ihn heiraten, damit er nach Deutschland kann, finde ich das nicht so schlimm. Dann erklären wir einfach, warum das nicht geht. Greta: Anders ist es bei der Frage: »Willst du mit mir ins Bett« – besonders wenn die Frage von Polizisten oder Grenzbeamten kommt. Machtpositionen so zu missbrauchen, ist echt scheiße. Hannah: Natürlich passieren blöde Sachen mit Männern, und die Fragen nach Heirat und Sex nerven, aber Anfassen etc. ist nicht häufiger als in Europa. Und tatsächlich sind es eher europäische Reisende, teils auch Radreisende, die körperlich übergriffig werden.
Hat es auch Vorteile, ohne Männer unterwegs zu sein?
Hannah: Männliche Radreisende erzählen oft, dass sie keinen Kontakt zu Frauen bekommen. Wir wurden in Marokko und Mauretanien zwar immer von den Männern eingeladen, aber konnten auch zu den Frauen gehen. Greta: Als Touristinnen haben wir eine Sonderrolle und bekommen weniger genderbasierte Diskriminierung ab. Wir können an der Welt von beiden Geschlechtern teilnehmen. Auf Hochzeiten und bei einer Beschneidungsfeier durften wir ins Männer- und ins Frauenzelt.
Was ist das Anstrengendste an der Reise?
Hannah: Aktuell die fehlende Privatsphäre. Wir sind die ganze Zeit draußen, lernen jeden Tag 50 neue Leute kennen. Wildcampen geht im Moment bei der Bevölkerungsdichte nicht. Deswegen schlafen wir oft in Kirchen oder auf Dorfplätzen und sind bis spätnachts umringt von Leuten. Greta: Ein Zimmer ist auch keine Garantie, neulich, als wir krank waren und nur unsere Ruhe wollten, hing ständig die Tochter der Vermieterin bei uns rum. Und wir haben auch nicht immer Geld für ein Zimmer.
Wie viel Geld braucht ihr pro Monat?
Greta: In manchen Monaten geben wir 50 bis 60 Euro aus, in anderen über 1000. Momentan ist es wegen der Visa viel. Das für Nigeria kostet zum Beispiel zwischen 250 und 300 Euro. Generell rechnen wir mit 500 Euro pro Monat für uns beide. Dafür haben wir schon neben der Schule gearbeitet und Hannah auch ein Jahr Vollzeit, während ich noch Abi gemacht habe.
Geht ihr Schwestern euch eigentlich nie auf die Nerven?
Greta: Natürlich gehen wir uns mal auf die Nerven, gestritten haben wir uns aber noch nie. Wir haben uns einmal getrennt, aber nur weil wir unterschiedliche Sachen machen wollten.
Wie lange rechnet ihr noch bis Südafrika?
Hannah: Weihnachten 2025 könnten wir wieder zu Hause sein. Allerdings werden wir diesen Sommer ein paar Monate nach Hause fliegen. Das haben wir schon mal gemacht. Wir sind etwas reisemüde, wollen Freunde, Familie und unseren Hund sehen und etwas Kraft und Motivation sammeln.
INTERVIEW: Franziska Haack, Julian Rohn
FOTOS: Hannah und Greta Schröder