Chile: großes Kino im kleinen Süden

Seen, Wälder, Vulkane – Chiles »Kleiner Süden« ist ein ideales Revier für Südamerika-Einsteiger. Zum Wandern, Wundern und Genießen …

Cindy Ruch

Noch nie waren Heike, Christoph, Guido und Axel in Südamerika. Geträumt haben sie davon schon – Vulkane bestaunen, im Pazifik schwimmen, in den Anden wandern. Matetee probieren und Gauchos kennenlernen. Doch Südamerika war immer ein bisschen zu weit weg und die Spanischkenntnisse etwas zu spärlich.

Dann kam das Glück ins Spiel: Outdoor-Ausrüster Deuter und Aktivreise-Spezialist Wikinger Reisen veranstalteten ein Gewinnspiel, das im Globetrotter Magazin ausgeschrieben wurde: Die zwei Sieger würden samt Begleitperson nach Chile eingeladen – und so fanden sich Heike, Christoph, Guido und Axel plötzlich als Teil einer Reisegruppe in einer der schönsten Regionen des Kontinents wieder: im »Kleinen Süden«, auch als Chilenische Schweiz bekannt. Auf dem Programm: eine geführte Kennenlernreise, gewürzt mit Ein- und Mehrtageswanderungen. Die Mission Traumverwirklichung konnte losgehen.

Wie das Allgäu – aber mit Vulkanen

Die Tour beginnt mit der Lieblingsgegend unserer Reiseführerin Heidi: der Insel Chiloé. Bei unserer ersten kleinen Wanderung im Nationalpark Chiloé streifen wir die weiß blühenden Sträucher der Murta, chilenische Bambusse und Zimtbäume. »Ich mag das Grüne und die Berge«, sagt Heidi in unverkennbarem Allgäuer Dialekt. 25 Jahre reiste sie immer wieder nach Südamerika, bis sich die gelernte Altenpflegerin einen Ruck gab und ihren Lieblingskontinent zur neuen Heimat machte. »Das Leben in Chile ist freier und ein Neuanfang als Quereinsteiger einfacher als in vielen anderen Ländern.«

Cindy Ruch Gewinner unterwegs: an den Laja-Wasserfällen.

Auch landschaftlich erinnert der immergrüne »Kleine Süden« mit seinen Bergen und Seen ans Allgäu – wären da nicht der rauschende Pazifik und die majestätischen Vulkane. Die erste weiß funkelnde Vulkanspitze erspähen wir noch am gleichen Tag, als wir zu unserer Reise gen Norden aufbrechen. Heidi zeigt durchs Busfenster. »Seht ihr ihn, den Osorno? Es ist selten, ihn bei so klarer Sicht zu erwischen«, ruft sie. »Tja, wenn Gewinner reisen. Morgen wollen wir da hinauf!«.

Wie gewünscht – so erfüllt. Nach einer kurvenreichen Auffahrt stehen wir am Fuß des Vulkans Osorno im Nationalpark Vicente Perez Rosales. Wir folgen dem hellen Pfad im dunklen Lavageröll, und als wir uns nach einer Weile umdrehen, liegt Chiles Naturreichtum vor uns, als hätte jemand einen grün-blauen Scherenschnitt gebastelt: der riesige Llanquihue-See, umrahmt von Wiesen, Wäldern und Bergen, im Hinter- grund die mächtigen Anden, die sich als blaue Schatten gegen den Himmel stellen. Über uns thront Osornos Schneespitze. Stolz wie ein König schaut er auf sein Land.

Viele Locals sprechen gerne Deutsch

Über dem Nachbar-Vulkan Calbuco hängen Paffwölkchen. Ein Grund, nervös zu werden? Im April letzten Jahres ist er ausgebrochen, die Aschewolke fiel im Umkreis von 30 Kilometern auf Felder und Dörfer. »500 der 2000 Vulkane in Chile sind aktiv«, erzählt Heidi, »auch Erd- beben und Tsunamis sind ein Thema. Aber das Risikomanagement ist gut, es gibt viele Probealarme und beschilderte Tsunami-Fluchtwege.« Heute vertrauen wir darauf, dass Osorno unser Vulkanfreund ist, und halten Mittagspause in einem seiner 74 Krater. Sein letzter Ausbruch war 1869, das ist schon eine Weile her.

Weite Felder rauschen an den getönten Busfenstern vorbei, als wir uns zum Lago Llanquihue aufmachen. Etwas größer als der Bodensee, wirkt auch er irgendwie vertraut: Manche der Häuser am Ufer gleichen Schwarzwaldhütten, Cafés werben mit dem deutschen Wort »Kuchen«, das Bier heißt Kunstmann. Als Einwanderungsregion steht der Kleine Süden bei den Deutschen besonders hoch im Kurs, schon 1853 ließen sich hier ein paar Tausend Siedler nieder. Auf unserer Reise treffen wir noch einige Locals, die sich gerne mal wieder auf Deutsch unterhalten – und uns nebenbei jede Menge Reisetipps geben. Das gleicht unsere bescheidenen Spanischkenntnisse etwas aus. »Auch darum ist Chile ideal für Südamerika-Einsteiger«, bestätigt Heidi. »Spezielle Impfungen braucht man auch nicht, und Kriminalität ist, verglichen mit anderen Ländern, kaum ein Problem.«

Glück gehabt: Ein Gewinnspiel von Deuter und Wikinger bringt vier GM-Leser nach Chile.

Cindy Ruch Komfortabel: Das Zelt-Gepäck transportiert ein Gaucho zu Pferd.

Die Vulkanspitzen erweisen sich als Landmarken unserer Reise. Der Vulkan Llaima, einer der aktivsten in Chile, steht auf der Must-see-Liste. Dafür fahren wir mit unserem weißen Bus durch die schwarzen Lavafelder des Nationalparks Conguillío. 2008 und 2009 gab es hier Ausbrüche. Aus dem schwarzen Feld ragen Araukarien. Die Bäume mit den festen, schalenartigen Blättern wirken wie ein Mix aus Palme und Kaktus. Sie stehen unter Naturschutz, nur die indigenen Stämme der Mapuche – die »Menschen der Erde« – dürfen die Samen zu Brot verarbeiten.
Zwischen den Spitzen der Araukarien erhaschen wir überwältigende Blicke auf die Sierra Nevada, den Lago Conguillío und natürlich auf die Vulkanspitze des Llaima.

Wo ist der Schatz im Silbersee?

»Wer den chilenischen Wald nicht kennt, kennt diesen Planeten nicht«, schreibt Pablo Neruda in seiner Autobiografie. Wir hören nicht auf, bei jedem Ausblick zu staunen, und ein bisschen wundern wir uns auch über die wenigen Chilenen, die mit Leggings, Turnschuhen und Wasserflasche in der Hand die Berge hinaufrennen. Wir sind froh über unsere Deuter-Rucksäcke, die wir für die Reise mitbekommen haben. Mit Wasser und Leckereien gefüllt schmiegen sie sich unmerklich an unseren Rücken. In Chile ist Wandern noch nicht so verbreitet.

Die Anden stehen auch auf unserer Wunschliste, und der Ort zum Aufbruch ist die gemütliche Casa Chueca in Talca. Die Zweitageswanderung führt ins Naturschutzgebiet Altos del Lircay. Ein Gaucho folgt uns mit zwei Pferden. Bald setzen wir einen Fuß automatisch und gleichmäßig vor den anderen, finden unseren Rhythmus. Wie das so ist, wenn eine Gruppe Reisender auf einer Reise zusammentrifft, erzählen wir uns von Zwischen den Spitzen der Araukarien erhaschen wir überwältigende Blicke auf die Sierra Nevada, den Lago Conguillío und Trips nach Lappland, Afrika und Argentinien. Unser Guide Frank ist ebenfalls einer der deutschen Auswanderer. Er war einst Kunststoff-Formgeber, bis er vor sechs Jahren nach Chile kam und als Bergführer blieb.

Cindy Ruch

Auf dem Programm: eine Kennenlernreise, gewürzt mit Ein- und Mehrtagestouren.

Über der Baumgrenze auf 1800 Metern hängen Wolken wie ineinander verschlungene Berggeister. Kein sonniges Gewinnerwetter. Vor uns taucht der Schatz im Silbersee auf – die Laguna del Alto erinnert an die Winnetou-Filme. Am Rand warten die Pferde mit bunt gewebten Packtaschen. Unser Gaucho folgt uns den schmalen Pfad hinunter, und als wir die Zelte hinter der Lagune aufbauen, wird der nasse Nebel zu Nieselregen. In Regenjacken gehüllt essen wir Tütensuppe, Empanadas – gefüllte Teigtaschen – und trinken Tee. Neben uns campt Thomas aus Santiago mit seiner Familie. Sie laden uns an ihr Lagerfeuer ein, wo der Flachmann ebenso flott herumgereicht wird wie der Matebecher. Mit Hut und Ponchos stehen die Männer da, und unser Gaucho grinst mit schneeweißen Zähnen. Die Pferde sind davon gestiebt, im Nebel verschwunden. »Die kommen wieder«, sagt Frank.

Am Lagerfeuer geht der Flachmann so flott herumwie der Matebecher.


Nachts stürmt, regnet und blitzt es, doch nach 1100 gewanderten Höhenmetern schlafen wir tief und fest. Am nächsten Morgen: Nebel und gerade mal fünf Grad. Mit kalten Händen umklammern wir die Wanderstöcke und folgen der Kontur des Vordermanns.

Nebel über dem UFA-Landeplatz

Doch es ist genau die richtige Atmosphäre für den Enladrillado, eine rätselhafte Plattform aus flachen Steinen. Ob sie von der Natur geschaffen wurde, von Inkas oder Außerirdischen, darüber wird in Chile gerne spekuliert. Normalerweise bietet der berühmte »UFO-Landeplatz« spektakuläre Blicke, aber heute dominiert mystischer Nebel. Das alles wirkt nicht mehr wie das Allgäu, aber wie Chile auch nicht. Wir haben das Gefühl, in einer ganz anderen Welt gelandet zu sein.

Die Tage im Kleinen Süden vergehen wie im Flug. Auf dem Rückweg zum Airport ein letztes Mal Vulkanspitzen, im Westen lässt sich der blaue Pazifik erahnen. Große Farmen, Werbetafeln, rostige Fußballtore und hin und wieder eine Palme. Ein bisschen vertraut, ein bisschen anders und ziemlich faszinierend. Der Kleine Süden hat gute Dienste geleistet: Wir haben uns in einen neuen Kontinent verliebt.