Zu Fuß von Frankreich nach Faro
Ohne festen Reiseplan, ohne markierten Fernwanderweg und ohne zu wissen, wohin, bricht Lea in Frankreich auf, um der Atlantikküste zu Fuß zu folgen. Dass sie am Ende 2061 Kilometer bis zu den sonnigen Stränden der Algarve in Portugal zurücklegen wird, ahnt sie zu Beginn ihrer Solo-Wanderung noch nicht.
TEXT + FOTOS: Lea Benz
Es ist der erste Mai, als ich mit meinem Wanderrucksack, einem kleinen Trekkingzelt und einer Packung Haferflocken in Biarritz an der französischen Atlantikküste stehe. 2061 Kilometer liegen vor mir – von den rauen Klippen Frankreichs bis zu den sonnigen Stränden der Algarve in Portugal. Doch das weiß ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Ich habe keinen strikten Reiseplan, laufe auf keinem durchgehend markierten Fernwanderweg. Ich möchte einfach der Atlantikküste folgen, ohne zu wissen, wohin genau.
Der erste Monat
Die ersten Kilometer fühlen sich surreal an. Obwohl ich schon mehrere Fernwanderwege gemacht habe, wirkt diesmal alles irgendwie neu. Das Wandern an der Küste ist ungewohnt für mich, und ausgerechnet in der ersten Woche trifft mich eine Hitzewelle. Alle bisherigen Touren haben mich eher in die Berge geführt, wo es in der Regel kühler ist. Nach nur wenigen Tagen erreiche ich die Grenze zu Spanien, und schon bald sehe ich die ersten anderen Menschen mit Rucksäcken – höchstwahrscheinlich Pilger:innen, die auf dem »Camino del Norte« nach Santiago de Compostela unterwegs sind. Immer wieder kreuze ich ihren Weg.
In einem Dorf namens Zarautz gönne ich mir zum ersten Mal eine Nacht auf einem Campingplatz, um zu duschen und meine Kleidung zu waschen. Kaum habe ich mich dort eingerichtet, streckt eine Frau ihren Kopf aus dem Nachbarzelt. »Du wanderst auch mit Zelt?«, ruft sie mir zu und stellt sich als Elize vor. Wir kommen ins Gespräch, kochen zusammen Tee, und sie erzählt mir, dass sie auf dem »Camino del Norte« unterwegs ist. Da auch ich dieser Route für eine Weile folgen werde, beschließen wir, am nächsten Morgen gemeinsam weiterzuwandern. So einfach ist es, auf Weitwanderungen Menschen kennenzulernen.
Am nächsten Morgen stehen Elize und ich um halb sechs auf und beginnen den Tag mit einem Sprung ins Meer gerade, als die Sonne aufgeht. Unser gemeinsamer Wandertag auf dem Camino del Norte wird schnell zu einer Wanderwoche. Die Hitzewelle verabschiedet sich und wird von tagelangem Regen abgelöst – zuerst nur vereinzelt, irgendwann fast ununterbrochen. Mein Poncho wird zu meinem ständigen Begleiter, und Elize und ich bleiben kaum einen Tag trocken. Die ersten Regentage sind mental hart, doch erstaunlicherweise gewöhnen wir uns daran – und genießen die Sonne danach umso mehr.
In den darauffolgenden Tagen lernen wir weitere Pilger:innen kennen: Oskar aus Italien, Sydney aus den USA, Daniel aus Australien, Scott aus Kanada und viele mehr. Der Camino del Norte ist gut ausgeschildert, die Navigation einfach. Deshalb – und wegen der guten Gesellschaft – beschließe ich, meine Reise für eine Weile auf diesem Weg fortzusetzen. Tagsüber wandere ich mit meiner kleinen Camino-Familie, abends suche ich mir jedoch allein einen Platz für mein Zelt, da die anderen in Herbergen übernachten. Der Weg führt durch Eukalyptuswälder, an den Picos de Europa vorbei und entlang steiler Küsten. Nach 29 Tagen erreiche ich schließlich Santiago de Compostela.
Plötzlich im Militärgebiet
Als ich Santiago hinter mir lasse, verändert sich meine Fernwanderung. Alle Menschen, die ich in den vergangenen Wochen kennengelernt habe, beenden ihren Weg spätestens hier. Ich habe nun keinen ausgeschilderten Trail mehr – eine Route zu finden, erfordert mehr Planung und Orientierung, worauf ich mich jedoch freue. Ich folge kleinen, lokalen Wanderwegen in Richtung Porto, mache anschließend einen 300 Kilometer langen Abstecher ins portugiesische Inland und lege zwei Pausentage in Lissabon ein.
Weiter südlich wandere ich 70 Kilometer lang an einem scheinbar endlosen Strand entlang – so abgelegen, dass ich plötzlich mitten in einem Militärgebiet stehe, in dem gerade eine Schussübung läuft. Nach einigem Zögern und Überlegen ob ich mich verstecken oder auf mich aufmerksam machen soll, finde ich schließlich eine asphaltierte Straße. Frustriert von der ungeplanten Routenänderung stapfe ich trotzig 15 Kilometer am Straßenrand entlang. Erschöpft schlage ich mein Zelt auf einem heruntergekommenen Parkplatz auf.
Am nächsten Morgen zeigt sich nach kurzer Recherche: Es gibt keine Nebenstraße und erst recht keinen Wanderweg zum nächsten Ort. Zufällig hält die Polizei neben mir, und auf meine Frage raten mir die Polizisten trocken, einfach den Seitenstreifen der dreispurigen Autobahn zu nehmen. Wie idyllisch. Anfangs ist mir etwas mulmig, doch schon nach wenigen Minuten beginnen Autofahrer zu winken und mich anzufeuern. Als ich das Ende der Strecke erreiche, steht dort eine portugiesische Familie, die mich mit offenen Armen empfängt – als hätte ich gerade eine besondere Leistung vollbracht.
Im portugiesischen Hinterland ist die Gastfreundschaft der Menschen unglaublich. Fast jede Nacht darf ich mein Zelt im Garten von jemandem aufschlagen, den ich zufällig treffe. Manchmal wissen die Menschen in einem 35 Kilometer entfernten Dorf bereits, dass ich abends dort vorbeikommen werde, weil sich herumgesprochen hat, dass ich in diese Richtung unterwegs bin. Ein Dorfbewohner fährt einmal sogar zehn Kilometer neben mir auf seinem Fahrrad her. An anderen Tagen bekomme ich von Bauern frischen Salat oder Früchte geschenkt. Sehnsüchtig nach einer Pause vom ständigen Navigieren mache ich mich auf den Weg zur Algarve, wo ich dem faszinierenden Fishermen’s Trails folge, der nach Lagos in Südportugal führt. Die spektakulären Strände und zerklüfteten Klippen machten diesen Abschnitt zu einem meiner Lieblingsabschnitte, dieser Fernwanderung. In dem kleinen Örtchen Carrapateira lege ich zudem eine dreitägige Surfpause ein. Von dort aus liegen nur noch knapp 100 Kilometer entlang der Algarve-Küste in östlicher Richtung vor mir, bevor ich meine Wanderung in beende. Nach 2061 Kilometern, 77 Tagen, 173 Müsliriegeln, 11 Kilogramm Haferflocken und zwei Paar abgelaufenen Schuhen, findet meine Wanderung durch Westeuropa schließlich ihr Ende in Faro.
Unsere Globetrotter Ausrüstungstipps
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Von der Schönheit des Alleinseins
Manchmal war ich während meiner Wanderung unsicher und stellte meine Entscheidungen infrage, besonders wenn keine anderen Wander:innen in meiner Nähe waren, die ich um Rat fragen hätte können. Dennoch liegt die Schönheit des Alleinwanderns und des bewussten Nicht-Überplanens für mich genau in der Flexibilität: Ich genieße es, den Weg meinen eigenen Vorlieben und den jeweiligen Momenten anzupassen. Zum Beispiel an spontanen Pausentagen, die ich gegen Ende meiner Wanderung einlegte, lehnte ich mich entspannt zurück – und wenn mir danach war, wanderte ich auch mal eben 60 Kilometer am Stück zurück. Und um ehrlich zu sein: Ganz alleine bin ich während meiner 77 Tage langen Wanderung nur selten gewesen.
Viele Menschen, die ich auf meiner Reise kennengelernt habe, sind zu Freunden geworden. Mit Sydney war ich nach meiner Wanderung in Norwegen auf dem Aurlandsdalen Trail unterwegs, und sie wird mich bei meiner nächsten großen Wanderung in den USA unterstützen. Daniel habe in Australien besucht, und Oskar schickt mir wöchentlich Fotos von seinem Ultramarathontraining.
Ich genieße das einfache Leben sehr: früh aufstehen, Zelt abbauen, frühstücken, loslaufen, Abendessen kochen, Tagebuch schreiben, schlafen gehen. Und das 77 Tage lang. Langweilig wurde mir dabei nie. Ich fragte mich oft, wann und wo meine Wanderung enden würde. Mein einziges Limit war meine Arbeit, die ich im August wieder aufnehmen wollte. Je länger ich unterwegs war, desto egaler wurde mir mein Ziel. Ganz kitschig gesagt: Für mich wurde definitiv »der Weg zum Ziel«.
Meine Tipps für eine selbstgeplante Fernwanderung
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Planung:
Ein bisschen Planung ist sicherlich sinnvoll. Vor allem, wenn es um Sicherheit geht. Aber: Auf langen Wanderungen läuft fast nie alles nach Plan. Und genau das macht den Reiz aus. Unterwegs ergeben sich oft Chancen, an die man vorher nie gedacht hätte. Umwege, Begegnungen, spontane Möglichkeiten – sich darauf einzulassen, ist vielleicht der wichtigste Teil der Planung.
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Versorgung:
Meistens kam ich etwa alle zwei bis drei Tage an kleine Dorfläden vorbei, in Städten wie Bilbao dann auch manchmal großen Supermärkten. Mein treuester Begleiter in der Outdoorküche: Kartoffelbreipulver. Schnell gemacht, sättigend, leicht und bis heute (zum Glück) nicht langweilig. Am längsten musste ich in Portugals Inland durchhalten: sechs Tage ohne Nachschub.
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Wasserquellen:
In Portugal filterte ich manchmal Wasser, meist gab es jedoch gut gepflegte öffentliche Wasserstellen. Auf offiziellen Wanderwegen nah an der Zivilisation ist ein Wasserfilter in der Regel nicht nötig.
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Navigation:
Navigiert habe ich mit AllTrails, Komoot und Wikiloc. Praktisch war auch die simple Regel: Das Meer bleibt rechts. Dann laufe ich tendenziell schonmal in die richtige Richtung. Alle Karten hatte ich offline gespeichert, da der Empfang oft schwächelte.
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Ausrüstung und Klima:
Mein -5 °C-Daunenschlafsack war gerade zu Beginn Gold wert. Dazu kamen eine Therm-a-Rest-Matte, ein leichtes Zelt und mein absoluter Favorit: ein großer Regenponcho. Zunächst nur als Schutz vor Wolkenbrüchen gedacht, wurde er später in Portugal sogar zur Picknickdecke umfunktioniert. Generell gilt beim Thema Ausrüstung: Weniger ist oft mehr.