Wenn das Leben dir Zitronen gibt, ist Gelassenheit gefragt. Wie auch beim Familiencamping. Da liegen Lust und Frust oft nah beieinander – dafür kann aber auch die Freiheit grenzenlos sein.
TEXT: Katrin Ullmann
FOTO: Red-Gun
In dem Jahr, in dem unser erster Sohn schulpflichtig werden sollte, kauften wir ein Zelt. Die kommenden 13 Jahre würden wir den Sommerurlaub während der Schulferien verbringen müssen. Dann, wenn mehr als 45 Millionen Menschen allein aus Deutschland – das zumindest zählte eine Statistik im Sommer 2024 – nach Südeuropa reisen, in die Sonne, an die Seen und Küsten. Dann, wenn die Preise explodieren und Ferienwohnungen unbezahlbar werden, in der sogenannten Hauptsaison eben. Genau dann ist die perfekte Campingzeit. Das Low-Budget-Argument war ausschlaggebend für unseren Zeltkauf. Was wir damals nicht wussten: Gratis obendrauf gab es unvergessliche Familienmomente mit Wind und Wetter, mit Senfgläsern und Kniepsand.
In jenem Sommer also investierten wir mehrere hundert Euro in ein Familienzelt, in eines mit Stehhöhe, mit einziehbarem Boden und Extra-Schlafkabine. Aus atmungsaktivem Stoff. Seitdem fahren wir damit meistens gen Süden und zelten hinter Dünen und unter Pinien, manchmal sogar mit Meerblick. Da wir halbwegs komfortabel unterwegs sein wollen, packen wir alles ein, was das Camperherz begehrt. Wohl wissend, dass wir damit regelmäßig die Stoßdämpfer unseres viel zu kleinen Kleinwagens in die Knie zwingen. Doch das ist es uns wert. Neben Kühlbox, faltbaren Stoffschränken, Zweiflammen-Kocher, Gaskartuschen, Schlafsäcken, Moskitonetzen und natürlich Iso- und Hängematten haben wir oft auch noch ein Schlauchboot dabei. Campingtisch und -stühle sind ohnehin Pflicht – die stehen bei uns ganz oben auf der Liste. Ich fand das selbstverständlich.
Bis wir Bekanntschaft mit Familie Raschberg aus Essen machten. Die Raschbergs waren überzeugte Verfechter des »Prinzips Picknickdecke«, die sie »irrsinnig gemütlich« fanden und auf der sie – kaum hatten sie uns kennengelernt – allerdings gar nicht mehr kauerten. Zu gern kamen und blieben sie zum Kaffee, machten es sich mit ihren Kindern auf dem Schoß in unseren Klappstühlen gemütlich, während die Picknickdecke mehr und mehr verwaiste. Nicht alle unsere Stühle haben die Belastungsprobe überlebt, aber an die Raschbergs denken wir noch heute.
Dass beim Campen neben dem Sitzkomfort auch die Privatsphäre flöten geht, ist selbstredend. Mittlerweile kann ich mich zu jeder erdenklichen Tages- und Nachtzeit schlafend stellen. Zum Schutz vor dem achten spontanen Kaffee des Tages oder dem abendlichen »Ihr seid ja noch wach, wie schön, dann setzen wir uns kurz zu euch, wir stören doch nicht?«-Wein. So interessant viele Begegnungen auch sind, so wenig Rückzugsmöglichkeiten gibt es. Schon gar nicht vor der eigenen Familie. Kaum hat man sich für eine kurze Pause ins Zelt zurückgezogen, fangen die Kinder an zu streiten.
Da hilft es wenig, dass wir unsere beiden Jungs – seit sie groß und mutig sind – ins eigene Zelt auslagern können. »Seid bitte leise, diese Wände sind nur aus Stoff!« Wie oft habe ich mich im vergangenen Jahrzehnt diesen Satz sagen hören? Selbst noch, als unsere inzwischen Teenager-Söhne gar nicht mehr im Zelt, sondern um die vermeintlich gemütlichere Hängematte davor stritten. Doch zwischendurch erlebt man genau diese rabiaten Jungs beim hingebungsvollen Spiel mit verrotzten Kleinkindern.
Unfassbar geduldig üben sie mit fremden Dreikäsehochs das Fahrradfahren, plaudern mit ihnen über »Spongebob« und bauen Sandburgen. Solche jahrgangsübergreifenden und zu Herzen gehenden Szenen finden wirklich nur auf Zeltplätzen statt. Gerührt feiert man die weiche Seite des rauen Stimmbruchalters, bis einen genau jene tiefer gelegte Stimme mit »So ein Kleinkind ist echt ein Eins-a-Mädchenmagnet!« aus jeglicher Verklärung reißt.
In einem der Corona-Sommer habe ich es sogar mit Fahrradzelten versucht. Man durfte eh nicht raus aus dem Land und so fuhr ich allein mit den Jungs, mit Rail & Bike, Skiunterwäsche und ein paar wenigen Dingen, die auf einen Fahrradanhänger passten, nach Amrum. Nicht so weit weg, aber am Meer, dachte ich und hatte das Ganze vollkommen unterschätzt.
Bei nordsommerlichen 15 Grad tobte tagelang der Sturm über und durch unser kleines Zelt, dessen Stangen ängstlich in die Knie gingen. Die lauwarme One-Pot-Pasta kam bei meinen Jungs gar nicht gut an und der zum Tisch umfunktionierte Anhänger rief bei der perfekt ausgestatteten Camping-Nachbarschaft eher ein amüsiertes Stirnrunzeln hervor, als dass er uns nützliche Dienste leistete. Natürlich hatten wir wieder unsere Campingstühle dabei.
Mit dem einen machte unser jüngerer Sohn die schmerzhafte Erfahrung, dass er, wenn man daraufsteigt, tatsächlich zusammenklappt. Eine blutende Rückenwunde war die Folge, über die sich schnell und großflächig der Kniepsand der Insel legte. Fahrradfahren ist jetzt keine Option, dachte ich kopflos, da versanken wir schon in den tiefen Ledersitzen einer Mercedes S-Klasse, mit der uns ein beherzter Zeltnachbar zum ansässigen Inselarzt brachte.
Zelten ist ein Gewinn-und-Verzicht-Geschäft. Morgens etwa muss man endlos viel Geduld mit seinen Mit-Campenden haben, die beim Croissantkauf stotternd ihre Fremdsprachenkenntnis ausbreiten, abends regelmäßige Suchläufe nach freigelassenen Kindern und verloren geglaubten Laufrädern einplanen, nachts muss man besser nicht auf Klo müssen, und zu jeder Tageszeit muss man unüberhörbare Wutanfälle im eigenen und im Nachbarzelt aushalten. Camping bedeutet aber auch Sternenhimmel, Barfußgehen, unbeaufsichtigte Kinder und das unbezahlbare Erlebnis, mit Waschraumbekanntschaften Whiskey aus handgespülten Senfgläsern zu trinken.
Zelten ist wunderbar einfach und gleichzeitig haarsträubend umständlich. Nicht zuletzt sind es die Zufallsbegegnungen und Freundschaften, die uns immer wieder zelten lassen. Eingepfercht in eine kleine Ferienwohnung gäbe es keinen Austausch mit anderen, keinen Smalltalk zwischen Zahnpasta, Spülmittel und der obligatorischen Rolle Klopapier unterm Arm. Beim Zelten haben wir die schönsten Freundschaften geschlossen. Wie mit Angela und ihrer Familie. Angela findet: »Campingfreunde sind so herrlich unkompliziert.« Und sie hat Recht. Vermutlich liegt es daran, dass Familiencampen eine ziemlich komplizierte Angelegenheit ist.
»Camping bedeutet aber auch Sternenhimmel, Barfußgehen und unbeaufsichtigte Kinder.«