Fair Trade und Arbeitsbedingungen:

Werden wir fairer?

„Faire Arbeitsbedingungen!“ Das kann wie ein Mantra klingen, das alle wiederholen, aber nicht wirklich wissen, was es bedeutet. Wir sprechen mit Expert:innen, die sagen, dass zu wenige dieses Thema ernst nehmen. Aber auch, dass es viele Möglichkeiten gibt, systematisch auf Fairness hinzuarbeiten.

Vom Einsturz des Rana-Plaza-Gebäudes in Bangladesch 2013, in dem 1134 Bekleidungsarbeiterinnen ums Leben kamen, bis hin zu Arbeitslagern in Xinjiang, China, in denen die Minderheit der Uiguren zur Produktion von Bekleidung gezwungen wurde oder der Inhaftierung und Ermordung von Gewerkschaftsführern der Bekleidungsindustrie in Myanmar – in den letzten 25 Jahren gab es zahlreiche Beispiele für die teils sehr schwierigen Arbeitsbedingungen in der Produktion von Mode und Bekleidung. Große Marken versprachen, Wiedergutmachung zu leisten, und begannen, umfassende Verbesserungsprogramme in ihren Lieferketten umzusetzen. Andere folgten diesem Beispiel. Doch nach wie vor sind die Bedingungen, mitunter getrieben von unserem Überkonsum, nicht immer rosig, und es bleibt viel zu tun in puncto Fairness.

Eintritt in den Fairen Handel

Wie kann das sein? Schließlich würden sich die meisten Menschen gerne als ethisch und fair betrachten. Doch angesichts der Komplexität und Undurchsichtigkeit der globalen Lieferketten sind sowohl Unternehmen als auch Verbraucher oft nicht in der Lage, fundierte ethische Entscheidungen zu treffen. Heißt das, dass alle Hersteller gleich schlecht sind? Nein, im Gegenteil, behauptet Mariette Van Amstel, Fair Wear’s Head of Membership. Sie bestätigt zunächst, dass Arbeitsverstöße in der Bekleidungsindustrie keineswegs selten sind:

„Wir arbeiten in einem Sektor mit einem hohen Risiko für Menschenrechtsverletzungen, einschließlich gefährlicher Begebenheiten wie unsichere Gebäude für die Arbeiter, Zwangsarbeit, keine Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns oder Ausbeutung gefährdeter Gruppen wie Migranten.“

Gleichzeitig sind in den letzten Jahrzehnten einige positive Schritte unternommen worden. Die Fair Wear Foundation (FWF) ist eine unabhängige gemeinnützige Organisation, die sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Bekleidungsfabriken einsetzt, um solche Risiken zu verringern. Mit einer sehr konkreten Vorstellung davon, was „fair“ in der Lieferkette ist (siehe Kasten unten).

Festlegung neuer Normen

Fair Wear unterstützt seine Mitglieder dabei, sich schrittweise an die Erfüllung jedes dieser Grundsätze heranzutasten, um einen Standard zu erreichen, bei dem die Arbeitnehmenden ihr Recht auf eine sichere, würdige und angemessen bezahlte Beschäftigung wahrnehmen können. Mariette Van Amstel erzählt, wie dies in der Praxis aussieht: „Alles beginnt mit einer Risikobewertung und der Identifizierung von Risiken für die Angestellten. Fair Wear arbeitet mit den Marken zusammen und unterstützt sie dabei, die Ursachen zu beseitigen, Korrekturmaßnahmen umzusetzen und eine Wiederholung zu verhindern, um die Arbeitsstandards kontinuierlich zu verbessern.“
Mariette Van Amstel erklärt, dass die FWF dazu beiträgt, Menschenrechtsverletzungen zu verhindern, indem sie Fachwissen, Ressourcen und Instrumente zur Verfügung stellt, um Sorgfalts- und Überwachungssysteme in den Lieferketten ihrer Mitglieder einzuführen.“Die Mitglieder von Fair Wear sind Vorreiter in der Branche und insbesondere in der Gemeinschaft unserer Outdoor-Marken.

Das Vertrauen in den Ansatz der FWF beruht auf der transparenten Berichterstattung und der öffentlichen Rechenschaftspflicht über den Fortschritt der Marke, der unabhängigen Validierung und den kontinuierlichen Verbesserungsprozessen, erklärt Mariette Van Amstel.

FWF ist zum bevorzugten Partner vieler führender Outdoor- und Bekleidungsmarken wie Vaude, Rab, Ortovox und Icebug geworden. Bei Fair Wear werden die jeweiligen Partnerunternehmen als Ganzes betrachtet – einzelne Produkte werden jedoch nicht zertifiziert. 

Eine weitere Organisation, die sich weltweit für die Verbesserung von Arbeitsbedingungen einsetzt – und verschiedene Outdoor-Marken unterstützt – ist die Fair Labor Association (FLA). Entstanden 1999, sind ihre Mitglieder Unternehmen, Universitäten und Hochschulen sowie zivilgesellschaftliche Organisationen. Fair Labor akkreditiert zu sein bedeutet, dass ein Unternehmen funktionierende Systeme in der globalen Lieferkette hat, die Arbeitnehmer schützen. Dafür müssen die Unternehmen eine Reihe von strengen Meilensteinen erfüllen. Fortschritte bei der Umsetzung, Überwachung und Behebung von Arbeitsplatzstandards werden dabei auf der Grundlage von Fair Labor Practices überwacht. Als Marken haben sich etwa Patagonia, Fjallräven, Hanwag oder Frilufts verpflichtet, die Grundsätze der FLA umzusetzen, die Aspekte wie gerechte Entlohnung, Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit, Nichtdiskriminierung, sichere Arbeitsumgebungen und Umweltschutz umfassen.

Ein anderer Ansatz: zertifizierte Produkte

Woher weiß man, dass ein bestimmtes Produkt auf eine bessere Weise hergestellt wurde? Eine weitere Organisation, die sich für bessere Arbeitsstandards einsetzt, ist Fair Trade USA. Während die FWF eine Mitgliederorganisation ist, ist Fair Trade USA ein aktiver, unabhängiger Zertifizierer mit einem Beschaffungsprogramm, das auf der Prüfung und anschließenden Zertifizierung von Produzenten basiert, die strenge ökologische, wirtschaftliche und soziale Standards erfüllen. Produkte, die von solchen zertifizierten Farmen und Fabriken hergestellt werden, können dann das für den Verbraucher sichtbare Fair Trade Certified (FTC)-Siegel tragen.
FTC wird zwar in erster Linie im Agrarsektor eingesetzt, findet aber auch bei Outdoor-Marken wie Patagonia, REI, Prana, Arc’teryx und MEC zunehmend Anklang. 

Fair Trade USA muss dabei von Fairtrade International, dem Dachverband der verschiedenen nationalen Fairtrade-Initiativen unterschieden werden. Beide Systeme verfolgen zwar das Ziel, fairere Handelsbedingungen für Produzenten in Entwicklungsländern zu schaffen. Jedoch verfolgt Fair Trade USA einen breiteren Ansatz, wodurch mehr und auch größere Produzenten das Siegel tragen und zertifiziert werden können, dabei ist Fair Trade USA vor allem auf den nordamerikanischen Markt ausgerichtet. Zu unterscheiden sind beide Organisationen auch anhand ihrer unterschiedlichen Logos bzw. Siegel. 

In ihrem Bemühen, Armut und soziale Ungerechtigkeit zu bekämpfen, hat vor allem eine amerikanische Outdoor-Marke in FTC einen starken Verbündeten gefunden: Cotopaxi. Laut Annie Agle, Vice President of Impact and Sustainability bei Cotopaxi, sind die Unterschiede zwischen einer zertifizierten und einer nicht zertifizierten Fabrik wie Tag und Nacht: „Nichts bereitet einen darauf vor, Hunderte von Arbeitern an Nähmaschinen zu sehen – Menschen, die stundenlang da sitzen und unseren Überkonsum produzieren. Es ist deprimierend, ein anderes Wort finde ich dafür nicht“, erzählt Annie Agle, bevor sie fortfährt: „Fair-Trade-zertifizierte Fabriken wirken weniger bedrückend. Es gibt eine Selbstachtung unter den Arbeitern, und man hat sofort das Gefühl, dass sie selbstbestimmt sind!“

Investitionen in Übergänge

Abgesehen von den hohen Arbeitsstandards glaubt Annie Agle, dass ein Großteil des Geheimnisses hinter dieser Befähigung im einzigartigen Community Development Fund der Fair Trade USA liegt. Hier wird eine Prämie von 1-2 % des gesamten Auftragswerts erhoben und in einen Fonds eingezahlt, der von einem Fair-Trade-Ausschuss verwaltet wird, der sich aus demokratisch gewählten Fabrikarbeitern zusammensetzt. Ob Universitätsstipendien und Kindertagesstätten für die Kinder der Arbeiter oder Lohnerhöhungen für die Angestellten – die Arbeitenden entscheiden selbst, wie die Mittel am besten verwendet werden können.
„Die Arbeitnehmer sind nicht passiv, und sie sind gewiss nicht stimmlos!  Alles, was sie brauchen, ist eine gerechte Entlohnung, und die Arbeitnehmenden treffen wichtige Entscheidungen für sich und ihre Gemeinschaften.

Es muss noch viel mehr getan werden

Anders als die Begriffe „Bio“ oder „Öko“, die in Deutschland gesetzlich geschützte Begriffe sind, ist es der faire Handel nicht und läuft daher Gefahr, von nicht seriösen Akteuren in Umlauf gebracht zu werden. Um dies zu vermeiden, sind anerkannte Drittorganisationen der Schlüssel. Fair Wear Foundation und Fair Trade Certified gelten in der Outdoor-Branche als führend. Es gibt auch kostenlos nutzbare Tools wie den Open Supply Hub.

Ebenso wie der Begriff „nachhaltig“ wegen seiner Zweideutigkeit in die Kritik geraten ist, gilt dies auch für den Begriff „Fair Trade“. Die „Fair Wear Leader“-Bezeichnung einer Marke oder ein Fair Trade Certified-Produkt ist nicht gleichbedeutend mit einem 100 % fairen Austausch. Zwar sind die Einhaltung der Standards bei Fairtrade/Fair Trade Bediengung für die Zertifizierung und FLA Audits der teilnehmenden Unternehmen werden transparent veröffentlicht, dennoch handelt es sich beim Einsatz um fairere Arbeitsbedingungen um einen andauernden Prozess. Sowohl die FWF als auch die FTC geben an, dass sie auf fairere Praktiken hinarbeiten und nicht, dass es auf diesem Gebiet nichts mehr zu tun gibt. Erschwerend kommen in der Textilbranche lange und undurchsichtige Lieferketten hinzu, selbst für Marken, die sich um faire Arbeitsbedingungen bemühen. 

Die Verwirklichung einer Zukunft, in der Arbeitnehmer und Verbraucher die gleichen grundlegenden Rechte genießen, bleibt daher ein ferner Traum. Doch mit vereinten Kräften kann sich dies ändern: „Die Bekleidungsindustrie ist zersplittert“, erklärt Mariette Van Amstel, „deshalb ist es wichtig, die Kräfte zu bündeln und nicht allein als Marke zu arbeiten.“

Annie Agle kann dem nur zustimmen und ermahnt andere, ihren Arbeitnehmern einen fairen Preis zu zahlen: „Ich will kein Moralapostel sein, aber warum sollte man nicht das bezahlen, was die Herstellung eines Produkts tatsächlich kostet? Der Kampf gegen Ungleichheit ist mehr als nur ein Audit, es geht darum, die Schwächsten in unserer Wertschöpfungskette zu unterstützen, nämlich unsere Fabrikarbeiter.“

Die 8 Grundsätze der Fair Wear Foundation

    1. Die Beschäftigung ist frei gewählt.
    2. Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Tarifverhandlungen.
    3. Es gibt keine Diskriminierung bei der Beschäftigung.
    4. Keine Ausbeutung und Kinderarbeit.
    5. Zahlung des existenzsichernden Lohns.
    6. Angemessene Arbeitszeiten.
    7. Sichere und gesunde Arbeitsbedingungen
    8. Rechtlich bindendes Arbeitsverhältnis.

fairwear.org

    10 Grundsätze der Fair LaborAssociation

    Die Fair Labor Association (FLA) hat zehn Grundsätze für faire Arbeitsbedingungen und verantwortungsvolle Beschaffung, zu denen sich ihre Mitgliedsunternehmen verpflichten:

    1. Chancen für wirtschaftlich benachteiligte Produzent*innen
    2. Transparenz und Rechenschaftspflicht
    3. Faire Handelspraktiken
    4. Faire Bezahlung
    5. Keine ausbeuterische Kinderarbeit und keine Zwangsarbeit
    6. Versammlungsfreiheit, keine Diskriminierung, Geschlechtergerechtigkeit
    7. Gute Arbeitsbedingungen
    8. Aus- und Weiterbildung
    9. Förderung des Fairen Handels
    10. Umweltschutz und Einsatz gegen den Klimawandel

    Diese Prinzipien zielen darauf ab, faire Arbeitsbedingungen in globalen Lieferketten sicherzustellen und die Rechte der Arbeiter*innen zu schützen.

    fairlabor.org 

      Fair Trade-Zertifizierung

      Ein Fair Trade Certified-Siegel auf einem Produkt bestätigt, dass es nach strengen Standards hergestellt wurde, die den Lebensunterhalt von Bauern, Fischern und anderen Erzeugergemeinschaften sowie die Umwelt schützen.

      • Garantierter Mindestpreis, der als Sicherheitsnetz für Bauern und Erzeuger bei niedrigen Marktpreisen dient.
      • Die strengen Standards der Fair-Trade-Zertifizierung gewährleisten sichere und gesunde Arbeitsbedingungen, die Abschaffung von Zwangs- und Kinderarbeit, eine faire und einheitliche Entlohnung sowie Umweltschutz und Rückverfolgbarkeit der Produkte.
      • Die Erzeugergemeinschaften erhalten zusätzliche Ausgleichszahlungen aus dem Gemeindeentwicklungsfonds.

      fairtradecertified.org

        Text: Jonathan Eidse
        Fotos: Cotopaxi, Fair Wear Foundation
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