Extrem-Bikepacking in Kenia

Safari auf zwei Reifen

1.000 Kilometer, drei Wochen, ein Fahrrad: Nach einem sehr schweren Fahrradunfall steigt Paul Mühlfelder wieder aufs Bike. Allein fährt er quer durch Kenia und kämpft sich durch Schlamm, Urwald und Savanne. Ein Gespräch über eine Reise, die weit mehr ist als ein sportliches Abenteuer.

  • Kenia Bike Odyssey
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Kenia Bike Odyssey

Paul Mühlfelder …

… (33) ist angehender Gynäkologe aus Deutschland. Aktuell lebt und arbeitet er in der Schweiz und gleicht intensive Nachtdienst-Wochen mit abenteuerlichen Radreisen aus. Eine Solo-Trip couchsurfend durch den Iran gehört neben der Reise durch Kenia zu seinen größten Abenteuern. Im Gepäck hat er stets seine Kamera dabei, um kleine Funde entlang des Weges und tierische Begegnungen festzuhalten – als Motivation für den nächsten Nachtdienst.

Paul, du bist 1000 Kilometer mit dem Rad durch Kenia gereist. Hätten es nicht auch die Alpen getan?

Paul: Ehrlicherweise sind die Alpen mir zu wenig exotisch. Schon seit ich ein Kind bin, zieht es mich nach Afrika und ich habe bereits zahlreiche Länder des Kontinets besucht. Unter anderem Botswana, Malawi, Djibouti, Äthopien oder Ägypten. Mit einer Landkarte vor mir und vier Wochen Zeit rückte schnell Kenia in den Fokus. Als ich dann feststellte, dass eine offizielle Bike­packing-Route namens »Kenya Bike Odyssey« dort endet, wo schon eine Reise mit meinen Eltern vor 19 Jahren endete, war der Entschluss gefasst.

Aber warum mit dem Rad und warum allein? 

Paul: Seit ich laufen kann, fahre ich Rad – wahrscheinlich fahre ich sogar besser als ich laufe. (lacht) Diese Reise war ­­für mich sinnbildlich die erste Seite eines neuen Kapitels: Ich hatte vor zwei Jahren einen schweren Fahrradunfallunfall, bei dem ich mir diverse Knochenbrüche zuzog und mit dem ­Helikopter ins Krankenhaus geflogen wurde. Vier Wochen lag ich dort und musste anschließend eine lange Reha durchmachen. Nach diesem Schicksalsschlag stand meine Welt kopf und der Weg zurück in die Normalität war hart und lang. Ob ich je wieder Rad fahren würde, war ungewiss. ­Heute kann ich zum Glück ­sagen, dass ich körperlich fast wieder der Alte bin. Aber ich hatte immer stille Zweifel, was mental wohl noch möglich sein würde. Die Reise war in dem Sinne ein Selbstbeweis: Der Widrigkeiten, der Selbstzweifel und des Unfalls zum Trotz – ich kann das!

Klingt nach einer schweren persönlichen Reise. Dann direkt Kenia: Wie würdest du die Route beschreiben?

Paul: Ich war jeden Tag überrascht von der Vielfalt Kenias. Ich hätte nicht gedacht, dass man in Nairobi auf 1.800 ­Meter Höhe nachts friert! Die ersten Tage der Reise führten mich durch die grünen Teeplantagen von Limuru mit frühlingshaften Temperaturen. Darauf folgten die Wälder der Hochebene, bevor es hinab in den ostafrikanischen Graben ging. Die geologische Aktivität formte dort über Jahrmillionen hohe Berge und tiefe Seen, was das lokale Klima sehr be­einflusst. Die Temperaturen stiegen von 15 Grad auf 30 Grad Celsius und die Luft wurde trocken. ­Mittags ist die Hitze sengend und Schatten ist rar. Als mir die ersten Zebras vor dem Rad über die Straße liefen, hatte ich das Gefühl, wirklich in Afrika angekommen zu sein. Der Beginn meiner Reise war erst die Vorspeise. Gegen Ende zeigte sich das Bilderbuch-Afrika mit weiter Savanne, Elefanten­herden, Antilopen und Giraffen. ­So wie man sich das eben vorstellt.

Neben Antilope, Büffel und Co. gibt’s aber in Kenia auch Raubkatzen. Hattest du keine Angst? 

Paul: Auch wenn Begegnungen mit Löwen, Leoparden und Geparden potenziell gefährlich sein können, ist es doch sehr unwahrscheinlich, Raubkatzen am Straßenrand liegend vorzufinden. Sie leben meist in Nationalparks, meiden uns ­Menschen und sind nachtaktiv. Besondere Vorkehrungen muss man also nicht treffen. Die viel größere Gefahr geht tatsächlich von Büffeln und Elefanten aus, die trifft man im Nordosten Kenias häufiger. Man sollte ihnen nicht zu nahe kommen, sie überraschen und schon gar nicht ­zwischen ein Jungtier und seine Mutter geraten. In Elefantengebieten muss man also ein bisschen auf der Hut sein. Aber jeder mit gesundem Menschenverstand hält ohnehin sicheren Abstand und genießt das Schauspiel aus der Ferne.

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    Zebras, die nur wenige Meter entfernt über die Straße laufen? Auf der Kenya Bike Odyssey ganz normal.

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Wie lange warst du denn unterwegs?

Paul: Insgesamt hatte ich 16 Fahrtage und zwei Pausentage. Ich habe ein robustes Tourenrad mit extra breiten Reifen gewählt. Täglich bin ich etwa 65 Kilometer gefahren, einmal habe ich 90 Kilometer geschafft. Vielmehr ist auch kaum möglich. Die Straßenverhältnisse sind sehr unzuverlässig: mal eine gute Schotterpiste, mal bremst ein Schlagloch nach dem anderen das Fortkommen aus. Teilweise ist der Weg kaum mehr als ein schmaler Pfad im Dickicht. Obendrein radelt man nicht nur durch die flache Savanne, sondern muss etliche Höhenmeter bewältigen. Das Mittelgebirge, ein Bergrücken zwischen Kerio und Rift Valley, ­war für mich die anstrengendste körper­liche Quälerei der Reise.

Die körperliche Belastung klingt enorm – aber war das wirklich das Herausforderndste?

Paul: Die körperliche Anstrengung war für mich erträglich. Aber die Einsamkeit und das Wissen, alle aufkommenden Probleme alleine lösen zu müssen, empfand ich als extrem fordernd. Einmal fand ich mich an einem Flussufer wieder. Die Route sah vor, dass es auf der anderen Seite weitergeht – nur war da ­keine Brücke mehr. Zum Glück traf ich Ein­heimische, die mir erklärten, dass es einen Kilometer flussabwärts eine Furt gibt. Ein anderes Mal hatte Niederschlag den roten Boden in einen klebrigen Schlamm verwandelt. Dieser ist bei den Einheimischen berüchtigt und wird «Black Cotton Soil» genannt. Anfangs freute sich mein innerer Mountainbiker noch über die Herausforderung. Aber wenn das Rad immer und immer wieder in einer schlammigen Pfütze versinkt, man bis zum Knöchel im Schlamm steckt und der Pfad im Dickicht verschwindet, ist man irgendwann entmutigt und frustriert. Ich habe für zwanzig Kilometer fünf Stunden ­gebraucht – das bricht die Moral.

Hast du da nicht ans Aufhören gedacht? 

Paul: Nie! In solchen Situationen habe ich Selbstgespräche geführt oder Musik gehört, um mich abzulenken. Zudem ­haben mich gute Freunde vor der Reise mit Motivations­riegeln für schlechte Momente ausgestattet. Darauf standen lustige Nachrichten. Ehrlicherweise hatte ich aber mehr Lust auf frische Mangos, sodass ich mich zwar an den Nachrichten ­erfreut, die Riegel aber unangetastet gelassen habe.

Stichwort Ernährung: Ist die Versorgung mit Wasser und Nahrung unterwegs nicht schwierig?

Paul: (schmunzelt) Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass das für Bikepacking auf Sardinien gilt, für Kenia aber nicht. Fast jeden Tag führt die Kenya Bike Odyssey durch ein Dorf, wo es Wasser und Essen gibt. Letzteres war ein Traum: Ich ernährte mich hauptsächlich von frischem Obst, Avocados und Tomaten. Die Mango-Ernte hatte gerade begonnen und so kam ich auf drei Mangos und zwei Avocados täglich. Jeder Biss in eine reife Frucht hat eine fast kindliche Freude in mir ausgelöst. Ich hatte am Anfang auch Sorge, was die Verfügbarkeit von Trinkwasser angeht. Diese war aber völlig unbegründet: Überall stand abgepacktes Trinkwasser zur Verfügung, sodass ich den Wasserfilter und das Iod, das ich zur Aufbereitung dabeihatte, nie benutzen musste.

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    Motivierende Nachricht von Pauls Freunden. 

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Was muss man noch bei der Planung einer solchen Reise beachten? 

Paul: Zugegeben war die Planung sehr aufwendig für mich. Flugtickets sind schnell gebucht, aber ich bin ein Mensch, der gerne gut vorbereitet ist. Es war mein Anspruch, meine Ausrüstung vorher mindestens einmal zu testen. Zudem wollte ich gewichtsoptimiert packen, um Platz für mein Fotoequipment zu ­haben. Am meisten Sorgen machte ich mir über Reisedurchfall. Das kann im Hinterland lebensbedrohlich sein. Entsprechend hatte ich jede Menge Medikamente dabei – ­sogar einen Infusionsschlauch zur intravenösen ­Rehydrierung! Ich bin aber heilfroh, dass ich den nicht nutzen musste.

Wie navigiert man in Kenia? 

Paul: Ich war selbst überrascht, dass es überall eine 4G-Netzabdeckung gibt. Profis hätten wahrscheinlich mit eigenem GPS-Gerät navigiert, ich habe aber auf iPhone und Smartwatch gesetzt. Natürlich habe ich das vorher ausführlich ­getestet und hatte so nie Probleme mit der Navigation.

Sogar ein Zelt hattest du dabei. Kann man in Kenia überall problemlos campieren?

Paul: Ja, zelten geht fast überall. Einmal habe ich umgeben von unzähligen Bierdeckeln hinter einer lärmenden Bar ­gerastet – eine der weniger schönen Nächte. Ein anderes Mal nächtigte ich wiederum direkt am Baringosee – das war wunderschön und entlohnte für die Entbehrungen der Reise.

Kannst du uns einen typischen Tag beschreiben?

Paul: Der Sonnenaufgang um sechs Uhr wurde zu meinem Taktgeber. Meistens stand ich schon eine halbe Stunde davor auf, so hatte ich einerseits die kühlen Morgenstunden, um Strecke zu machen, und andererseits genug zeitlichen Puffer für unerwartete Herausforderungen. Nach einer Stunde im Sattel gab es meistens Frühstück – das heißt, die erste Mango des Tages. Dann ging es bis mittag weiter, bevor ich mir im Schatten unter einem Baum ein einfaches Mahl aus Erdnussbutter, Tomaten, Chapati – das ist ein kenianisches Fladenbrot – und der obligatorischen zweiten Mango zubereitete. Unterwegs hielt ich immer wieder an, um mit vor Neugierde strahlenden Einheimischen zu reden und Fotos zu schießen. Meistens kam ich spätestens gegen drei Uhr nachmittags an meinem Ziel an. Um neun Uhr ging dann das Licht aus und ich fiel erschöpft in einen tiefen Schlaf, bereit für den nächsten Tag im gleichen Takt.

Und was war mit nächtlichen tierischen Besuchern?

 Paul: Überall wo es Menschen gibt, tummeln sich auch Affen. Die sind zwar nicht gefährlich, aber man muss sie gut im Auge behalten! Sie sind talentierte Diebe und stehlen gerne Essen: In einem unachtsamen Moment ist die frische Mango schnell verschwunden. Einmal habe ich in der Nähe von Nilpferden genächtigt, die waren aber zum Glück durch einen Zaun von mir getrennt. Ansonsten zeugte Elefantendung von möglichen nächtlichen Besuchern, aber wahrscheinlich habe ich vor Erschöpfung die meisten Gäste verschlafen.

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    Zelten geht auf der Kenya Bike Odyssey fast überall.

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Wie viele platte Pneus hast du dir eingefangen?

Paul: Dank Tubeless, also einem schlauchlosen Reifensystem, hatte ich wenige. Das ist meiner Meinung nach ein absolutes Muss in Afrika. Ich habe auf der Reise etwa zwanzig Dornen aus meinen Reifen gezogen, ohne dass sie mich aufgehalten haben. Nur am vorletzten Tag hat mich das Schicksal gleich mit mehreren Platten gestraft: Immer wieder flickte ich den Mantel und pumpte ihn wieder auf. Aber nach kurzer Zeit fand ich mich erneut auf dem Boden der Tatsachen wieder. Ich war ratlos, hungrig und erschöpft. Schließlich habe ich frustriert den Reifen in alle erdenklichen Richtungen belastet – und ­siehe da: Es strebte mir ein fünf Zentimeter langer Akaziendorn entgegen! Der war hart wie ein Nagel und muss sich durch den Reifen in das Innere gebohrt haben. Wäre mir das nicht aufgefallen, würde ich vermutlich immer noch in Kenia stecken und meinen Platten flicken.

Welches Utensil ist aus deiner Radtasche nicht wegzudenken?

Paul: Must-haves waren ein Leatherman und eine Luftpumpe. Ich habe mir auch den Luxus eines aufblasbaren Kissens ­genehmigt – ein enormer Komfortgewinn. Zudem fand ich es genial, ein Teleobjektiv dabeizuhaben. Das ist zwar riesig, aber wenn es sich lohnt, es mitzuschleppen, dann in Afrika. Vieles von dem, was ich dabeihatte, habe ich nie ­gebraucht. Dennoch würde ich das meiste wieder mitnehmen, einfach der Sicherheit wegen. Nur das Currypulver zum Verfeinern meines Essens bleibt nächstes Mal in der Schweiz.

Sind dir besondere Begegnungen in Erinnerung geblieben?

Paul: Einmal bin ich wie immer bei Sonnenaufgang los und beobachtete ein paar Tiere aus der Ferne. Ich fand mich an einem See wieder, umgeben von Zebras und unzähligen bunten Vögeln im schönsten Sonnenlicht. Plötzlich sah ich hinter mir eine Hyäne, die auf mich zulief. Einzelne Tiere sind zwar meistens nicht aggressiv, sie sind aber ganz schön groß und sehen gemein aus. Sie kam unbeirrt näher und näher. Ich bin panisch im Kopf durchgegangen, wie ich mich mit dem Rad zur Wehr setzen könnte. Etwa dreißig Meter von mir entfernt blieb sie schließlich stehen und wir starrten uns zwei Minuten an. Ich wette, die Hyäne hat meinen Angstschweiß gerochen. Schlussendlich hat sie mich aber in meinen verdreckten Kleidern als zu wenig schmackhaft abgetan und ist ihres Weges gegangen.

Eigentlich waren Menschen gemeint…

Paul: (lacht) Ach, die gab es natürlich auch! Leider besteht eine gewisse Sprachbarriere. Die Bevölkerung auf dem Land spricht Swahili oder rudimentäres Englisch. Mehr als ein paar Brocken Swahili beherrsche ich leider nicht, aber in den Unterkünften bin ich trotzdem in den Austausch mit Einheimischen gekommen. Sie schildern sehr eindrücklich ­rasante Veränderungen in Kenia: Straßen und Zäune entstehen wie aus dem Nichts. Früher standen die Nashörner noch in ihrem Garten, heute sucht man sie vergebens. Das stimmte mich nachdenklich.

Was bleibt innerlich hängen nach so einer Reise? Wo geht’s als nächstes hin?

 Paul: Also, das Gefühl der völligen Erschöpfung abends im Camp, nach einem Tag auf dem Velo in dieser ungezähmten wilden Natur – das ist bis heute präsent. Wie bereits gesagt: Für mich war die Reise auf der Kenya Bike Odyssey die erste Seite eines neuen Kapitels. Ich bin stolz darauf, alleine losgefahren und am Ende auch angekommen zu sein. Und wer weiss? Vielleicht fahre ich das nächste Mal mit dem Velo durch Madagaskar, alleine durch den Iran oder drei Monate durch Namibia? Es gibt noch viel zu entdecken. 

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    Ein fünf Zentimeter langer Akaziendorn bescherte Paul einen Platten nach dem anderen. 


TEXT: Torge Fahl
FOTOS: Paul Mühlfelder

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