Ein Land zwischen Tradition und Moderne
Ein Abenteuerbericht aus der Globetrotter-Community
von Ron Kuhwede.
„In Rumänien messen die Uhren nicht die Zeit, sondern die Ewigkeit“, sagt ein Sprichwort. Diese poetische Beschreibung spiegelt das Wesen dieses Landes eindrucksvoll wider, wie ich selbst erleben durfte. Auf meinen Reisen durch dieses faszinierende Land habe ich eine Welt entdeckt, die sowohl ursprünglich als auch voller Gegensätze ist – eine, die berührt, staunen lässt und manchmal auch nachdenklich stimmt.
Vorurteile und ihre Wahrheit
„Was willst du in Rumänien, da gibt es nur gefährliche Diebe und bissige Straßenhunde?“ – diese oder ähnliche Fragen wurden mir oft gestellt, als ich erzählte, dass ich nach Rumänien reisen wollte. Für viele Deutsche ist Rumänien kein offensichtliches Ziel für Europareisen. Dabei hat das Land unglaublich viel zu bieten: für Familien, die ländliche Idylle suchen, für Städtetouristen mit Interesse an Kultur, Kunst und Architektur und ebenso für Abenteurer, die das Individuelle lieben.
Rumänien beeindruckt mit einer Vielfalt an traditionellen Berufen, die in Deutschland fast ausgestorben sind. In beinahe jedem Dorf gibt es einen Schmied, Holzkünstler fertigen in Handarbeit kunstvolle Tore, Zäune oder Statuen, und Köhler arbeiten auf heißen Meilern. Schäfer leben abgeschieden mit ihren Herden, Kutscher spannen Pferde vor ihre Wagen, um den Dorfbewohnern zu helfen, und Bauern bewirtschaften ihre Felder oft in mühevoller Handarbeit.
Landleben in Rumänien heißt traditionell leben.
Die Menschen in Rumänien begegnen Reisenden freundlich und mit großer Offenheit. Besonders, wenn sie erfahren, dass der Besuch aus Deutschland kommt, freuen sie sich – eine Folge der geschichtlichen Verbindung zwischen beiden Ländern. Deutsche genießen in Rumänien noch immer einen guten Ruf und werden als Vorbild wahrgenommen, was sich auch in den „German Markets“ zeigt – den deutschen Supermärkten, die es in vielen Städten gibt.
„German Markets“ – Hier werden deutsche Produkte verkauft.
Ich bereiste Rumänien über mehrere Jahre, mal allein, mal in Begleitung. Ob ich durch die dunklen Gassen der Großstädte ging oder entlegene Dörfer erkundete, ich fühlte mich zu jeder Zeit sicher und willkommen, teilweise sogar sicherer als in Deutschland. Die Menschen waren respektvoll, ehrlich und zeigten ihre Freundlichkeit nicht nur, um an Geld zu kommen. Es kam sogar vor, dass ich meine Kameraausrüstung im Auto ließ – etwas, das ich in Deutschland nie wagen würde. Einmal vergaß ich meine Geldbörse an einem kleinen Straßenstand. Der Verkäufer lief mir nach, um sie mir zurückzugeben. Solche aufrichtigen Gesten waren keine Ausnahme.
Straßenhunde habe ich in Rumänien selten gesehen, und wenn, dann nicht mehr als in anderen südosteuropäischen Ländern. Seit 2013 ist es gesetzlich erlaubt, herrenlose Hunde einzuschläfern, um das Problem der Straßenhunde einzudämmen. Diese Entscheidung wird von Tierschutzorganisationen kritisiert und ist sicherlich diskussionswürdig, doch aus der Perspektive eines Reisenden kann ich sagen, dass ich in all den Jahren keine Bedrohung durch Straßenhunde erlebt habe.
Einmal mehr wurde mir klar, wie stark das Bild aus der Ferne von der Realität abweichen kann. Ähnlich verhält es sich mit dem schlechten Ruf, den Rumänen in Deutschland häufig genießen. Auf meinen Reisen konnte ich diesen Vorurteilen keinen Moment lang begegnen. Eine Rumänin erzählte mir, dass die Menschen in ihrem Land sehr wohl um diesen schlechten Ruf wissen. Genau deshalb bemühten sie sich oft besonders, Gästen aus anderen Ländern gegenüber gastfreundlich und herzlich zu sein.
Rumänien ist ein Land voller Gastfreundschaft, Authentizität und Vielfalt. Es lohnt sich, Vorurteile hinter sich zu lassen und das Land selbst zu entdecken.
Die besten Wege, Rumänien zu bereisen
Das Reisen in Rumänien unterscheidet sich deutlich von dem, was man aus dem deutschsprachigen Raum kennt. Das Autobahn- und Bundesstraßennetz ist äußerst begrenzt, und die kleinen Straßen, besonders in und zu den Dörfern, sind oft in einem desolaten Zustand. Häufig handelt es sich um Schotterwege mit großen Schlaglöchern, und selbst asphaltierte Straßen gleichen manchmal einem Slalomkurs. Es ist keine Seltenheit, dass man auf diesen Straßen nur mit 20–30 km/h vorankommt, was Zeitpläne schnell durcheinanderbringen kann. Wer über Land unterwegs ist, kann sich plötzlich mitten in einer Schafherde wiederfinden und muss warten, bis diese weiterzieht.
Häufig gibt es unerwartete Herausforderungen bei der Reise durch Rumänien.
Es gibt preiswerte Zugverbindungen in Rumänien, aber das teilweise veraltete Streckennetz sorgt dafür, dass schnelle Verbindungen die Ausnahme bleiben. Neben dem internationalen und modernen Flughafen Otopeni bei Bukarest gibt es kleinere Flughäfen im Land, die für Inlandsflüge genutzt werden können, um größere Entfernungen schneller zu überbrücken. Busanbieter wie Flixbus und regionale Unternehmen bieten ebenfalls günstige Fahrten an. Die Fahrpläne der einheimischen Busunternehmen ausfindig zu machen, erfordert jedoch manchmal etwas Geduld.
Neben regulären Bussen verkehren auch Mini-Vans privater Anbieter, die neun bis zwölf Plätze bieten und Verbindungen zwischen Städten herstellen. Diese Fahrten erfordern jedoch eine ordentliche Portion Vertrauen, da die rumänische Fahrweise durchaus als offensiv bezeichnet werden kann. Riskante Überholmanöver dieser kleinen weißen Vans mit getönten Scheiben sind keine Seltenheit und haben mich das ein oder andere Mal kurz die Luft anhalten lassen. Wer damit umgehen kann, erlebt auf diese Weise nicht nur eine kostengünstige, sondern auch eine durchaus aufregende Art des Reisens.
Für alle, die flexibel sein möchten und abgelegene Dörfer erkunden wollen, ist ein Mietwagen die beste Wahl. Ich habe mich meist für einen Dacia Duster entschieden, dessen Allradantrieb mir in vielen unwegsamen Situationen geholfen hat. Einmal besuchte ich einen rumänischen Musiker, dessen Haus nur über eine Straße erreichbar war, die mitten durch einen Fluss führte.
Die großen Bundesstraßen befinden sich hingegen in hervorragendem Zustand. Dennoch sollte man immer mehr Zeit einplanen, als das Navigationsgerät vorgibt – vielleicht, weil in Rumänien, wie ein Sprichwort sagt, die Uhren die Ewigkeit messen und nicht die Zeit.
Die kulinarische Vielfalt Rumäniens
Wie in vielen südosteuropäischen Ländern spielt auch in Rumänien das Essen eine zentrale Rolle. In den Großstädten findet man zahlreiche Restaurants und Bars, die meist eine moderne Küche anbieten. Traditionelle Restaurants mit gutbürgerlicher und landestypischer Küche sind hingegen in einer Stadt wie Bukarest rar – doch das Suchen lohnt sich. Die rumänische Küche begeistert mit einer Fülle an herzhaften und süßen Speisen, die sowohl Tradition als auch Vielfalt verkörpern.
Fleisch ist ein zentraler Bestandteil der rumänischen Küche und wird in verschiedensten Varianten serviert. Besonders beliebt sind die traditionellen Krautwickel, die Sarmale genannt werden. Anders als die in Deutschland bekannten Varianten sind sie deutlich kleiner und werden mit speziell eingelegtem Sauerkraut zubereitet. Serviert werden sie mit Mămăligă – einem Maisgrieß – und einer Portion Smântână – einer Art Sauerrahm, der intensiver im Geschmack ist als sein deutscher Gegenpart.
Sarmale mit Mămăligă und Krautsalat.
Dank der vielen Schafherden im Land ist Lammfleisch weit verbreitet, aber auch Schwein, Geflügel und Fisch finden sich häufig auf dem Speiseplan. Kartoffeln gehören ebenfalls zum Angebot und werden in den unterschiedlichsten Zubereitungsarten angeboten. Gemüse und Beilagen werden in der Regel separat bestellt, was Vegetariern das Essen erleichtert. Sie können sich eine Mahlzeit aus verschiedenen Beilagen individuell zusammenstellen.
In den Großstädten gibt es zwar einige vegane Restaurants, und die rumänische Küche hat sich teils an moderne Ernährungsweisen angepasst, doch auf dem Land trifft man als Vegetarier oder Veganer oft auf wenig Verständnis. Vor allem bei Gastfamilien ist es üblich, dass alle gemeinsam das essen, was die Familie zubereitet hat. Ein Gericht abzulehnen, kann schnell als unhöflich empfunden werden und wird oft als Ablehnung der Gastfreundschaft interpretiert.
Die Gastfreundschaft ist in Rumänien besonders wichtig.
Wer es süß mag, sollte unbedingt Papanași probieren – eine rumänische Spezialität, die ihresgleichen sucht. Diese Donut-ähnlichen Teigbällchen werden in Fett ausgebacken und mit einer großzügigen Portion Smântână, sowie roten Beeren serviert. Der Geschmack erinnert an Berliner oder Kräppelchen, ist aber durch die Kombination aus cremiger Säure und fruchtiger Süße eine echte Delikatesse.
Eine weitere Spezialität ist Papanași.
Siebenbürgen – das Herz Rumäniens
Die Region Transsilvanien, auch bekannt als Siebenbürgen, ist wohl die bekannteste Gegend Rumäniens. Ihren internationalen Ruhm verdankt sie unter anderem dem Erfolgsroman Dracula, der jedes Jahr zahlreiche Besucher ins berühmte Dracula-Schloss Bran lockt. Allerdings spielt das Geheimnis um Dracula nur in bestimmten touristischen Gebieten eine Rolle. In den meisten anderen Teilen des Landes wird diesem Mythos wenig Beachtung geschenkt.
Siebenbürgen ist zudem eng mit der deutschen Geschichte verbunden. Einst war die Region Heimat großer deutscher Ansiedlungen, was dazu führt, dass viele ältere Menschen dort noch Deutsch sprechen. Fährt man mit dem Auto durch die Städte und Dörfer Transsilvaniens, stößt man auf zahlreiche Gebäude, die von dieser historischen Verbindung zeugen. Die siebenbürgisch-sächsischen Dörfer erstrahlten zu ihrer Blütezeit in farbenfroher Pracht, von der heute nur noch in einzelnen Orten Erinnerungen zu finden sind.
Die Mihai-Eminescu-Stiftung setzt sich aktiv für den Erhalt dieses Kulturerbes ein. So wurde beispielsweise ein ganzer Ortskern eines Dorfes in die UNESCO-Weltkulturerbeliste aufgenommen. Eines der bekanntesten dieser Vorzeigedörfer ist Deutsch-Weißkirch (rumänisch Viscri). Es lebt heute zu großen Teilen vom Tourismus, hat aber seine Authentizität bewahrt. Zahlreiche Gastfamilien bieten für einen stolzen Preis landestypische Unterkünfte und traditionelle Speisen an. Bei den richtigen Gastgebern erfährt man oft spannende Details über die Geschichte der Siebenbürger Sachsen und deren Erbe in der Region.
Ein Tag bei den Schäfern
Schäfer mit ihren Schafherden gehören zu den typischen Bildern, die man in Rumänien häufig sieht. Viele von ihnen verbringen die Monate von Mai bis September abseits der Dörfer, allein mit ihrer Herde. Bis zu 500 Schafe oder mehr werden zweimal täglich gemolken. Ich hatte das Privileg, die Schäfer zu besuchen, ihnen bei der Arbeit zuzusehen und dabei frisch gemolkene Milchprodukte zu probieren. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir ein schmackhaftes Schäferfrühstück, das direkt über dem offenen Feuer zubereitet wurde. Meine Erfahrung zeigt: Schäfer sind ausgezeichnete Köche.
Rumänische Schäfer bei der Arbeit.
Holprig und langsam fuhr ich etwa eine Stunde mit der Pferdekutsche dem Sonnenaufgang entgegen, bis ich gegen 5 Uhr die Schäfer erreichte. Zu dieser frühen Stunde begannen sie bereits mit dem ersten Melken ihrer Schafe. Die friedliche Stille und der harmonische Einklang mit der Natur, der an diesen Orten herrschte, hinterließen einen bleibenden Eindruck.
Eine weitere, in Deutschland fast ausgestorbene Berufsgruppe sind die Köhler. Mit Mistgabeln in der Hand arbeiten sie schweißtreibend auf glühenden Meilern und atmen den Rauch des verbrennenden Holzes Tag für Tag ein, damit wir Städter am Grillabend unser Steak genießen können. Auf die Frage, was er über die gesundheitlichen Folgen seiner Arbeit denke, zündete sich einer der Köhler eine Zigarette an, dachte kurz nach und meinte dann mit einem Achselzucken: „Sterben muss ich sowieso.“ Und machte unbeirrt weiter.
Ein Köhler bei der Arbeit.
Was mich an diesen Menschen in Rumänien immer wieder faszinierte, war die Selbstverständlichkeit, mit der sie ihre harte Arbeit verrichteten. Trotz der Anstrengung waren sie niemals griesgrämig, sondern hatten stets ein Lächeln oder ein freundliches Wort für ihre Besucher übrig.
Die Lebensfreude der Roma
Überall in Rumänien trifft man auf Frauen in bunten Röcken und Männer mit Hüten und markanten Schnurrbärten. Sie gehören den Roma an, die das Bild des Landes seit Jahren prägen. Besonders auffällig sind die Angehörigen der obersten Kaste, die sich durch ihre farbenfrohe Kleidung auszeichnen. Sie sprechen oft nicht mit denjenigen der unteren Kasten, deren Kleidung schlichter ist. Dieses System erinnert stark an das Kastensystem in Indien.
Ich hatte die Gelegenheit, verschiedene Kasten der Roma kennenzulernen. Trotz der Unterschiede in ihrer sozialen Stellung eint sie eine Lebensweise, die sich auf den gegenwärtigen Moment konzentriert. Sie denken wenig an die Zukunft und leben im Hier und Jetzt. Musik, Tanz und gutes Essen spielen eine zentrale Rolle in ihrem Alltag. Die obere Kaste betreibt oft Autowerkstätten, Handelsunternehmen, Teppich- und Kleiderproduktionen oder sogar Hotels. Die untere Kaste hingegen lebt von Gelegenheitsarbeiten und arbeitet häufig in den Sommermonaten als Erntehelfer in Westeuropa, um ihren Lebensunterhalt zu sichern.
Da die Roma-Gemeinschaften meist unter sich bleiben und nur innerhalb ihrer eigenen Kreise heiraten, war es mir nur durch Kontakte aus ihrem Umfeld möglich, Zugang zu diesen Gemeinschaften zu finden. Besonders beeindruckte mich die Herzlichkeit und Gastfreundschaft, vor allem bei den Roma der unteren Kaste, die oft nur wenig besaßen, aber dennoch bereit waren, mit mir zu teilen.
In der rumänischen Gesellschaft sind die Roma nicht immer willkommen. Viele Rumänen mögen es nicht, wenn die Roma ebenfalls als Rumänen bezeichnet werden. Dennoch gibt es auch Dörfer, in denen beide Gruppen friedlich zusammenleben und sich im Alltag, insbesondere durch handwerkliche Fähigkeiten, gegenseitig unterstützen.
Die Roma in Rumänien vermittelten mir ein ganz anderes Bild als das, welches hierzulande oft durch die Medien gezeichnet wird. Während in Deutschland das Wort „Zigeuner“ für viele als Beleidigung gilt, bezeichnen sich viele Roma in Rumänien selbstbewusst und stolz als Zigeuner. Als ich die Diskussion über die „Zigeuner-Soße“ in Deutschland erwähnte, wurde ich lediglich mit einem milden Lächeln gefragt, ob wir in Deutschland keine wichtigeren Probleme hätten.
Gemeinsam oder alleine Reisen
Rumänien ist ein Land, das man bedenkenlos alleine bereisen kann – sowohl als Frau als auch als Mann. Es gibt Direktflüge nach Bukarest, Zugverbindungen und Busreisen. Im Land selbst ist das Mobilfunknetz hervorragend ausgebaut, sodass man auch auf den höchsten Gipfeln und in den tiefsten Tälern stets ausreichend Empfang hat. Über Airbnb und Booking.com lassen sich zahlreiche Unterkünfte finden, auch private, die oft kurzfristig gebucht werden können. Mit genug Zeit und sorgfältiger Recherche findet man zudem wertvolle Tipps für Reisen abseits der typischen Touristenpfade.
Möchte man jedoch zu den wirklich abgelegenen Regionen reisen und intensiveren Kontakt mit den Einheimischen aufnehmen, kann es eine gute Idee sein, zunächst mit einem Veranstalter zu reisen, der Individualreisen anbietet. So bekommt man einen ersten Eindruck vom Land, erlebt die Gastfreundschaft der Menschen und fühlt sich gleich sicherer. Ein landeskundiger, rumänisch sprechender Kontakt hat mir an vielen Stellen schon Türen geöffnet, die ansonsten verschlossen geblieben wären. Über die Jahre haben sich dadurch wertvolle Kontakte aufgebaut, die mir bei meinen selbst organisierten Fotoreisen stets sehr hilfreich sind und von denen auch meine Gäste profitieren.
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Ron Kuhwede arbeitet seit 2005 als freiberuflicher Fotograf im Bereich Porträtfotografie und künstlerische Fotografie. Sein fotografisches Wissen vermittelt er zudem in Vorträgen, Workshops und Onlinekursen, sowie auf seinem Blog und Youtube-Kanal. Seit 2016 organisiert Kuhwede Fotoreisen nach Rumänien.