Durch Höhen und Tiefen ans Rote Meer

Eine Woche Bike-Packing in Jordanien

Für euch – von euch. Ein Abenteuerbericht aus der Globetrotter Community – von den Twins2go

Ein Trip, der uns unendlich viel gegeben hat. Ein Abenteuer mit vielen Höhen und Tiefen,
für das wir unsere Komfortzone definitiv verlassen mussten. Diese Reise hat uns sehr gefordert, oftmals überfordert und trotzdem wurde es eine Reise, die wir niemals vergessen werden!

Warum Jordanien?

Wie wir auf die Idee gekommen sind? Das werden wir oft gefragt und leider können wir dazu keine wirklich romantische Anekdote erzählen. Jordanien hat wahnsinnig viel zu bieten und im Toten Meer zu „schwimmen“ stand für uns als Weltenbummler natürlich auf unserer Löffelliste. Außerdem ist die Distanz mit 500 km vom Toten ans Rote Meer die perfekte Länge als Einsteigertour und daher stand diese fest auf unserer „das machen wir auf jeden Fall mal“-Liste. Im Herbst 2023 hat sich dann die perfekte Gelegenheit geboten: Wir waren mit einer Organisation für einen Wandertrip in Jordanien – und wenn wir schon mal vor Ort sind – wieso nicht gleich wandern mit Bikepacking verbinden?

So stand unser Vorhaben drei Wochen vor Abflug fest! Wir fliegen nach Jordanien und nehmen unsere Bikes mit!

Die Vorbereitung

Viel Zeit hatten wir nicht. Erst vier Wochen vorher war klar, dass es nach Jordanien gehen sollte. Grundsätzlich wollten wir alles so einfach wie möglich halten in Sachen Kleidung sowie Bike. Unser Bike sollte leicht, robust und trotzdem komfortabel sein – schließlich wollten wir eine Woche jeden Tag im Sattel sitzen. Zusätzlich sollte es flexibel sein (ob Straße oder Gravel – hier hatten wir uns im Vorfeld noch nicht zu 100% festgelegt) und genügend Platz für unser Gepäck benötigten wir natürlich auch. Da man auf Bikepacking-Trips immer damit rechnen muss, dass etwas kaputt geht – egal ob beim Transport, durch einen Unfall oder bei der Benutzung selbst – stand die Einfachheit und unkomplizierte Reparaturmöglichkeit ganz oben auf unserer Wunschliste.

Die Entscheidung ist durch unseren Partner Multicycle schnell auf das CUBE Cross Race gefallen (Die Beratung war top und wir haben zusätzlich viele wertvolle Tipps bekommen). Somit konnten wir das Thema zum Glück schnell abhaken. Blieben nur noch eine Millionen andere Dinge auf der To-do-Liste. 😉

Kleidung: Wir wussten, dass es in die Wüste geht, aber auch da kann es (besonders) abends schnell kalt werden. Für unseren Wander- und Biketrip wollten wir so viel wie möglich mitnehmen, was wir für beide Wochen nutzen können. Zwei Sachen haben wir uns noch vor Ort gekauft: einen weißen Schal (den wir auch als Kopftuch hätten nutzen können) und eine Pluderhose.

Unsere Gedanken vor der Reise

Wir wussten: Das wird UNSER Abenteuer! Ein Trip mit Risiko. Aber ein Risiko, das unserer Meinung nach total kalkulierbar und überschaubar war. Wir haben uns viel informiert: Das Land ist sicher, auch wenn es in den Nachbarländern anders zugeht. Überall hat man guten Internetempfang, die Leute sind sehr gastfreundlich und auch als Frau gilt das Reisen dort als sicher, einfach und machbar.

Was uns gereizt hat? Definitiv die Ungewissheit! Wir konnten uns vorher nicht vorstellen, was uns dort erwartet und was wir erleben werden.

Und dann… Eine Woche vor Abflug ereignete sich der Angriff der Hamas auf Israel. Unsere Überlegungen, spontan in Aqaba (Rotes Meer) zu entscheiden, ob wir in Jordanien oder Israel zurück zu unserem Ausgangsort fahren, hatte sich somit erledigt – die Grenzen waren dicht. Wir, die in so einer Situation einen wirklich kühlen Kopf bewahren (Danke Mutti – das haben wir von dir), hatten selbst nie Sorge, dass wir unsere Reise nicht antreten könnten. Für uns war es dadurch gar nicht so leicht, mit Aussagen umzugehen, wie “wir seien verrückt, dass wir die Reise noch nicht abgesagt hätten” … oder: “Wie wir überhaupt daran denken können, in das Nachbarland zu reisen„. Auch Nachrichten wie: „Da unten wird’s noch ganz schön knallen“ erreichten uns täglich auf Instagram.

Eine Woche – und viele tolle Momente in der Wüste Jordaniens – später:

Tag 1: Amman – Madaba | 49 km + 532 HM

Es ist heiß. Laut. Und dreckig. Wir stehen mitten im Chaosverkehr der Hauptstadt von Jordanien. Der Verkehr ist schnell. Unübersichtlich. Überfordernd. Wir hatten uns zum Glück auf so etwas vorbereitet. Auch mental. Es ist unser erster Tag auf dem Rad und wir müssen einmal komplett durch Amman – eine vier Millionenstadt. Seitenstraßen gibt es kaum. Schon nach sechs Kilometer landen wir somit auf einer der vielen Hauptstraßen, was in Amman eine vier-spurige Autobahn bedeutet – und wir mittendrin. Fokus ist on. Die Augen starr auf den Verkehr gerichtet. Alles gut im Blick behalten – die Autos vor, hinter und neben uns. Passen sie auf? Haben sie uns gesehen? Fahren sie auch nicht zu dicht auf? Viele sind sehr respektvoll und passen rührend auf uns auf. Kurz die Konzentration zu verlieren, können wir uns aber nicht erlauben. Es ist wahnsinnig anstrengend!

Und trotzdem – dieses Feeling! Es ist großartig. Nach so vielen Tagen, in denen wir darüber sprachen, uns Sorgen machten, ob alles funktionieren würde und hinterfragten, ob wir die richtige Entscheidung getroffen hatten – endlich sind wir unterwegs. Es fühlt sich verdammt gut an, auf unseren Bikes zu sitzen, den Gegenwind im Gesicht zu spüren, in die Pedale treten zu können und die Abgase einzuatmen – herrlich!

All unsere Zweifel fallen von uns ab. Jetzt sind wir wieder in unserem Element. Wir wissen was zu tun ist, können unseren Instinkten trauen und einfach auf sie hören. In den letzten zwei Wochen war das leider nicht so. Oft mussten wir uns erklären, warum wir trotz des Krieges nach Jordanien reisen möchten. Am Schluss mussten wir uns selbst überzeugen. Das war anstrengend. Wir hatten sowieso schon mit vielen Fragen und Unsicherheiten zu kämpfen. „Wie werden dort die Straßen sein? Haben wir uns für die richtige Ausrüstung entschieden? Wir sind nur zu zweit unterwegs – wird das ein Problem werden? Als allein reisende Frauen? Ist auch unsere Kleidung ‚in Ordnung‘ – für Jordanische Verhältnisse nicht zu eng, zu kurz, zu körperbetonend?

Hitze, Lärm, viele Autos und wir mittendrin.

Infobox: wichtige Fakten

Politik: Jordanien ist ein Königreich im Nahen Osten

Einwohner: 11,5 Millionen (zum Vergleich: Bayern ist ca. 70T m² groß)

Größe: ca. 89T m² (zum Vergleich: Bayern ist ca. 70T m² groß)

Lage: Nachbarland von Syrien, Irak, Saudi-Arabien und Israel

Zeitverschiebung: 1 Stunde/ im Winter 2 Stunden
Sicherheitslage: Das Auswärtige Amt rät schon lange von Reisen in das syrisch-jordanische Grenzgebiet, sowie in den Nordosten des Landes und in die Grenzregion zum Irak dringend ab. Derzeit kommt es in Jordanien immer wieder zu pro-palästinensischen Demonstrationen mit teilweise hohen Teilnehmerzahlen. Diese und größere Menschenansammlungen sollten vermieden werden.
Unsere Erfahrung:
Wir waren im Oktober 2023 vor Ort, als gerade der Israel-Gaza-Krieg ausgebrochen ist. In der ersten Woche, als wir mit Travelbase (einer Organisation) vor Ort waren, haben wir nichts von einer angespannten Situation gespürt. Die Woche danach waren wir alleine auf Rädern unterwegs: die Polizeipräsenz war extrem, gerade rund ums Tote Meer (direkte Grenze zu Israel). Im Land selbst haben wir tatsächlich nicht so viel davon gemerkt, aber natürlich weiterhin die News verfolgt. Was uns oft sehr verunsichert hat. Auch haben uns viele Einheimische auf den Krieg angesprochen, was ein sehr heikles Thema ist. Viele Jordanier haben Verwandte in Palästina und/oder stammen auch von dort.
Abgesehen davon, hatten wir uns aber sehr sicher gefühlt – vor allem in den touristischen Bereichen. Also auch als Individualtourist kann Jordanien super bereist werden.

Langsam fahren wir aus Amman hinaus. Jedoch ist es eher ein fließender Übergang von einer Stadt zur nächsten. Mal ist der Verkehr stärker, mal schwächer. Nach knappen 50 Kilometern und recht flachem Gelände (was trotzdem 530 Höhenmeter bedeutet) kommen wir in Madaba an. Jetzt ist es schon dunkel und eigentlich haben wir uns fest vorgenommen, niemals in der Dunkelheit zu fahren. Trotzdem ist es ein überwältigendes Gefühl. Wir lieben es einfach, in der Abenddämmerung oder in der Dunkelheit unterwegs zu sein. Die Straßen sind zum Glück recht gut beleuchtet und an den Verkehr haben wir uns bereits gewöhnt. Wir stehen an einer Ampel, eine Gruppe junger Männer bleibt stehen, geben uns die Hand und sagen „Welcome to Jordan“.

Es ist schon dunkel, als wir schließlich an unserer Unterkunft ankamen. Wir haben sie erst 30 Minuten vorher gebucht und müssen deshalb noch ein wenig warten, bis die Besitzerin kam. Als sie dann vorbeikommt, ist es jedoch sehr seltsam. Die gebuchte Wohnung steht (laut ihr) nicht zur Verfügung. Sie könne uns aber eine andere anbieten, die nur fünf Minuten entfernt sei. Wir sind etwas verunsichert, auch weil sie nie so richtig unsere Fragen beantwortet. Auf dem Weg tippt sie die ganze Zeit irgendetwas an ihrem Handy und läuft so langsam, als wolle sie irgendwie Zeit schinden. Wir bekommen nicht auf eine unserer Fragen eine klare Antwort. Noch dazu kommt, dass es schon vollständig dunkel ist und wir drei-mal von fremden Männern angesprochen werden (der Dritte will uns helfen, die anderen beiden verstehen wir leider nicht). Sie sagt daraufhin nur: „It’s not safe here“. Als wir genauer nachfragen und auch hier keine Antwort erhalten, bleiben wir stehen, sagen ihr klipp und klar, dass wir uns unwohl fühlen und buchen etwas anderes.

In der neuen Unterkunft können wir zum Glück sofort einchecken. Der Vermieter ist total nett und erzählt uns, dass er die andere Vermieterin schon kennt. Die vermieteten Unterkünfte seien illegal, weshalb sie wahrscheinlich so komisch gewesen ist. Wir sind trotzdem froh, dass wir nicht geblieben sind und nun hier zwei Tage ein schönes Apartment für uns haben. 

Das war ein langer erster Tag und wir sind bereits gespannt auf morgen.

Tag 2: Zum Toten Meer | 69 km + 1.423 HM

Unser heutiges Ziel: das Tote Meer. Und da wir zwei Nächte in Madaba bleiben, können wir ohne schweres Gepäck los. Ohne großartiges Frühstück und mal wieder einige Stunden später als gewollt, rollen wir gegen Mittag los. Wie schon am Tag davor, war mit unserem Radcomputer kaum etwas anzufangen – die meisten Wege kannte er nicht. Zum Glück ist unser Weg einfach: 35 km bergab, bis zum Toten Meer und dann wieder zurück. Knappe 1.500 Höhenmeter liegen dazwischen. Anfangs ist der Weg recht eintönig, sobald wir die „Stadt“ verlassen, eröffnet sich ein wunderschöner Blick: die Straße schlängelt sich in einer Rechtskurve nach unten, die Farben gehen ineinander über und man kann in der Ferne bis nach Israel sehen. Wir bleiben kurz stehen, um das Panorama in Ruhe zu genießen, bevor wir den restlichen Weg in Angriff nehmen. Das Tote Meer beschreibt sich mit seinem Namen am besten selbst: tot. Durch den hohen Salzgehalt kann kaum ein Lebewesen überleben. Auch am Rand gibt es deshalb kaum Pflanzen. Durch den Klimawandel und durch Abpumpen des Wassers für Trinkwasser und Bewässerung von Obstplantagen und Ackerfelder zieht sich das Meer immer weiter zurück und stirbt somit regelrecht.

Frisch gestärkt starten wir in den neuen Tag und machen uns auf den Weg.

Wir wussten nicht was wir erwartet hatten, aber auf jeden Fall nicht das. Es ist kaum etwas los, viele Häuser sind am Straßenrand verkommen und alle Restaurants geschlossen. Nur ein, zwei Straßenstände gibt es. Nach einiger Zeit kommt auch ein kleiner Junge, der anscheinend dazu gehört. Wir kaufen bei ihm eine Cola und eine Flasche Wasser. Es kommt noch ein anderer kleiner Junge dazu. Er zeigt auf unsere Räder und sagte etwas auf arabisch. Als er merkt, dass wir ihn nicht verstehen können, macht er eine Geste: er will eines der Räder ausprobieren. Klar! Warum nicht? Es ist ihm natürlich ein wenig zu klein und auch das mit den (Klick-)Pedalen versteht er nicht. Er entfernt sich und es sieht nicht wirklich sicher aus. Isa fährt ihm hinterher und versucht ihm zu zeigen, wie er bremsen oder schalten kann. Viel geholfen hat es jedoch nicht. 😉

Wir treten mit aller Kraft in die Pedale. Die Steigung fühlt sich viel schlimmer an, als die Höhenmeter aussahen. Die Hitze ist unerträglich und der Schweiß läuft unermüdlich an uns herab. Das Schlimmste sind die Fliegen. In einem riesigen Schwarm verfolgen sie uns. Und alles in Kombi treibt uns zur Weißglut. Wir versuchen uns mit der Landschaft und der Musik abzulenken. Die Sonne steht nun etwas tiefer und wir haben Glück: es ziehen ein paar Wolken vorbei, die uns den ersehnten Schatten bringen. Wir fahren an einer Kamelherde vorbei und freuen uns wie kleine Kinder. Wir haben das Gefühl, sie schauen uns nicht weniger an, als wir sie. Auch die Blicke der zwei Hüter verfolgen uns ganz interessiert. Viele Radfahrer kommen hier bestimmt nicht vorbei.

Bei diesem Panorama lässt es sich gleich viel leichter treten!

Die Straße wird endlich etwas flacher. Wir sind froh um eine Pause und fahren nebeneinander und unterhalten uns. Plötzlich springen einige Hunde rechts und links auf die Straße. Sie bellen uns aggressiv an. Überrascht bleiben wir stehen. Auf der einen Seite hält Isa die Hunde in Schach, indem sie die kläffenden Hunde laut und bestimmt mit „Stopp“ anschreit, auf der anderen Seite ruft Maren laut „Hallo“, um auf uns aufmerksam zu machen. Nach kurzer Zeit kommt ein Mann aus dem Haus und pfeift die Hunde zurück. So trauen wir uns, uns zwischen den kläffenden Hunden hindurchzuschlängeln und können weiterfahren.

Immer wieder blicken wir zurück, überwältigt von dem schönen Sonnenuntergang. Gleichzeitig wissen wir nicht, wie weit es noch ist. Der Weg wird nochmal richtig steil und natürlich kommt das steilste Stück am Schluss – der Klassiker. Wir merken stark, dass wir noch nicht viel gegessen haben und auch, dass wir uns noch nicht akklimatisiert haben. Damit haben wir nicht gerechnet – dass wir bei dem Anstieg so leiden werden. Der Ausblick auf die wunderschöne Landschaft entschädigt jedoch alles – die Sonne taucht die gesamte Umgebung in ein helles Licht, das sich in der Straße spiegelt. Die unterschiedlichen Layers , wie gemalt am Horizont, rauben uns den Atem und erinnern uns daran, dass die wunderbarsten Momente im Leben oft in den einfachsten Dingen zu finden sind.   

Nach Mount Nebo haben wir die meisten Höhenmeter hinter uns. Danach geht es gemächlicher auf die Stadt zu. Mittlerweile hat die Dunkelheit stark zugenommen und die Straßen sind teilweise richtig schlecht. Es tauchen öfter wieder Häuser links und rechts auf. Leute lassen sich wieder blicken und auch Kinder und Jugendliche sind wieder unterwegs. Viele ignorieren uns und schauen nicht einmal auf, als wir vorbeifahren. Ein kleiner Junge (vielleicht sieben Jahre) steht auf der linken Seite, wir fahren auf der rechten. Wir grüßen freundlich. Plötzlich hebt er einen Stein auf und schleudert ihn mit voller Kraft in unsere Richtung. „HEEEEEY!! STOP IT!“ – schreien wir ihm entgegen! Getroffen hat er uns nicht. Zum Glück. Trotzdem sind wir richtig überrumpelt. Das kam wirklich aus dem Nichts.

Nach einer halben Stunde sind wir wieder mitten in der Stadt. Nach einem Stopp im Supermarkt geht‘s nach Hause. Wir haben mittlerweile schon acht Uhr. Und am nächsten Tag wollen wir eigentlich früh los. Also ab ins Bett!

Erklimmen des Mount Nebo mit Aussicht in das Jordantal.

Tag 3: Madaba – gruselige Übernachtung | 56 km + 1.237 HM

Der dritte Tag startet chaotisch. Wir haben unserem Vermieter von dem Kind erzählt und fragen, ob das normal sei und ob wir etwas dagegen tun können? Er ist wirklich aufmerksam und entschuldigt sich oft für das Verhalten des Kindes. Leider soll das hier ein allgemeines Problem sein und einem vorherigen Gast wurde sogar die Scheibe eines Autos eingeschlagen. Er würde gerne die Polizei rufen, wir müssten auch nur eine kurze Aussage machen, es würde auch nicht lange dauern. Eigentlich wollen wir schon lange los, lassen uns dann doch überreden. Keine zehn Minuten später steht die Polizei im Vorgarten. Drei Polizisten, der Vermieter und seine Eltern warten auf uns. Der Oberkommissar (oder wie er dort genannt wird) stellt uns Fragen zum Vorfall. Plötzlich geht das Gartentor auf und vier weitere Polizisten kommen dazu. Unseren Blick hätten wir gerne in der Situation gesehen – zehn Leute um uns herum – sieben Polizisten. Unser Vermieter bemerkt das. Mit „That’s normal“ kann er uns ein wenig beruhigen. Sie nehmen alles auf und werden versuchen den Jungen zu finden, um ihm klarzumachen, dass sein Verhalten nicht in Ordnung geht.
 
Aus diesem Grund geht es mit einer ordentlichen Verspätung los. Richtig weit kommen wir nicht. Nach ca. zwei Kilometern bemerkt Maren, dass ihre Schaltung nicht richtig funktioniert, da sie nicht ganz in die schweren Gänge  schalten kann. Das ist schon ok, aber nervt im schnelleren Tempo. Wir entscheiden, kurz stehen zu bleiben. Wir haben gar keine Zeit, uns das Problem selber anzuschauen, da sind schon drei Männer um uns herum und bieten uns ihre Hilfe an. Sie selber können nicht helfen, rufen aber einen Freund an, der eine Autowerkstatt hat und sich ein wenig besser mit Fahrrädern auskennt. Und der kann das Problem wirklich mit einem Handgriff beheben. Wie es hier so üblich ist, werden wir gleich noch auf einen Tee eingeladen und sitzen kurze Zeit später bei unserem Ersthelfer im Wohnzimmer. Das Haus ist von außen sehr schlicht und niemals hätten wir erwartet, dass es von innen SO schön und elegant eingerichtet ist! Als wir da im Wohnzimmer sitzen und die Einrichtung bestaunen, geht plötzlich die Tür auf und es kommen zwei Brüder und zwei Schwestern dazu. Wir werden herzlich begrüßt und als „The girls from Germany“ vorgestellt. Eine der Schwestern studiert gerade Englisch, weshalb wir uns mit ihr richtig gut unterhalten können. Der Tee lässt jedoch ziemlich lange auf sich warten und wir sitzen wie auf heißen Kohlen – wir haben noch einen langen Weg vor uns! Als der Tee kommt, heißt es wie selbstverständlich „Ihr bleibt aber natürlich noch zum Essen!“. Die Einladung können wir leider nicht annehmen, da wir nun wirklich unter Zeitdruck stehen. Um 13 Uhr machen wir uns schlussendlich wieder auf den Weg.

Wie schnell das geht… auf einmal sind wir zum Tee eingeladen.

Die ersten Straßen sind recht eintönig: viel Weite, aber keine besonders schöne Aussicht. Viel Sand, Dreck und Müll (der jedoch nicht auf den ersten Blick auffällt). Nun geht es in den ersten Wadi hinein. Wadi heißt Schlucht und könnte man mit unseren Pässen daheim vergleichen – nur anders herum. Es fühlt sich komisch an, erst hinunter zu fahren und dann hinauf. Es warten rund 800 Höhenmeter am Stück auf uns. Wir konzentrieren uns voll auf uns. Eine Umdrehung nach der anderen. Links. Rechts. Zum Beat der Musik. Links. Rechts. Atmen nicht vergessen. Links. Rechts. Der Schweiß fließt uns in die Augen. An den Armen und Beinen herunter. „Zum Glück haben wir gestern nicht unsere Sachen gewaschen.” “Ist jetzt eh schon wieder egal„. Es ist anstrengend. Aber gut anstrengend. Wir müssen uns den Berg erarbeiten und trotzdem nicht über unsere Grenzen gehen. Das ist uns im fremden Land wirklich wichtig – niemals das Gefühl haben, dass wir unsere Kräfte nicht unter Kontrolle haben. Wir sollen/wollen/dürfen aber nicht in die Dunkelheit kommen. Dieser Gedanke lässt uns nochmal einen Zacken zulegen und die nächste Pause verkürzen. Trotzdem nehmen wir uns die Zeit. Bleiben stehen und schauen in die Ferne. Denn das lieben wir am Bikepacking oder allgemein beim Radfahren. Die Aussicht – unbeschreiblich. Auf der anderen Seite des Wadis (der Schlucht) können wir den kleinen Kiosk sehen, an dem wir uns nochmal unser Wasser aufgefüllt und uns eine Cola geteilt haben. Der Verkäufer war nett. Fast zu nett. „Welcome. Welcome to Jordan. Are you Twins? Where are you from?“. „Thanks, yes we are Twins and from Germany, Almanya“. „Oh nice, very nice. Are you married?“. Die typische Unterhaltung mit den Standardfragen. Und natürlich sind wir verheiratet und hätte man uns nach der Religion gefragt, hätten wir das natürlich ebenfalls bejaht. Auch wenn wir beides nicht sind – nicht verheiratet und auch nicht gläubig.

Infobox: Religion

(ist schwer zu recherieren, da oft unterschiedliche Angaben gemacht werden)

Laut Wikipedia gehören 97,2% der Einheimischen dem Islam an, 2,1% dem Christentum und 0,8% Sonstige.

Sehr viele Frauen tragen ein Kopftuch, an öffentlichen Stränden gehen Einheimische mit voller Montur ins Wasser – das ist kein Gesetz, sondern Tradition. Das heißt: man kann, muss aber nicht.

Größtenteils war auch genau das unser Gefühl – man kann, muss aber nicht. Grundsätzlich würden wir aber empfehlen, darauf zu achten, T-Shirts und etwas längere Hosen zu tragen (bei Frauen: Bauchnabel verdecken und keine Leggings – die werden als Unterwäsche angesehen). An diese Regeln haben wir uns auch gehalten.

In den Bergen oder in rein touristischen Gebieten werden diese „Vorschriften“ nicht so streng gesehen.

Die Sonne steht nun tiefer. Das Licht wird weicher. Die Sonnenkraft lässt nach. Es ist merklich angenehmer. Wir lieben es, zu dieser Zeit unterwegs zu sein. Wir grinsen uns an „Boah macht das Spaß! Wir sind jetzt gleich oben!. Es ist schon 16 Uhr. Uns wird klar, dass wir unser Ziel heute nicht mehr erreichen werden. Bis nach Karak sind es noch 50 km! Zwar für jordanische Verhältnisse recht flach, aber da kommen locker wieder 500 Höhenmeter dazu. Die Dämmerung beginnt bereits. Länger als eine Stunde sollten wir nicht mehr im Sattel sitzen – leider. Wir wären gerne noch länger gefahren. Noch unterwegs schauen wir im Internet nach einer Unterkunft. Es gibt leider kaum etwas. Nur ein Zimmer auf Airbnb und das ist mit 48 € maßlos überteuert. Aber gut. Wir haben keine Wahl. Wir buchen es – hätten wir gewusst, was uns diese Nacht erwartet, wären wir bestimmt weitergefahren…

Wir kommen in die kleine Ortschaft Al-Mughayer. Die ersten Hunde lassen sich blicken, registrieren uns aber kaum. Auch eine Kinderschar wird auf uns aufmerksam und läuft uns entgegen. Alle lachen, rufen uns zu und rennen mit uns mit. “Salam! Salam!“ Total süß, wie sie uns aufgeregt begrüßen.

In der Ortsmitte bleiben wir stehen, um zu schauen, ob unser Host von Airbnb bereits geantwortet hat. Da werden direkt einige Einheimische auf uns aufmerksam. Wir werden angeschaut. Und von der Ferne beäugt. Einige Kinder kommen zu uns. Sie sagen etwas. Als sie verstehen, dass wir nur auf Englisch kommunizieren können, kommt nur “Money. Money. Please“. Wir müssen uns gar nicht überlegen, wie wir darauf reagieren, denn da kommt auch schon der Besitzer des kleinen Ladens, vor dem wir stehen, und verscheucht sie. Wir unterhalten uns kurz und werden zum Tee eingeladen. Dankbar nehmen wir die Einladung an und gehen mit ihm in den Laden. Es ist mehr eine Garage, in der ein paar Regale mit Süßigkeiten stehen. Der Rest steht leer. Wir stellen unsere Räder in die Ecke und sind froh, den neugierigen Blicken auf der Straße kurz zu entkommen. Trotzdem sind wir noch immer von vier Männern umgeben: der Ladenbesitzer, sein Angestellter und zwei Freunde oder
Bekannte – so genau wissen wir das nicht. Wir fragen, ob sie vielleicht unseren Airbnb Host kennen. Der Ort sei so klein, da muss man sich doch untereinander kennen. Da das leider nicht der Fall ist, wird viel durch die Gegend telefoniert, Autos angehalten und dort nachgefragt. Keiner kennt ihn. Wir sitzen auf der Treppe des Ladens, Isa rauche eine und wir schlürfen unseren Tee. “Was machen wir, wenn sich der Typ nicht meldet?“. Als hätte uns der Ladenbesitzer verstanden, bietet er uns an, bei ihm zu übernachten. Auch wenn er einen netten Eindruck macht, fühlen wir uns nicht so wohl dabei. Wir beschließen, noch ein wenig zu warten. Aber langsam werden auch die anderen ein wenig aufdringlich. Wenigstens werden wir ausnahmsweise nicht gefragt, ob wir verheiratet sind. Als es schon fast dunkel ist, bekommen wir endlich eine erlösende Antwort und den Standort geschickt: “Meine Familie wartet schon auf euch“.

Durch die Nachmittagssonne nach Al-Mughayer und unsere kurzzeitige Unterkunft in einem Laden.

Als wir auf den Hof fahren, stehen dort bereits die Mutter und die Schwester von Khaled. Sie begrüßen uns freundlich und begleiten uns ins Haus. Wir sind erleichtert, endlich in unserer Bleibe zu sein und freuen uns sehr auf eine Dusche! Wir sind im Gästehaus untergebracht, das ist ein Nebengebäude und steht etwas abseits vom Haupthaus, in dem die Familie schläft. Die Einrichtung ist rustikal und älter. Die Dusche ist zusammen mit dem Klo und das ist nur ein Loch im Boden. Spülung gibt es keine – mit einem kleinen Becher muss man sein „Geschäft“ selber mit Wasser runterspülen. In solchen Momenten wird uns mehr denn je bewusst, wie privilegiert wir sind und welchen hohen Standard wir in Europa haben.

Als wir beim Abendessen sitzen (das aus zwei Tellern Reis und ein bisschen trockenem Hühnchen besteht und mit knappen 19 € mehr als maßlos überteuert ist), setzt sich die Tochter zu uns. Anfangs haben wir uns noch ganz nett unterhalten, bisschen Smalltalk. Plötzlich fragt uns die Tochter „Habt ihr schon von den News gehört?“. Wir stehen erstmal total auf dem Schlauch „Was genau meint sie?“. Irgendwann verstehen wir, worauf sie anspielt, wissen aber noch immer nicht, wie wir am besten reagieren sollen. Die Kommunikation ist schwierig und jeder versteht nur die Hälfte von dem, was der Gegenüber eigentlich sagt. Über so ein sensibles Thema zu sprechen, ohne zu wissen, was denn wirklich beim Gesprächspartner ankommt – keine gute Idee.

Wie genau wir das Gesprächsthema umgehen konnten, wissen wir nicht mehr. Wahrscheinlich auch, weil nachfolgende Situation noch sehr viel seltsamer ist: In der Zwischenzeit ist die Mutter dazukommen und wenig später auch ihr Vater. Dieser sucht laufend das Gespräch – auf eine sehr komische Art und Weise. Sein Englisch ist ziemlich schlecht, so dass Kommunizieren kaum möglich ist. Schon da fühlen wir uns mehr als unwohl und können kaum mehr antworten als „Wow. Nice. That’s cool.

Nach kurzer Unterhaltung stellt er sein Handy auf den Tisch und spielt ein Video ab mit den Worten „Schaut zu, der Eine ist Deutscher und ist zum Islam konvertiert“. Im Video sitzen zwei Männer in langen Gewändern, langen Bärten in einem Raum mit orientalischen Teppichen und umringt von anderen Männern. Der rechte (der Deutsche) spricht, der linke übersetzt seine Worte ins Arabische. Den Worten können wir nicht folgen, zu sehr waren wir mit den Gedanken beschäftigt, wie wir am besten aus dieser Situation wieder rauskommen sollen. Das Video dauert über 15 Minuten – „Glücklicherweise“ müssen wir uns nur die Hälfte anschauen. Als das Video stoppt, legt der Vater in seinem gebrochenen Englisch los: „Wenn wir zum Islam konvertieren, kommen wir nach dem Tod ins Paradies“, „dann würdet ihr so tolle Kleider tragen, wie meine Frau und Tochter“, „man würde nicht mehr eure Arme und Haare sehen können“ und „sprecht mir nach: (Irgendwas auf arabisch, als ob wir jetzt mit ihm beten sollten)“…

„Aaaaaaah“, „oook“, sind unsere zögerlichen Antworten. Mehr können wir auch nicht erwidern, so perplex sind wir. Mit „…wir sind sooo müde vom Radfahren und müssen wirklich dringend schlafen“ können wir uns irgendwie aus dem komischen Gespräch und dieser Situation retten.

Wir gehen ziemlich verstört in unser Zimmer. „Erstmal das Zimmer von innen zusperren“. Geht nicht. Nach einigen vergeblichen Versuchen fällt uns ein, dass wir ja einfach die Haustüre vorne absperren können. Geht auch nicht. Warum? WEIL DIE TÜR SCHON VON AUßEN ABGESPERRT IST!

Wenn wir nicht vorher schon beunruhigt waren – dann spätestens jetzt!

Später im Bett, als wir darüber nachdenken und uns fragen „Was wäre eigentlich, wenn es brennt?!“ und meinen: „Na, dann könnten wir ja wenigstens noch durchs Fenster“, sehen wir, dass diese mit Metallgittern verrammelt sind. Auch in den anderen Räumen des kleinen Häuschens gibt es keine Tür oder Fenster, die nicht verschlossen sind. Auch wenn wir im Nachhinein darüber lachen, sah das zu dem Zeitpunkt ganz anders aus. Naja, wir schieben das Sofa (das bei uns im Zimmer steht) unter die Klinke und hoffen einfach nur das Beste.

Endlich in der Unterkunft angekommen fühlen wir uns doch nicht wirklich wohl.

Tag 4: Hundeangriff – at Tafile | 88 km + 1.755 HM

Für den nächsten Tag haben wir uns den Wecker auf 7 Uhr gestellt, damit wir so früh wie möglich loskonnten. Um 7:30 hören wir jemanden kommen, „Jetzt sind wir mal gespannt was passiert“, denken wir uns. Die Tochter versucht die Tür zu öffnen und merkt nach ein paar Versuchen, dass zugesperrt ist. Sie klopft. Mit einem verzogenen Lächeln schauen wir uns an „Wir haben nicht zugesperrt?! „. Kurz darauf holt sie den Schlüssel aus dem Haupthaus, öffnet die Tür und bringt uns das Frühstück. Als wäre es das normalste der Welt.

Eine Stunde später rollen wir schließlich völlig übermüdet vom Hof – auf in Richtung Karak.

Die ersten 30 bis 40 km hätten wir schon am Vortag fahren sollen. Uns wird bewusst: „Das hätten wir niemals vor Einbruch der Dunkelheit geschafft„. Das Profil sieht in Komoot zwar recht flach aus, hier in Jordanien ist aber nichts wirklich flach. Immer wieder geht es bergauf, bergab – heute zusätzlich mit einer guten Portion Gegenwind. Wir sind uns nicht sicher: liegt es wirklich daran oder steckt uns noch die Nacht in den Knochen, so dass uns durch den Schlafmangel alles anstrengender vorkommt?

Die Gegend ist nicht sonderlich spannend und recht typisch für Jordanien: helle Häuser, kleine Dörfchen und alles wirkt ein wenig heruntergekommen. Wir kommen in Karak an und machen wieder eine unserer Pepsi-Pausen. Irgendwie haben wir uns das kleine Städtchen größer und spektakulärer vorgestellt. Viel zu sehen gibt es nicht. Laut Garmin haben wir jetzt unseren nächsten Anstieg vor uns. Mittlerweile brennt auch die Sonne wieder vom Himmel und die Autos ziehen an uns vorbei. Plötzlich bleibt eines neben uns stehen. Ein weißer Bus. Der hat auch schon seine besten Jahre hinter sich. Zwei junge Männer, vielleicht im Alter von 18/19 Jahren, schauen aus den Fenstern, winken und freuen sich mit uns. Sie machen Anstalten, dass wir stehen bleiben sollen. Nach mehreren Versuchen, lassen wir uns schließlich überreden. Sie steigen aus und wollen ein Selfie. Wir unterhalten uns mit Händen und Füßen und auf einem ziemlich gebrochenen Englisch. Gefühlte zehn-mal fragen sie uns, ob sie uns denn nicht mitnehmen sollen – sie führen schließlich in die gleiche Richtung. Wir können sie davon überzeugen, dass wir keine Mitfahrgelegenheit benötigen und gerne mit dem Rad fahren. Das Unverständnis können wir in ihren Gesichtern sehen: „Warum fahrt ihr mit dem Rad, wenn ihr auch mit dem Auto fahren könnt?„.

Die Sonne brennt. Die Kilometer ziehen sich. Aber wir kommen voran. Am Wadi angekommen, bleiben wir stehen und bewundern die Aussicht.

Bevor es weitergeht, bestaunen wir noch den hart erarbeiteten Ausblick.

Als wir die Bilder machen, kommt ein Polizeiauto angefahren.
Where are you from?“. „Germany”.Where are you going to?„.
Petra„. Er gibt es per Funk durch. So schnell wie er gekommen war, ist er auch wieder weg. Warum er das wohl durchgegeben hat? Keine Ahnung. Wir schauen uns an: „Soll uns das jetzt Sicherheit geben oder verunsichert uns das noch mehr?“.

Wir fahren weiter. Da es bergab geht, haben wir auch ein gutes Tempo drauf. Zwei Kurven weiter sehen wir einen Hund an der Straße. Ein Schäferhund. Ein Gebäude auf der rechten Seite – das bedeutet nie etwas Gutes. Ein Auto fährt gerade an ihm vorbei. Keine Reaktion. Wir hoffen deshalb, dass er uns auch nicht wahrnehmen wird. Als ob er es gehört hätte und uns das Gegenteil beweisen will, schaut er auf und kommt aggressiv kläffend auf uns zu. Wir, nicht gerade langsam unterwegs, fahren mit einer Schleife an ihm vorbei. Zähne fletschend und voller Wut kommt er erst auf uns zu und schießt uns dann hinterher. Ein Glück geht die Straße bergab und wir sind schneller. Die Situation geht so flott, dass wir uns schon nach fünf Minuten uneins sind, wie sie eigentlich abgelaufen ist. Der Schreck sitzt tief.

Ein Kleinbus, der die Situation von hinten gesehen hat, hält an und macht Anzeichen, dass wir mitfahren sollen. Eine gefühlte Ewigkeit stehen wir da und diskutieren: „Sollen wir wirklich mitfahren? Jetzt kommt doch der schönste Teil der Strecke! Aber was, wenn wir wieder auf so einen Hund treffen?“. Der Fahrer sagt uns mit Google Translate mehrmals, dass es hier viele Hunde gäbe – die auch beißen! Und auch, dass das hier ein weit verbreitetes Problem sei. Er selbst sei Polizist und hält uns seinen Ausweis (auf arabisch) hin, mit dem wir jedoch wenig anfangen können.

Schlussendlich entscheiden wir uns, sein Angebot anzunehmen und mitzufahren. Die Wüstenlandschaft zieht an uns vorbei und wir schauen traurig aus den Fenstern. Natürlich geht Sicherheit immer vor, aber trotzdem wollen wir es nicht wahrhaben, dass wir jetzt den schönsten Teil verpassen. In gebrochenem Englisch teilt uns der Fahrer dann auch noch mit, dass er 25 JOD für die Fahrt möchte. Das wären 32,60 €. An der tiefsten Stelle der Schlucht gibt es wie immer eine Polizeikontrolle. Der Polizist hält das Auto an und schaut bei uns rein. Die zwei unterhalten sich auf Arabisch. Er wendet sich uns zu. Leider kann er kein Englisch. Für Small-Talk reicht es irgendwie. Er macht uns klar, dass sein „Kollege“ kein Geld von uns bekommen solle.

Die schöne Landschaft zieht an uns vorbei, doch die Mitfahrgelegenheit war eine gute Entscheidung.

20 Kilometer weiter lässt uns der Fahrer wieder raus. Bevor wir mit den Rädern weiterfahren, packen wir uns für alle Fälle Steine in die Trikottaschen. Auf den acht Kilometern bis zu unserer Unterkunft sehen wir noch ein paar Hunde, die uns jedoch kaum Beachtung schenken.

An unserer Unterkunft sind wir froh, irgendwo anzukommen, unsere Ruhe zu haben und ein wenig abzuschalten. Wir haben, außer ein paar Keksen, nichts Essbares mehr. Wir müssen also auf jeden Fall nochmal das Haus verlassen. Nach viermaligen „Komm, wir gehen jetzt„, können wir uns endlich selbst überreden. Es ist bereits dunkel. Wir ziehen uns bewusst lange, lockere Kleidung an und binden unsere Haare zu einem Dutt zusammen, in der Hoffnung, so weniger aufzufallen.

Es fühlt sich nach einer warmen, lauen Sommernacht an. Eigentlich eine Zeit, zu der wir am liebsten unterwegs sind. Dennoch fühlen wir uns unwohl. Es sind ausschließlich Männer unterwegs. Egal ob auf der Straße, in Bars oder in Shops. An einem kleinen Straßenstand kaufen wir uns ein Bund Bananen. Wir verabschieden und bedanken uns: „Shukran„. Der Verkäufer schaut uns verdutzt an. Wir wiederholen es mit einem leichten Fragezeichen in unserer Stimme. Sein neutraler und ausdrucksloser Blick wechselt augenblicklich in ein freudestrahlendes Lächeln, als er ein Wort in seiner Sprache hört. Diese Begeisterung in seinem Gesicht werden wir nicht vergessen.

Schon im Vorfeld haben wir uns dazu entschlossen, nur einen Reis to-go mitzunehmen, um nicht länger als nötig draußen zu bleiben. Wir machen die Tür zum Restaurant auf. 40 Männer schauen uns an. So fühle es sich an. Die Speisekarte ist ausschließlich auf arabisch. Wir ziehen skeptisch die Augenbrauen nach oben: „Das wird spannend„. Der Verkäufer hinter der Kasse bemerkt unsere Blicke und hilft uns weiter. Bis heute wissen wir nicht wie, denn er sprach kein Wort Englisch. Keine fünf Minuten später wird uns eine weiße Plastiktüte in die Hand gedrückt. Wir sind erstaunt, als wir im Apartment wirklich das richtige Essen auspacken. Kosten für zwei Portionen Reis: 2,5 JOD (3,25€).

Genüsslicher Verzehr in unserer heutigen Bleibe.

Es ist ein Abend, der uns innerlich zerreißt – einerseits fühlen wir uns unwohl und unsicher, andererseits begegnen uns die Menschen mit so einer Freundlichkeit, die wir so nicht erwartet hatten. Als wir in den Nachrichten jedoch von einer aufkommenden „Anti-westlichen-Stimmung“ lesen, kommen die ersten Gedanken auf, ob wir nicht schon früher nach Hause fliegen sollen. Aber erstmal eine Nacht drüber schlafen. Am nächsten Tag schaut die Welt ja bekanntlich anders aus.

Tag 5: Auf nach Petra | 84 km + 1.337 HM

Wenn man mit dem Rad reist, bemerkt man deutlich, wie sich das Land langsam verändert. Die Menschen hier kleiden sich weniger westlich. Die Landschaft wird ländlicher. Der Verkehr rücksichtsloser. Wir fühlen uns weniger wohl.

Es dauert nicht lange, da lassen wir die kleinen Dörfer hinter uns. Die Straße geht immer geradeaus. Rechts und links: nichts, nur Windräder. Und die Straßenbeleuchtung – über die wundern wir uns besonders.

Als wir auf ein Militärgebäude zufahren und noch 20 Meter entfernt sind, springen Hunde von beiden Seiten auf und kommen bellend auf uns zu. Aber diesmal sind wir ja schon vorbereitet: wir bleiben stehen, die Hand an den Steinen im Trikot. Durch unsere Rufe kommt ein Polizist heraus und hält die Hunde zurück, so dass wir problemlos vorbei können.

Wir bleiben an der Straße stehen, um ein paar Fotos zu machen. Mitten im nirgendwo. Keine Zivilisation weit und breit. Auch Autos kommen kaum vorbei. Eines der wenigen hält plötzlich an. Der Fahrer fragt, ob er ein Bild machen solle (so haben wir das verstanden). Wir denken uns natürlich nichts dabei und freuen uns „wie aufmerksam von ihm„.

Der Mann steigt aus, gibt uns zur Begrüßung ein Küsschen links, ein Küsschen rechts. Das finden wir merkwürdig. Das macht man hier ja nicht?! Er stellt sich viel zu nah zu uns und zieht uns kräftig zu sich. Als er seinen Arm um uns legt, ist seine Hand definitiv nicht da, wo sie sein soll! Und zwar quer über der Brust. „War das ein Versehen?“. Wir schieben seine Hand weg und rücken ein Stück zur Seite. Er lässt sich nicht beirren. Er rücke wieder nach und schiebt seine Hand wieder dorthin, wo sie vorher war. Als wir uns aus seinem Arm befreien können, streicht er Maren nochmal über die Oberweite – als wir uns direkt gegenüberstehen. Sein Sohn (ca. acht Jahre alt) steht die ganze Zeit daneben und schaut zu.

Wir sehen es gegenseitig in unseren Blicken, wie angewidert wir sind. Beide wissen wir nicht, was genau wir tun sollen. Wir sind mitten im nirgendwo. Falls also wirklich etwas „Schlimmeres“ passieren sollte, wird uns definitiv niemand sehen, hören oder helfen können.

We have to go now!„. Das sagen wir nicht nur einmal! Der Mann lässt sich nicht beirren und besteht auf ein Foto, schaut Isa an, macht einen Kussmund und zeigt auf diesen. Die Situation ist wirklich ekelhaft. Als er keinen von uns zwei mehr im Arm hat, ergreifen wir die Chance, steigen auf unsere Räder und fahren los.

Wir schieben eine kleine Foto-Session ein, leider nicht ganz ungestört.

Wir schauen uns an, „Ey, was war das denn?“. Noch komplett verwirrt und perplex drehen wir uns um, das Auto steht noch immer auf dem Seitenstreifen. Nach ein paar Minuten drehen wir uns wieder um. Das Auto ist noch immer nicht weitergefahren. „Komm lass uns beeilen, nicht, dass er uns noch hinterher fährt“. Wir legen also einen Zahn zu, und beim nächsten Blick über die Schulter stellen wir mit Erleichterung fest, dass der weiße Pick-Up endlich in die entgegengesetzte Richtung weitergefahren war.

Nach einer gefühlten Ewigkeit kommen wir endlich wieder zu einer kleinen Ortschaft. Ein bisschen Abwechslung. In der Ortsmitte ist ein kleines Café, in dem drei bis vier Leute sitzen, die sehr europäisch aussehen. Wir schauen uns gegenseitig an und grüßen uns wie automatisch, als ob wir uns kennen würden. Lustig, wie man sich direkt verbunden fühlt, nur weil man endlich wieder Touristen sieht. Und auch wenn jeder zweite Reiseblog versucht, so viel wie möglich „off the path“ unterwegs zu sein und versucht dir einzureden, dass du die schönsten Sachen ja nur abseits der Touri-Gegend erleben kannst, haben wir Petra sehnsüchtig erwartet. Endlich wieder zwei von vielen sein, in der Masse untergehen und wie jeder andere Touri unfreundlich behandelt werden – Ja, bitte jetzt! Sofort!

Wir sind inzwischen todmüde und wollen einfach nur ankommen. Zum Glück sehen wir schon das Ende der langen Straße, auf der wir gerade unterwegs sind. Die ist zwar nicht steil, aber geht immer stetig nach oben. Dort angekommen, geben wir die genaue Adresse ein und müssen fluchend feststellen, dass wir den höchsten Punkt noch nicht erreicht haben, sondern die kleine und steile Straße, rechts von uns nehmen müssen.

Die Straße wird schmaler und vieles erinnert uns an Mallorca. Der Charme, die Bäume längs der Straße und der nette Verlauf des Weges. Es war keine Hauptverkehrsstraße. Viele Autos kommen uns deshalb nicht entgegen. Es ist mittlerweile schon spät geworden. Die Abenddämmerung hat längst eingesetzt und die Landschaft wird von der untergehenden Sonne in ein weiches Licht getränkt. Es ist die Zeit, in der wir am liebsten unterwegs sind. Alles wirkt so ruhig und gelassen. Als wäre die Welt vollkommen in Ordnung. Das sind die Momente, in denen wir uns denken „Das Leben ist schön!„. Und es ist wirklich schön! Oben am kleinen Berg angekommen, haben wir eine weite Aussicht in das Tal hinein. Keine Sekunde verschwenden wir unsere Gedanken an die negativen Erlebnisse der letzten Tage, sondern genießen den Augenblick.

Der Blick ins Tal lässt uns den vorherigen Ärger sofort vergessen.

Das ist wirklich ein Highlight unserer Radreise und wir lassen die Bilder für sich sprechen.

Die Nacht können wir bei Ghassap verbringen. Ihn haben wir in unserer Wanderwoche kennengelernt. Er spricht verdammt gut Deutsch, da er jahrelang in Deutschland gelebt hat. Vor ca. zehn Jahren ist er wieder zu seiner Familie zurückgekehrt. Mit seinen Brüdern organisiert er Wanderungen, Camps und Besuche bei Wüsten-Nomaden. Als er erfährt, dass wir nochmal mit unseren Bikes in die Gegend kommen würden, lädt er uns in sein Airbnb ein. Wir haben also eine Adresse und wissen, dass wir von Susann (eine Volunteer) auf Deutsch begrüßt werden. Worauf wir uns mit am meisten freuen: Eine einfache Kommunikation. Jemand der uns kennt. Und ein sicherer Ort zum Übernachten.

 

Wir rollen somit die letzten Höhenmeter nach unten. Es ist jetzt schon fast dunkel. Müssen noch zweimal links, einmal rechts und stehen dann vor dem Gartentor. Susann ist keine 5 Minuten später da und zeigt uns das Haus. Wir sind wirklich überrascht: alles sehr sauber und entspricht deutschem Standard (aber Vorsicht: Toilettenpapier kommt dennoch nicht in die Toilette! Dies wird in einem separaten Mülleimer entsorgt, da die Rohre nicht dafür ausgelegt sind). Susann kommt eigentlich aus Hamburg und ist mittlerweile schon mehrere Jahre unterwegs. Sie reist, solange das Geld reicht und nimmt dann wieder einen Job im Reiseland an. Wir verstehen uns auf Anhieb! Eine ihrer ersten Fragen: „Hattet ihr auch schon Probleme mit Männern?“ Es tut echt gut, mit ihr nochmal über den Vorfall zu sprechen. Wir stehen bestimmt zwei Stunden in unseren verschwitzen Radklamotten in der Küche und unterhalten uns.

Tag 6: Auszeit von Jordanien | 21 km + 493 HM

Der Tag startet ruhig. Wir frühstücken mit Susann und genießen es wieder einmal, dass wir uns auf Deutsch unterhalten können. Es ist sehr beruhigend, dass sie mit ähnlichen „Problemen“ zu kämpfen hat wie wir – zum Beispiel Overload. Overload an Momenten, Eindrücken, schönen und schlechten Erlebnissen. Wir verstehen uns super und sitzen (eigentlich viel zu lange) beisammen. Ein Blick aus dem Fenster und wir überlegen, ob wir noch einen Tag bleiben sollen. Es tut einfach so gut sich heimisch und sicher zu fühlen. Also bleiben wir.

Was ist das Schönste an einem spontanen Urlaubstag? Einfach nach dem Frühstück wieder ins Bett gehen – und das tun wir auch. Nach ein bis zwei Stunden Schlaf (den wir dringend benötigt haben) wollen wir dennoch eine kleine Runde aufs Rad. Wir haben von einer alten Militärstraße gelesen, die wirklich schön sein soll. Das Besondere: Wir entdecken ein Bild eines Rennrades auf Komoot! 😀

Wir haben einfach richtig Lust auf Radfahren! Draußen sein, sich auszupowern und richtig in die Pedale treten. Doch sobald wir uns in den Sattel setzen, sind wir gestresst. „Ist da ein Hund? Oder ist das doch nur ein strohiger Busch? Sind das Kinder? Und wenn ja, wo sind ihre Hände? Heben sie gleich den nächsten Stein auf?“ – diese Gedanken waren unser ständiger Begleiter und lassen uns nie los. Lassen uns nie die Landschaft und die Ruhe genießen.

Heute gehen wir es ruhiger an, doch ganz auf die Fahrräder können wir nicht verzichten.

Das ist auch der Impuls für uns: Wir buchen unseren Flug um und fliegen fünf Tage früher nach Hause.

Geben wir jetzt auf? Sind wir gescheitert? Ist das ein Zeichen von Schwäche?

Alles Gedanken, die uns in den Sinn kommen und die wir gemeinsam besprechen. Aber nein. Wir sind nicht gescheitert. Wir haben auch nicht aufgeben. Es ist einfach unser Instinkt, der uns sagt, dass wir die Reise nicht so zu Ende machen sollen, wie wir es uns gewünscht hatten. Und das ist auch kein Zeichen von Schwäche. Eher ein Zeichen von Stärke, dass wir es nicht auf Biegen und Brechen durchsetzen müssen (so sind wir nämlich manchmal auch).

Für Ghassap ist es zum Glück überhaupt kein Problem, dass wir eine Nacht länger bleiben. Er lädt uns zusätzlich zum Essen ins Camp ein. Hach, die Herzlichkeit der Jordanier ist einfach schön! Wir werden dort begrüßt wie alte Freunde, die nach einer langen Zeit zurückkommen.

Als wir später mit einer warmen Suppe beim Abendessen sitzen, denken wir uns: Das sind diese Glücksmomente, an die wir uns später zurück erinnern werden – und das machen wir tatsächlich bis heute!

Gemütliches Beisammensein und Abendessen bei Ghassap.

Tag 7: Letzter Tag | 140 km +1.353 HM

Heute ist unser letzter Tag! Und auch unser längster. Danach wird unser Abenteuer vorbei sein! Wir frühstücken wieder mit Susann. Der Abschied fällt uns schwer. Der Ort hier ist zu einem kleinen vorübergehenden Zuhause geworden, in dem wir uns mehr als wohl gefühlt und inspirierende Gespräche geführt haben. Alles daran werden wir vermissen. Unglaublich, wie schnell das manchmal geht.

Pünktlich um halb 9 rollen wir vom Hof. Richtung Wadi Musa. Die Strecke kennen wir zum Teil schon, da wir sie mit dem Bus in unserer Wanderwoche gefahren sind. Es tut gut, etwas Vertrautes zu sehen. Viel los ist auf den Straßen nicht. Da Wadi Musa der Eintritt zur legendären Wüstenstadt Petra ist, haben wir eindeutig mit mehr Touristen gerechnet. Auch hier scheint der Krieg bereits seine Auswirkungen zu zeigen. Am Ende der Stadt (wird wirklich Stadt genannt – laut Google gibt es aber 2015 keine 7.000 Einwohner) geht es wie immer nach oben. Wir bleiben stehen und schauen zurück. Wir können das kleine Tal überblicken, den Eingang zu Petra, der dann links in die Schlucht endet. Dahinter die wunderschönen Felsformationen. Auch wenn wir sie schon oft gesehen haben – es ist jedes Mal wieder beeindruckend. Lange Zeit lassen können wir uns nicht. Das Wetter ist heute unbeständig und regnerisch. In der Ferne sehen wir auch schon den ersten Regenschauer. Ein leichter Wind kommt auf, der oft Regen mitbringt. Die ersten 50 Kilometer geht es stetig bergauf. Geplant sind 1.300 Höhenmeter. Die wollen wir auf jeden Fall zügig hinter uns bringen.

Die Straßenverhältnisse sind heute wechselhaft: manchmal wirklich gut, nach der nächsten Kurve wieder schmal, eng und ohne Fahrbahnmarkierungen. Das Nervigste für uns: die Regenrinnen! Die verlaufen nämlich längs der Straße und die Zwischenräume sind so breit, dass man mit dem Fahrradreifen drin stecken bleiben kann. Auch daran merkt man deutlich, dass in Jordanien nicht Rad gefahren wird. Trotzdem kommen wir gut voran. Rechts neben uns ergibt sich immer wieder ein toller Blick in das typische Jordanien. Täler mit sandiger, felsiger Landschaft. Die Farben wechseln in verschiedenen Gelb-, Braun- und Senftönen. Besonders jetzt, am letzten Tag, versuchen wir nochmal alles genau wie möglich aufzunehmen und die Blicke zu genießen. Und das können wir!

Mittags machen wir eine Pause. Noch nie in unserem Leben haben wir so viel Pepsi getrunken. Ist aber die beste Möglichkeit, Kraft zu tanken und Pepsi ist dort verbreiteter als Cola. Nach dem kurzen Stopp wird die Landschaft noch einsamer, als sie ohnehin schon ist. Die Dörfer kleiner. Die Pausen dazwischen länger. Wir lieben das! Die Straße führt immer geradeaus. Mittlerweile war uns auch angenehm warm. Die Sonne kommt raus und noch immer geht es mit einer angenehmen Steigung nach oben. Gegen 13 Uhr erreichen wir eine Polizeistation – hier müssen wir wieder auf die Hunde aufpassen. Es zeigt sich zwar kurz einer, bellt uns an, bleibt aber an Ort und Stelle. Die Polizisten grüßen uns freundlich. Wir sind auf einem Art Hochplateau angekommen. Unsere Stimmung ist super! Es läuft wirklich gut und Jordanien will uns nochmal alle schönen Blicke, die es zu bieten hat, zeigen. Auch wenn die Tage wirklich nicht einfach sind, sind wir unendlich froh, hier zu sein.

Irgendwie fangen wir an zu trödeln. Als wir links von uns plötzlich Gewitterwolken und auch einige Blitze sehen, schrecken wir auf. Ein kurzer Blick auf das Regenradar: Oh ja! Wir müssen uns schleunigst beeilen! Nicht mehr lange, dann wird das Gewitter auch uns erwischen. Wir legen also ein Zahn zu.

Schon von weitem sehen wir, dass wir unser Etappenziel bald erreichen würden – die höchste Stelle. Ab diesem Punkt geht es auf dem Desert Highway nur noch bergab. 1.000 Höhenmeter und 90 Kilometer. Das immer näherkommende Gewitter treibt uns voran. Rechts und links von uns reine Wüste. Nichts ist weit und breit. Der Wind pfeift uns um die Ohren. Es wird frisch. Außerdem fängt es an leicht zu nieseln, weshalb wir unsere Regenjacke anziehen. „Haben wir wenigstens ein Teil nicht umsonst mitgenommen 😉„.

Schotter und Asphalt soweit das Auge reicht.

Auf dem Desert Highway (eine zweispurige Autobahn) rasen wir hinab. Unser Rad Computer sagt immer etwas zwischen 40 und 60 KMH. So kommen wir wirklich gut voran. Der Gegenwind peitscht uns ins Gesicht. Also Lenker gut festhalten! Fest, aber nicht verkrampfen. Wir sind eins mit dem Verkehr und verspüren ein Gefühl von Freiheit. Was für ein Spaß! Der Belag ist perfekt. Es scheint so, als wäre er erst kürzlich asphaltiert worden. An manchen Ecken sehen wir noch die Reste einer Baustelle. Wir haben einen breiten, sauberen Seitenstreifen. Der gefühlt nur für uns ist. Nur manchmal wird er von langsamen LKWs blockiert, weshalb wir uns zwischen anderen riesigen Kolossen entlang schlängeln müssen. Wenn man sich das mal vorstellt… auf deutschen Straßen undenkbar! Aber es hat wunderbar funktioniert und wir haben uns dabei widererwarten sehr sicher gefühlt.

Der Ausblick dabei: unfassbar! Rechts von uns zieht eine große Regenwolke vorbei. Den Platzregen können wir gut sehen. Er wirbelt einiges an Sand und Staub auf. Direkt daneben scheint die Sonne und lässt die Wüste in einem hellen Licht erstrahlen. Die Straßen sind zwar ein wenig feucht, aber wir bleiben trocken. Und ohne kaum zu treten geht‘s mit 60 km/h dahin. Was für ein Gefühl!

Abrupt hört der gute Asphalt auf. Aber nicht nur das, auch der Seitenstreifen verschwindet die meiste Zeit im Nichts oder war nicht befahrbar (abgebrochen, zu viel Sand oder Schotter). Auch die Markierungssteine (,die normalerweise ja wirklich sinnvoll sind) verfluchen wir irgendwann nur noch. Die Straßenverhältnisse ändert sich immer so plötzlich, so schnell könnte man der Hinteren kein Zeichen geben. Reagieren kann man also nicht und rasen immer drüber. Es rumpelt ständig. Trotzdem wollen wir weiterhin dicht hintereinander fahren, um vom Windschatten zu profitieren. Wir haben noch einige Kilometer vor uns und viel gegessen haben wir noch nicht. Wir sollen also unsere Kräfte sparen.

Unsere Laune ändert sich dadurch (gefühlt) alle zwei Kilometer. Es ist eine Achterbahn der Gefühle. In solchen Momenten sind wir froh, uns gegenseitig zu haben. Entweder leiden wir beide und können uns zusammen auskotzen oder die eine zieht die andere aus ihrem „Loch“. Besonders in den schönsten und den schwierigsten Momenten ist es schön, zu zweit diese Momente zu teilen.

Anfangs freuen wir uns noch über eine große Straße, da es bedeutet, keinen Hunden und Kindern zu begegnen. Gleichzeitig bedeutet das aber auch, dass wir wirklich alle paar Meter angehupt werden. Am Anfang war das noch toll. Wir haben uns alle gegenseitig gefreut. Ein Mann bleibt sogar öfter stehen, wartet auf uns und will unbedingt mit uns reden und uns Wasser anbieten. Wir bleiben jedoch standhaft und rufen ihm eine Entschuldigung zu „We are so sorry!„.

Der Desert Highway testet unsere Nerven. Ob wir gut durchkommen?

Ein Schild sagt: noch 40 Kilometer! „Na endlich!“ denken wir uns. Aber diese 40 Kilometer sind mit am schwersten. Irgendwie vergeht die Zeit nicht und auch die Kilometer bis zum Ziel werden nicht weniger. Und immer wieder geht es bergauf! Und das obwohl wir laut unserer Strecke schon längst alle Höhenmeter hinter uns haben. Es ist wieder brutal heiß. Wir versuchen uns abzulenken. Die Gedanken schweifen zu lassen und uns auf unsere Musik zu konzentrieren (unser Allheilmittel in fast allen Situationen).

Der Verkehr nimmt zu. Und umso weiter wir nach unten fahren, umso heißer wird es. Umso drückender die Luftfeuchtigkeit. Die Felsen und Berge um uns herum sind hoch. Aqaba selber sehen wir erst, als wir in die Stadt einfahren. Das Rote Meer ganz klein hinter der Stadt. Der Verkehr ist jetzt wirklich dicht. Als wir in einen Kreisverkehr einfahren, sehen wir eine Frau am Steuer, die uns anlacht und uns mehrmals die Daumen nach oben zeigt. Das sind die kleinen Momente, an die wir uns später erinnern wollen. Die Momente, in denen wir hoffentlich anderen Menschen ein Grinsen ins Gesicht zaubern konnten. Wir lachen sie an und winken.

Und dann kommen wir an! Es fühlt sich surreal an. Aber wir sind wirklich angekommen! Am Roten Meer. Am Ende stehen 140 Kilometer mit 1.350 Höhenmeter auf dem Tacho.

Unsere Treuen Begleiter, die uns nach langer Reise ans Ziel gebracht haben! Wir können es kaum glauben!

Wir fragen einen Mann, der uns schon die ganze Zeit beobachte, ob er von uns ein Bild machen kann. Er mustert uns von oben bis unten. „No„. Mehr sagt er nicht. Ok? Auch die restliche Zeit lässt er uns nicht aus den Augen. Seltsam. Nachdem wir unser restliches Brot gegessen haben, machen wir uns direkt auf den Weg ins Hotel. Weit entfernt ist es zum Glück nicht. Als wir die Strandpromenade langsam entlang rollen, versucht ein kleiner Junge ständig, gegen unser Rad zu treten. Wir protestieren und sagen irgendwas. Er denkt aber gar nicht daran aufzuhören. Wir sind einfach zu müde, um eine Diskussion anzufangen und wechseln einfach die Straßenseite.

Der Typ vom Hotel ist sehr nett und kann zum Glück recht passables Englisch. Er besteht mal wieder darauf, unsere Räder ins Zimmer zu tragen, das im 1. Stock liegt. Unser „Nein danke, das möchten wir gerne selbst machen„, wird wieder nicht akzeptiert. Wie immer. Als ob wir das nicht selber können. Aber auch hier – wir sind einfach zu müde. Lächeln, nicken und bedanken uns für seine „Hilfe“.

Die Tour bei Komoot

Wie geht es weiter?

Wir bleiben noch einen Tag in Aqaba und nutzen den freien Tag, um einmal komplett auszuschlafen. Was bei uns bis 13/14:00 Uhr bedeutet. Selbst nach mehr als 13 Stunden Schlaf fühlen wir uns aber nicht erholt. Wir gehen raus, an der Strandpromenade entlang und essen eine Kleinigkeit in einem Café. Es ist erschreckend, wie wenig los ist, obwohl momentan ja eigentlich die Hauptreisezeit sein soll.

Am nächsten Tag packen wir ein letztes Mal unser Hab und Gut in unsere Radtaschen. Mittlerweile sind unsere kompletten Klamotten dreckig, ungewaschen und riechen nicht mehr ganz so fresh – sorry an alle, die unseren Gestank aushalten mussten, hehe.

Bevor es zum Flughafen geht, machen wir noch einen kleinen Umweg ans Meer, um ein letztes Erinnerungsfoto zu schießen. Wären wir nicht schon auf dem Weg aus der Stadt raus, hätten wir uns spätestens jetzt dafür entschieden zu gehen. Überall um uns herum kleine Grüppchen mit Frauen, die komplett verschleiert sind. Jede schaut uns an. Überwiegend mit einem kritischen Blick. Als wir im Nachhinein erfahren, dass Aqaba die konservativste Stadt in Jordanien ist, wird uns einiges klar. Wir machen uns auf den Weg zum Flughafen. Von dort aus haben wir einen Mietwagen gebucht, mit dem wir zurück nach Amman wollen.

Unser letzter Tag in Aqaba.

Aktiv versuchen wir nochmal alles aufzusaugen. Die warme, drückende Luft, die Straßen und der Verkehr. Wir kommen an einer Gruppe Jugendlicher vorbei. Sie rufen uns etwas zu, was wir natürlich nicht verstehen. Und schon wieder wird etwas in unsere Richtung geworfen. Wir können nicht erkennen, was es ist. Schauen zurück. Waren aber zum Glück schon weiter entfernt. Trotzdem ärgern wir uns – was soll das?

Die letzten Meter zum Flughafen sind wieder wunderschön! Rechts und links nur Landschaft. Palmen neben der Straße, die Berge im Hintergrund und das bei schönstem Wetter. Da ist es wieder. Dieses Freiheitsgefühl, das uns daran erinnert, warum wir diese Reise gemacht haben und warum Radfahren so schön ist.

Als wir die Schranken zum Flughafen passieren, schauen die Security ganz verdutzt. Naja, zwei junge Mädels auf Rädern werden hier wahrscheinlich nicht so oft vorbeikommen. Wir holen den Mietwagen ab und fahren in Richtung Wüste Wadi Rum.

Wadi Rum ist ein richtiger Touristen Hotspot in Jordanien. Kein Wunder, die Wüste ist wirklich beeindruckend. Hier werden zum Beispiel Filme wie Star Wars, Indiana Jones und der Marsianer gedreht. Besonders die Ähnlichkeit beim letzten Film sieht man sofort. Und da wir nur unsere Radschuhe und Badeschlappen dabei haben, stiefeln wir also mit unseren Badeschlappen durch die Gegend. Auf unserer Tour durch die Wüste spricht uns ein Mann an mit „Ach, ihr seid doch die Mädels, die den Kingshighway entlang gefahren sind„. Unsere Blick hätten wir gerne gesehen! Er ist mit einer kleinen Gruppe aus Deutschland unterwegs, die uns bestimmt drei-mal auf dem Weg gesehen haben. Sie waren es auch, die im kleinen Cafe an Tag fünf gesessen sind. Was für ein Zufall!

Wunderschönes Farbenspiel: Wadi Rum und das Sonnenuntergang am Roten Meer.

Nachdem wir in Amman unsere Radkoffer abgeholt haben, verbringen wir den letzten vollen Tag am Toten Meer. Die Luftfeuchtigkeit… Mensch, die haben wir wirklich nicht vermisst! Aber nachdem unsere Nerven die letzten Wochen wirklich überstrapaziert worden sind, freuen wir uns, einen Tag zu entspannen. Obwohl wir darin wirklich schlecht sind – wir haben einfach keinen Spaß dabei, am Pool/Strand zu chillen. Aber das Tote Meer steht schon eine Ewigkeit auf unserer Löffel-Liste. Und das zu Recht. Dieses Gefühl, wenn man sich eigentlich ins Wasser setzen möchte und mit einem „Flopp“ ist der gesamte Körper wieder an der Wasseroberfläche – zu lustig. Man kann es gar nicht richtig beschreiben – man muss es wirklich erlebt haben. Und auch wenn wir keine Wasserratten sind und alles in uns nach Zuhause schreit, hat es sich sehr gelohnt!

[Good to know: Das Tote Meer ist eigentlich ein See. Dass man trotzdem Meer dazu sagt, könnte daran liegen, dass das Wasser wie bei einem Meer salzig ist. Und es heißt so, da durch den hohen Salzgehalt keine Lebewesen (außer Mikroorganismen und ein paar Pflanzenarten) überleben können.]

Am Abend machen wir uns auf den Weg zum Flughafen. Es ist bereits dunkel und nicht so einfach zu fahren. Es gibt keine Straßenmarkierungen. Vielleicht auch, weil sich sowieso keiner daran gehalten hätte. Auf dem Weg von ca. einer Stunde/ 50 km kommen wir an acht Polizeikontrollen vorbei. Die Autos vor uns werden oft sehr genau unter die Lupe genommen. Sobald die Polizisten hören, dass wir aus Deutschland kommen, werden wir durchgewunken. Spannend zu sehen, dass man den eigenen Landsleuten gegenüber kritischer ist als Touristen bzw. Ausländern. Man merkt langsam aber sicher, dass auch hier die Angst steigt, dass die Gewalt vom Nachbarland auf das eigene überschwappen könnte.

Unser Flug geht in der Nacht um 4:30 Uhr. Wir wollen die restliche Zeit noch nutzen und unser Erlebtes noch mal Revue passieren zu lassen, darüber zu reden und ein paar Notizen zu machen. Als wir bei Starbucks sitzen und einen riesigen Pumpkin Spice Latte trinken, treffen wir einen unserer Guides der ersten Woche wieder. Es war echt schön, noch mal ein bekanntes Gesicht zu sehen.

Unsere allerletzten Stunden in Jordanien.

Aber als ob uns Jordanien nicht mit einem guten Gefühl gehen lassen will, hat es noch einen Zwischenfall für uns parat. Als wir zum Check-in gehen, müssen wir feststellen, dass es einen Buchungsfehler gab. Der Klassiker: Die Bikes waren nicht auf den neuen Flug umgebucht worden – nur unsere Plätze. Und ob es noch genügend Platz für diese großen Koffer gibt – fraglich. Es wird ganz viel telefoniert, Koffer gewogen (haben übrigens 27 kg gewogen, obwohl wir eigentlich nur 23 kg hatten – Upsi), Größen durchgegeben, nur um eine halbe Ewigkeit weiter zu telefonieren. Dann müssen wir warten. Und warten. Und warten. Irgendwann kommt die Info, dass es 60 JOD pro Koffer kostet, wenn es denn klappen solle. Das sind umgerechnet 80 €, normal wären es ab 23 kg 150 € – haben wir mal so stehen lassen ;). Zwei Minuten nach Schließung der offiziellen Gepäckabgabe, dürfen auch die Bikes einchecken. Probleme würden wir erst in Frankfurt bekommen, da anscheinend kein Platz im Zug nach Augsburg sein sollte. Wir haben nun mehrere Optionen: Umbuchen und später nach München fliegen, mit dem normalen Zug fahren und die Bikes würden mit einem Flug hinterhergeschickt oder auch wir mit dem normalen Zug fahren und nur die Koffer mit einem späteren Zug. Das hieße aber auch, dass wir uns von den Koffern trennen müssten und das wollten wir auf keinen Fall.

Am Schluss haben wir uns einfach mit den Koffern ins Fahrradabteil gesetzt und gut war‘s. In Augsburg werden wir abgeholt und zu Hause von unseren Eltern mit frischen Pfannkuchen begrüßt. Und damit endet unsere aufregende Jordanienreise.

Was denken wir im Nachhinein über die Reise?

Einige Dinge waren einfacher als wir erwartet hatten. Einige Herausforderungen haben wir ehrlicherweise unterschätzt. Das Reisen als Frau, die stetige Wachsamkeit aufgrund der Hunde und die schwierige Kommunikation aufgrund der mangelnden Englischkenntnisse der Jordanier. Alles Dinge, mit denen wir gerechnet hatten, aber nicht in dem Ausmaß.

Die Reise hat uns nochmal auf eine andere Art bewusst gemacht, dass eine Gleichstellung von Mann und Frau noch lange dauern wird und wir nicht so einfach und unbeschwert reisen können. Trotzdem sind wir unfassbar froh, dass wir uns auf dieses Abenteuer eingelassen haben! Es war die aufregendste, schönste und auf gewisse Weise schlimmste Reise, die wir bisher unternommen haben. Trotzdem ist Jordanien ein wahnsinnig schönes Land, das wir ganz fest in unser Herz geschlossen haben. Und nur weil wir mit gemischten Gefühlen darauf zurückblicken, würden wir trotzdem JEDEM empfehlen, dorthin zu reisen und sich am besten selbst ein Bild zu machen.

Was wir rückblickend anders machen würden

    • weniger Gepäck. Wir wollten aber für alles gerüstet sein. Falls wir doch mal eine Panne haben und es nicht in die nächste Stadt schaffen sollten, hätten wir zur Not warme Kleidung, genug zu essen und einen Biwaksack. Damit würde man es auch eine Nacht draußen aushalten.
    • Sich nicht aufhalten lassen und wirklich immer pünktlich losfahren, damit man abends den Hunden und Kindern entgehen kann.
    • Trillerpfeife mitnehmen und von Anfang an mit 1-2 Steinen im Trikot fahren (gibt immer Sicherheit! Egal ob bei Hunden oder unerwünschten Männern)
    • bei Biketrips: wenn möglich, nicht als Frau/en alleine fahren (Würde für uns aber auch nur in Ausnahmefälle in Frage kommen)