101 Kilometer und 4890 Höhenmeter über die griechische Insel
Auf alpinen Steigen über das Lefka-Ori-Gebirge, durch tiefe Schluchten und entspannt an der Küste entlang – langweilig wird der E4 auf Kreta nie. 101 Kilometer und 4890 Höhenmeter sind Janko und Tasi über die griechische Insel gewandert.
Wer an Kreta denkt, dem kommen wahrscheinlich zuerst weiße Sandstrände, versteckte Buchten und glasklares Meerwasser in den Sinn. Die wenigsten Menschen würden als Erstes an eine Hochwüste denken. Doch das Lefka-Ori-Gebirge im Osten Kretas ist genau das. Dieses Gebirgsmassiv thront abgeschieden von belebten Ferienorten auf der griechischen Insel – eine raue, stille Welt aus Fels und Staub. Auf dem E4 kann man alles, was Kreta zu bieten hat, miteinander verbinden: weite Sandstrände, tiefe Schluchten, karge Landschaft und majestätische Gipfel. Mehr Argumente brauchte es für uns nicht, dieses Abenteuer in Angriff zu nehmen.
Der E4 ist der längste Weitwanderweg Europas und verläuft von Spaniens südlichstem Punkt zu den Alpen und über den Balkan nach Griechenland und Zypern. 500 des 10.450 Kilometer langen Fernwanderwegs führen über die griechische Insel Kreta.
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Eine malerische Küste und karge Berge – auf Kreta sind diese zwei gegensätzlichen Landschaften nicht weit voneinander entfernt.
Wir haben uns entschieden, einen Abschnitt des E4 von Elafonissi – dem berühmten pinkfarbenen Sandstrand – bis nach Loutro zu wandern. Die Strecke ist wunderschön, hat es aber in sich: 101 Kilometer mit insgesamt 4890 Höhenmetern bergauf und 3660 bergab. Der höchste Punkt liegt auf 2453 Metern, während der niedrigste Punkt direkt auf Meeresniveau ist. Herausfordernde Bergetappen wechseln sich mit entspannten Küstenwegen ab.
Unsere Reise startet in der Hafenstadt Chania. Nach zwei Stunden Busfahrt entlang der Küste und durch das Hinterland erreichen wir den wunderschönen Strand von Elafonissi. Hier geht unsere Wanderung los.
Nachdem wir ein Stück an der Küste entlang gelaufen sind, sehen wir die ersten schwarz-gelben E4-Markierungen. Schon bald erreichen wir den Kedrodasos Strand, ein 500 Meter langer Sandstrand mit kristallklarem Wasser, der anders als der Strand von Elafonissi nur von wenigen Menschen besucht wird. So haben wir uns das vorgestellt! Hier springen wir das erste Mal ins kühle, erfrischende Meer.
Nach der kurzen Pause laufen wir weiter entlang der Küste. Mittlerweile ist es Mittag und die Sonne brennt! Schatten ist Mangelware und wir nutzen jeden noch so kleinen Busch für kurze Trinkpausen. Nach acht Kilometern passieren wir einen weiteren schönen Strand, entscheiden uns aber, weiterzulaufen, um nicht zu spät an unserem heutigen Ziel Paleochora anzukommen. Am späten Nachmittag erreichen wir den Strand von Krio, wo wir uns eine kurze Pause in einer kleinen Taverne gönnen. Wir sind immer noch zehn Kilometer von Paleochora entfernt, aber schon von den ersten zehn Kilometern völlig erschöpft. Wir hatten diesen Tag definitiv unterschätzt.
Der Weg weiter nach Paleochora verläuft entlang einer asphaltierten Straße, gesäumt von Gewächshäusern. Wir schleppen uns noch ein paar Kilometer weiter, bevor wir ein Taxi rufen, das uns schließlich zum Campingplatz in Paleochora bringt – die beste Entscheidung des Tages! Der kleine, familiäre Campingplatz wird von vielen Aussteigern dauerhaft bewohnt, und die Taverne serviert fantastische kretische Küche – perfekt für zwei ausgehungerte und erschöpfte Wandernde. Hier können wir die Füße ein bisschen hochlegen und uns ausruhen.
Ich wache frühmorgens auf, setze mich mit einer Tasse Kaffee an den Strand und genieße den Sonnenaufgang. Nach einem herzhaften Frühstück in der Campingplatz-Taverne decken wir uns mit Wasser und Proviant ein. Um neun Uhr starten wir unsere nächste Etappe – uns steht wieder ein wahnsinnig heißer Tag bevor.
Nach ein paar Kilometern erreichen wir eine kleine Steinbucht – perfekt für eine kurze Abkühlung. Schatten gibt es hier keinen, deswegen wandern wir gleich weiter. Ab hier wird es steil und schweißtreibend. Der Weg ist steinig und wir sind heilfroh über unsere Wanderstöcke. Oben am Berg angekommen legen wir uns erstmal zu ein paar Ziegen in den Schatten eines großen Baumes. Nichts wünschen wir uns gerade mehr als einen Sprung ins Meer! Der lässt nicht lange auf sich warten: Nach einem steilen Abstieg erreichen wir den Stand von Lissos. Diese kleine Bucht ist ein beliebtes Ausflugsziel und wird von Booten angefahren, weshalb wir hier mehr Menschen antreffen als auf dem Trail.
Die letzten Kilometer zum heutigen Etappenziel Sougia sind nochmals eine Herausforderung: Wir müssen einen steilen Anstieg, gefolgt von einer wunderschönen Hochebene hinter uns bringen, bevor wir durch die Lissos-Schlucht absteigen. In Sougia schlagen wir unser Zelt an einem abgelegenen Strandabschnitt auf, wo wildes Campen erlaubt ist. Ein Sprung ins Meer, eine lauwarme Stranddusche – Tag zwei geschafft! Ab in eine der Tavernen! Wer sich die Wanderung vornimmt: Hier auf jeden Fall Geld abheben, denn bis Chora Sfakion gibt es keinen Geldautomaten mehr! Wir haben das nicht gewusst und standen bald ohne Bargeld da. Aber dazu später mehr.
Am Morgen decken wir uns in der lokalen Bäckerei von Sougia mit Proviant ein und starten wieder um neun Uhr. Der E4 führt uns erst steil bergauf, dann ebenso steil bergab – ein Umweg, den wir uns hätten sparen können, wenn wir von Anfang an im ausgetrockneten Flussbett unten im Tal gewandert wären. Nach sechs Kilometern erreichen wir die kleine Taverne am Eingang der Agia Irini-Schlucht. Wir genießen die Wanderung durch die schattige, menschenleere Schlucht. Am frühen Nachmittag erreichen wir unsere Unterkunft und nutzen den restlichen Tag, um unsere Wäsche zu waschen und Kraft für die kommenden alpinen Etappen zu tanken.
Am nächsten Tag verlassen wir die Schlucht und es geht über Hirtenpfade und Bergwege weiter auf das Omalos-Plateau. Hier folgen wir lange einer asphaltierten Straße bis wir zur eigentlichen Herausforderung dieser Etappe gelangen: der anstrengende fünf Kilometer lange Aufstieg zur Berghütte Kallergi. Wir versuchen den Aufstieg durch eine Abkürzung etwas kürzer zu machen. Doch nach einer Weile sehen wir keine Markierungen mehr und bevor wir uns komplett verlaufen, kehren wir um und folgen wieder der Standard-Route.
Oben an der Hütte angekommen, werden wir mit einem spektakulären Blick in die Samaria-Schlucht belohnt. Die Kallergi Hütte ist eine sehr einfache alpine Hütte mit einem großen Gastraum und einigen Mehrbettzimmern. Den Nachmittag verbringen wir mit Matthias, einem anderen Wanderer, der sich für ein paar Tage hier einquartiert hat, um Tagestouren von der Hütte aus zu machen.
Nach einem Bilderbuch-Sonnenaufgang und einem einfachen Frühstück beginnt das größte Abenteuer der Tour: die Überquerung der Lefka Ori, der Weißen Berge. Die ersten fünf Kilometer wandern wir zügig und offenbar etwas abwesend auf einer Schotterpiste, denn wir verpassen den unscheinbar markierten Abzweig des E4. Als wir es bemerken, sind wir schon eineinhalb Kilometer zu weit. Ärgerlich!
Als wir den E4 wiederfinden, geht es bergauf: Der steile, felsige Aufstieg auf über 2000 Meter Höhe zieht sich. Mit jedem Höhenmeter wird der Wind stärker. Teilweise haben wir Angst, dass wir einfach weggeweht werden. Der Weg kommt uns endlos vor. Die Sonne brennt erbarmungslos und es gibt keinen Schatten weit und breit. Nach fast zehn Stunden erreichen wir die Katsiveli-Ebene.
Wir bauen unser Zelt in einer windgeschützten Ecke auf und waschen uns an einem Wasserbassin, welches Regenwasser aus den Bergen auffängt. Zum Abendessen gibt es vegetarische Bolognese aus der Tüte – in dieser Szenerie ein Festmahl!
Wir stehen früh auf und frühstücken beide einen Müsliriegel. Der Weg zum Gipfel des Pachnes ist nicht markiert, und wir folgen der Navigations-App auf unseren Smartphones. Die Landschaft ist surreal und beeindruckend zugleich: eine karge Geröllwüste, fast wie auf dem Mond. Auch der Wind wird immer heftiger. Und wir haben Mühe, uns auf den Beinen zu halten. Trotzdem stehen wir nach drei Stunden auf dem zweithöchsten Gipfel Kretas! Die Aussicht ist atemberaubend – rundherum karge Berglandschaft und dahinter das Meer. Wir sehen die Nord-, Süd- und Westküste der Insel.
Der Abstieg ist besser markiert und führt uns nach Rousies, wo wir um 12:45 Uhr ankommen. Zu Fuß wäre es noch ein neun Stunden langer Marsch bis zur nächsten größeren Ortschaft gewesen, doch glücklicherweise werden wir von einem Fahrer dort abgeholt. Diesen Shuttle hatten wir schon vor dem Start der Wanderung mit den Betreibern des Gasthauses, in dem wir übernachten, vereinbart. Das Alonia Guesthouse, ist wunderschön und unsere Gastgeberin ist sehr nett und zuvorkommend. Zum Glück können wir unsere Rechnung für die Übernachtung und das Essen überweisen, denn hier ist unser Bargeld längst aufgebraucht.
Nach einer kurzen Autofahrt zurück zum Einstieg der Aradena-Schlucht beginnt eine der spektakulärsten Etappen. Hier müssen wir öfter die Hände zur Hilfe nehmen, uns an Seilen hochziehen und eine wackelige 30-Meter-Stahlleiter hinabsteigen. Für alle die Höhenangst haben gibt eine Umgehung, die kurz vor der Leiter abzweigt.
Nach zehn Kilometern erreichen wir den Marmara Strand und sind nun endlich wieder am Meer. Zeit für eine Abkühlung! Eine Taverne direkt am Strand serviert kalte, erfrischende Getränke mit Panoramablick. Von hier sind es noch vier wunderschöne Küstenkilometer bis nach Loutro.
Hier genießen wir unsere letzten Stunden, bevor die Fähre uns nach Chora Sfakion bringt. Wir hauen uns den Magen voll, trinken das wohlverdiente Abschlussbier und blicken zurück auf eine unvergessliche Wanderung.
Die E4-Wanderung auf Kreta ist anstrengend, herausfordernd, aber unglaublich abwechslungsreich und wunderschön. Wer Hitze, lange Etappen und steile Aufstiege nicht scheut, wird mit wunderschönen Ausblicken, einsamen Stränden und einem echten Abenteuern belohnt!
TEXT UND FOTOS: Jan Kopetzky | jederkanndraussen.de
instagram: @jederkanndraussen