Cusco: der Nabel der Welt

Inmitten der Anden Perus liegt Cusco. Eine Stadt, mit der alles seinen Anfang fand – und am Ende stehst du vorm sagenumwobenen Machu Picchu.

Der Sage nach schickte der Sonnengott Viracocha den ersten Inka Manco Cápac mit seiner Schwester Mama Ocllo um 1200 n. Chr. auf die Erde. Diese gründeten die Stadt Cusco, deren Name nichts Minderes als der Nabel der Welt bedeutet. Was für mich zunächst nach massig Arroganz klingt, stellt sich beim ersten Blick als eine durchaus adäquate Bezeichnung für dieses wunderbare Fleckchen Erde heraus. Cusco, die ehemalige Inka-Hauptstadt, ist eine Melange von positiven Attributen: Es ist UNESCO-welterbemäßig prächtig, kulturoffen, historisch und doch in Bewegung zugleich. In den verworrenen Gassen verirrt man sich wunderbar während des Versuchs, perfekte Postkartenmotive zu fotografieren. So voller kolonialer Relikte ist die Altstadt. Gebäude aus exakt behauenen und fugenlos ineinandergepassten Blöcken zeugen von einer Baukunst, mit der in Stabilität und Größe kaum zu übertreffende Monumente geschaffen wurden. Fast scheint es, als würden sich die nach oben ragenden Meisterwerke der Architektur mit dem Himmel vereinen, um – kolonialer Ursprung hin oder her – mit den Göttern und Urvätern Cuscos in ständiger Verbindung zu bleiben.

EIN DORF IN EKSTASE

Von Cusco fahre ich mit dem Bus quer durchs Altiplano der Anden ins Dörfchen Paucartambo, in dem sonst vermutlich das Meerschweinchen begraben liegt. Jetzt aber steigt die Fiesta de Paucartambo zu Ehren der Virgen del Carmen. Das ganze Dorf scheint in Ekstase. Ich wusele mich zum Festumzug durch die Feiernden. Gerade wird die Jungfrau Carmen in einer Prozession durch die Straßen getragen, während die sogenannten Saqras – die Teufel – in ihren pompösen, bunten Kostümen mit gruseligen Masken, langen Haaren und tierähnlichen Fratzen mit angsteinflößenden Zähnen auf die umliegenden Häuser klettern, um die Virgen zu verführen. Es ist laut, schaurig und toll! Plötzlich werde ich von hinten gepackt und ein Teufel hebt mich hoch. Ich kreische vor Schreck. Er drückt mir lachend eine Flasche Maisbier in die Hand. Nach einer sehr kurzen Nacht will ich nun einen großen Punkt von meiner To-do-Liste streichen: Machu Picchu bestaunen. Auf dem Weg mit dem Zug durchs Heilige Tal mache ich Halt in Ollantaytambo. Einst religiöses, astronomisches und administratives Zentrum der Inka, existiert der alte Stadtkern bis heute nahezu unverändert und wird noch immer von den Nachfahren der Bauherren bewohnt. Die Festung ist ein wahrer Felskoloss und gibt mit ihren uralten Ackerterrassen einen Vorgeschmack auf Machu Picchu.

Weiter geht es nach Aguas Calientes. Durch die Panoramafenster wirkt die Kulisse noch surrealer, himmelstarrende Berge, dampfiger Dschungel, Ruinen in waghalsigen Positionen, Ahnungen von Fußpfaden. Kurz überlege ich, ob ich nicht doch lieber auf dem Inka-Trail oder dem Salkantay- Trek gewandert wäre. Das nächste Mal …

In Aguas Calientes führen mehrere Wege zum Ziel: mit dem Bus oder eine kleine Wandertour. Selbst ist die Frau, daher will das UNESCO-Weltkulturerbe auf eigenen Füßen erobert werden. So geht es steil einen scheinbar endlosen, von Treppen durchsetzten Fußweg bergauf – Girlpower ist angesagt! Immer wieder mache ich halt, weil mir der Atem stockt: wegen der Aussicht, wegen Flora und Fauna und zum Teil auch wegen der Höhenmeter. Doch oben angekommen ist es so, wie alle es sagen: Dieser Anblick lässt einen die Strapazen augenblicklich vergessen. Egal, wie oft man die Ruine zuvor schon auf Fotos gesehen hat, die Realität ist einfach unglaublich. Der Bauch füllt sich mit Glück und ein Mix aus Windhauch und Adrenalin zaubert einem eine Gänsehaut. Wenn du hier stehst, kannst du getrost deinen Einmal- im-Leben-to-do-Zettel zücken, um einen ordentlichen Strich durch die Liste zu machen. ¡Dios mío, gracias! 

Immer wieder mache ich halt, weil mir der Atem stockt: wegen der Aussicht, wegen Flora und Fauna – und auch wegen der Höhenmeter.

Text: Sandra Gawlowski