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Costa Rica entdecken

Pura Vida

Atemberaubende Natur, tropische Wälder, wilde Küsten zweier Ozeane, sichere Reiserouten und ein bedachter Umgang mit den natürlichen Ressourcen machen Costa Rica zu einem ­tollen Reiseland. Ellen hat das Land mit ihrem Mann bereist und weiß nun, was Kolumbus einst verwehrt blieb.

»Costa Rica ist Mittelamerika in einer Nussschale: Tropen, Tiere, Vulkane, Sandstrand …«

»Questa è certamente una costa rica« – »Das ist gewiss eine reiche Küste«, soll Christoph Kolumbus im Jahr 1502 bei seiner vierten Seereise gesagt haben, als sein Schiff »La Capitana« vor Limón ankerte. Doch aus Erfahrung klug geworden, vermied es der gebürtige Italiener im Dienste der spanischen Krone, das Land zu betreten – der Wall aus Mangroven erschien ihm undurchdringlich. Diesen Fehler, Cristóbal, gilt es wiedergutzumachen und dieses Musterland Mittelamerikas zu entdecken.

In Limón begegnen wir sogleich dem, was Costa Rica so einzigartig macht und dem Land auf dem Weg zur CO₂-Neu­tralität unterstützt: seine großartige Natur. Sie liefert 95 Prozent seines grünen Stroms. Die Selva Bananito, ein 800 Hektar großes Regenwaldreservat, erreicht man über wacklige Brücken, tiefe Schlaglöcher, dichte Haine aus Bambus, Wegerich und Schokoladenbusch sowie reißende Flüsse. Doch der heftige Regen der letzten Nacht verwehrt dem Pick-up das Weiterkommen. Eine Zip-Line sorgt für Abhilfe: Die letzten Meter schwebt man über den Bananito-Fluss. Die Ankunft im Camp wird in der »Rancho« am gemeinsamen Tisch gefeiert. Jetlag hat gegen »Gallo Pinto« keine Chance: Das typische Frühstück ist die einzige Mahlzeit, die der treibsandartigen »Tico-Time« widersteht. Sonst haben die Einwohner Costa Ricas – »Ticos« und »Ticas« – ein entspanntes Verhältnis zur Pünktlichkeit. Doch jeden Morgen um die gleiche Zeit setzen sich die Familien im ganzen Land zu Bohnen mit Reis, Eiern, frittierten Kochbananen, Tortillas und Toast an den Tisch.

Foto: Auf die Plätze, fertig, los: Der Weg vom Strand in die Wellen ist für die jungen Schildkröten die erste und alles entscheidende Überlebensprobe.

Jürgen Stein, der Selva-Eigentümer, ist Lateinamerikaner in dritter Generation und ein echter »Wachrüttler«. Seine Familie gab 1994 das Abholzen des Urwaldes auf und gemeinsam mit seinem Team, zu dem einige Bribri-Indigene gehören, kämpft er seither für den Erhalt des Regenwaldes als Lunge des Landes, Migrationskorridor und Habitat von Jaguaren, Nasenbären, Tapiren, Affen, bunten Fröschen – der bekannte Goldene Giftfrosch ist nur münzgroß und orange – und dreihundert Arten noch bunterer Vögel. Das WLAN-Passwort im Camp lautet: »WhyUseInternetHere«. Stimmt! In der Abenddämmerung brodelt der Wald vor Leben und dichte Nebelschwaden steigen in den vom Regen aufgewühlten Himmel.

»It rainin’« – das sagt man im Kreolisch der Atlantikküste, die auch ihre eigene Küche hat. Glenda Brown stammt aus einer der ersten Sklavenfamilien, die je ins Land geholt wurden. Heute zeigt sie uns in Puerto Viejo, wie man die süß-cremige Kokosmilch, geräuchertes Hühnchen, Brotfrucht, Kochbananen, Chilis, Zwiebeln, Ingwer und Knoblauch zu einem einzigartigen Sonntagsessen verrührt: der »Rondón«-Suppe. Während sie im brodelnden Topf rührt und ein köstlicher Duft durch ihren tropischen Garten zieht, singt sie von Liebe und Sehnsucht.

Das Meer und die weiten, mit Kokospalmen gesäumten Sandstrände sind Teil des kleinen, aber feinen Nationalparks Cahuita. Führer sind unerlässlich, sonst sieht man – nichts. Ihr geschultes Auge entdeckt Faultiere, die sich in Wirklichkeit stetig und entschlossen von Ast zu Ast bewegen, stachelige Leguane, Krokodile, die faul wie Baumstämme im Fluss treiben, sowie weißgesichtige Kapuziner- und die sprichwörtlichen Brüllaffen. Letztere rufen gegen drei Uhr morgens zum ersten Mal und machen den Wecker unnötig.

Costa Rica ist ein Paradies für Vogelbeobachter: still stehen, Augen auf und Mund halten. Das Hochland um Cartago – einst die Hauptstadt des Landes – lockt Vogelfreunde aus aller Welt an, die im Quelitales Hotel mit leuchtenden Augen von ihren Entdeckungen berichten. Beim »Casado«, dem typischen Mittagessen, dessen Name »verheiratet« bedeutet und bei dem ein Kohlenhydrat selten allein kommt, schwirren Kolibris, Buntspechte und der Nationalvogel, die bescheidene lehmfarbene Gilbdrossel, am Fenster vorbei.

Foto: In La Fortuna sprudelt die Natur nur so über: Hier kann man in unzähligen heißen Thermalquellen baden.

Die Fruchtbarkeit verdankt das Orosi-Tal dem höchstem noch aktiven Vulkan des Landes, dem Irazú. An dessen Fuß gedeiht ein weiterer Reichtum des Landes: der Kaffee. Die wachsgrünen Büsche stehen überall; entlang der Straße, im Schatten hoher Platanen und auf den steilen Hängen. Kaffee wächst weltweit in der »Bauchbinde« des Planeten, doch seine Beeren brauchen Höhenluft, um prall und aromatisch zu reifen.

Der Mann an der Kasse wuchs als eines von elf Kindern auf einer Orosi-Kaffeeplantage auf; heute dominiert auch in Costa Rica die Zwei-Kind-Familie. Er erzählt von früher: Im De­zember­ endete sein Schuljahr und über Weihnachten pflückte er Be­hälter um Behälter – bezahlt wurde pro »Lata«, einer 12-kg-Schale – um sich die Schuluniform für das neue Jahr leisten zu können. Ob es ein gutes Leben war? Er nickt: »Sí, muy bonito.« Auf dem Höhenwanderweg der Plantage wird der Kaffee dank riesiger Installationen zur Kunst. Man lernt etwas über den Unterschied zwischen Arabica und Robusta sowie die verschiedenen Methoden der Röstung, die immer erst im Zielland stattfindet. 85 Prozent des costa-ricanischen Kaffees werden exportiert. Es gibt noch mehr zu lernen: entkoffeinierter Kaffee? Das überschüssige Koffein wird an Coca-Cola verkauft. Kaffee als Kosmetik? In den verschieden heißen Thermalquellen der Plantage garantiert eine Maske aus Kaffeesatz zarte Haut.

In Orosi besuchen wir Costa Ricas ältestes noch erhaltenes Gotteshaus. Im Inneren der 1743 im lateinamerikanischen Barock erbauten Iglesia San José laden die kühlen, dicken Wände, die roten Terrakottaböden und jahrhundertealte, auf Holz gemalte Altarbilder zum Verweilen ein. Kirche, Schule und Fußballplatz sind die Eckpfeiler der Gesellschaft in Costa Rica. Spieler wie Joel Campbell und Keylor Navas, die lange bei europäischen Vereinen spielten, befeuern den Ehrgeiz unzähliger Kinder, wenn die Schule­ am Nachmittag endet. Die Bildung ist bis zum Alter von achtzehn Jahren kostenlos. Der katholische Glaube schweißt das Volk nach wie vor zusammen: Die Pilgerroute zur kolonial-byzantinischen Basilika de Los Angeles in Cartago ist Anfang August am geschäftigsten. Ein Dutzend Priester nehmen im Akkord die Beichte ab, für die Tausende von Gläubigen geduldig Schlange stehen. Die letzten Meter zum Altar werden auf den Knien zurückgelegt: Ange­hörige stützen Alte und Gebrechliche am Ellbogen, die Orgel braust, Lautsprecher übertragen die Predigt und Köpfe sind in innigem Gebet gesenkt.

La Fortuna, das Städtchen am Fuß des Arenal-Vulkans, ist wie ein Überraschungsei: Der Sprung in die nach Schwefel duftenden Wasser des heißen Thermalflusses Río Chollín ist gratis, im Arenal-Nationalpark greifen erkaltete Lavaströme wie dunkle Finger in das Grün der Hänge und die lebhafte Stadt selbst lockt mit Restaurants und Geschäften. Aus gut siebzig Metern vulkanischer Höhe stürzt sich der La-Fortuna-Wasserfall im Herzen seines eigenen Reservats in die Tiefe. Sein Rauschen füllt die Morgenstille und Hunderte von Stufen führen hinunter in einen kühlen Grund. Handtellergroße Blaue Morphofalter taumeln, Schlingpflanzen verweben sich zu einem Vorhang und einige Schwalben­ erhaschen schwirrend die Tropfen der Gischt. Ein Regenbogen spannt sich über den grün wirbelnden Pool am schäumenden Fuß des Wasserfalls. Die Strömung ist stark, man kommt ihm nicht sehr nahe. Dafür lässt es sich gleich um die Ecke herrlich baden, umgeben von neugierigen Forellen. 

Der Wolkenwald von Monteverde ist die Heimat des seltenen Prachtquetzal-Vogels; die Federn seines in der Paarungszeit langen, bunten Schweifs schmückten einst auch mexikanische Gottheiten der Azteken und Maya. Wie fantastisch wäre es, ­einen zu sehen? »Very rare«, gibt der Führer zu bedenken, um die Erwartungen zu senken. Stattdessen spielt hier im Urwald die Symbiose zwischen Moosen, Lianen, Orchideen und Bäumen die Hauptrolle – bestens zu beobachten von den unzähligen Hängebrücken der Wipfelwanderungen und Zip-Line-Touren wie im »Treetopia« hoch über dem Regenwald. Am Nachmittag lädt ein Trail vor dem Hotel zu einem letzten Spaziergang ein. Tief in Gedanken, da raschelt es plötzlich im nahen Busch: Auf einem Zweig in Kniehöhe sitzt ein Prachtquetzal-Weibchen, die Federn leuchtend, die Augen dunkel, der Leib dick. Die Paarungszeit ist seit Wochen vorbei. Ein Rauschen, und sie fliegt den Wipfeln und ihrem Nest entgegen. Der Pakt ist geschlossen: »Very rare«. Sie und ihre Brut bleiben für uns ein Geheimnis.

»Mar Pacífico« – so benannte Magellan den Ozean nach seiner sturmfreien ersten Überfahrt. Doch jetzt rollen die Wellen mannshoch an die lange Pazifikküste in Puntarenas. Im Norden, auf der Nicoya-Halbinsel, kämpfen sich am Strand von Ostional grüne Galápagos-Schildkröten zwischen Februar und Mai aus den Fluten, um ihre tischtennisballgroßen Eier abzulegen. Der Ausflug an den stillen Nachtstrand ist gut organisiert – kleine Gruppen, kein störendes Licht und absolute Stille.

Bei Uvita, weiter im Süden, wartet das Meer mit einer Begegnung anderer Art auf: Zweimal im Jahr machen hier große Gruppen von Buckelwalen Halt. Sie paaren sich oder gebären ihre Jungen und mästen diese in dem seichten, warmen und nahrungsreichen Wasser für die lange Reise gen Nordpol. ­Garantiert ist nichts, doch nach dem Sichten von verspielten Delfinen öffnen sich die Wellen einmal mehr; der Atem stockt, als erst eine riesige Flosse und dann der elegante Bogen eines gelassen abtauchenden Rückens sichtbar werden. Der Walmutter­ – sie ist groß wie ein Omnibus! – folgt ihr verspieltes Kalb, das Pirouetten dreht. Salzwasser spritzt und der Kapitän lacht: »La Pura Vida«. Denn dies bedeutet in Costa Rica nicht nur pralle Lebensfreude, sondern auch: Willkommen! Natürlich! Kein Problem! Danke! Bitte! Ja! Und vielleicht auch: Schade! Oder: Macht nichts! Nein! Was es aber auch heißt, ist: Auf Wiedersehen! Kommt wieder! Und bis zum nächsten Mal!

Foto: Karibik-Feeling: Seine ungewöhnliche Topografie macht Costa Rica so einzigartig. Baden im Atlantik, im Pazifik oder in glasklaren vulkanischen Seen? Alles ist möglich: Pura Vida!

Mittelamerika in einfach

Costa Rica, zwischen Pazifik und ­Karibik, ist ein Paradies für Naturliebhaber. Erreichbar mit Direktflügen, empfiehlt sich eine Reisedauer von mindestens drei Wochen, um die Vielfalt zu erleben. Dank sicherer Straßen und guter Infrastruktur lässt sich das Land bequem auf eigene Faust mit dem Mietwagen erkunden.


TEXT: Ellen Alpsten

Cover Globetrotter Magazin 36 Fjällräven Polar
Dieser Beitrag ist Teil des

Globetrotter Magazin 36, Herbst/Winter 2025

Willkommen im Globetrotter Magazin #36! Wie immer vollgepackt mit großen Abenteuern, kleinen Abstechern und jeder Menge Know-how.
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