Unterwegs auf zwei Rädern

Tour de Croissant

Die zwei Grafikerinnen des Globetrotter Magazins, Susanne und Antonia, machen sich auf zu ihrer ersten Bikepackingtour. Wie es sich gehört, soll es gleich ein Grenzgang werden – nach Frankreich nämlich. Vier Tage nur mit Zelt, Rad und Schlafsack.

Unterwegs auf zwei Rädern

Tour de Croissant

Die zwei Grafikerinnen des Globetrotter Magazins, Susanne und Antonia, machen sich auf zu ihrer ersten Bikepackingtour. Wie es sich gehört, soll es gleich ein Grenzgang werden – nach Frankreich nämlich. Vier Tage nur mit Zelt, Rad und Schlafsack.

5 Tage zuvor

»Arschraketen haben wir genug«, höre ich Susanne durchs Büro rufen. Wenigstens eine Antwort auf die tausend Fragen, die gerade durch meinen Kopf schwirren. Wie bekommen wir Zelt, zwei Schlafsäcke, zwei Matten, einen Kocher und all unser Equipment an unsere zwei Mini-Räder? Und überhaupt: Wie ist der Plan, brauchen wir überhaupt einen Plan?

Einziger Fixpunkt unserer bevorstehenden Bikepackingtour bisher: Wir wollen raus aus Deutschland, von Augsburg aus einmal irgendwo über die Grenze. Im Süden: zu viele Berge. Im Norden ist die Grenze für unsere vier Tage Zeit zu weit weg. Also: Pierogis im Osten oder Croissant in Frankreich? Pas une décision difficile, Frankreich wir kommen.

Bikepacking Portrait
Portrait Wissembourg

Antonia

… freut sich nach Bürotagen vorm Computer auf ausgedehnte Feierabendrunden – am liebsten mit Spezi am Badesee. Und seit dieser Tour auch aufs nächste Bikepacking Abenteuer.

Susanne

… fährt Fahrrad seit sie drei ist – und das ausschließlich. Statt Auto pendelt sie mit ihrem Gravelbike beachtliche Strecken zwischen bayrisch-schwäbischen Kuhdörfern und der Fuggerstadt Augsburg.

Susanne

… fährt Fahrrad seit sie drei ist – und das ausschließlich. Statt Auto pendelt sie mit ihrem Gravelbike beachtliche Strecken zwischen bayrisch-schwäbischen Kuhdörfern und der Fuggerstadt Augsburg.

Antonia

… freut sich seit letzem Jahr nach Bürotagen vorm Computer auf ausgedehnte Feierabendrunden – am liebsten mit Spezi und Pommes am Badesee. Und seit dieser Tour auch aufs nächste Bikepacking Abenteuer.

Tag 1: 8:05 Uhr, Augsburg

Mein Wecker klingelt um sechs Uhr morgens. Vier Stunden Schlaf, optimale Voraussetzungen sehen anders aus. Das erste Etappenziel: Blaubeuren. 102 Kilometer, 500 Höhenmeter. Easy. Ich trage mein Fahrrad den kleinen Hausflur herunter – viel zu schwer. Unten wartet Susanne und ich bin jetzt schon außer Puste.

Bikepacking Augsburg

Foto: Michael Neumann

Foto: Michael Neumann

Die Euphorie treibt uns aus der Stadt. Fünfundzwanziger Schnitt, wir rollen und rollen, die Ortsnamen werden fremder und unsere Laune immer besser.

Der erste Anstieg ruft uns schnell unsere körperlichen Grenzen in Erinnerung. Wir werden immer langsamer und kommen trotzdem oben an. Juhu! Schnitte sind uns ab jetzt egal. Ankommen ist das neue Ziel.

  • Ulm Fischerviertel
  • Ulm Fischerviertel
    Kein Tourhighlight wird ausgelassen: Das Fischerviertel in Ulm ist definitiv einen Stopp wert.
  • Ulm Fischerviertel

Wir feiern unsere Spontanität, stärken uns in Ulm mit Pfirsichen vom Straßenstand (Hallo Urlaubsfeeling!), und freuen uns, dass die einzigen zu treffenden Entscheidungen, die über das Abbiegen nach rechts oder links sind.

Ulm
Top frisch sind am ersten Tag zum Glück nicht nur die Pfirsiche. Die Dusche werden wir erst abends vermissen.

Foto: Nico Bhlr

Nur die Frage nach unserem Schlafplatz für heute Nacht beschäftigt uns mehr als erwartet. 
Der Plan auch hier mal wieder kein Plan. Irgendjemand wird uns schon im Garten zelten lassen, oder?

Mit unserem freundlichsten Lächeln fragen wir nach, und siehe da: Es ergeben sich gleich mehrere Möglichkeiten. Ein großer Gemeinschaftsgarten mit wohnlichem Tippi und inklusive sehr zuvorkommendem Hippi oder der ehemalige Klostergarten von Blaubeuren.

Wie immer bei Immobilienentscheidungen: Lage ist alles! Wir entscheiden uns für den Klostergarten, zentraler und charmanter geht es nicht. Und unser eigenes Zelt klemmt ja auch zwischen meinem Lenker.

Bikepacking Zelt Blaubeuren
Wer fragt gewinnt: Einen besseren Schlafplatz hätten wir uns für unsere erste Nacht im Zelt nicht wünschen können.
  • Bikepacking Zelt Schlafsack
  • Blaubeuren
  • Blaubeuren
Tag 2: 7:30 Uhr, Blaubeuren

Ganz ehrlich: Der Garten ist schön, eine Campingnacht aber trotzdem kein Hotelbett. Die strahlende Sonne und das morgendliche Vogelgezwitscher lassen uns dafür die Müdigkeit schnell vergessen.

Zum Frühstück teilen wir uns die letzten Reste Kässpatzen von gestern. Sicher ist sicher, das Höhenprofil heute flößt uns nämlich ordentlich Respekt ein.

Auf einen Cappuccino in der pittoresken Altstadt Blaubeurens folgt der obligatorische Abstecher zum Blautopf. Das blaue Wasser der berühmten Karstquelle wirkt heute etwas blass. Unsere Beine dagegen fühlen sich erstaunlich gut an. Wir sind bereit für Tag zwei. Los gehts!

Blaubeuren

Durch den Wald kämpfen wir uns auf die schwäbische Alb hinauf. Langsam wird’s meditativ. Ich erinnere mich, dass jeder Tritt einer weniger ist, und bin darüber schon fast traurig.

Oben angekommen die Ernüchterung: Mein Umwerfer vorne wirft nicht mehr um. Den restlichen Tag im kleinen Gang weiterzufahren, ist aber keine Option. 300 Meter weiter ist ein Radladen (halleluja!) – leider im Urlaub.

  • Heroldstatt
  • Heroldstatt
    Minitool raus und selber machen? keine Chance. Mein Radwissen endet beim Schlauchwechsel.
  • Rädleswerkstatt Bohnaker

Die nächste Werkstatt wartet acht Kilometer weiter, macht aber leider erst am Nachmittag auf. Also versüßen wir uns die Zeit mit selbst gebrühtem Kaffee und Kuchen vom Bäcker – und verdrängen erfolgreich, dass wir heute noch 70 Kilometer bis nach Tübingen fahren wollen.

Frisch gebrühter Kaffee und Wimperntusche: Ein bisschen Luxus darf auch beim Bikepacken nicht fehlen.

Uli, unser Radretter, hat das Problem mit ein paar geübten Handgriffen schnell behoben. Freudig erkundigt er sich nach unseren Plänen und spickt unsere weitere Route mit einigen Insidertipps und Abkürzungen. Und tadaa: Den Rest des Tages verläuft der Weg fast nur noch bergab.

  • Rädleswerkstatt Bohnaker
  • Rädleswerkstatt Bohnaker
  • Rädleswerkstatt Bohnaker

Mit der neu eingestellten Schaltung schweben wir förmlich über die schwäbische Alb. Viel zu spät und mit großem Loch im Bauch kommen wir in Tübingen an. Jetzt ist Selfcare angesagt. Wir freuen uns über Pizza und gönnen uns den Luxus eines Campingplatzes.

Schwäbische Alb
Tübingen Altstadt
  • Neckarcamping Tübingen
    Hallo? Im Dunkeln kommen wir auf dem Campingplatz in Tübingen an und gesellen uns zu den vielen Neckar-Radreisenden auf die Zeltwiese.
  • Neckarcamping Tübingen
  • Neckarcamping Tübingen
Tag 3: 10 Uhr, kurz hinter Tübingen

Ich schnaufe wie ein Nilpferd und werde oben am Berg jubelnd und pfeifend von Waldarbeitern empfangen. Was mich sonst mindestens genervt hätte, ist mir heute herzlich egal. Es herrscht eine herrliche Entspanntheit in meinem Kopf.

  • Naturpark Schönbuch
  • Bikepacking Portrait
  • Naturpark Schönbuch
    Tag drei empfängt uns mit freudigem Auf und Ab durch den Naturpark Schönbuch.

Ich freue mich richtig auf den kommenden Tag und hoffe inständig, dass nach dem Pannenpech gestern das Radglück heute auf unserer Seite ist. Und ob: Wir radeln durch gelbe Felder voller Sonnenblumen, lauschen dem Schotter unter unseren Reifen, schwitzen in der prallen Sonne und finden dann wieder Abkühlung im schönen Würmtal. Auf kleinen Radwegen schlängeln wir uns dem Fluss entlang. Quel paradis.

  • Würmtalradweg
  • Würmtalradweg
  • Würmtalradweg
  • Würmtalradweg
    Gegen drohenden hunger und für die Stimmung werden unsere Riegel stets fair geteilt.
  • Würmtalradweg
  • Würmtalradweg
    Ihren Ursprung hat die Würm im Starnberger See und fliesst dann bis in die Amper. Von Tübingen bis Pforzheim begleiten wir sie auf dem tollen Würmtal-Radweg.

Erst Pforzheim holt uns wieder in die Realität zurück – und wie. Mit einem Einkauf im City-Penny stillen wir unseren Hunger, die nächste urbane Kante ist unser Dinnertable. Vielleicht ist es genau das, was ich am Radfahren so mag: Man ist langsam genug, alles wahrzunehmen, und schnell genug, die verschiedensten Welten zu durchkreuzen.

Die Aussicht, die Rheinebene zu erreichen, lässt uns die nördlichsten Ausläufer des Schwarzwalds schnell überwinden. Ist es das Training der letzten Tage? Oder schlicht die Gewohnheit? Heute habe ich das Gefühl, als könnte ich für immer weiter fahren.

Erst der Rhein lässt uns naturgegeben stoppen und uns einen Platz für die Nacht suchen.

Der 5-Euro Handyhalter hat es leider nicht bis zum Rhein geschafft – da hilft nur tapen. Merke: gute Ausrüstung lohnt sich.

Wieder haben wir Glück und dürfen unser Zelt direkt am Ufer aufschlagen. Der Campaufbau geht diesmal schon viel schneller. Im Nu steht das Zelt, routiniert füllen wir unsere zwei Matten mit Luft und entpacken unsere Schlafsäcke.

Dass die Mücken uns dabei fast auffressen, ist uns egal. Dass wir am Kiosk kein Essen mehr bekommen auch. Wir beobachten die Frachter, die langsam an uns vorbeiziehen, lassen uns von ihrer Trägheit anstecken. Waschen uns im Rhein und haben wirklich das Gefühl, sauberer zu sein.

Bikepacking Zelt Rhein
  • Bikepacking Drybag
  • Rheinkiosk Seyfert
  • Rheinkiosk Seyfert
  • Rheinkiosk Seyfert
  • Bikepacking Zelt Rhein
Tag 4: 7 Uhr, am Rheinufer bei Neuburgweiher

Ich beiße in das zerknautschte Milchbrötchen, das wir uns gestern als Frühstück eingepackt haben. Der Geschmack: unverwechselbar nichtsagend. Wie passend zu diesem wolkenverhangenen Grenzort. Vor uns der Rhein, dahinter, schon in Sichtweite Frankreich. In meinem Kopf deutlich bunter und aufregender, als es dieser graue Morgen erwarten lässt. Wir fahren auf die Fähre und genießen das Gefühl von Aufbruch, auch wenn es nur 20 Meter übers Wasser sind.

Frankreich wir kommen!

Rheinfähre Neuburgweier
  • Rheinfähre Neuburgweier
  • Rheinfähre Neuburgweier
  • Rheinfähre Neuburgweier

Während wir gegen den Wind kämpfen, ist meine Laune im Keller. Stur blicke ich nach unten. Einzig der Smiley auf meiner Trinkflasche lächelt mir zu, jeder Tritt einer weniger … Darüber bin ich gerade mehr als froh. Bald bestimmen Weinreben das Landschaftsbild und pittoreske Fachwerkhäuser säumen die Straßen. Am Horizont zeichnen sich die Pfälzer Berge ab. Wie gut, dass unser Ziel Wissembourg davor in der Ebene liegt.

»Bonjour, je voudrais deux croissants s’il vous plait.« Die Dame hinter der Theke der Boulangerie reicht mir die Tüte. Dass sie mir auf französisch antwortet, verbuche ich als zweitgrößten Erfolg heute. Der Größte: Wir haben es geschafft! 350 Kilometer quer durch den Süden Deutschlands liegen hinter uns. Müde, glücklich und stolz verbringen wir den Vormittag zwischen Geranien und Fachwerkhäusern.


Wissembourg
Auf der Zielgeraden: Die nächste Boulangerie ist gleich rechts um die Ecke.

Unsere persönliche Ziellinie, die Türschwelle zur Boulangerie.

Da ist es: Das echt französische Croissant.

Unser Fazit: Das perfekte Croissant haben wir nicht gefunden, zu wenig Butter für unseren Geschmack. Liegt vielleicht auch an dem Kaloriendefizit, was langsam aber sicher unsere Körper beherrscht. Aber ehrlich, wer braucht schon das perfekte Ziel, wenn der Weg dorthin … Ihr wisst schon. Und die Pierogis im Osten warten ja auch noch auf uns.


TEXT: Antonia Kern

FOTOS: Susanne Mader, Antonia Kern