Vietnam »by fair means«

Backpacking Vietnam

Auf dem Landweg durch Vietnam, ohne Flug – das war das Ziel von Gina und Philip. Bei ihrem Backpacking-Trip im vergangenen Winter haben sie die südostasiatischer Improvisation genauso kennengelernt wie echte Gastfreundschaft.


TEXT & FOTOS: Philip Raillon

Glucksend und ratternd springt der Motor unseres weißen Miet-Rollers an. Wir fahren über eine breite, aber kurvige Bergstraße. Wir sind in Sapa. Die Stadt zieht Reisende aus der ganzen Welt an. Vor allem wegen Reisterrassen, die in einem steilen Tal liegen, im Schatten des höchsten Berg Vietnams, dem Fansipan. Die Region ist bekannt für indigene Dörfer, durch die Einheimische Wandergruppen führen. Bei den Reiseagenturen klingt das romantisch und aufregend. Schon bei der Ankunft begrüßten uns Frauen mit »Hiking-Tour? Hiking-Tour?«. Wir lehnten ab und merkten bald: eine gute Entscheidung. Die Touren wirken oft unpersönlich, die Routen stark frequentiert. Wir wandern lieber mit einer digitalen Karte auf eigene Faust durchs Tal.

In der »Postkutsche« nach Mu Cang Chai

Am nächsten Morgen steigen wir in einen Bus für die Weiterfahrt. Wir wollen nach Mu Cang Chai fahren. Von der Region etwas südlich von Sapa erhoffen wir uns ebenso schöne Reisterrassen, aber weniger Touristen. In dem »Local-Bus« stapeln sich Pakete, Taschen mit Kleidern und Lebensmittelkisten. Die Frau des Fahrers räumt uns zwei Sitze frei. Sie ist zugleich Beifahrerin, Organisatorin und gute Seele des Busses. Unter unseren Füßen liegen große Reissäcke. Bequem ist das nicht.

Die drei einheimischen Fahrgäste nicken freundlich. »Ist das der Bus nach Mu Cang Chai?«, fragen wir auf Englisch. Alle schauen uns mit großen Augen an. Niemand spricht Englisch. Es zeigt, was wir oft in Vietnam erleben: Das Land ist gut zu bereisen, aber wer wirklich auf eigene Faust unterwegs sein will, muss sich etwas strecken und braucht Hände und Füße.

Wir rufen unsere nächste Unterkunft an. Dort spricht jemand Englisch und erklärt dem Busfahrer-Ehepaar, wo wir hin wollen und aussteigen sollen. Das wüssten wir auch gern, denn feste Haltestellen gibt es nicht. Der Bus folgt einer festen Route und hält, wenn jemand aus- oder einsteigen möchte. Doch bevor wir fragen können, legen sie auf und geben uns freundlich nickend das Handy zurück. Naja, wird schon klappen.

Kurz darauf legt die Busfahrer-Frau eine Plastiktüte vor mich. Darin erkenne ich rohes Fleisch, ungekühlt. Wenige Minuten später hält der Bus, die Tüte wird herausgereicht und gegen einige Geldscheine getauscht. Uns wird klar: Dieser Bus ist eine moderne Postkutsche. An die 50 Mal halten wir auf der 160 Kilometer langen Strecke, um Waren ein- und aufzuladen. Auch Passagiere steigen ein und aus. Die Fahrt dauert über sechs Stunden.

Endlich kommen wir in Mu Cang Chai an. Es dämmert bereits. Der Bus hält an einem Homestay an der Landstraße. Unsere Unterkunft liegt aber auf dem Berg, eine halbe Stunde von der Bushaltestelle entfernt. Zwei Familienmitglieder bringen uns auf Rollern über schmale Betonwege hinauf. Zum Essen sitzen wir mit ihnen in einem großen Raum, dem Familienwohnzimmer. Es gibt Reis mit Fleisch und Soße, dazu Bananen aus dem Garten. Englisch spricht hier niemand, also arbeiten wir mit Google-Translator. Einer der Gastgeber zeigt uns das Zimmer in einer einfachen Bambushütte. Der Wind zieht durch die Wände. Gegen die Kälte in den Bergen wärmen uns aber später dicke Decken auf der harten Matratze. Am nächsten Tag führt uns der Gastgeber gegen Bezahlung durch die Berge. Wir haben einen tollen Fernblick auf die Reisterrassen. Weit und breit sehen wir keine anderen Touristen. Ein besonderes Erlebnis, für das sich die lange Busfahrt gelohnt hat.

Im Nachtbus von Ninh Binh nach Phong Nha

Das Backpacken auf eigene Faust bringt Flexibilität, aber auch Herausforderungen. Das merken wir bei der Etappe von Ninh Binh nach Phong Nha. Wir fahren im Nachtbus. Kurz entschlossen buchen wir Tickets für denselben Abend und landen in der hintersten Kabine mit drei Liegesitzen. Sie ist eng und stickig. Wir teilen sie uns mit einem weiteren Passagier. Der Bus fährt bedrohlich schnell durch die Nacht. Wenn jetzt was passiert, wäre das fatal. Wir sind auch noch halb mit Gepäck zugebaut. In dieser Nacht kommen wir zwar ans Ziel, schlafen aber kaum.

Deutlich sicherer erscheint uns da der Zug. Weil wir Inlandsflüge vermeiden wollen, nehmen wir von Da Nang in der Mitte in die Hauptstadt Ho Chi Minh City den Nachtzug: 16 Stunden Fahrt. Dafür wollen wir uns etwas Luxus gönnen – ein Vierer-Abteil für uns allein. Nach mehreren Anrufen am Bahnhof und mit dem holprigem Englisch des Personals klappt die Buchung.

Zugfahren wie im Flug

Am Tag der Abreise bringt uns ein Taxi zum Bahnhof, das wir an einem Banh-Mi-Stand am Straßenrand organisiert haben. Banh Mi ist ein beliebter Snack in Vietnam: ein Baguette, belegt mit frischem Gemüse, verschiedenen Fleischsorten und Soße. In Hoi An finden wir ein besonders leckeres, vegetarisches Banh Mi. Der Preis: 40 Cent pro Baguette. Am Stand klebt eine Whatsapp-Nummer für ein »Taxi zum Bahnhof«. Wir schreiben die Nummer an und am nächsten Tag steht ein silbernes Privatfahrzeug bereit, das uns zum Zug bringt. Zu Hause würden wir uns nicht einfach von Fremden herumkutschieren lassen, in Vietnam ist das Alltag. Im Zug beziehen wir unser Vierer-Abteil. Reisfelder ziehen an uns vorbei, an den Bahnschranken warten zig Scooter-Fahrer. Die Strecke führt teils direkt am Meer entlang. Als wir Hunger bekommen, essen wir unseren Reiseproviant: Banh Mi zum Mitnehmen.

Abends krabbeln wir in unsere schmalen, aber bequemen Kojen und werden in den Schlaf geschaukelt. So vergehen auch 16 Stunden Zugfahrt quasi wie im Flug. Um 7 Uhr am nächsten Morgen steigen wir in Ho Chi Minh aus – eine Stadt voller Menschen und Verkehr.

Gestrandet in Ha Tien und eine unerwartete Hochzeitsfeier

Während unserer Reise treffen wir immer wieder Backpacker, die Vietnam als unfreundlich, teils geldgierig empfanden. Wir nehmen das Land anders wahr. Zum Beispiel in Ha Tien im Süden, wo wir auf die Insel Phu Quoc übersetzen wollen. Als wir am Hafen ankommen, weht starker Wind. Die ersten Schiffverbindungen des Tages sind abgesagt, eventuell fährt im Laufe des Tages noch eine Autofähre. Die nächsten Stunden pendeln wir zwischen dem einzigen Cafe und dem Fährableger. Mehrfach wird die Abfahrt verschoben. Jedes Mal gehen wir gefrustet zurück ins Cafe. Dort gibt es nur wenig zu essen, vor allem nichts Herzhaftes. Doch der Betreiber kennt einen Imbiss. Kurzerhand schnappt er sich Helm und Moped und fährt Gina hin. Für ihn ist das eine nette Geste. Geld als Dankeschön oder später Trinkgeld lehnt er vehement ab.

Als am Abend noch immer kein Schiff fährt, werden wir mit den Einheimischen am Fährschalter zur Schicksalsgemeinschaft. Nächste mögliche Abfahrt: morgen früh, vielleicht. Die Einheimischen versuchen in der Ticketschlange möglichst weit nach vorne zu kommen – wir ebenso. Gleichzeitig übersetzen sie für uns, ihre Konkurrenten um die Pole Position. Die Nacht verbringen wir im letzten günstigen Hotel in Hafennähe. Es ist eines der schlechtesten auf der Reise.

Im Zimmer finden wir erst Mäusekot, dann einen Frosch. Einen Reisetag haben wir mit Warten verloren, am Fährableger von Ha Tien – das auch sonst keine schöne Stadt ist. Und doch hält der Abend noch etwas Besonderes bereit: Es schallt extrem laute Musik durch die Straßen. Wir folgen ihr und landen bei einer Hochzeit. Die Gäste feiern in Pavillons am Straßenrand und singen Karaoke. Plötzlich werden wir zu einem der Tische gewunken. Hochzeitsgäste geben uns Bier aus – mit Eiswürfeln im Glas. Keiner spricht Englisch. Auch andere Touristen werden an den Tisch gelotst, die Hochzeitsgäste machen Selfies mit uns und bedanken sich per Handy-Übersetzung für unseren Besuch. Etwas perplex stoßen wir mit ihnen an: Auf das Hochzeitspaar!

Solche Begegnungen bleiben in Erinnerung. Sie stehen neben denen an die Landschaft Vietnams, der eigentliche Grund für unseren Besuch. Leider werden die Landschaftsbilder oft von Umweltverschmutzung und Massentourismus getrübt.

Übrigens: Wie es auf der Insel Phu Quoc ist, wissen wir nicht. Die Fähre fährt am nächsten Morgen noch immer nicht. Spontan entscheiden wir uns zur Weiterreise nach Kambodscha – kurzfristig organisiert von einem Mann, den wir am Fährschalter getroffen haben …

How to Vietnam

Internet

WLAN gibt es quasi überall, trotzdem kann eine funktionierende SIM-Karte sinnvoll sein. Die Touristen-SIM-Karten gibt es  überall, sind aber teurer. Wer nachfragt, bekommt die Günstigeren für Einheimische. Infos des Anbieters sind dann aber auf vietnamesisch. Plan B ist eine E-Sim.

Vorsicht beim Essen

Einige der kulinarischen Klassiker in Vietnam beinhalten ungekochtes Essen, etwa Bun Cha mit Salat und frischen Kräutern. Die können mit Nicht-Trinkwasser gewaschen sein, was für europäische Mägen oft nicht gut ist. Das ist teils auch in Restaurants so. Also: Vorsicht!

Reisegepäck

Mit dem Koffer kommt man in Vietnam allenfalls mit Reisegruppen gut voran – es gibt oft keinen oder keinen freien Bürgersteig. Daher ist für Alleinreisende ein Rucksack hilfreich.

Mücken

In Vietnam gibt es viele Mücken, die teils sehr unschöne Krankheiten übertragen, wie Dengue-Fieber. Ein gutes Mückenspray ist Pflicht und auch ein Moskitonetz kann helfen. Viele Hotels halten überraschenderweise keins vor – vor allem, wenn sie eine Klimaanlage haben, die aber nicht immer was gegen Mücken bringt.

Fortbewegung

In Vietnam kommt man gut von A nach B. Viele kleine Reisebüros bieten aber Gruppenpakete als Tagesausflüge an. Wer auf eigene Faust weiter will, muss nachfragen. Man kann in den Agenturen, am Schalter direkt an den Überland-Bushaltestellen oder im Netz über 12go.asia buchen. Es gibt Sitz-, Liegesitz- und VIP-Liege-Busse. Letztere sind teurer, aber deutlich komfortabler.

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