Auf der Suche nach endlosem Tageslicht

Vom südlichsten Punkt Norwegens in den hohen Norden: Wir passen unseren Rhythmus der Mitternachtssonne an. Ein bildgewaltiger Erlebnisbericht.

Text: Julia Unkrig | Fotos: Julia Unkrig, Nando Kuschel

Norwegen, dieses Land will uns einfach nicht aus dem Kopf gehen. So viel gibt es zu entdecken, und so wenig haben wir bisher davon gesehen. Skandinavien hat uns in seinen Bann gezogen, und wir sind sicher, dass wir neben dem Naturphänomen der Polarlichter auch noch erleben müssen, wie es ist, wenn die Sonne nicht mehr untergeht. Wir begeben uns auf die Suche nach der Mitternachtssonne. Dieses Mal soll es von Dänemark mit der Fähre direkt nach Norwegen gehen, denn bisher haben wir den Süden des Landes noch nicht bereisen können.

Wir, das sind Nando vom Instagram-Kanal @nando_kuschel und ich, Julia, vom Reiseblog www.boardshortslife.com, und gemeinsam reisen und leben wir seit Oktober 2018 in unserem selbst ausgebauten Mercedes Sprinter. Mit unserem Campervan wollen wir vom südlichsten Punkt Norwegens bis nach Senja und auf die Lofoten im Norden Norwegens fahren.

Im Mai 2019 beginnt unsere Reise, die uns zunächst in die Hafenstadt Hirtshals nach Dänemark führt. Von hier aus bringt uns die Fähre in etwas mehr als zwei Stunden direkt nach Kristiansand in Norwegen. Es ist ein mulmiges Gefühl, auf den Sitzplätzen bei sieben Meter hohen Wellen und Sturm mit den anderen Passagieren durchgeschaukelt zu werden, während irgendwo unter uns unser Campervan steht. Mehr als einmal geht uns durch den Kopf, was da unten alles passieren könnte, doch als wir noch ganz wackelig auf den Beinen wieder zum Van kommen, hat dieser sich keinen Millimeter bewegt, und auch im Camper hat sich nichts verändert. Es ist bereits dunkel, als wir von der Fähre fahren und uns auf die E39 Richtung Lyngdal begeben wollen.

Mit unserem silbernen Kastenwagen scheinen wir jedoch dem Zoll aufzufallen, und so werden wir freundlich, aber bestimmt von den norwegischen Beamten in einen der Hangars gewinkt. Wir erzählen den Beamten, was wir vorhaben, und beantworten ein paar Fragen. Ein kurzer Blick ins Wohnmobil bestätigt unser Vorhaben, und anschließend wird sogar noch der Ausbau bestaunt. Die Beamten wüschen uns eine gute Reise und nicht einmal zehn Minuten später sind wir wieder auf der Straße, um das neue Abenteuer zu beginnen.

Wir lassen uns viel Zeit in Südnorwegen, denn das Wetter ist anfangs sehr durchwachsen, und einige Tagen verbringen wir fast ausschließlich im Van. Zuerst steuern wir Norwegens ältesten Leuchtturm an, der gleichzeitig den südlichsten Punkt markiert. Wir folgen der kleineren Küstenstraße 444 statt der E39 bis kurz vor Stavanger. Ab hier führt unser Weg wieder ins Landesinnere, denn wir wollen zum Preikestolen wandern und in der Nähe zelten.

Die Wanderung ist nicht sehr anspruchsvoll, aber mit dem Zelt, unseren Schlafsäcken, Kocher, Proviant und Kleidung auf dem Rücken werden wir das eine oder andere Mal von Wanderern oder Läufern überholt, die weitaus weniger Gepäck haben.

Der Abend am Preikestolen ist grandios, es sind kaum anderen Menschen da, denn die meisten wollen vor Einbruch der Dunkelheit wieder am Parkplatz sein. Wir zelten auf einem Plateau in der Nähe und wollen morgens ganz früh raus, um den Sonnenaufgang zu beobachten. Doch das Wetter in den Bergen ist unberechenbar, und am nächsten Morgen wachen wir in dichte Nebelschwaden gehüllt auf, die die Sicht auf wenige Meter beschränken. Auch nach dem ersten Kaffee und einem kleinen Frühstück ist die Sicht noch nicht besser und wir beschließen auch aufgrund der zunehmenden Touristenmassen, den Rückweg anzutreten. Was bleibt, ist die Erinnerung an den einsamen Sonnenuntergang beim Preikestolen, den wohl nur wenige so erleben können wie wir.

Die nächsten Tage sind verregnet und grau, aber zum Glück sind wir mit dem Campervan flexibel: Wenn es uns an einem Ort nicht gefällt, fahren wir einfach weiter. Die Küste im Süden Norwegens ist mit unzähligen Fjorden durchzogen, die immer wieder kurze Fährfahrten nötig machen. Diese müssen aber nicht im Voraus gebucht werden, man bezahlt die geringe Gebühr teilweise direkt auf dem Parkdeck und bleibt einfach im Auto oder im Van sitzen. Je mehr es regnet, desto grüner scheint die Landschaft um uns zu werden. Die Flüsse werden wilder, und hinter jeder Kurve tauchen Wasserfälle auf, die von Tag zu Tag mehr Wasser tosend in die Tiefe befördern. Ein Fjord ist schöner als der nächste, und jeder für sich ganz besonders. Wir machen einen Bogen um die Stadt Bergen über die Inlandsroute und machen Halt am Hardangerfjord, dem Nærøyfjord und fahren zum Geirangerfjord. Dazwischen nehmen wir immer wieder kleinere Straßen die von der Hauptstraße abzweigen, halten dort, wo es uns gefällt, gehen wandern, erkunden kleine Orte und genießen den norwegischen Sommer. Bevor wir ohne weitere Stopps auf die Lofoten fahren wollen, dürfen die berüchtigten Straßen Trollstigen und die Atlantikstraße auf dieser Reise nicht fehlen.

Hunderte Kilometer geht es auf der E6 weiter Richtung Norden, bis wir in Narvik wieder auf altbekannte Landschaften treffen. Im Sommer fühlt sich aber alles ganz neu an, und da war ja noch etwas, das so ganz ungewohnt ist: Die Sonne wird hier bis Mitte beziehungsweise Ende Juli, je nach Region, nicht mehr untergehen. Es ist ähnlich aufregend wie auf Polarlichter zu hoffen, wenn man beobachtet, wie die Sonne den Horizont nur noch streift und dann unbeirrt weiterzieht, als wäre es das Normalste auf der Welt.

Über dem Polarkreis treffen zwei Extreme und damit einhergehend unbeschreibliche Lichtschauspiele aufeinander: Es gibt Monate im Jahr, da geht die Sonne nicht mehr auf und es ist dunkel und dämmrig, und Monate, da findet man das unendliche Tageslicht, durchbricht den normalen Tagesrhythmus und möchte einfach nur draußen in der Natur sein und das goldene Licht einfangen.

Es fühlt sich an, als hätten wir alle Zeit der Welt, nicht nur weil es immer hell ist, sondern auch weil kein Schnee liegt und dadurch viele Wanderungen möglich sind, die wir im Winter nicht machen konnten. Um den anderen Touristen ein bisschen aus dem Weg zu gehen und mehr Ruhe zu finden, krempeln wir unseren ganzen Tagesablauf um. Wanderungen starten wir meist zwischen 18 und 20 Uhr und kommen erst nach Mitternacht zurück zum Van. „Frühstück“ gibt es dann meist nach 12 Uhr. Unser Tag beginnt eigentlich erst am Abend so richtig, denn das Licht der Mitternachtssonne ist mit nichts zu vergleichen. Dann, wenn die Sonne kurz über dem Horizont her huscht, wenn alles in Goldtöne getaucht ist und es nach 0 Uhr vollkommen still ist, können wir die Natur um uns herum am besten genießen.

Wir verbringen zwei Wochen auf den Lofoten und Vesterålen, bevor wir nach Senja aufbrechen, um uns dort mit Freunden zu treffen, die in einem Bulli reisen. Die Zeit scheint stillzustehen, die Mitternachtssonne auf Senja ist atemberaubend und wir genießen jeden Tag der intensiven Zeit. Abends und nachts geht es hoch auf die Berge der Insel, und tagsüber entspannen wir am Fjord oder springen in Bergseen, kochen gemeinsam, sitzen zu viert in unserem Van und backen Zimtschnecken im Omnia.

Eine Woche später treffen wir erneut auf den Lofoten zusammen, um gemeinsam zu wandern. Ein Ort, der mich immer wieder magisch anzieht, ist die Kvalvika-Bucht. Hier genießen wir die Mitternachtssonne, machen weit nach 0 Uhr Lagerfeuer und essen S’Mores. Während die Mitternachtssonne über dem Polarkreis scheint, sind Uhrzeiten nur noch Zahlen. Wir haben längst vergessen, dass es eigentlich nachts dunkel sein sollte, und wir träumen davon, wie es wäre, wenn auch zu Hause nie die Sonne untergehen würde. Uns stört es fast gar nicht mehr, dass es auch beim Schlafen heller ist als sonst, zu schön sind das Licht und die Atmosphäre, als dass man sich auch nur eine Sekunde wieder Dunkelheit wünschen würde.

Ein krönender Abschluss im Norden Norwegens

ist unsere Hüttenwanderung zur Trollfjordhytta, die absolut malerisch in eine Landschaft aus Bergketten und -seen eingebettet liegt. Zum Fuße des Wanderwegs gelangt man von Digermulen aus nur mit einem Boot, das unser norwegischer Bootsfahrer mit seinen Geschichten rund um die Region mit Leben füllt. Die Fahrt im kleinen Vier-Mann-Boot ist ein Abenteuer für sich. Als uns das Boot am Steg absetzt, besprechen wir erneut die Abholung für den nächsten Tag und sind dann allein zwischen den gigantischen Felswänden. Hier gibt es keinen Empfang, keine Straßen, nur die Natur und uns und einen Freund, der uns auf die Wanderung eingeladen hat. Etwa anderthalb Stunden trennen uns von der im Voraus gebuchten Berghütte, die auf 405 Höhenmetern liegt. Die Holzhütte bietet Platz für sechs Personen, doch wir haben sie abends ganz für uns allein. Von einem nahegelegen Berggipfel aus kann man hier die Hurtigruten-Schiffe bei dem gewagten Wendemanöver im engen Trollfjord beobachten. Das Wetter ist perfekt, wir bestaunen das von hier oben lautlos durch den Fjord gleitende Schiff, und abends gibt es warmes Essen, das wir in der Hütte zubereiten.

Wir machen uns auf den Rückweg durch Südnorwegen und sind immer noch ganz überwältigt von allen Erfahrungen, die wir hier machen durften. Jetzt haben wir Zeit, unseren Tagesrhythmus wieder zu normalisieren, denn südlich des Polarkreises wird es schneller, als uns lieb ist, wieder dunkel. Nach fast zwei Monaten im hohen Norden waren nächtliche Wanderungen beinahe zur Normalität geworden, aber wir wissen auch die Sonnenauf- und Untergänge im Süden Norwegens zu schätzen. Bevor es endgültig mit der Fähre zurück nach Dänemark geht, steht noch eine Hüttenwanderung in der Hardanger-Region an, die wir wieder zu dritt machen. Hoch oben über dem Fjord, umgeben von Seen, Bergen und Schafen, lassen wir unsere Reise im Kerzenschein Revue passieren. Wir sind erneut um so viele Erfahrungen und Eindrücke reicher geworden, haben erlebt, was es heißt, wenn es nicht mehr dunkel wird, und haben uns bei so mancher Wanderung fast ein bisschen an unsere Hüttentouren in Neuseeland erinnert gefühlt.

Egal ob zur Mitternachtssonne oder um die Nordlichter zu sehen, und egal ob Süd- oder Nordnorwegen, dieses Land ist unfassbar abwechslungsreich und abenteuerlich und immer eine Reise wert. Wir können uns jedenfalls gar nicht entscheiden, welche Region die schönste ist, aber unser Herz haben wir an die Lofoten verloren, und es wird nicht die letzte Reise zum Polarkreis gewesen sein, so viel ist sicher. ///


Julia und Nando im Interview

Wenn du die beiden Globetrotter noch etwas näher kennenlernen möchtest: In der ersten Folge unserer Interview-Reihe zum Thema Vanlife haben wir Julia und Nando in Wuppertal besucht.


Text: Julia Unkrig
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