Auf den Flüssen Albaniens

Zwei Wochen Packraften durch die Stromschnellen der Vjosa

Für euch – von euch. Ein Abenteuerbericht aus der Globetrotter-Community – von Willi Zowalla

Mit noch verquollenen Augen liege ich halb zugedeckt im Schlafsack. Es ist jetzt schon so warm, dass ich kaum noch länger liegen bleiben kann. Mein Bett, ein umgedrehtes aufblasbares Boot, knarzt laut unter meinen Bemühungen dem einzelnen Sonnenstrahl zu entfliehen, der meinen gemütlichen Schlafsack inzwischen zu einer hocheffektiven Heizdecke gemacht hat. Noch etwas unkoordiniert greife ich an meinen wasserdichten Rucksack, um nach meiner Basecap zu suchen. Etwas kommt mir komisch vor. Dort außen am Rucksack, wo ich sonst mein Paddel zum Transport befestige, hängt nun eine Schlange. Noch gefangen zwischen Traum und Realität brauche ich einen kleinen Moment, um die Situation zu begreifen. Doch dann erinnere ich mich: Ich bin in Albanien auf einer Packrafting-Tour im Osum-Canyon. Es ist Tag sechs und wir haben die Vjosa bereits hinter uns gelassen, bevor wir mit einem fremden Albaner in einem klapprigen Geländewagen mit einem Beutel Hühnerherzen auf der Rückbank, eine aufregende Passstraße zum Osum-Canyon fuhren. Alex, der ebenfalls in der glücklichen Lage ist seinen Urlaub in einem Gummiboot zu verbringen, wird von meinem Gewühle wach. Die ungiftige Würfelnatter an meinem Rucksack wird nur eine von vielen Kuriositäten sein, die Albanien uns auf unserer zehntägigen Reise präsentiert. 

Von der Aoos-Schlucht führt unsere Reise flussabwärts.

Was ist Packrafting?

Packrafts sind sehr leichte und klein verpackbare aufblasbare Schlauchboote, die in der Regel gerade einmal zwei bis vier Kilogramm auf die Waage bringen. Zusammengerollt sind die Boote so kompakt und leicht, dass sie problemlos im Rucksack transportiert werden können, dennoch so stabil, dass sie einem auch das Paddeln im Wildwasser ermöglichen. Dabei eignet sich ein Packraft ideal, um Wandern und Paddeln zu kombinieren: Ich kann einfach mit dem Boot im Rucksack zum Fluss laufen und bin nicht auf die Logistik eines Autos angewiesen. Aufgrund der Vielseitigkeit eignen sich diese Boote auch perfekt für Paddel-Expeditionen in unerschlossenen Gebieten. Der Rest des Equipments ist idealerweise ebenfalls möglichst kompakt und leicht. Das Paddel ist vierteilig und passt ideal in den (wasserdichten) Rucksack. Wer im Wildwasser paddelt, benötigt zusätzlich noch entsprechende Sicherheitsausrüstung in Form einer geeigneten Schwimmweste, einen Helm und einen Wurfsack. 

Startpunkt: Konitsa, Griechenland

Wir befinden uns zum Beginn unserer Reise in Konitsa, einem beschaulichen geschichtsträchtigen Ort im Nord-Westen Griechenlands nahe der albanischen Grenze. Hier tritt die Vjosa, die uns auf unserer Reise über 100km durch Albanien tragen wird, aus der mächtigen Aoos-Schlucht. Bereits hier empfängt uns der Fluss mit einem gewaltigen Panorama und einem großen Wasserfall, aus dem wir Trinkwasser für den kommenden Tag filtern. Wir decken uns in einem kleinen Laden mit den nötigsten Vorräten ein, in dem Wissen, dass die Zivilisation uns auf unserer Tour in planbarer Regelmäßigkeit begegnet. Die Sonne scheint bereits jetzt erbarmungslos vom wolkenlosen Himmel, es sind 37 Grad, die Durchschnittstemperatur der nächsten zehn Tage. Der Juli ist in diesem Jahr besonders warm und die Hitze wird neben den reißenden Stromschnellen der Vjosa zur eigentlichen Herausforderung.

Noch im Schatten bauen wir die Boote auf, verstauen unser Gepäck in wasserdichten Rucksäcken und genießen die ersten Paddelschläge auf dem noch wenig anspruchsvollen Fluss. Die Vjosa schlängelt sich hier noch durch ein flaches Kiesbett, wir setzen immer wieder auf und müssen treideln. Der erste Tag verfliegt wie im Flug, irgendwo im Kies zwischen den verzweigten Armen des breiten Flusstales bauen wir unser Zelt auf und finden schnell in den Schlaf.

Unser Schlafplatz in der ersten Nacht.

Zu unserem Glück ändert sich der Charakter der Vjosa mit jedem Kilometer, den wir auf ihr zurücklegen. Aus dem erst noch kleinen flachen Flüsschen wird spätestens mit der Einmündung des glasklaren und eiskalten Voidomatis ein ernst zu nehmender Fluss mit ersten Stromschnellen. Aus dem recht kargen Kiesbett wird ein enges, satt grünes Flusstal voller Vegetation, Vögeln und Schmetterlingen. Die Schönheit des Flusses beeindruckt uns und wir freuen uns auf unseren Proviant im Schatten der Bäume. Aufgrund der Nähe zur Zivilisation erlauben wir uns regelmäßig frische Lebensmittel aufzufüllen. Doch von dieser Nähe ist in diesem Moment nicht viel zu spüren. Wir genießen die Ruhe und die lebhafte Natur um uns herum. 

Wir genießen die immer stiller werdende Umgebung.

Die Vjosa – Der erste Wildfluss-Nationalpark Europas

Auch in den nächsten Tagen wird die Vjosa mit jeder der zahlreichen Zuflüsse und Quellen ihr Gesicht verändern. Je näher wir unserem Zielort Tepelena in Albanien kommen, desto reißender werden die Stromschnellen des türkisblauen Flusses. Recht schnell erreichen einzelne Stromschnellen den Schwierigkeitsgrad III. Nach umsichtigem Scouting fahren wir jede der uns begegnenden Rapids ohne Probleme, teils auch mehrfach, mal mit und mal ohne Gepäck auf unseren Booten. Wir werden nass im spritzenden Wasser, surfen in den Wellen, und springen in den teils ruhigen Abschnitten auch mal ins Wasser. Das kühle Nass wird zu unserem besten Freund auf der ganzen Tour und die stärkste Waffe im Kampf gegen die sengende Hitze des Tages.

Das Fahren auf dem Wildwasser der Vjosa erfordert Technik und Skill.

Bei all der Freude gilt es jedoch auch die Gefahren des Wassers nicht zu unterschätzen. Die Vjosa fließt schnell, die Rapids sind teilweise wuchtig und durch viele größere Steine und Felsen auch technisch anspruchsvoll zu fahren. Dazu kommt die stellenweise stark unterspülte Uferstruktur, die in starker Strömung bei Unachtsamkeit zu einer gefährlichen Falle werden kann. Für Kajaker ist die Vjosa ein richtiges Paradies, das bis vor Kurzem noch in seiner Existenz bedroht war. Große Energiekonzerne planten den Bau von zahlreichen Wasserkraftwerken – dies wäre das Ende des natürlichen Flusslaufes und der riesigen Biodiversität des Vjosa-Tals gewesen. Glücklicherweise gelang es der Initiative „Save the blue heart of Europe“ den Bau der Staudämme zu verhindern und die Vjosa zum ersten Wildfluss-Nationalpark Europas erklären zu lassen. Ein riesiger Erfolg in einer Region die zunehmend vom Ökotourismus lebt.

Auch im Vjosa-Tal hinterlassen Wildtiere ihre Spuren, wie hier ein Bär.

Ein Grenzübergang ist nicht immer einfach …

Neben dem Abenteuer, das der Fluss und die Natur uns bietet, ist das eigentliche Abenteuer das Land selbst: Albanien. Die Vielzahl der Kuriositäten, die uns unser Alltag dieser zehn Tage ungetrübt präsentiert, erstaunt uns immer wieder. Bereits unsere Einreise in den Balkanstaat ist eine eigene Geschichte wert. Da unsere Tour in Griechenland begann und in Albanien enden würde, hatten wir eine bürokratische Hürde zu meistern: einen Grenzübergang. Da Albanien nicht zu den EU-Mitgliedsstaaten zählt, mussten wir auf offiziellem Wege über einen Grenzposten einreisen, um unsere Reisepapiere registrieren zu lassen. Dummerweise war der Weg zum eigentlich nahegelegenen Grenzposten eine wahre Herausforderung. Die Straße zum Posten war für uns – aufgrund des steil eingeschnittenen Flusstales – unerreichbar. Gefangen im Flussbett entschieden wir den Zufluss, welcher zeitgleich die Grenze zwischen Albanien und Griechenland bildet, hinauf zu treideln und auf eine Aufstiegsmöglichkeit an einer Brücke zu hoffen, die ca. zwei Kilometer entfernt lag.

Nach kräftezehrendem Treideln und Tragen in der sengenden Hitze stellten wir fest, dass es für uns an der Brücke nahezu keine Möglichkeit gab mit unserem Gepäck auf die Straße zu kommen. Ein hoher Maschendrahtzaun zäunte die Zufahrt zum Grenzposten ab. Nach längerer Überlegung fanden wir nur eine Lösung – ein Feigenbaum direkt am Ende der Brücke überragte den Zaun und ermöglichte uns, durch eine geschickte Klettereinlage, den Weg zur albanischen Grenze. Bereits an der Grenze begegnet uns die albanische Gelassenheit und Freundlichkeit die uns auch die nächsten Tage begleiten sollte. 

Bürokratie erfordert wohl manchmal das Klettern auf Bäume.

Unsere Albanien-Reise verläuft ab hier in zwei Kapiteln, gezeichnet durch die Flüsse, die uns durch dieses Land tragen. Das erste Kapitel – die Vjosa – beenden wir nach fünf Tagen in Tepelena. Ein alter Taxifahrer bringt uns mit seinem – laut ihm – bereits eine Millionen Kilometer gelaufenen Ford zurück nach Permet. Wir glauben ihm, denn wir müssen den Wagen beim Einladen des Gepäcks halten, damit er nicht rückwärts den Hang hinab rollt.

Vorfreudig auf unser zweites Kapitel, den Fluss Osum – welcher durch einen tief eingeschnittenen Canyon führt – landen wir auf einem Campingplatz. Hier hoffen wir auf eine Mitfahrgelegenheit zum Osum-Canyon. Wir erfahren, dass die Passstraße zum Canyon nur von Offroad-Fahrzeugen befahren werden kann und engagieren schließlich über Dona, die überaus freundliche Besitzerin des Campingplatzes „Albtourist/ Ecocamping“, einen Fahrer. 

Der Osum-Canyon – Wenig Wasser, aber viel Schatten

Der Canyon bietet uns etwas, das uns die letzten Tage an der Vjosa nahezu verwehrt blieb und das uns nun wie der reinste Luxus vorkommt: Schatten. Während wir an der Vjosa Schwierigkeiten hatten in den glühend heißen Mittagsstunden einen schattigen Felsvorsprung oder Baum zu finden, ist der Osum-Canyon eine wahrhaftige Oase. Wir genießen die kühleren Temperaturen zwischen den Felswänden, baden im dreckig grauen Wasser des Osums und sind vor allem begeistert von der unfassbaren Schönheit dieses Ortes. Der Canyon nimmt uns gefangen, und spuckt uns zwei Tage später wieder aus. Zwei Nächte verbringen wir hier, schlafen unter dem Sternenhimmel auf Felsvorsprüngen in unseren Booten, schwimmen zwischen den Felswänden entlang, angeln, duschen unter Wasserfällen, sehen Skorpione, Schlangen und Schildkröten und spielen Schach. Letzteres improvisieren wir mit geschnitzten Figuren und selbst gezeichneten Schachbrettern auf Steinplatten, mit denen wir uns in der Mittagshitze die Zeit vertreiben.

Für ein Schachspiel unter blauem Himmel wird man schnell mal kreativ.

Dabei ist das Vorankommen mit unseren Packrafts im Canyon recht mühsam. Die stabil trockene Wetterlage hat den Osum im Hochsommer zu einem kleinen Bächlein schrumpfen lassen. Das wenige Wasser legt unzählige Steine frei. Während wir in einigen Passagen gerade so paddeln können, müssen wir andere Stellen wiederwillig treideln. Erst am Ende des Canyons wird der Osum durch einige Zuflüsse zu einem paddelbaren Fluss werden. 

Unsere letzte Etappe führt durch den Osum-Canyon.

Zwei weitere Tage vergehen auf dem Osum, bevor wir das Weltkulturerbe Berat erreichen. Die Stadt der tausend Fenster bildet das Ende unserer Reise, an die wir sicher noch oft und gerne zurückdenken werden.