15 Wochen, 11 Länder, 59 Betten
Auf dem Landweg von Deutschland nach Südkorea – mit Öffentlichen Verkehrsmitteln
TEXT + FOTOS: Alannah Both und Jonas Brixle
Wir sind Alannah und Jonas, beide 26 Jahre alt und aus München, und kurz bevor der Ernst des Arbeitslebens beginnt, wollten wir noch einmal die Welt entdecken. Unser Startpunkt ist München, unser Ziel Seoul, öffentliche Verkehrsmittel sind unser Vehikel, und auf dem Landweg nach Osten zu reisen, ist unser Traum. Bis auf einen kurzen Flug über das Kaspische Meer – nötig wegen der politischen Lage in Russland und Iran sowie geschlossener Grenzen in Aserbaidschan – gelingt uns das auch.
In 15 Wochen bereisen wir 11 Länder, davon sechs intensiv: Türkei, Georgien, Usbekistan, Kirgistan, China und Südkorea. 8.884 Kilometer Luftlinie, 59 Betten – und unzählige Eindrücke: spektakuläre Natur, große und kleine Städte, inspirierende Menschen, absurde Situationen, holprige Minibusfahrten, stundenlange Zugreisen, köstliches Essen, nicht ganz so köstliches Essen, Schwitzen, Frieren, Spielen, seltenes Weinen, viel Lachen – und dabei lernen wir die schönsten Länder kennen.
Mehr von uns erfährst du im Interview …
Wie kamt ihr auf die Idee, von München nach Südkorea auf dem Landweg zu reisen?
Alannah: Nach dem Uniabschluss stand für uns fest: Wir wollen uns noch einmal Zeit zum Reisen nehmen. Da wir beide möglichst wenig fliegen, aber so viel wie möglich sehen möchten, haben wir das Zugreisen schon vor einiger Zeit für uns entdeckt. So entstand die Idee, den Landweg nach Asien zu nehmen. Irgendwann hatten wir die Idee so oft erzählt, dass wir sie nicht länger nur beim Reden lassen konnten. Aus einem jahrelangen Traum wurde schließlich Realität.
Was ist das erste, das euch in den Kopf schießt, wenn ihr an eure Reise denkt?
Jonas: Das erste, was mir einfällt, sind die vier Tage in Kirgistan, die wir in einem kleinen Dorf auf 3000 Meter Höhe, Sary Mogol, bei einer kirgisischen Familie verbrachten. Schon der Weg dorthin war ein Abenteuer: Wir schlängelten uns durch hunderte von Schafs- und Pferdeherden, untermalt von kirgisischen Hits im Radio. Der Ort wirkte wie eine andere Welt. Die meisten Häuser bestehen aus Lehm mit Blechdächern, auf den Schotterstraßen sieht man Kinder auf Eseln reiten, Männer auf Pferden, und die Kinder spielen draußen mit dem, was da ist – und dem ein oder anderen laschen Ball, die Backen immer rot von der Kälte. Hier herrscht eine unbeschreibliche Ruhe. Das Dorf liegt am Fuß des Peak Lenin, eines 7000ers an der Grenze zu Tadschikistan. Auch wenn wir »nur« bis knapp 4000 Meter wanderten, war das Gefühl, davor zu stehen, überwältigend. Vormittags machten wir Ausritte, nachmittags spielten wir Fußball, abends Volleyball – und wir mittendrin. Vier Tage so eng mit den Einheimischen zu leben, war eine der schönsten Erfahrungen unserer ganzen Reise.
Unser Zimmer in Sary Mogol
Fußball-Match mit den einheimischen Kindern in Sary Mogol
Welches Land hat euch am meisten beeindruckt – und warum?
Alannah: Für mich war Kirgistan das schönste Land, das ich je besucht habe. Unendliche, unberührte Landschaften, fast surreal. Von 7000er-Massiven über türkise Bergseen bis hin zu grünen Hügellandschaften, überall Pferde, bunte Märkte und herzliche Menschen.
Jonas: Ich setze China auf die eins. Laut Alannah liegt das sicher vor allem am Essen. Nach zwei Monaten Flaute in Sachen veganes Essen war China für uns wie ein kulinarischer Himmel. Aber auch abgesehen davon ist das Land faszinierend: Megastädte voller Lichter, atemberaubende Natur, spannende Gegensätze. Wir haben uns hier rundum wohlgefühlt.
Brotverkäuferin auf dem Markt in Bischkek (Kirgistan)
Zhangye (China), Rainbow-Mountains genannt
Reiter treibt seine Pferdeherde zusammen am Song Kol (Kirgistan)
Ala-Kol (Kirgistan)
Wie habt ihr eure Route geplant – und wie flexibel wart ihr unterwegs?
Jonas: Die grobe Route stand von Anfang an. Wir wussten, wann wir in Bischkek sein mussten, da uns dort zwei Freundinnen besuchten, und auch das Enddatum war festgelegt. Sonst waren wir sehr flexibel und spontan. Meistens haben wir nicht mehr als zwei oder drei Tage im Voraus geplant. Nur bei langen Zugstrecken, vor allem in China, wo Züge ständig ausgebucht sind, mussten wir früher buchen. Visa waren dank deutschem Pass kein Problem, da wir in keinem Land länger als 30 Tage blieben. An den Grenzen war es zwar aufregend, aber alles lief problemlos.
Was waren die größten Herausforderungen auf der Reise?
Jonas: Die größte Herausforderung war die geschlossene Grenze in Aserbaidschan. Immer wieder hofften wir auf neue Informationen zur Öffnung, doch während unserer gesamten Reise änderte sich nichts. So mussten wir entgegen unserer ursprünglichen Pläne ein Flugzeug nehmen. Ein harter Schlag, weil damit unsere Landweg-Challenge offiziell gescheitert war – wenn auch nur für 500 Kilometer.
Alannah: Die Sprache, Südkorea ausgenommen, stellte ebenfalls eine große Herausforderung dar. Kaum jemand spricht Englisch, und ab China war selbst die Schrift für uns nicht mehr erkennbar. Trotz fleißigen Russischlernens konnte Jonas am Ende nur »Wir essen kein Fleisch« sagen – was immer wieder zu lustigen Situationen führte. Google Übersetzer war natürlich eine große Hilfe, aber vor allem haben wir gelernt, dass sich fast alles wunderbar mit Händen, Füßen und Lachen ausdrücken lässt. Und dann war da noch der Ausfall unseres allerersten Zugs von München nach Wien. Danach kamen alle Züge in dreieinhalb Monaten pünktlich auf die Minute. Think about it, DB!
Chongqing (China)
Zhangjiajie (China), Avatar-Mountains genannt
Unsere Globetrotter Ausrüstungstipps
für deine nächste Wanderung
Ihr seid mit öffentlichen Verkehrsmitteln gereist – was war euer verrücktestes Transporterlebnis?
Jonas: Definitiv der Nachtzug von Aktau, Kasachstan nach Nukus, Usbekistan: 20 Stunden auf engstem Raum, als einzige Touristen, umgeben von gesprächigen Usbek:innen und Kasach:innen. Unsere Anwesenheit sprach sich im ganzen Zug rum, immer wieder kamen Leute vorbei, die hallo sagen oder ein Foto mit uns machen wollten. Eine Frau, die etwas Englisch sprach, wurde aus einem anderen Abteil geholt, um sich mit uns zu unterhalten. Dazu zwei lange Grenzkontrollen mitten in der Nacht mit Passkontrollen, Hunden und Gepäckdurchsuchungen. Und morgens wurden wir von schreienden Händler:innen geweckt, die von Klamotten über Fisch bis zu Spielzeug alles anboten. Ein absolutes Highlight!
Alannah: Noch verrückter war eine Mitfahrgelegenheit in der Türkei: Ein Lieferwagen hielt neben uns und bot eine Mitfahrt an. Ich saß plötzlich mit einer vierköpfigen Familie vorne im Fahrerhaus, Jonas wurde in den dunklen Laderaum eingeladen – immerhin mit Teppich ausgelegt. Nach einigen Minuten wurde mir bewusst, dass ich weder Türkisch spreche noch ein internetfähiges Handy oder eine Adresse zur Hand habe. Jonas hatte zum Glück alles im Griff und signalisierte mit Klopfzeichen unseren Ausstiegsort.
Nachtzug von Aktau nach Nukus
Kappadokien (Türkei)
Wie war es, so lange unterwegs zu sein?
Jonas: Ehrlich gesagt, alles war viel einfacher als gedacht. Nach etwa einem Monat fühlte es sich an, als wären wir richtig in der Reise angekommen – ein Leben in der Gegenwart, ohne Verpflichtungen.
Alannah: Dreieinhalb Monate 24/7 miteinander – wir könnten uns nicht lieber haben. Die Zeit hat uns als Paar nur noch enger zusammengeschweißt. Nach 59 Bettwechseln waren wir aber auch etwas reisemüde und freuten uns auf Zuhause.
Angekommen in Südkorea
Was habt ihr über euch selbst gelernt?
Alannah: In einer Zeit, in der so viel Schlimmes auf der Welt passiert, hat uns die Reise den Glauben an die Menschen zurückgegeben. Jede Begegnung war herzlich und offen. Wir haben gelernt, dass man sich fast überall wohlfühlen kann, wenn man offen bleibt – und gleichzeitig haben wir Zuhause und die Menschen dort noch einmal ganz neu zu schätzen gelernt.
Was würdet ihr anderen Globetrotter:innen raten, die von einer solchen Reise träumen?
Jonas: Zentralasien ist auf jeden Fall unterschätzt: wunderschön, gastfreundlich und sicher – eine große Empfehlung!
Alannah: Auf dem Landweg ist der Weg das Ziel. Grenzüberschreitungen sind besonders spannend, man erlebt die Unterschiede zwischen Ländern, Kulturen, Religionen und Menschen intensiver und bekommt gleichzeitig ein Gefühl für die fließenden Übergänge. Auch das ist eine große Empfehlung!
Ala-Archa-Nationalpark (Kirgistan)
Backgammon im 19. Stock unserer Unterkunft in Chongqing
Meine Tipps:
- Keine Angst vor langen Fahrten – am Ende sind sie die schönsten.
- China erfordert mehr Vorbereitung als andere Länder, aber es lohnt sich!
- Low-Budget-Reisen funktioniert wunderbar!
Must haves:
Ein Reise-Backgammon (am besten von Mama genäht; Endspielstand: Jonas 131, Alannah 97)