Aerob oder anaerob – die Schlüsselunterschiede für effektives Training

Trainingswissenschaft

In der Trainingslehre ist immer wieder von verschiedenen Schwellen die Rede: aerobe, anaerobe, ventilatorische oder Laktatschwelle. Was das für dein Workout bedeutet, erklären wir hier.


TEXT: Philip Baues

Im ersten Teil unserer kleinen Fitness-Serie haben wir die Bedeutung der Herzfrequenz für die Trainingsplanung in den Blick genommen. Anders als den Puls kann man den aeroben und anaeroben Bereich nicht ohne weiteres (zum Beispiel am Handgelenk) messen. Vielmehr dient das Wissen über die Hintergründe des Energiestoffwechsels als theoretischer Unterbau für eine effiziente Belastungssteuerung. Viel Spaß!

Warum ist das Thema für mich relevant?

Wer versteht, was im Körper bei sportlicher Aktivität passiert, kann seinem Training einen echten Boost geben und vermeintlich paradoxe Thesen durchschauen: Deine Pace beim Joggen stagniert? Wahrscheinlich läufst du im Training nicht langsam genug! Du gehst regelmäßig schwimmen und nimmst trotzdem nicht ab? Versuch’s mal mit Spazierengehen!

Entscheidend für gesunden Sport ist der Energiestoffwechsel und den unterscheidet man in aerob und anaerob …

Was ist der »Treibstoff« für unsere Muskulatur?

Muskeln können ihre Bewegungsenergie nicht direkt aus der Nahrung (Kohlenhydrate, Fette, Proteine) beziehen. Vielmehr werden in biochemischen Prozessen die verschiedenen Energieträger zu ATP (Adenosintriphosphat) umgewandelt, was die Muskelkontraktion ermöglicht. Je nach Belastungsdauer und -intensität verschieben sich die Anteile der Energielieferanten und der Wirkungsgrad der Energieausbeute. Denn die körpereigenen Reserven an ATP (bzw. Kreatinphosphat zur Resynthese) sind nach wenigen Sekunden bzw. einigen maximalen Muskelkontraktionen aufgebraucht. Der Körper muss also durch die Verstoffwechslung von Fetten und Kohlenhydraten einen der Belastung entsprechenden ATP-Nachschub generieren.

Was ist der Unterschied zwischen aerob und anaerob?

Die Begriffe beschreiben, ob für die ATP-Synthese Sauerstoff benötigt wird oder nicht. Grob übersetzt: Je mehr du beim Sport ins Schnaufen kommst, desto mehr übersteigt der Sauerstoffbedarf das -angebot.

Weil beim anaeroben Stoffwechsel nicht erst Sauerstoff zum Muskel transportiert werden muss, steht die Energie sehr schnell zur Verfügung. Allerdings ist der Wirkungsgrad sehr gering, da die Glukose (also Kohlenhydrate) nicht vollständig verwertet wird. Die rein anaerobe Energiebereitstellung (ohne Laktat) ist spätestens nach etwa zehn Sekunden erschöpft. Ein klassisches Praxisbeispiel ist hier der 100-Meter-Sprint in der Leichtathletik. Noch bevor die in der Muskulatur vorgehaltenen ATP-Reserven aufgebraucht sind, setzt die anaerobe laktazide Energiebereitstellung ein: Die dabei entstehenden Milchsäuresalze wurden früher als Abfallprodukt bezeichnet. Heute weiß man, dass Laktat eine bevorzugte Energiequelle für Herz und Hirn ist.

Im aeroben Bereich hingegen nimmst du über die Atmung mehr Sauerstoff auf, als die ATP-Synthese verbraucht. Das führt dazu, dass die Glukose und Fettsäuren vollständig abgebaut werden können – allerdings steht diese große Energieausbeute deutlich langsamer zur Verfügung als beim anaeroben Stoffwechsel. 

Natürlich laufen die verschiedenen Stoffwechselprozesse nicht isoliert voneinander ab. In der Regel nutzt der Körper beim Sport eine Mischung aus beiden Arten.

Muskuläre Energieproduktion

Stoffwechsel: aerob und anaerob

Beispiele aus der Praxis: Den 100-m-Sprint absolvieren die Athlet:innen ohne einen einzigen Atemzug. Nahezu die gesamte Energie für die Bewegung stammt aus im Muskel gespeichertem ATP (anaerob alaktazid).

Ein 50-m-Freistil-Wettkampf dauert ca. 25 Sekunden. Obwohl die körpereigenen ATP-Reserven da längst aufgebraucht sind, atmen die Schwimmer:innen bis zum Anschlag nicht: Der anaerobe laktazide Stoffwechsel stellt den Großteil der Energie bereit.

Bei etwa zwei Minuten Vollbelastung – entspricht etwa einem 800-m-Lauf – liefern anaerober und aerober Stoffwechsel jeweils etwa 50 Prozent der benötigten Energie.

Lange Ausdauerbelastungen sind nur mit dem sehr ergiebigen, aber langsameren aeroben Stoffwechsel möglich.

Was passiert im anaeroben Bereich?

Wie oben beschrieben, ist die anaerob-laktazide Energiebereitstellung extrem unökonomisch: Während der aerobe Stoffwechsel ein Zuckermolekül in 38 Moleküle ATP zerlegt, sind es ohne Sauerstoff gerade mal zwei Moleküle ATP.

Aus dem Rest entsteht – vereinfacht gesagt – Laktat. Bei sehr hoher Belastung können wir nicht genug Sauerstoff aufnehmen, um diese Milchsäuresalze im Muskel schnell wieder abzubauen. Das Laktat häuft sich im Blut an und führt zu einer Verschiebung des pH-Werts – wir übersäuern und müssen nach wenigen Minuten in der Sauerstoffschuld die Belastung reduzieren oder abbrechen.

Was versteht man unter aerober und anaerober Schwelle?

Die aerobe Schwelle markiert den Punkt, an dem ein erster Laktat-Anstieg im Vergleich zum Ruhewert gemessen werden kann. In der Sportwissenschaft hat diese Schwelle aber kaum Relevanz: Um diesen Bereich herum ist die Laktatkonzentration im Blut noch so gering, dass sie für die Muskelaktivität kein Problem darstellt.

An der anaeroben Schwelle dagegen bildet der Körper so viel Laktat, wie er unter dem maximalen Verbrauch von Sauerstoff abbauen kann. Sauerstoffbedarf und -angebot in den Zellen sind also gerade noch ausgeglichen. Die anaerobe Schwelle markiert also die höchste Belastung, die langfristig (ca. 60 – 90 min.) durchgehalten werden kann. Gehen wir darüber hinaus, reicht die Atmung schlicht nicht aus, um genug Glykose in ATP für die Muskelarbeit aufzuspalten.

Wie trainiere ich aerob?

Neben der anaeroben oder Laktatschwelle ist in der Sportmedizin auch von ventilatorischen Schwellen die Rede. Während einer Spiroergometrie wird das Verhältnis von eingeatmetem Sauerstoff und ausgeatmetem Kohlenstoffdioxid untersucht. Im Fokus der Analyse steht also nicht die Laktatkonzentration im Blut, sondern schlicht die Atmung. Einfach ausgedrückt: 

»Laufen ohne zu Schnaufen« bedeutet, dass du sicher im aeroben Trainingsbereich unterwegs bist.

Wie trainiere ich anaerob?

Willst du es beim Training richtig krachen lassen, und bist auf maximale Leistungssteigerung aus, sind harte Intervalle genau das Richtige. Wieder kann dir deine Atmung zuverlässig Rückmeldung geben, ob die Belastung wirklich hoch genug ist. Oberhalb der anaeroben- oder Laktatschwelle wird mehr CO2 produziert, als O2 aufgenommen wird. Durch eine deutlich schnellere Atmung versucht dein Körper, dieses Kohlenstoffdioxid wieder »loszuwerden.« Manche nennen das Schnappatmung, andere Atemnot oder Hyperventilation. Was im Alltag medizinische Notfälle wären, passiert auch beim intensiven Training:

Im anaeroben Bereich kommt deine Atmung einfach nicht mehr mit der Sauerstoffversorgung hinterher.

Übersicht aerob/anaerob

Belastungszone % Maximalpuls Beschreibung Beispiel
Gesundheitszone 50 – 60 Leichtes Herz-Kreislauf-Training, ideal für Anfänger Spazieren gehen, gemütlich Rad fahren
Fettstoffwechsel 60 – 70 Fett als primärer Energielieferant. Stärkung des HKS, Verbesserung der Fitness Lockerer Dauerlauf
Aerobe Zone 70 – 80 Verbesserung von Sauerstoffaufnahme und Kreislauf. Klassisches Ausdauertraining Tempodauerlauf, Schwimmtraining, MTB-Touren
Anaerobe Zone 80 – 90 Laktat kann nicht mehr abgebaut werden, Intervalltraining für max. Leistungssteigerung Sprints, Intervalle, Kraft-, funktionelles Training
Warn-/Wettkampfzone > 90 Äußerste Leistungsgrenze. Für Freizeitsportler nicht empfohlen! Maximalkraftübungen
Aerober Bereich (niedrige bis moderate Intensität)
Anaerober Bereich (Sauerstoffschuld)
Grenzbelastung (nur für trainierte Sportler:innen)

Und was ist nun besser? Aerob oder anaerob?

Wie immer ist die richtige Mischung entscheidend. Das Training sollte auf die Sportart, die individuellen körperlichen Voraussetzungen und die persönlichen Ziele abgestimmt sein. Die WHO empfiehlt für gesunde Erwachsene beispielsweise mindestens 150 Minuten leichte aerobe Aktivität (oder mind. 75 Minuten intensive aerobe Aktivität) und an zwei oder mehr Tagen muskelstärkende Aktivitäten (anaerobes Training).

Aktive Sportler:innen trainieren oft natürlich deutlich mehr. Entscheidend für sie ist: Leistungssteigerungen erreicht man nicht durch exzessives Training im Bereich der Wettkampfintensität. Vielmehr sollten etwa 80 % der Umfänge im aeroben Bereich (rein grün in unserer Tabelle) stattfinden, die restlichen 20 % dafür umso intensiver im aeroben Level (gelb/rot).

Wer also beim nächsten Stadtlauf seine 10-km-Bestzeit knacken will, läuft lange langsam und kurz schnell: Die allermeisten Trainingskilometer darfst du ruhig 90–120 Sekunden langsamer laufen als deine Wettkampf-Pace. Rund 1/5 der Trainingszeit gehen dafür ans Eingemachte: Intervalle, Steigerungsläufe, Pyramiden, Sprints, Krafttraining – dadurch wirst du schnell!

Philip Baues (41)

… war früher Leistungssportler, hat Sportwissenschaften studiert und trainiert inzwischen meist nach dem Motto »Du kannst aus einem Schwein kein Rennpferd machen. Aber ein schnelles Schwein.«

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